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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eine verrückte Frage: Was liegt in den Genen???



Wolfgang
28.09.2010, 22:57
Schönen guten Abend,

es gibt Dinge, die Einen beschäftigen, über die man trotzdem (warum übrigens?) nicht oder nur ungerne spricht.

Ist es, weil man häufig nicht ernst genommen wird? Weil selbst die Elterngeneration nur müde lächelt oder -nach eigenem Gefühl- nicht immer intelligente Kommentare loslässt?

Auf der einen Seite wird von vielen alten Danzigern beschworen, dass selbst deren Kinder und Kindeskinder noch Ur-Danziger sind (was bei diesen nicht selten ebenfalls ein müdes Lächeln hervorruft). Diese alten Danziger wissen was es heißt eine Heimat zu haben. Sie haben ja auch eine verloren.

Was ist mit der unmittelbaren Nachkriegsgeneration, die nie eine Heimat hatte, logischerweise deswegen nie irgendwo heimisch werden konnte geschweige denn etwas besaß was sie verlieren konnte?

Mag sein, dass mein Thema nach "vorgestern" klingt, anachronistisch ist.

Ich hatte nie Heimat gehabt. Wusste nicht, was das ist. Es hat Jahre gedauert bis ich als unbewusst Suchender eine Antwort fand. In Danzig, im Werder.

Was liegt in den Genen? Eine verrückte Frage! Als ich die Familiengeschichte entdeckte -überliefert war nichts, es gab nichts und ich fragte als Kind auch nicht-, hatte ich die 40 Jahre überschritten. Antworten fand ich in Archiven, Antworten konnte ich meinen Eltern geben, nicht sie mir.

Von Kindesbeinen an liebte ich Holz. Von Kindesbeinen an liebte ich Wasser. Den Sturm. Nicht wischi-waschi-Mittelmeer, sondern das Wasser das kalt ist und wo ein Wind nicht nur ein Wind ist, sondern schon ein ganz besonderer Wind sein muss um von Danzigern als Sturm empfunden zu werden.

Auf meines Vaters Seite, und das erfuhr ich erst aus den Kirchenbüchern und anderen archivalischen Quellen, waren es seit Urgenerationen die Zimmerleute, die das Brot brachten. Warum mein Großvater Schneider war, weiß ich nicht und auch mein Vater war kein Zimmermann. Aber beide Urgroßväter väterlicherseits waren Zimmerleute. Es geht zurück bis zum Zimmermann Matthes Durchholzer (Salzburger Glaubensflüchtling bzw. -vertriebener) der für den litauischen Pfarrer (und "Martin Luther") Christion Donalitius als Kirchenbaumeister dessen Kirche baute.

Ich mag Holz. Ohne dass ich wusste, was väterlicherseits seit Generationen im Blut steckt, baute ich im Württembergischen ein verrücktes Holzhaus.

Meine Mutter! Im Werder verwurzelt! Einfache Fischer, aber auch einmal ein Fischmeister in Scharpau! Strandreiter, Windmüller, Einsassen, Nachbarn, Mitnachbarn, meist einfache Leute die täglich um ihr und ihrer Familie Überleben kämpfen mussten!

Ich war in Schiewenhorst vor gut 15 Jahren, fühlte dass dort meine Wurzeln sind, wusste dass ich dort hingehöre.

Gelächter. Bei wem? Bei den Älteren (bei wem sonst?), bei den "Danzigern" (ich setze das bewusst in Apostrophe) die immer ihr Recht und das Recht ihrer Nachkommen beschwören, in ihre seit Urzeiten angestammte Heimat zurückzukehren.

Was können Eltern weitergeben? Können sie etwas weitergeben wovon sie nichts wissen? Gibt es Generationensprünge? Kann es sein, dass etwas von den Ur- oder Ururgroßeltern auf die Nachkommen übergeht und dort plötzlich erwacht?

Je näher der Zeitpunkt rückt an dem ich die Zelte in Deutschland abbrechen werde um mich in die Heimat meiner Eltern zu begeben, desto mehr muss ich mich (bei den Älteren) rechtfertigen. Die Jungen sagen "Respekt, Respekt, Du wirst Dir das sicherlich gut überlegt haben!"

Ist es Neid, ist es Unverständnis, ist es Borniertheit, wenn der eine oder andere Ältere meine Absicht verurteilt mit meiner Mutter in deren heute polnische Heimat zurückzukehren? Ich erlebe das in den Kreisen der (älteren) in Stuttgart lebenden Danziger, aber auch in manchen Email-Zuschriften. Bisher jedoch noch nicht in unserem Forum, da mag sich der/die Eine oder Andere noch zurückhalten.

Zurück zur Kernfrage: Was liegt in den Genen? Bin ich plemplem, bin ich verrückt? Oder kommt das, wessen ich mir bewusst werde, auch bei Anderen vor?

Radaune-Wolff
28.09.2010, 23:33
Wolfgang, Du sprichst einen sehr emotionalen und schmerzhaften Punkt an über den ich bisher nie sprach. Ich bin in Danzig geboren aber das steht nur auf dem Papier. Ich habe keine eigene Erinnerung an Danzig und deswegen keine Identität.
Eberhard

Daniel Hebron
28.09.2010, 23:44
Hi,

dumme Frage zurück: Wird ein Mensch nicht bestimmt durch seine Gene (Erbgut) und durch seine Umwelt? Hattest Du bei Deinen Forschungen nie eine Art "déjà-vu" Erlebnis? Du liest etwas ganz Neues über irgendeinen Ahnherrn und beim Lesen denkst Du Dir, irgendwie kommt mir das bekannt vor und dann kennst Du auf einmal das Ende, bevor Du das Papier fertig gelesen hast.

Viele Grüsse

Daniel

Wolfgang
29.09.2010, 00:19
Hallo Daniel,

ich befand mich in Bezug auf meine Herkunft, in Bezug auf meine Identität IMMER in einem Vakuum. Ich war immer ein vollkommen Blinder bis mir im wahrsten Sinne des Wortes die Augen aufgingen. Aber mir fehlte nichts weil ich gar nicht wusste, dass mir etwas fehlen kann.

Was niemand versteht ist, dass viele Heimatlose zumindest unterbewusst und unterschwellig in gewisser Hinsicht "Süchtige" sind (auch wenn sie das nicht wissen). Das wirft meist keine Probleme auf (wenn man das sehr eng sehen will).

Wie gesagt: Manche unmittelbare Nachkriegsgeborene empfinden auch heute noch ein Vakuum. Ob sich das auch noch auf nachfolgende Generationen überträgt kann ich nicht sagen. Ich vermute aber, dass sich das -trotz allen Abstreitens Betroffener- auch heute noch auswirkt.

Ist das wirklich auch heute noch ein Problem?

Helga_Claassen, +12.10.2010
29.09.2010, 00:37
Hallo Wolfgang!

Du hast Recht!Auch ich habe immer gesucht wo ich herkomme (Jahrgang 1929).

In meinen Genen lag Unduldsamkeit und sie werden jetzt vergehen.

Ich war mit ganzem Herzen beiDir und ich habe michunendlicnh gut gefühlt wenn Du über Deine Mutti geschrieben hast und wie Ihr in Eure und meine Heimat zurückgehen wollt. Ich werde dasn icht mehr erleben.

Schöneberg ist vorbei wo meine Vorfahren her kommen.Ich bin vorbei. Morgen gehe ich ins Krankenhaus und ich komme nicht wieder zurück. Wolfgang,Du wirst informiert.

Ich grüße Euch Alle

Helga Claassen

Mariolla
29.09.2010, 01:29
Oh, ist das schon wieder spät bzw. sehr früh – also, Guten Morgen,

Wolfgang, eine gute Frage, vermutlich könnte man da stundenlang philosophieren.
Neigungen, Fähigkeiten und Begabungen, aber auch Krankheiten werden tatsächlich vererbt. Ob nun in jeder Nachfolgegeneration, da bin ich etwas überfragt.
Irgendwie identifiziert man sich immer mit irgendeinem Vorfahren bzw. vergleicht sich
(sofern die Geschichte des Vorfahren bekannt ist). Selber habe ich bisher sehr viele Parallelen ziehen können.
Fakt ist, sobald ich den heutigen polnischen Boden betrete, fühle ich mich heimisch und atme frei sowie tief durch. Überall in den Orten meiner Vorgenerationen habe ich das Gefühl, die Wärme und Nähe meiner Familie zu spüren. Es ist ein eigenartiges und sonderbares Gefühl, was Gänsehaut aufkommen lässt.
Man spricht nicht gerne über seine Gedanken, Sehnsüchte und Gefühle, da man wirklich belächelt wird. Vermutlich geht es vielen so und deshalb schweigt man lieber.

Wolfgang, vielleicht solltest Du das Thema unter Persönliches... verschieben.
Viele Grüße Mariolla alias Marion

JuHo54
29.09.2010, 01:49
Hallo Wolfgang, ich denke ,
es liegt viel in den Genen, bei meinen Wittmanns ist es die Wanderlust von einem Ort zum anderen - mein Opa ist allein in Danzig in 15 Jahren 10 mal umgezogen, wie ich jetzt feststellen musste, sie blieben nie sehr lange an einem Ort. Mein Ururgroßvater war Förster in Westpreußen und hatte sicher auch etwas in seiner alten Heimat aus der er kam weitesgehend mit Holz und Holzwirtschaft zu tun. Auch in den abgewanderten Gebieten ( Afrika) gibt es einen Förster und , was allen ziemlich gleich ist, ist der Wissensdurst, so sind sie zumeist im weitesten Sinne Ingenieure, können mit Zahlen umgehen, selbst ich schlage in diese Richtung.... nur das Umherziehen liegt mir nicht, da bin ich eher bodenständig wie meine Sauerländischen Ahnen...Auch ich bin als Nachkriegskind aufgewachsen und hatte durch die Wanderfreude und Rastlosigkeit meines Vaters keine Chance soetwas wie Heimat zu empfinden, erst jetzt mit eigener Familie und Kindern stellt sich bei mir langsam das Gefühl ein, hier gehörst du hin, nichtdestotrotz möchte ich gerne wissen, wo komme ich eigentlich her und je mehr ich suche, desto mehr " Durcheinander" entsteht eigentlich, so kreuz und quer wie meine wanderfreudige Familie halt.

Dir Helga wünsche ich , dass deine "pessimistischen Gedanken" nicht Wahrheit werden, die Hoffnung stirbt zuletzt, alles Gute....

Viele Grüße
Jutta

Dietrich
29.09.2010, 11:09
Hallo Eberhard, mir geht's ebenso.. bin auf dem Papier Danziger (geb. 1943) und suche zeitlebens nach meiner Identität. Ein Kurzaufenthalt in Danzig vor wenigen Jahren führte nur zu 'emotionaler Leere'.

Allerdings kann ich auch nicht die Identität unserer Bundesrepublik Deutschland erkennen und finde mich in ihr nicht wieder.. offenbar hat die Geschichte uns heimat- und staatenlos werden lassen. Was liegt in unseren Genen? Andere erkennen gew. Charaktereigenschaften meiner Vorfahren an mir.

Gruß
Dietrich

Rudolf
29.09.2010, 13:48
Hallo Wolfgang ,
Du hast hier ein ganz interessantes Thema angesprochen , welches von "alten" Danzigern naturgemäß meist anders gesehen wird , als von deren Nachkommen . Als ich vor einigen Jahren mit unserem Sohn Danzig besucht habe , mußte ich feststellen , daß er alles , was ich ihm zeigte und erklärte , zwar mit Interesse , jedoch ohne irgendwelche Emotionen zur Kenntnis nahm . Für ihn war es eine Stadt wie andere auch und meine Hinweise , wer aus der Verwandschaft wo gewohnt hat , hat er , ohne nachzufragen , zur Kenntnis genommen .
Bei mir war die Sache etwas anders . Als ich zum ersten mal nach dem Krieg ( ich mußte Danzig im Januar 1946 verlassen ) im Jahre 1960 Danzig wieder betrat , wurden mir die Knie weich und - obwohl ich ja beruflich dort war und mich auf meine Arbeit zu konzentrieren hatte - fiel mir eine Konzentration sehr schwer . Es würde hier zu weit führen , Einzelheiten zu erwähnen . Ich muß aber sagen , daß fast alle meiner polnischen Geprächspartner sehr hilfsbereit waren , mir alle möglichen Auskünfte zu geben , als sie erfuhren , daß ich gebürtiger Danziger bin .
Was meine Wurzeln betrifft : ich betreibe keine Ahnenforschung , weil mir zu viele Kenntnisse über die außer mir persönlich noch bekannten und inzwischen verstorbenen Angehörigen fehlen . Dadurch kann ich auch nicht sagen , wo diese Wurzeln tatsächlich liegen . Mütterlicherseits weiß ich , daß es in der Familie deutsche und kaschubische Wurzeln ( evangelisch ) sind , die seit mindestens 200 Jahren ( so hatte es mal mein Bruder auf Anregung meines Vaters während des Krieges erkundet ) im Danziger Umland lebten . Von meinen Vorfahren väterlicherseits ist mir nur bekannt , daß diese im 19. Jahrhundert aus Westpreußen ( Kulm/Chelmno und Kulmsee/Chelmza ) nach Danzig gekommen sind . Diese Vorfahren waren sämtlich katholisch und hatten polnische Familiennamen .
Für mich ist es - ehrlich gesagt - auch nicht so wichtig , meine Herkunft zu erkunden . Für mich ist es aber wichtig , insbesondere in Kenntnis des Verhältnisses zwischen Deutschen und Polen in der Vergangenheit , sich immer wieder auf eine Versöhnung und ständige Verbesserung der Beziehungen zu orientieren .
Grüße an alle - Rudi

Radaune-Wolff
29.09.2010, 14:06
Hallo Dietrich!

Ich will nicht lamentieren. Mir geht es gut. Ich bin viel rumgekommen in Deutschland. Aber angekommen bin ich nirgendwo. Als ich vor einem halben Jahr in Danzig war, da war ich neugierig. Ich weiß nicht ob ich mir irgendwas erhofft habe. Es war interessant weil ich wußte, dass ich da geboren bin. Aber auch da sind keine besonderen "Heimat"-Gefühle aufgekommen.

Schön wenn jemand weiß was Heimat ist. Und Glückwunsch für Wolfgang, dass er sie gefunden hat. Ob irgendwas in den Genen liegt weiß ich nicht. Nicht für alles braucht man eine Erklärung. Ich glaube aber fest daran, dass auf irgendeinem Weg uns etwas mitgegeben wird von unsern Vorfahren. Das "Geistige", was wahrscheinlich nicht in den Genen liegt.

Marion hat gesagt, dass man da stundenlang philosophieren kann. Das ist richtig, weil es da um die Grundlagen unseres Seins geht. Wer bin ich, wo komme ich her, wo gehe ich hin? Viele Menschen finden eine Antwort im Glauben. Wer das Thema rationaler angeht wird immer auf Unerkärliches stoßen was sich durch kein Naturgesetz erklären lässt.

Dass es auch Generationensprünge gibt bin ich auch überzeugt. Nach vielen Generationen kommt plötzlich etwas hoch. Das Leben ist voller Wunder. Wir müssen nur in uns hineinlauschen und auch besonders auf "Zufälle" achten. Zufälle gibt es keine. Es gibt Naturgesetze und wenn wir diese nicht kennen, fangen wir an, an irgendetwas zu glauben. Eben an Zufälle oder an Gott oder an irgendwas anderes.

Viele Grüße vom
Eberhard

buddhaah
29.09.2010, 15:16
Wolfgang,
Du sprichst ein Thema an, dass ich während meiner akademischen Laufbahn in England als „Nature vs. Nurture“-Problem kennenlernte. Der englische Universalgelehrte Francis Galton hat sich darüber den Kopf zerbrochen, ob Veranlagung/Vererbung oder das Erlebte/Erlernte/die Umgebung den Menschen in seinem sozialen Werdegang prägen. Allgemein gilt es heutzutage als Erwiesen, dass diese Fragestellung so nicht richtig ist: das Geflecht zwischen dem Übermittelten und dem Ererbten ist zu dicht, als dass man die Frage so „binär“ stellen dürfte.
Oft ist es eben zu schwer, diese zwei Faktoren zu unterscheiden: z.B. „vererben“ reiche Menschen eben auch oft eine privilegierte Umgebung an ihre Nachkommen.
In deinem Fall heißt das, es ist schwer zu sagen, ob deine Eltern dir nicht vielleicht in gaaanz jungen Jahren doch gewisse Wertvorstellungen übermittelt haben (z.B. durch den Satz: „Nichts ist schöner, als eine starke Brise“, als du 3 warst). Du könntest das dann unbewusst so übernommen haben, als deine eigene Überzeugung. Andererseits, möchte ich mal vom Akademischen abweichen und dir mal erzählen, wie das bei mir so ist.

Ich persönlich finde es allgemein schwierig, mich angesprochen zu fühlen, wenn du nur die Vertriebenen- und die Nachkriegsgeneration nennst. Ich bin aus der Generation lange danach. Und, wie Eberhard das nannte, „Generationensprünge“ sind auch in der Frage der Heimatverbundenheit nichts seltenes. Ich erfahre das am eigenen Leib. Das kann einerseits esoterisch begründet werden, aber auch andererseits dadurch, dass eine Generation sich immer von der vorhergehenden abzugrenzen versucht. Das ist einfach nur menschlich. Mein Vater erzählte mir vieles, aber er forschte nie genau nach. Es blieb beim „Damals in Pommern war es so…“. Ich übernehme jetzt, manchmal gegen seinen Widerstand, aber mit großem inneren Drang, die Nachforschungen.
Dafür, dass ich „mich in meinen jungen Jahren mit so etwas abgeschlossenem“ beschäftige, bekomme ich nicht selten den Hohn, Spott und das Unverständnis der Vorkriegsgeneration ab („Was kannst du schon wissen?“). Darüber hinaus wird nicht selten die polnische Seite meiner eigenen Familie (!) aggressiv, wenn man auch nur hinreichend die Vorkriegsrealitäten in Danzig ans Licht zu bringen versucht. Selbst die Frage in welcher Sprache man die Straßen benennt, ist manchmal Grund für Zwist.
Wenn man also, diesen Schwierigkeiten zum Trotze, weiterforscht, dann muss es dort etwas geben, was einen antreibt und das „tief sitzt“.
Ich bin Europäer. Ich darf das, weil ich aufgewachsen bin zu einer Zeit, die der amerikanische Präsident Clinton damals als „beginning oft the new order“ beschrieb. Die alten Polarisationen und Bipolaritäten sollten überwunden werden, Krieg sollte überwunden werden, pluralistische Basisdemokratie die Welt genesen lassen. Ich glaubte das als Teenager. Damals mir dieses multi-ethnische Danzig der Hansezeit, wie ein Prototyp dieser Voelkerverstaendigung. Eine Europäische Union im Kleinen.
Nun sind wir alle, auch ich, etwas älter – und die EU hat an ihrem Glanz verloren, auch ideell. Desweiteren habe ich auch erfragt und geforscht, wie den die tatsächliche Stimmung zwischen den Völkern der FSD im Interbellum war, mit dem Resultat, dass da nicht selten eben KEIN Platz war für Völkerverständigung; dass das Experiment einer „Freien Stadt“ eben totgeweiht war, bevor Wilson auch nur ansatzweise seine Idee vorartikuliert hatte.
Ideelles ist eben nur ideelles – oft schwer zu begreifen und noch schwerer umzusetzen. Nichtsdestotrotz war und ist Danzig ein früher Vorläufer einer größeren Idee, die mich interessiert, solange ich denken kann.
Ich wuchs zunächst im Schwabenland auf. Es erschien mir zwar sauber, aber doch so hermetisch. Habe ich jetzt diese, meine Affinität zur Internationalität, als Gegenreaktion zum provinziellen Leben in Süddeutschland – oder vielleicht weil etwas multinationales, weltoffenes in mir schlummerte, dass ich schon immer mit Danzig in Verbindung bringe.
Lange Rede - kurzer Sinn: Ich glaube fest daran, dass mein Hintergrund sich zusammensetzt aus „Nature“ und „Nurture“: es gibt wenig, was mich an der „Idee“ Danzigs – die die Jahrhunderte überdauert hat – stört. Sie ist für mich natürlich. Sie definiert mich heute, auch wenn ich sie teilweise woanders besser versuchen kann zu leben, als in Danzig selber.

Danzig – wo ich dann ab Sonntag wieder etwas verweilen werde – ist für mich einfach „normal“. Die Alma Mater meiner Identität, mein „Normal Null“. Meine Werte kommen von dort. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich die alten Bücher lese. Manchmal auch, merke ich, dass meine Werte nicht die meiner Eltern sind – sondern finde sie wieder in Texten v. Krockows oder Lenz.
Das ist geht aber auch elementarer: Mittelmeerurlaube sind für mich ein Graus – und ein Sommer ohne eine kühlende Brise vom Meer nur ein verzweifelter Versuch von Mutter Natur „den anderen“ einen angenehmen Urlaub zu bescheren. Für mich jedenfalls sind se zu warm und seicht und ich komme mir danach immer eher etwas beschwiemt vor, als zufrieden. Ab Windstärke 5 kann man wieder darüber reden.

Vor einem Jahr nahm ich meine zukünftige Frau das erste Mal in die Dreistadt mit. Sie, aus dem Osnabrücker Land, hat nun gar nichts mit Pommern am Hut. Sie bemerkte aber, wie mein Schritt leichter wurde, wie ich energiegeladen und lächelnd, wie sonst selten, durch die Straßen lief. Ich zeigte ihr die ganze Stadt und das Umland. Irgendwann sagte sie dann, nach 5 Tagen Aufenthalt, dass sie jetzt verstünde, warum ich so sei, wie ich bin; dass das jetzt alles Sinn mache.
Was sie wohl dort begriffen hat, habe ich allerdings noch nicht... Ich freue mich aber über solche Aussagen.

Auch sie hat sich in Danzig verliebt. Am Sonntag sind wir wieder dort.

Weswegen? Weil wir es mögen, weil wir es können (wie viele nicht mehr oder noch nicht wieder), weil es uns dort gefällt - egal, ob das genetisch ist, oder erworben.

Mit besten Grüßen,
Michael

Christkind
29.09.2010, 21:38
Ich gehöre ja nun noch zu der Generation der..... "strafversetzten".
Die Gene scheinen da wohl ziemlich ungleich verteilt zu sein, Wolfgang.
Von meinen Geschwistern scheine ich davon noch am meisten abbekommen zu haben. Die sind wohl mehr Flachwurzler geworden, die sich an neue Landschaften und Witterunsgverhältnisse schneller anpassen konnten. Obwohl die sich auch dabei verändert haben,bisschen mehr harte Rinde, bisschen borstiger, und auch bisschen anders gefärbt.
Mich ließ meine Uroma nicht los. Die kaschubsche, weißt du.
Die suche ich, und wenn ich in ihrer Nähe bin,da, wo sie lebte, dann suche ich in jedem alten Gesicht: so könnte sie ausgehen haben?
Und wenn ich jetzt hier hucke,dann reicht es mir,dass ich immer mal wieder hinfahren kann,wenn ich auf der Heimaterde rumlaufen möchte.Da, wo unsere Wurzeln waren.
Und meine Geschwister ...., die wollen nicht mehr hin.Tja, keine Gene oder keinen Bezug mehr?
________
Schönen Gruß von Christa

asche
29.09.2010, 22:47
Zuerst möchte ich dir, liebe Helga Claassen, alles Gute wünschen!

Zum Thema: Forscher haben herausgefunden, dass Menschen mit dem Zunamen Schmidt im Durchschnitt etwas größer sind als der Rest der Deutschen. So dürften auch verschiedene Landschaften Menschen mit passenden Vorlieben hervorgebracht haben - die anderen sind eher weggezogen. Die Liebe zu einem bestimmten Ort (gegenüber einem anderen, ähnlich aussehenden) ist sicher nicht genetisch gegeben. Aber wir haben das angeborene Bedürfnis, möglichst viel über unsere genetische Herkunft zu erfahren, z.B. unsere leiblichen Eltern und Verwandten kennenzulernen, weil sie etwas über uns selbst aussagen, das keinesfalls in Worte zu fassen ist und doch jeder versteht.

Meine Vorfahren sind nicht an einem Ort lokalisiert, Danzig stellt nur eine Episode dar. Dennoch interessiert mich sehr, wie sie lebten, wie ihre Umgebung aussah, was sie dachten, fühlten, in der Zeitung lasen, was ihnen widerfuhr. Dadurch erfahre ich etwas über meine Identität, genetisch und (vor allem) kulturell.

Dein Wunsch, Wolfgang, ins Land der Vorfahren zurückzukehren, ist wahrscheinlich eher kulturell als genetisch motiviert, jedenfalls aber respektabel. Dass die wahre Heimat kein Ort ist, sondern ein Zustand, bezeugen diejenigen, die seit Generationen im selben Dorf wohnen und dennoch Probleme haben. Schaffen wie uns eine Heimat dort, wo wir leben.

30Frohsinn01
30.09.2010, 12:16
Hallo Christa,
das hast du aber sehr schön beschrieben. Habe sofort Vergleiche ziehen müssen oder können in der lieben Verwandtschaft.
Danke
Karlheinz

JuHo54
30.09.2010, 14:27
Hallo Christa,
ich glaube jeder geht damit anders um, wie beim Autofahren , wenn man mal einen Unfall hatte, der eine setzt sich wieder hinters Lenkrad, der andere fährt nie wieder..., sie wollen vielleicht Danzig so in Erinnerung behalten wie es damals war und nicht sehen wie es heute ist. Ich war noch nie in der Heimatstadt meines Vaters, fahre aber sicher irgendwann mal hin, wo ich aber sehr wohl war ist das Haus in Potsdam , wo er aufgewachsen ist, nachdem seine Eltern Danzig verließen...

Liebe Grüße
Jutta

Beate
02.10.2010, 14:41
Hm, ich grübele da immer noch..

"Heimatgen"? Wenn es das gibt, habe ich es jedenfalls nicht. Trotz zahlreicher Umzüge habe ich noch nirgendwo ein Heimat oder "Zu Hause"-Gefühl entwickelt.

"Unruhegen"- das scheint es eher zu geben, das muß ich dann vom Vater in hohem Maß mitbekommen haben. Er war ein "Unruhekeks", seine Vorfahren aber auch schon, es erschwert die Ahnensuche erheblich. Aber- es gibt auch die Möglichkeit, sehr viel Neues kennen zu lernen, also nicht schlecht.
Auch heute noch, nach über 20 Jahren an einem Ort wohnens würde (und werde ich hoffentlich auch) gern noch mal "Hund, Katze, Maus" einpacken und vielleicht mal Richtung Meer umziehen, da hab ich noch nicht länger gelebt, nur mal 3 Jahre im Münsterland und das Flachland mag ich lieber als Berge.

Und die nächste Generation? Ja, die scheinen dann nur die "Ruhegene" der großmütterlichen Seite geerbt zu haben- wenig bis keine Unruhe erkennbar. Interesse an Danzig auch nicht- aber das könnte noch kommen, kam bei mir auch erst vor ein paar Jahren. Und immerhin war ich jetzt in den letzten 3 Jahren schon dreimal dort. Das ist mir in den vergangenen 30 Jahren nicht passiert, dass ich noch einmal an einen (Urlaubs)ort zurück gekommen bin, auch wenn es mir dort noch so gut gefallen hat...

Doch Gene?? Ich grübel mal weiter...:confused:

Schöne Grüße Beate

Poguttke
03.10.2010, 22:24
Der Spruch gefällt mir gut, denn der liegt mir in den Genen :)

Poguttke
03.10.2010, 22:28
Mir gehts so ähnlich,wobei ich bei meinen besuchen in danzig feststellen konnte,daß ich mich heimisch fühle.lediglich unser rechtlicher "nichtstatus" macht mir zu schaffen,ansonsten könnte ich dort glücklich und zufrieden mein leben verbringen