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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Das Werder (ein Reisebericht aus dem Jahr 1914)



Wolfgang
15.10.2010, 14:14
Schönen guten Nachmittag,

der folgende Reisebericht von Adalbert Luntowski stammt aus dem Büchlein "Westpreußische Wanderungen", erschienen 1914. Wie zu damaligen Zeiten häufig üblich, schreibt der Autor über Land und Leute mit einem gewissen Pathos. Er zeigt die Verbundenheit der Menschen mit der heimatlichen Scholle. Seine Beschreibung der Landschaft und Natur ist zeitlos - sie ist auch jetzt noch so vorzufinden, auch wenn sie heute in einem etwas anderen Deutsch geschrieben würde.

Das Werder

"Ein fett und warm Land" nennt ein Chronist es um 1722. Er soll immer recht behalten. Nur wird man Einspruch erheben, wenn mit diesen beiden Worten das Ausschlaggebende des Werderantlitzes bezeichnet werden soll. Um so mehr, weil der oberflächliche Blick, der vielleicht nur vom Eisenbahnwagen aus dieses Land zu erfassen versuchte, mit jener Begriffseinheit "fett und warm" noch die Wertung des Trägen und Gesättigten verbindet. Nur auf Nützlichkeit und Gewinn steht hier das Trachten, nichts als Felder und Felder, dazwischen schnurgerade Gräben, langweilige Weiden, und ein Dorf dem anderen gleich, ein agrarisches Einerlei, so urteilt das eilende Eisenbahnfenster. Und wenn der Reisende noch Werdersche Bauern sah, behäbig, flämisch-träge und derb, der ärmlichen Großstadtklugheit vielleicht sogar beschränkt erscheinend, dann ist sein Urteil über Land und Leute des Werders "unumstößlich" fest.

Der Danziger denkt anders. "Ein fett und warm Land" ist das Werder auch für ihn. Er wird jenen oberflächlichen Blick gerade auf Grund dieser Wertung des alten Chronisten eines Besseren belehren. Er achtet im Zuständlichen das Gewordene und Werdende. Er denkt da geschichtlich im schöpferischen Sinn. Das "Fette und Warme" des Werders ist ihm ein durch Menschenkraft Gewordenes. Aus dem Vielerlei und Auseinanderstrebenden die Frucht zu schaffen, darin fühlt sich der Danziger mit dem Bewohner des Werders eins. Die Sichtbarkeit dieses Strebens und sein endliches Gelingen ist für ihn im Antlitz des Werders genau so deutlich geprägt wie im Antlitz seiner Stadt. Der Danziger achtet die Werderbauern als die Deutschesten der Provinz. Ihre Sicherheit und Stete, ihre Zähigkeit im Bekämpfen des Widerstrebenden und das feste Halten dessen, was man als Heimat empfindet; das mochte Kraft zur eigenen Formung geben. Das Germanische der Danziger Volksmischung wurde auch durch das Vorbild dieser arbeitstreuen Werderbauern gestärkt. Das Werder war den Danzigern eine Schatzkammer für Leib und Seele. Wer das volkliche Werden zu erlauschen versteht, der kann zwischen Danzig und dem Werder den Wechsel des Gebens und Nehmens schauen; Geben und Nehmen zu dem schöpferischen Zweck, dass jeder seine Art im Sonderantlitz ausprägt. Darum war auch der Danziger berufen, aus tieferer als bloß lokalpatriotischer Teilnahme das Werder und seine Bewohner zu erfassen und zu lieben. Er sah, wie der Werderbauer ein ganz Neues schuf als Ausprägung seiner Art, eine neue Landschaft, eine Kulturlandschaft, die ganz vom Willen des Menschen lebte und ihrerseits wieder Einflüsse an den Menschen abgab, sodass Mensch und Land als eine Einheit erschien. Der Danziger betrachtet den Werderbauern innerhalb seiner von ihm geschaffenen Kulturlandschaft. Das schützt ihn vor Anlegen eines falschen Maßes von außen heran, es bereichert ihn.

Das euch grimmig mißgehandelt,
Wog' auf Woge, schäumend wild,
Seht als Garten ihr behandelt,
Seht ein paradiesisch Bild.

Kluge Herren, kluge Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte,
Herrn an seiner Statt zu sein.

Ich glaube, der reife Faust wird solche selbstgeschaffene Kulturlandschaft, die er mit diesen Worten beschreibt, als ob sie das Werder wäre, betrachtet haben mit derselben Bestätigung, dass sie schön sei, wie er einst empfand, dass die natürliche Harzlandschaft oder eine andere Landschaft schön sei.

Das Werder ist schön. Man muss es beschaulich durchwandern. Ob von Danzig, von Marienburg, von Elbing oder von Dirschau aus, trotz der Einheitlichkeit - und die ist auch schön - immer neue landschaftliche Eigenheiten. Zwar Urwald und Berge findet man nicht viel im Werder, denn ein ebenes Land kann nicht Berge haben, und die Bäume und Sträucher sind vor Zeiten ziemlich ausgerottet, wie man noch viel Merkzeichen in der Erde hin und wieder findet, wenn tiefe Gräben, Teiche oder Brunnen gemacht werden". So berichtet der erwähnte Chronist von 1722. Und so ist es geblieben. Ja, was zu seiner Zeit noch an Waldbestand vorhanden war, der Herrengrebiner Wald, bei Neuhof, bei Neuteich, bei Münsterberg , und auf den anderen sogenannten Diluvialinseln, ist abgeholzt, nur vereinzelte Eichen an Feldgrenzen und Gehöften erinnern noch an jene Wälder. Und wenn man in der Werderlandschaft nach Abwechslung durch Berge sucht, dann muss man schon in den Randlandschaften wandern, wo in den westlichen die Berge der Danziger Höhe, in den östlichen die Trunzer Höhen hinter Elbing und die Hügel nach Preußisch-Holland zu sichtbar sind; im südlichen Werder bei Montau und Marienburg blickt man auf steile Weichselhänge. Aber im eigentlichen Werder, wenn jene Höhen an den Rändern verdämmert sind, sieht der Wanderer rings nur Ebene, freie Bauernlandschaft, durchzogen von zahlreichen Wassergräben und Flussläufen, die wechselvolle Schönheit einer Kulturlandschaft spricht zu ihm. Wasser, das ist das Blut der Kulturlandschaft; aber geregelten Laufes, wie ihn das Blut hat, weil es Segen geben will.

Dieses geregelte Wasser der Gräben und kleinen Flussläufe, welches dem Werderbauern das wertvollste Zweckding bedeutet, ist es zugleich auch, welches dieser Kulturlandschaft das Wechselvolle gibt, ohne das Schönheit nicht empfunden wird. Und die ganz geringen Erhebungen des Werders, die an sich keinen Wechsel des Ebenen der Landschaft bedeuten, mussten helfen, diesen Wechsel durch Schaffung neuer Wasseradern noch häufiger zu machen. So entstanden mitten in der für das Auge ebenen Niederung die selbstständig zum Frischen Haff strömenden Flüsschen Tiege, Lake, Linau. Langsam fließen sie und die anderen Wasserläufe im Werder. Das geringe Gefälle schafft vielfach Windungen. Dichtbelaubte Weiden rahmen die Ufer ein, sie verdunkeln das Wasser, wodurch die Farben der Mummeln und Schwertlilien, der Seerosen und der großen Wasserblätter um so eindringlicher sich abheben. An ruhigen Einbuchtungen breitet sich weithin das Gewirr der Krebsschere aus. Oder schwankende Binsen und braune Rohrkolben schatten noch mehr Dunkel über das Wasser. Im Sommer gegen Abend, wenn die Nebel steigen, im Schilf sind dann Frösche, Enten und Rohrammern laut, und die graugrünen Weiden werden lebendige Gestalt, dann meint man ganz gewiss nicht im Werder zu sein, wenn es einem als einförmig bezeichnet war. Oder wenn man schier selbst dran glaubte beim Wandern durch die endlose Ebene, wo immer nur Felder und Felder, Wiesen und Wiesen waren, nur Nutzen mit Nutzen wechselte, ein Gehöft wie das andere schien, ein Dorf dem anderen fürs erste so gleich war, dass wir uns fragten: sind wir denn im Kreis marschiert? Aber wir hatten uns noch nicht an den Rhythmus des Werders gewöhnt, oder an seinen Atem. Und das Werder atmet langsam, lang und tief, mit Lungen, die mächtiges Maß haben; sein Rhythmus ist stetig, ruhig, er kündet die Größe des Friedens und der Bauernarbeit, er lässt unbekümmert die Zeit eilen wie sie will. Welcher Wanderer den Rhythmus der Landschaft erlauschte und sich ihr treu vertraute, der mag reich belohnt werden. Jetzt wird ihm der Blick aufgetan welche wechselnde Schönheit in den Getreidefeldern wogt, und seien sie noch so lang, in den gelben Rapsfeldern, in den hochhalmigen Wiesen; Kartoffel und Rübe erscheinen ihm durchaus nicht mehr "prosaisch", und es kann sein, dass er die bunten Rinder, wenn sie langsam den Klee rupfen, mit Andacht betrachtet. Die Kulturlandschaft hat ihn in ihren Bann gezwungen. Jetzt erscheint ihm durchaus ein Dorf anders als das andere. Er sieht die strohgedeckten Fachwerkhäuser mit dem herausgereckten Vorlaubengiebel und der trefflichen Maßverteilung, eins durchaus anders als das andere. Zu dem Storch, der die Felder überfliegt, beginnt er das freundschaftliche Verhältnis des Bauern zu entwickeln. Er erkennt die Dorfkirchen als bodenständige Volkskunstwerke, wie mit einfachen Mitteln Wertvolles geschaffen wurde: untermauerter Fachwerkbau, hölzerne Glockenstühle, eine achteckige Glockenlaube, darüber ein hoher spitzer Helm. An solchen Kirchen und den noch einfacheren Mennonitenbethäusern des Werders kann der Wanderer erkennen, wie ernst und schlicht Bauernarbeit zu den Ewigkeiten spricht. Ein Sprichwort im Werder sagt: Wenn wi deeden wat wi sullen, deed Gott uk wat wi wullen.

Der Werderbauer ist eins mit dieser Landschaft. Will man ein rechtes Bild des Werders erhalten, muss man auch seine Bewohner auf ihre Art untersuchen und sie mit ihrem eigenen, dem Heimatboden entwachsenen Maß würdigen. Man gibt gewöhnlich dem Werder eine Geschichte erst von der Zeit an, als der Orden seine große Kulturtätigkeit in Westpreußen begann. Und man glaubte dem Chronisten Simon Grunau schlechtweg, dass die Ritter bei ihrer Ankunft nur fünf Dörfer der Pruzzen im weiten Gebiet zwischen Weichsel und Nogat vorfanden. Sprachgeschichte und die Forschung der Erdgrabungen berichten uns anders. Von den ältesten Zeiten an ist dieses Land bewohnt gewesen. Schon damals, als sich noch das Frische Haff bis zur Montauer Spitze erstreckte und die Weichsel noch ein Lauf des großen Urstromes war. Nur wenige altalluviale und diluviale Inseln ragten aus dem Wasserbecken. Die durchbrechende Weichsel schuf dann durch Schwemmstoffe weitere Inseln, Halbinseln und Holme, die immer fester und flutsicherer aus den Sümpfen und Mooren emporwuchsen. Weite Wälder standen hier, in denen Bären, Auerochsen und Elche hausten. Diese Jagdgründe und der Fischreichtum der vielen Wasserläufe lockte naturgemäß die Bewohner der hohen Randländer im Westen und Osten zur Ansiedlung herunter. Als vorgeschichtliche Siedlungen sind durch Erdfunde erwiesen Ladekopp, Tiege, Mierau, Kl.-Mausdorf, Gr.-Wickerau. Wer diese ersten Siedler waren, wissen wir nicht. Geschichtlich steht fest, dass seit dem 4. Jahrhundert vor Christus im Werder Goten wohnten. Als diese im 2. Jahrhundert nach Christus südöstlich weiterzogen, drangen von Osten her Pruzzen und Esten, vom Westen her slawische Wenden ein. Zahlreiche Ortschaften entstanden, von Wiesen und bebauten Äckern umgeben. Bei Groß-Lichtenau erhob sich ein Pruzzentempel. Auch Dämme zum Schutz der Saaten baute man damals schon.

So fanden die Ritter das Land. Was den Ureinwohnern genügt hatte, war den Rittern kaum ein erster Anfang. Für Sumpf und Moor und für die Unzulänglichkeiten ihrer Bewältigung war das Auge der Deutschen geweiteter, eindringungskräftiger, baumeisterlicher. Sie warfen den Eroberungswillen des Mannes ins Land. Die Ureinwohner hatten sich zumeist mit Besiedelung der von der Natur geschützten Alluvialhöhen begnügt; die Deutschen drangen erobernd in den sumpfigen Schlickboden der eigentlichen Niederung vor, seine verborgene Fruchtbarkeit zwangen sie, sichtbarer Segen zu werden, und der Zerstörungswut des Stromes stellten sie die mächtigen Dammbauten entgegen. Aus allen Teilen Deutschlands, aber zur überwiegenden Zahl aus Westfalen, Niedersachsen, Friesland und Holland, kamen die Bauern auf den Ruf des Ordens, Männer, gewaltig mit den Waffen und tüchtig hinter dem Pfluge. Die alten preußischen Ortschaften wurden zuerst in Besitz genommen, und in wachsender Zahl entstanden neue Dörfer. Das Weichseldelta wurde Kulturlandschaft. Diese Bauern waren aus der Heimat her gewöhnt, wie man Widerstände mit ausdauernder Arbeit überwindet. Eben die Widerstände machten ihnen dieses Land zur geliebten, unveräußerlichen Heimat. "Beeter in de Neddring versupe, as up de Hög verdrege", so heißt noch heute das stolze Heimatwort des Werderbauern.

Wir wandern den Weichseldamm entlang, zur Erntezeit, wenn die langen Kornauen gemäht werden, manchmal bis in die Nacht. Oder im Herbst, wenn die Obsternte fällt und der Bauer schon wieder die tiefen Furchen in den schweren Boden pflügt, vom Außendeich her aus den dichten Weidenbüschen singen die letzten Vögel, Entenschwärme fahren hoch, ruhig rollt der Strom. Oder wir wandern auf die Nehrung, das ist der von Weichsel und Ostsee gemeinsam geschaffene Sandhügelsaum, welcher sich vom Frischen Haff bis Weichselmünde hinzieht und das fruchtbare Werder wie ein Damm von der Ostsee scheidet. Kiefernwald und Strandhafer wehren dem Sand das Weiterwandern landeinwärts. Ein Farbenklang von grün und gelb, wenn die Sonne scheint. Nordwärts hören wir das Rauschen der See. Wir wandern über die Dünen nach Neufähr, wo die Weichsel beim Eisgang im Winter 1840 zur See durchbrach. Die Mündung ist mit festen Steinmolen gesichert. Weit reicht hier der Blick ins Werder hinab. Das ganze Land wie ein Garten. Das Wasser gebändigt und nutzbar gemacht durch Dämme, Buhnen, Gräben, Kanäle, Schleusen und Schopfmühlen. Auf der Weichsel Holztraften und große weitgebauchte Kähne.

Ein Geschenk der Natur ist vom Menschen durch Arbeit und Liebe zum Werk seines Willens geschaffen. Und wir haben uns entschieden, dass hier Gerechtigkeit waltete, als der übergeordnete Wille den untergeordneten zum Weichen zwang. Dem Werderbauern liegen solche Erwägungen fern. Seine Arbeit ist seine Geschichte. Darüber hinaus fragt er nicht. Seine Arbeit hat ihn langsam, überlegt, stetig und zielsicher gemacht. Er ist zäh wie die Weiden seines Landes. Er ist nüchtern, wenn wir seinen praktischen Arbeitsidealismus nüchtern nennen wollen. Und er ist von einer gewissen Trägheit, wenn wir das Genügen am erarbeiteten Besitz träge nennen dürfen. Mit seinem Gott steht er auf Du und Du. Die weiten ruhigen Flächen seines Landes laden seine Gedanken öfter vor die Ewigkeit, als der Beschauer denken mag. Und sollten wir ihm mit aller Beredsamkeit des Verführers neuzeitliche Zweifel über Gott und über den protestantischen Glauben aufdrängen wollen, so wird er uns ruhig erwidern: "Se kennen seggen, wat Se wollen, eck bliew dobi." Und vielleicht geht er gar noch gegen unsere Klugheit vor und sagt überlegen zum Nachbarn: "Hei wullt bloß nich wohr hebben." Die Familienbande, bis in die entfernteste Verwandtschaft hinein, werden mit einer gewissen derben Innigkeit aufrechterhalten. Der Werderbauer ist verschlossen; aber Freund und Nachbar, und wer sein Herz gewann, können seiner Treue und seines Vertrauens sicher sein.

Familienereignisse, wie Hochzeit und Taufe, waren festliche Kunstwerke, in die oft die ganze Dorfgemeinde einbeschlossen wurde. Da zeigte sich dann die Wohlhabenheit in ihrer ganzen Fülle. Unglaublich klingen die wahrheitsechten Berichte über solche Schmausereien und Gelage. Die Sage erzählt vom reichen Bauern Niklas aus Niklaswalde, der seinen ritterlichen Gästen zwölf goldgefüllte Tonnen als Sitze bot. Die Werderbauern galten als "grobstolze Leute". Der Wohlstand erzeugte zuzeiten Übermut und Neigung zu Pracht. Es kam vor, dass sie mit den Geistlichen Spott und Schelmerei trieben. Und strenge Verordnungen mussten erlassen werden gegen die "hoffährtigen und unanständigen Tafftenen, Atlassenen Kleider, die Goldstückenen Mützen, Gold- und Silberne Spitzen und Posamenten, die teuren großen Knöppchen, die Püscher an den Ohren".
Die Neigung der Werderbauern zum gemütlichen Familienzusammenschluß und zu gemeinsamen Festen hat ihr ernstes Seitenstück aufzuweisen in den Feuerordnungen und Deichordnungen. Die Tiegenhöfer Feuerordnung von 1623 ist die erste überhaupt bekannt gewordene Vereinigung dieser Art. Die Deichordnungen sind Kunstwerke des Zusammenwirkens menschlicher Kräfte.

Dem, der mit diesen Deichordnungen nichts zu tun hat, schwirrt es nur so um den Kopf von Deichverband, Deichrevier, Deichgenosse, Deichinspektor, Deichgeschworener, Deichrepräsentant. Aber dem Kundigen ist die Deichordnung ein schlagfertiger Kriegsplan gegen den gefährlichsten Feind des Werderbauern, die Weichsel, wenn sie im Sommer das Hochwasser und im Frühjahr den Eisgang bringt. Es geht zu wie bei einer Schlacht. Die Heerschau, hier Deichschau genannt, findet zweimal im Jahre statt, im Mai und Oktober. Die Beobachtungsposten und Zeughäuser zugleich sind die Wachtbuden auf den Dämmen, wo alles zur ersten Abwehr bereitliegt. Der Deichhauptmann ist der Feldherr, der kraft Gesetz unweigerlichen Gehorsam vor dem Feinde fordert. Soldaten sind die Bauern; mit Wagen voll Brettern, Pfählen, Weidenfaschinen und Dünger eilen sie gegen die bedrohten Stellen. Sie an Gehorsam zu erinnern, ist nicht nötig. Der Werderbauer lebt jene Freiheit, die sich einem Gemeinsamen einzuordnen weiß. Er sieht ja den Feind und hat den Kampf gegen ihn mit seinem Blut geerbt. Der kennt den Werderbauern nur halb, der ihn nicht im Frühling auf der Eiswacht an bedrohter Stelle sah. Wenn die Schollen vom schon geschmolzenen Oberlauf der Weichsel heranjagen und die Eisdecke im Unterlauf brechen und zerreißen und zerstoßen, sich übereinanderschleudern, oder nach unten gegen den Grund stauen. Dann steigt das Wasser, und die Luft hallt vom Klirren und Krachen. Mit der Schärfe des Messers vermag das Eis Stücke Land wegzuschneiden. Bei solchem Anblick darf der Werderbauer sich erinnern, dass man seine Väter einst "gewaltig mit dem Schwert" nannte. In neuerer Zeit hat das Deichheer auch seine Flotte erhalten, starke Eisbrechdampfer, welche zur Zeit des Eisgangs stromauf dringen und die Eisdecke zerschneiden.

Mit dem Blick auf die Bauern der Eiswacht und die feste Staatsordnung, welche beide eines Sinnes sind im Schutz dessen, was wahrhaftiger Geist und treue Arbeit geschaffen, wollen wir Abschied nehmen vom Werder.