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Wolfgang
31.08.2010, 00:20
Aus „Unser Danzig“, Pfingsten 1963, Nr.11, Seiten 7-8

Das Englische Haus
von Bernhard Schmid

Eins der stattlichsten und schönsten Bauwerke Danzigs war das Englische Haus in der Brotbänkengasse. Seit dem 18. Jahrhundert diente es als Gasthaus, und aus dieser Zeit haben wir eine sehr anmutige Zeichnung Chodowieckis vom Beischlag des Hauses. Es galt früher als das einstige Lagerhaus der englischen Tuchhändler, die auch eine Kapelle in dem Gebäude gehabt haben sollen. Der erste gedruckte Hinweis hierauf rindet sich 1809 in Duisburgs "Beschreibung der Stadt Danzig". Nachgewiesenermaßen bestanden in Kulm und Elbing englische Handelssozietäten; am Elbingflusse stand das 1637 erbaute Klubhaus der englischen Kaufleute, geschmückt mit dem Londoner Wappen. Der Erbauer des Hauses, Johann Slocumbl aus London, ist in St. Marien zu Elbing 1638 begraben, wo sein und seiner ersten Gattin Epitaphien zu sehen waren.

In Danzig waren englische Niederlassungen nur vorübergehend im 14. Jahrhundert und dann unter der Regierung des Hochmeisters Heinrich von Plauen (1410—1413). Im Sinne der hansischen Politik lag die Bekämpfung des englischen Festlandhandels, und demgemäß verboten sie jede Niederlassung. Auf diese Tatsache weist Paul Simson im 2. Bande seiner Geschichte der Stadt Danzig hin (S. 359) und erklärt, dass jenes Haus in der Brotbänkengasse weder für die englischen Kaufleute gebaut, noch von ihnen gepachtet worden sei. Sein Name ist lediglich Gasthausname, im 18. Jahrhundert entstanden. Simson kannte wie kein zweiter das Danziger Archiv und die verworrenen Gänge der Danziger Politik jener Tage. Freilich bleibt immer noch einiges Rätselhafte an dem Bau, denn von der bekannten Danziger Bauart wich es vollständig ab. Das Erdgeschoss war gewölbt und enthielt auf jeder Seite eines geräumigen Mittelflurs ein Vorder- und ein Hinterzimmer. Hier waren wohl die Kontore. Darüber waren dann drei Geschosse vorhanden, die zu Wohnungen eingerichtet waren, in alter Zeit aber wohl nur teilweise diesem Zwecke, vorwiegend als Lagerräume für Waren dienten. Der riesige Dachraum hatte vier Geschosse, von denen die beiden unteren ebenfalls noch als Speicher gut ausnutzbar waren. Eine massive, bequeme Treppe führte von unten bis zum ersten Dachboden.

Sehr merkwürdig war die Dachform mit den vier gleichmäßig ausgebildeten Giebeln, eine Abweichung von dem sonst allgemein üblichen Satteldach, die freilich das Haus innerhalb des Stadtbildes sofort vor allen anderen hervorhob. So eigenartig wie das Äußere war auch die Zimmerung des Daches selbst. In der Mitte steht der Turm, der hier nicht dekorative Bedeutung hat, sondern von der unteren Balkenlage im Dachraum emporsteigt. An diesen Turm lehnen sich wie an einen Kaiserstiel die vier Kehlsparren, die das System des übrigen Dachverbandes abstützen. Sorgfältigste Arbeit, mit abgeschmiegten Kanten und Verwendung von Eichenholz zeichnen dieses Meisterwerk der Zimmermannskunst aus. Und nun die Schauseite, an der Brotbänkengasse, von jeher viel betrachtet und bewundert. Sie führt uns mitten in die geistigen Kämpfe jener Zeit, in die Versuche, die von Italien her eindringenden Formen der Renaissance-Baukunst nach deutschem Geiste umzumodeln. Die Konstruktionsregeln des Mittelalters wurden unverändert beibehalten, und auch die bisherigen Gesetze der Fassadengliederung suchte man beizubehalten, im Ornament und der Einzelform aber die Aufnahme und Weiterbildung der fremden Motive. Der Giebel der Trinitatiskirche (1514), die Georgshalle (1489—94) und die Obergeschosse des Stockturms (1505—07) sind die letzten, sicher datierbaren Fassaden der Spätgotik. Aus den nächsten Jahrzehnten ist so gut wie nichts erhalten. In dem Giebel des Arbeitshauses von 1549 haben wir den ersten schüchternen Versuch, die wälschen Formen aufzunehmen, und im siebenten Jahrzehnt erst beginnt eine Reihe von Bauten, die uns die sichere Hand eines mit der Renaissance wohlvertrauten Meisters zeigen: das Ferberhaus 1560, Langgasse 37 von 1563 und das Löwenschloss 1569. Sie zeichnen sich durch gute Verhältnisse und sorgfältige Durcharbeitung in den Einzelformen aus. Jedes Stockwerk ist mit einer Säulenordnung belegt, deren Gesimse eine entschiedene Horizontalteilung bewirken; doch liegt in den schmalen, mit Pilastern belegten Wandpfeilern zwischen den üblichen drei Fenstern doch noch die Betonung der in früherer Zeit beliebten Vertikalgliederung. Hierhin gehören dann auch die Häuser Langgasse 45 und 38 mit den streng nach italienischen Vorbildern gezeichneten Triglyphenfriesen. Nennt man noch das bald nach 1568 erbaute Grüne Tor und das Englische Haus, so ist die Gruppe der älteren Bauten aus dem Bereich der deutschen Renaissance damit so ziemlich erschöpft.

Schon 1560 beginnt die Einwanderung niederländischer Handwerker und Künstler, deren bedeutendster Antony von Obbergen aus Mecheln war. So verschafft sich Ende des 16. Jahrhunderts die niederländische Auffassung der Renaissance für eine gewisse Zeit die Vorherrschaft; das altstädtische Rathaus 1587 und das Zeughaus 1605 seien als Hauptvertreter genannt.

Mit diesen Andeutungen hätten wir das Verständnis für die stilgeschichtliche Stellung des Englischen Hauses gewonnen. Bei einer Frontweite von 15,5 Metern, doppelt so groß als sonst die Hausbreite ist, bedurfte es kräftigerer Ausdrucksmittel für die Fassadengliederung; sie erfolgt durch Anwendung gekuppelter Stützen, zwischen denen auch die Gesimse gekröpft sind. Also ein klares Hervorheben der Vertikallinien. Die Pilaster sind nach der üblichen Reihenfolge in toskanischer, ionischer und korinthischer Ordnung gezeichnet, deren Zahl freilich den sieben Stockwerken nicht genügte. Daher wird denn auch die korinthische Ordnung wiederholt und erst oben, im Giebel, macht sich der Meister von Vitruvs Schulregeln frei und belegt die Stützen mit phantastischen Hermen und Konsolen; in den Zwickeln der Giebelstaffeln erscheinen allerhand Fabelwesen: Löwenmasken, Sphinxe, Delphine, und die Ecken zieren Krieger mit Wappenschildern; ganz oben, im Giebeldreieck, ragt aber die riesige Maske eines Mannes in der Eisenkappe hervor. Es ist die der Renaissance eigene Freude am lustigen Bildwerk, die auch das Haus Langgasse 37 so auszeichnet und die uns am Englischen Haus gleich an den Sockelmasken des Eingangs begrüßt, die eine auffallende Ähnlichkeit mit den Masken am "Löwenschloss" aufweisen; nur die Ornamente auf den Friesen der drei Hauptgeschosse atmen noch den Geist italienischer Strenge. In der Gesamtauffassung der Architektur liegt etwas Verwandtes mit dem Otto-Heinrichs-Bau des Heidelberger Schlosses (1556). So wie Oechelhäuser dessen Baumeister kennzeichnet als "Deutschen, der die antikische Art in Oberitalien studiert und sich nach Kräften in den Stil der Frührenaissance eingearbeitet hatte", so müssen wir uns auch den Meister des Englischen Hauses vorstellen. Sein Name ist uns durch Georg Cunys Forschungen bekannt geworden: es ist Hans Kramer, der seit 1554 in Dresden nachweisbar ist, 1565 Ratsbaumeister in Danzig wurde und dort 1577 bei der Verteidigung der Stadt seinen Tod fand. Bauherr war der Danziger Bürger Dietrich Lilie, für den das Haus 1569 errichtet wurde.

Durch Hans Kramer kamen auch fremde, vielleicht Dresdener Steinmetzen nach Danzig, worüber uns ihre Marken selbst Aufschluss geben. Abweichend von allen anderen Danziger Renaissancebauten hat das Englische Haus in den Fenstergewänden noch Profilierungen, die als Überbleibsel der Gotik bis an das Ende des 16. Jahrhunderts der deutschen Renaissance eigen sind, und an diesen Fenstergewänden aus Sandstein sind drei Steinmetzzeichen vorhanden, wie sie in Mittel- und Süddeutschland allgemein üblich waren. Im Ordenslande sind diese Zeichen bisher nicht beobachtet worden, weder in früherer noch in .späterer Zeit. Einst trugen die Außenflächen den Farbenschmuck einer reichen Bemalung; jetzt sind davon nur andeutende Spuren erhalten. Dagegen steht das steinerne Architekturgerüst noch wohlbehalten da, ein viel bewundertes Kunstdenkmal von hohem Range. 1912 ging das Haus in den Besitz der Stadtgemeinde Danzig über, wozu opferwillige und kunstsinnige Bürger einen Sonderbeitrag spendeten.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang