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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ein Ruderer-Fahrtbericht von 1926: Nach Tiegenhof



Wolfgang
04.10.2010, 14:52
Auszug aus der Zeitschrift des Elbinger Ruder-Clubs Vorwärts e.V. „Der Ruderer“, Jahrgang XXIII Nr. 4 vom August 1926

Nach Tiegenhof

Schöner konnte der Himmel sein Angesicht wohl nicht schmücken, als an dem Sonnabend abend und Sonntag unserer Tiegenhoffahrt. Nachdem es am Freitag von früh bis nachmittags um 5 Uhr ununterbrochen geregnet hatte, setzte der Himmel sein Sonntagsgesicht auf und Frau Sonne putzte mit ihrem Strahlenbesen die letzten Wölkchen fort und sandte warmen Wind und alles Regengraue war vergessen. Drei Boote waren wir, die auf große Fahrt gingen, der große Kreuzer „Wanderer“ unter dem Oberbefehl unseres Großadmirals. Den ersten Offizier und Repräsentanten der übrigen Besatzung stellte ein etwas beleibter Herr, genannt „Dünnmann“ dar. Dann kamen die übrigen Banausen, von denen ich später einiges aus der Schule plaudern will.

Als zweites Boot ist da zu nennen die „Otter“, erstes Patrouillenboot unter bewährter Führung unseres Sängerruderwartes. Am Steuer seine energische Frau, von der bisher leider noch nichts weiter zu berichten ist, als dass sie Herz und Mund an rechter Stelle hat. Als Skullpartner nenne ich unseren feudalen Bubi! Bubi ist ein Kapitel für sich und immer da zu finden, wo etwas los ist.

Als drittes Boot folgt die „Natter“ unter meinem Oberbefehl. Still vergnügt am Steuer saß meine Frau, geduldsam wartend, bis all die langen Reden und Erklärungen über Rechts- und Linksfahren, das gesamte Steuerreglement über sie ergehen würde. Auf Nr. 1saß ein lieber, stiller Kerl, der zu rechter Zeit ein rechtes Wort redet, im Übrigen auf Wanderfahrten sich mit Vorliebe seine Bratkartoffeln mit Spiegeleiern macht, - das Nationalgericht der Bremer.
Um 6.30 legten wir vom Floßholz ab. Otter war schon vor und Wanderer folgte erst später. Bald waren wir beim goldenen Abendsonnenschein an der Kraffohlsschleuse, wo Otter auf uns wartete. Eine kurze Pause, - wir warteten auf den Wanderer -, benutzte die Ottermannschaft, um schnell eine Stulle zu verdrücken und ein paar Züge aus der Buddel zu nehmen, während die Natterleute sich an einer Pfeife Tabak erg8tzten.

Da der Wanderer nicht kam , gingen wir langsam aus der Schleuse heraus, um auf der Nogat weiter zu warten. Scherzworte flogen von Boot zu Boot. So waren wir schon 2 km abwärts gekommen, als endlich der Wanderer aus der Schleuse kam und dort liegen blieb, denn die Mannschaft mußte sich erst für die 8 km Fahrt genügend stärken. Das war uns denn doch zu bunt. Wir zogen also los nach Anwachs, dem heutigen Strauchwerder, wo wir Vorwärtser ein Absteigequartier haben, das sich von Mann zu Mann vererbt. Unsere freundlichen Wirtsleute kochten Kaffee und nachdem wir uns unserer Gastgeschenke entledigt hatten, ging ein lustig Schmausen los, wobei man wieder feststellen konnte, daß der Dünnmann erstaunliches leistete im Vertilgen von Carbonade und gekochten Eiern. Ein anderer, genannt „Furchtbar“ trank mit unnachahmlicher Ruhe 10oder mehr Tassen Kaffee und reagierte auf alle Anpflaumereien sauer. Nachdem wir einige Lieder gesungen hatten, blies der Großadmiral zum Schlafengehen. An dem wundervollen Abend standen wir noch längere Zeit draußen plaudernd beisammen und suchten dann unsern hohen, luftigen Scheunensaal auf, während die Frauen auf Sofas im Hause schliefen.

Ein herrlicher Morgen war heraufgezogen, als wir um 4.30 erwachten. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel und lockte zum Baden im klaren Nogatwasser. Wir ließen uns nicht lange nötigen und schwammen bald lustig umher. Nachdem wir uns zum Frühstück mit heißer Milch gestärkt, ging's los nach "Dubashaken", der Danziger Zollstation, wo alle Boote, die sich im Freistaatgebiete befinden, auf der Ein- und Ausreise anlegen müssen, will man nicht riskieren, nach Danzig gebracht zu werden unter Beschlagnahme des Bootes. Die Ausweisformalitäten waren schnell erledigt und nun ging's in gemütlichem Tempo die Holzrinne hinauf dem Müllerlandkana1 zu. Bald war auch der Wanderer hinterher. Die beiden Doppelskuller fühlten sich bemüßigt, nochmals anzulegen, auszusteigen und eine Pfeife zu rauchen, hauptsächlich aber deswegen, weil der Sängerruderwart und Bubi endlich mal etwas essen wollten. Bald trafen wir auch den Wanderer wieder, der noch in eine schöne Bucht hineingesehen hatte und nun ging’s in Kiellinie hinein nach Tiegenhof. Die Stadt war außerordentlich reich beflaggt und zwar nur schwarz-weiß-rot, dort ist man den neuen Farben noch nicht gewogen. In Tiegenhof fand gerade die Schlageterfeier vom Jungdeutschen Orden statt. Ungefähr 2000 Mann Jungdo und Stahlhelmleute waren von allen Richtungen zusammen geströmt, auch die Elbinger waren mit Dampfer „Cito“ und Motorboot „Pfeil“ dort. Im Bootshaus angekommen, empfing uns alsbald Herr Anger und führte uns dann ins dortige Wanderruder-Übernachtungsheim. Dieses liegt in einer Nebenstraße, ungefähr 4Min. vom Bootshause. In einem Speichergebäude im ersten Stock, ein hoher, heller Raum, stehen 10 Bettgestelle mit Strohsäcken. Die Schlafdecken muß sich jeder selbst mitbringen. Pro Bett und Nacht sind 50 Pfg. zu entrichten.

Elektrisch Licht, ein Tisch und Sitzgelegenheit vervollständigen die Einrichtung. Auch ein großes Schild „Rauchen verboten“ fehlte nicht, wahrscheinlich grade deshalb rauchte auch alles so fleißig bei der Besichtigung; denn das galt ja nur für die, die da schlafen wollten. Dann führte uns unser Großadmiral, der in Tiegenhof sehr bekannt ist, zu „Katt“, wo wir einen kurzen Frühschoppen machten. Bald darauf trennten wir uns, weil jeder besondere Wünsche hatte. Onkel Gottlob wollte zum dritten Mal die alte Kirche fotografieren. Ein anderer, unser „Furchtbar“, der dem Großadmiral Pfingsten im Oberland 4 Teller Kartoffelsuppe weggegessen hatte, verspürte mächtigen Hunger und mußte, um einen Ohnmachtsanfall zu verhüten, schnell zu Philipsen geführt werden, wo er ein Riesenbeefsteak und sonstige gangbaren Sachen zu sich nahm. Wir von unserem Skuller aßen in der Conditorei Torte mit Schlagsahne, während der Sängerruderwart mit Frau und Bubi sich bei Verwandten gütlich taten, so daß Bubi nach dem Essen vollkommen abgekämpft war.

Pünktlich trafen wir uns wieder am Bootshaus und bald waren wir auch ruderklar und sagten dem schönen Städtchen Lebewohl. Die Wanderermannschaft, von der sich dreie etwas verkrümelt hatten, weil der eine angeblich „Grüße“ auszurichten hatte, komplettierte sich auch wieder. Dem Grußausrichterkommando hatte sich natürlich auch der „Dünnmann“ angeschlossen. Dieses Kommando wurde denn auch prompt von 3 duftigen weißen Kleidchen, aus welchen sehr zierliche Florbeinchen hervorkamen, zum Bootshaus begleitet. Dieses Begleitkommando nahm an der Brücke eisern Aufstellung und winkte, winkte bis die Wanderflagge um die Ecke verschwunden war. Wir suchten uns ein schönes Abkochplätzchen und bald brodelte unser Mittag im Topf, während mein Partner es sich nicht nehmen ließ, seine geliebten Bratkartoffeln mit Spiegeleiern zu machen. Ein Fläschchen Engl. Brunner Bier würzte das Mahl. Von der Rückfahrt ist nicht mehr viel zu sagen. Wir hatten gegen sehr starken Ostwind zu kämpfen und in der Elbinger Weichsel vor Dubshaken gingen die Wogen bis unter die Ausleger. In Dubshaken empfing mich der Zollbeamte mit den Worten „Herr Nachbar, Sie kommen reichlich spät“. Auf meine verwunderte Frage zeigte er auf ein Schild, da stand Dienstzeit bis 5Uhr und jetzt war es 6 Uhr. Ich entschuldigte mich und dachte, „gestatten Sie, daß ich lächle“ und zog vergnügt von dannen. In flotter Fahrt gings die Westrinne hinauf und kurz vor Toresschluß kamen wir in der Schleuse an und bald darauf waren wir auch wieder im Bootshause. Zuhause angekommen, versank man alsbald in einen köstlichen Schlummer, der die Anstrengungen des Tages wieder verwischte.

Der Wanderruderwart