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Wolfgang
28.08.2010, 14:07
(Aus „Unser Danzig“, 20.09.1967, Seiten 12-13)

Wer war einmal beim Robinson?
von Walter Sperling

Es wird nicht mehr viele geben, die von jenen Strapazen erzählen können, die dem Waghalsigen begegneten, der es im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts unternahm, mit Kind und Kegel eine Expedition zum Heubuder Strand anzutreten.

Das fing ganz harmlos an. Im Winkel der "Grünen Brücke" erwarteten im festlichen Glanz, wimpelgeschmückt, Dampfer und Dampferchen die Verwegenen, die bereits am frühen Sonntagmorgen aus allen Richtungen herbei strömten, um gut gelaunt, ungeachtet aller Fährnisse, die ihrer harrten, die Decks zu füllen. Dann ging es los mit qualmenden Schloten und Getute, manchmal mit Musik, vorbei an den Giebelhäusern der Langen Brücke, vorbei an all den Toren, fernen Gestaden entgegen, die reich verziert in der Phantasie der Fröhlichen ihren Platz hatten.

Heubude war in jenen Tagen des erwachenden Massenausflugverkehrs ein bescheidenes Dörfchen, in dem noch Staub und Sand das Bild beherrschten. Wenn der Menschenstrom den schief liegenden Dampfer am Anlegeplatz verlassen hatte, bewegte sich bald eine sich mehr und mehr auseinander ziehende Karawane dem Dünenwald entgegen. Da sah man Hannchen und Mannchen in eine Staubwolke gehüllt mühselig durch den Sand des noch unbefestigten Weges waten; das Jüngste rittlings auf Vaters Schultern, in den Händen Eimer und Schaufel schwingend, hinter drein mit den übrigen am Rock bammelnden "Blarren" die keuchende Mutter mit Vaters Jackett und der wohl gefüllten Fressalientasche. Der Schweiß floss in Strömen! Und wenn sich endlich - endlich der Wald öffnete, die strahlend blaue See sich zeigte und Kühle die erhitzten Köpfe umwehte, kam Bewegung in den Menschenstrom, der sich nun mit letzter Kraft im Endspurt über den Strand ergoss und von ihm Besitz nahm.

Da war man nun! Die schwach gewordenen Knie knickten ein; man saß erstmal auf seinem Platz, blickte auf das ferne Band des Horizonts, lauschte dem rhythmischen Schlag der anlaufenden Wogen, versuchte wohl auch die Spitze von Heia auszumachen oder stellte mit Genugtuung fest, dass die Doppeltürme von Neufahrwasser noch auf ihrem Platz standen. So begann das große, auf Wochen im voraus geplante Erlebnis, das eine nicht enden wollende Kette mannigfacher Freuden und Leiden einschloss, zu deren Absolvierung man als Danziger einfach dann und wann verpflichtet war.

Eine hektische Betriebsamkeit löste meistens die kurze Verschnaufpause ab. Vater zog Schuhe und Strümpfe aus, krempelte die "Bixen" um und stolzierte - Kreissäge oder Melone auf dem Kopf und Vatermörder um den Hals! - zum Wasser, "mal nachschauen, wie es heute ist!"; Mutter saß in Untertaille und Spitzenunterrock in der inzwischen gebuddelten Kaule und streckte ihre bereits geschwollenen Füße der Sonne entgegen. Die Kinder bewarfen sich mit Sand.

In jenen Zeiten schlummerte der Bikini und andere ergötzlichen Dinge noch im Dunkel einer fernen Zukunft, und der Anblick Badender war wenig erfreulich. Klatschnasse, weite Phantasiegewänder klebten an den Formen der holden Weiblichkeit, gar nicht zu reden vom Badedress der männlichen Bleichgesichter -, aber man plantschte im Wasser genau wie in unseren Tagen, indes die Sonne höher und höher stieg und ihre sengenden Strahlen auf die Fröhlichkeit herab sandte.

Allenthalben wurde des leiblichen Wohles gedacht; man schmauste und trank! Zur bevorzugten Marschverpflegung einer solchen Tour gehörten außer harten Eiern gebratene Klopse, Karbonade oder kalte Bratflundern; auch ein riesiges Einmachglas mit Kartoffelsalat war mit dabei, der mit Flugsand gemischt hübsch zwischen den Zähnen knirschte.

So ging ein solcher Tag dahin zwischen Baden, Essen, Dösen; hier und da wurde ein Skat gedroschen. Und wenn sich die Sonne dem Adlershorster Zipfel näherte, zogen die Väter ihre Schlüsseluhren, und allmählich begann sich der Strand zu leeren. Wieder zog eine hitzefiebernde, ermattete Kavalkade mit plärrenden Kindern durch den Staub des Waldes, und wer nicht noch bei Albrecht oder im Kurhaus hängen blieb, der saß schließlich, nachdem man sich am Steg die Beine in den Leib gestanden hatte, auf dem Dampferchen, das all die Müden und die Kinder mit ihren gesammelten Schätzen an Bernsteinsplittern und Muscheln der guten, alten Stadt entgegen trug, wo nun jeder - in Schidlitz so gut wie in Ohra, in der Nieder- wie in der Altstadt - mit seinem Sonnenbrand fertig werden musste.

Später hatte man es feiner: man fuhr mit der "Elektrischen"! Heubude wurde zu einem Volksbad im wahrsten Sinne des Wortes; Zehntausende bekamen nun an einem "großen Sonntag" auf bequemste Weise ihren Sonnenbrand. Zwar änderte sich nichts am Inhalt der Fresstaschen: Klopse, Karbonade und Flundern, wie auch der Kartoffelsalat mit Sand dominierten weiter; es änderte sich auch nicht das Verhalten der Badegäste, aber der äußere Rahmen zeigte deutlich, dass die Zeit vorwärts geschritten war. Kreissäge und Melone, Requisiten vergangener Tage, waren verschwunden; ebenso die abenteuerlichen Verkleidungen - deren man einst bedurfte, um im Wasser herum hopsen zu können. Die "Luwer" kamen auf ihre Kosten!

Weg und Steg luden zu Wanderungen ein, eine Strandhalle war da, und manches andere entstand. Heubude wuchs weit in den Eulenbruch hinein und wurde ein schmucker Ort mit seinem Heidsee. Man saß beschaulich im Renkschen Garten. Im Kurhaus wickelte Papa Dinse dann und wann seine beliebten Kinderfeste ab; Lampionpolonaise und so! Wohl fuhren noch die schwarzen und weißen Dampfer wie eh und je, aber mehr wohl für Romantiker und Leute, die Zeit hatten.

Gemessen an der Zahl derer, die sich zwischen dem Milchhäusel und den Krakauer Netzstangen in der Sonne schmoren ließen, waren es nur wenige Einzelgänger, die hinter den Geheimnissen des Dünenwaldes her waren, versteckte Trampelpfade wanderten, die Hinterdünen durchforschten oder auf dem hügelauf-hügelab führenden Fischersteig dem Durchbruch zustrebten. Es waren immer dieselben, denen man in jeder Jahreszeit auf solchen Streifzügen begegnete: der "Ohr'sche Apotheker", Herbert Sellke von der "Neuesten" manchmal; öfter Fritz Jänicke, der sich hier wohl die Stammtischgespräche des Herrn Rentier Poguttke "erwanderte"; nicht zu vergessen der Apotheker Gordon vom Krebsmarkt, der stets mit Botanisiertrommel unterwegs war und gelahrte Gespräche über die seltene Pflanzenwelt der Hinterdünen führte, wo auch in dichten Nestern der Fleisch fressende Sonnentau wuchs.

Nur das Rauschen der See war zu hören, vielleicht der heisere Schrei einer Möwe; es roch nach Kien und Weide. Man kreuzte den Weg der Fischer, die von Krakau ihren Weg zu den Booten nahmen, und weiter ging's bis auf die Höhe von Plehnendorf, wo dann das großartige Bild des Weichseldurchbruchs zwischen den sich lichtenden Kiefernstämmen sichtbar wurde. Wohl jeder hemmte dort seine Schritte und genoss, was sich bot: Die kleinen Häuschen östlich Neufährs mit ihren Räucherkaminen, das grüne Band des Messina-Vogelschutzgebietes, die in ihren Lagunen ruhenden Kähne; manchmal tuckerte ein Kutter seewärts.

Kurz bevor der parallel zur Weichsel verlaufende Weg im Strand ein Ende fand, stand linker Hand ein bescheidenes Anwesen. Das war "Robinsons Hütte"! Hin und wieder stand Robinson - ein biederer Einsiedlergastronom! - in seinem schütteren Gärtchen und hielt Ausschau, ob nicht einer sein Bereich ansteuern würde. Frau Robinson war in der Küche mit Aal in Gelee beschäftigt; der Hausherr sorgte für den Grog. Das passte alles gut in diesen Rahmen: Robinsons Hütte, Wind, Salzluft und das Rauschen der See! Selbst die unwirtlichen Jahreszeiten zeigten sich dem Wanderer von einer herbschönen Seite - wenn Krähen zogen, glasklare Quallen auf dem kalten Strand lagen, die See unter tief hängenden Wolken gegen die Dünen rollte und der Wind das Dünengras rüttelte. Welch ein Bild, wenn das große Wasser, nach einem Sturm erschöpft, nur ab und zu eine mächtige Grundsee am Strand zusammenbrechen ließ, wo die Fischer haufenweise gekescherte Schlickkohle bargen -, und erst im Winter, wenn alles erstarrt unter dem weißen Tuch verharrte und kaum eine Menschenseele zu sehen war.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang