PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kraft tanken am Frischen Haff



Wolfgang
14.09.2010, 17:59
Sonntag, 12. September 2010

Wir wollen wieder einmal gut Fisch essen und fahren deswegen nach Bodenwinkel zum Fischrestaurant "Bar Rybni u Basi". Aal, Zander, Dorsch, Flunder, Heilbutt, Ostsee-Lachs... - alles gibt es frisch. Ich kann mich zuerst nicht entscheiden, ob Aal oder Zander, aber dann fällt die Wahl auf den Zander, da ich hier schon in der letzten Woche einen gebratenen Aal gegessen hatte.

Nach dem Essen möchten wir ans Haff und zwar dort wo die Königsberger Weichsel in das Frische Haff einmündet. Über Hinterstutthof geht es über einen holprigen Betonplattenweg entlang des Schilf bestandenen Haffufers. Und dann sind wir auch schon da. Stille umfängt uns. Dort, wo sonst Frösche quaken und unzählige Vogelstimmen zu vernehmen sind, herrscht Ruhe in herbstlicher Idylle. Klarer, blauer Himmel, ein einsamer Kormoranschwarm, ein Greifvogel, weidendes Vieh in der Ferne.

Das Haff liegt vor uns. Warmes Licht überflutet die Mündung der Königsberger Weichsel. Über den Elbinger Höhen stehen einige zerzauste Wolken. Alles grünt noch, die Gräser in der weiten Landschaft, die direkt hinter dem Deich Richtung Haff stehenden Birken, das Schilf. Eine milde spätsommerliche Brise kräuselt das Wasser. Draußen ziehen einsam einige Boote mit weißen Segeln dahin. Ich würde gerne mitsegeln, hatte ich doch in diesem Jahr dazu keine Gelegenheit. Und jetzt ist es zu spät, der Herbst kommt, dieses Wochenende ist vielleicht das letzte schöne in diesem Jahr.

Ich sehe mitten im Schilf einen Apfelbaum. Die verlockend roten Äpfel ziehen mich an. Kinga warnt mich, meint, ich würde mir nasse Füße holen. Ich glaube das nicht, habe dieses Mal auch Glück, komme mit ein paar festen rotbackigen Äpfeln zurück.

Hier könnte ich ewig bleiben. Hier fühle ich mich einmalig wohl. Die Landschaft, die Weite, das Wasser, die Natur wirken beruhigend und doch auch elektrisierend. Hier könnte ich ewig sitzen, eins mit der Natur werden, sie atmen, könnte angeln, schauen, Stille hören. Es ist ein Fleckchen Erde und Wasser, das die Sinne schärft und Kraft schenkt.

Ein gutes Jährchen noch und dann werde ich wann immer ich will hierher kommen können.

Willy
14.09.2010, 21:25
Hallo Wolfgang,
soweit ich es auf den Photos erkennen kann, ist es genau die Ecke wo meine Eltern und Großeltern gelebt haben.
Kobbelkampe? Am Damm bis zum Ende gefahren?
Wenn alles klappt bin ich mit meiner Frau im nächsten Jahr wieder an dieser Stelle.
Gruß von der westlichen Ostsee (hier ist ab heute Herbst)
Willy

Wolfgang
14.09.2010, 21:51
Hallo Willy,

richtig, Stutthof -> Kobbelkämpe -> Kirrhaken -> Fischmeisterei (auf der anderen Seite) und dann die Mündung der Königsberger Weichsel ins Frische Haff.

Ich habe dort wunderbare Momente erlebt. Wer es versteht, sich auf die Natur einzulassen, geht in ihr auf. Ich war dort zu jeder Jahreszeit, im tiefsten Winter wenn alles verschneit und vereist war, im Frühling wenn neues Leben explodiert, im Frühsommer wenn sich der Himmel durch Mückenwolken verdunkelt, im Sommer wenn die Hitze drückend wäre gäbe es nicht das Wasser und erfrischende Brisen, im Herbst wenn Ruhe und Melancholie einkehren.

Ich bin bestimmt alle vier, sechs Wochen dort. Mich zieht es dort hin. Es gibt dort -wenn überhaupt- hin und wieder mal einen Angler. Touristen verirren sich dort nie hin. Aber hin und wieder einmal jemand der dort seine Heimat hatte.

Aber die "Zivilisation" hinterließ auch dort ihre Spuren... - selbst im Schilf angeschwemmter Müll, Plastikflaschen.

Trotzdem: Diese einmalige Landschaft von der man weiß, dass dort eigene Wurzeln entsprossen, ist etwas Besonderes. Sie nimmt gefangen, lässt nicht los, erinnert. Mahnt. Du stehst dort und weißt wo Du hin gehörst. Oder Du ahnst es zumindest.

Ich komme aus dem Werder und ich werde dorthin zurück kehren.

Willy
15.09.2010, 09:34
Bilder vom Wohnhaus meines Großvaters 1930 und 2009.
Und alte Bilder vom gleichen Ort.
Meine Eltern haben neben dem ehemaligen Fischmeister Bock im alten Zollhaus gelebt (leider im Krieg vollkommen zerstört).

Belcanto
15.09.2010, 10:30
Wunderbar- und so freidlich.
Viele Grüße
Belcanto

Gisela Schwetje
15.09.2010, 16:32
Hallo Wolfgang, Deine Beschreibungen sind beeindruckend, so,als ob man selbst dort sitzen oder stehen würde.
Lb. Grüsse
Gisela

Wolfgang
15.11.2013, 01:14
Schönen guten Abend,

Willy sprach über den Fischmeister Bock. Ich fand anlässlich seines Todes eine Würdigung über ihn in "Unser Danzig", 05. Juni 1959, Seite 12:

Aus "Unser Danzig", Nr. 11 vom 05. Juni 1959, Seite 12

Fischmeister Bock

Im Alter von 83 Jahren starb [am 19.04.1959] in Lübeck Fischmeister i.R. Martin Bock, der 30 Jahre lang in Bahnkrug bei Stutthof die Fischereiaufsicht an Weichsel und Haff ausübte. Besonders die Bewohner der Frischen Nehrung, von denen die meisten als Haff- und Seefischer ihr Brot verdienten, waren ihm ans Herz gewachsen. Durch sein aufrichtiges, biederes Wesen gewann er im Nehrungsgebiet von Nickelswalde bis Pröbbernau Ansehen und Beliebtheit.

17661

Obwohl er zuletzt bei seinem Enkel im Pfarrhaus zu Wehen im Taunus einen behaglichen Ruhesitz hatte, zog es ihn doch immer wieder an die Wasserkante, zumal er in Lübeck und Umgegend viele alte Heimatfreunde hatte. Da das Wasser sein Lebenselement war, wurde er auf einem Friedhof in Lübeck unweit des Meeres beigesetzt. Um ihn trauern besonders seine dankbaren Enkelkinder, die ihm nebst anderen Verwandten, Heimatfreunden und Bekannten das letzte Geleit gaben.

-----

Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
Bund der Danziger
Fleischhauerstr. 37
23552 Lübeck

Bei vom Bund der Danziger genehmigten Veröffentlichungen ist zusätzlich die Angabe "Übernommen aus dem forum.danzig.de" erforderlich