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Wolfgang
15.10.2010, 16:15
Das Tiegenhöfer Vereinsleben
von Erich Grabner (+)
(aus den Tiegenhöfer Nachrichten 1978)

Ehe der Zeitenlauf die Erinnerungen an unsere engere Heimat, dem Land zwischen Weichsel und Nogat, weiter trübt, möchte ich an dieser Stelle einige Gedanken und Betrachtungen aus dem eigenen Erleben wiedergeben.

Wie so oft in kleineren Gemeinden unserer Heimat waren auch die Bewohner Tiegenhofs jederzeit bereit, sich zur Pflege und Förderung gleicher Ideale und gemeinsamer Interessen auf kulturellem und sportlichem Gebiet zusammenzuschließen, wenn sie dazu aufgerufen wurden. Ihre Mitwirkung an der Erreichung der gesteckten Ziele erfolgte dann auch durchweg vorbehaltlos und mit Einschluss persönlicher Opfer.

In der Erinnerung an unser Tiegenhof erscheint es angebracht, etwas über das Wirken einiger Vereine in dieser Stadt während der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen auszusagen und damit die Gedanken unserer Landsleute einmal mehr in die Vergangenheit zu lenken. Leider besitze ich keinerlei Unterlagen, denen manches für eine solche Aufzeichnung hätte entnommen werden können. Einzige Quelle für mich ist jetzt nur noch die Erinnerung an die Zeit meiner Mitgliedschaft und Mitarbeit in einigen Tiegenhöfer Vereinen.

Die Zahl der Vereine zur Förderung und Pflege der Leibesübungen - um einen Bereich zu erwähnen - mehrte sich nach 1918 in Tiegenhof durch die Gründung des Rudervereins und des Vereins für Bewegungsspiele (VfB). Die Anregung zur Gründung dieser Vereine kam nicht zu einem geringen Teil - was insbesondere den Ruderverein anging - von den Angehörigen der Kreisverwaltung, die unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges infolge Gründung des Kreises "Großes Werder" in unsere Stadt gekommen waren. Tiegenhof war bekanntlich Sitz der Kreisverwaltung geworden. Der Zuzug eines großen Teiles der Bediensteten für diese Verwaltung erwies sich für manche Belange unserer kleinen Stadt als nicht unbedeutend.

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wirkten in der Hauptsache der "Männerturnverein" und die "Schützengilde", beide von Teilen der Einwohnerschaft getragen und von ihr stets anerkannt. Dies zeigte sich besonders dann, wenn beide Vereine mit ihrem Aufgabenprogramm an die Öffentlichkeit traten. Dies geschah mindestens bei ihren großen Jahresfesten. Sie haben aber auch in der Zeit zwischen den beiden Kriegen mit Erfolg gewirkt und sich so der Wertschätzung der breiten Öffentlichkeit erfreuen können.

In der Schützengilde fanden sich vor allem Geschäftsleute und selbstständige Handwerksmeister zusammen. Stellvertretend für alle Gildemitglieder möchte ich hier einige der älteren Schützen erwähnen:

Heinrich Korella sen., Heinrich Büttner, Albert Joost, Hermann Schulz, Johannes Wagner, Otto Bergien, August Wehrmeyer und Bruno Theuring.

Die wesentliche Vereinstätigkeit der Gilde wickelte sich im Bereich des Schützenhauses Platenhof ab, dessen Besitzer der bekannte Gastwirt Otto Epp war. Im Mittelpunkt der Veranstaltungen der Schützengilde stand das alljährliche Königschießen, verbunden mit einem Preisschießen. Hieran nahmen auch auswärtige Schützengilden (z.B. aus Neuteich, Danzig, Elbing, Marienburg) teil. Das Königschießen fand stets in der Jahresmitte an einem Montag statt, nachdem am vorhergehenden Tag ein Preisschießen abgewickelt worden war. Traditionell wurde an diesem Montagfrüh der bisherige Schützenkönig feierlich mit allen Ehren von seiner Wohnung abgeholt und in einem Festzug, angeführt von einer schnittigen Musikkapelle, zum Schützenhaus Platenhof geleitet. Zum ersten Mal erlebte ich - als Schuljunge - diesen feierlichen Aufzug kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als der bekannte Kommerzienrat Heinrich Stobbe amtierender Schützenkönig war. Das Zeremoniell mit dem bekannten Präsentiermarsch wickelte sich bei herrlichem Sonnenschein vor den Augen der versammelten Bürger ab. Die Bevölkerung bekundete an solchen Festtagen ihre Anteilnahme durch Beflaggung ihrer Häuser und reichlichen Girlandenschmuck. Die schulfreie Jugend begleitete diesen seltenen Festzug mit sichtlichem Interesse bis zum Schützenhaus. Hier entwickelte sich in der Schießhalle alsbald ein reges Treiben; der edle Wettstreit nahm seinen Lauf. Wohl alle Schützen hatten den Ehrgeiz, die Königs- oder Ritterwürde zu erringen, wenigstens aber doch einen der wertvollen Ehrenpreise zu erhaschen. Das große Heer der Helfer war bereit zu ihrem Teil an der Abwicklung des Festes mitzuwirken. Da saßen zunächst an den Scheibenständen die Anzeiger, die jeden Treffer (aber auch eine "Fahrkarte") mittels einer Tafel dem Schützen anzeigen mussten. Am Schießstand selbst (also in der Halle) saß hinter jedem Schützen ein Schreiber, der das Einzelergebnis in die Liste eintrug. Mit der Länge der Zeit wuchs auch die Spannung unter den Bewerbern; jeder Schütze hoffte, soweit als möglich nach vorn zu kommen. Im allgemeinen trennte sich in den Mittagsstunden die Spreu vom Weizen. Erst die Bekanntgabe des Endergebnisses löste die große Belastung. Das Preisschießen dagegen nahm seinen Fortgang. Jeder bisher leer ausgegangene Schütze legte seinen Ehrgeiz in diese Auseinandersetzung. Die Familien der Schützen waren daheim nicht weniger in Spannung und führten laufend Telefongespräche mit dem Schützenhaus über den Verlauf des Wettstreits um die Würden. Nachmittag fanden sich dann die Angehörigen sowie Freunde des Schießsports im SChützengarten ein, um teilzuhaben an dem weiteren Verlauf des Tages.

Die feierliche Proklamation der Würdenträger und die Ordensverleihung vor allen Festteilnehmern sowie der anschließende Schützenball bildeten stets den Höhepunkt und zugleich Abschiuss dieses Jahresfestes. Der Tradition entsprach es auch, dass der neue Schützenkönig wenige Tage später sich mit seinen Kameraden zu einem Umtrunk, dem sogenannten "Königsbier" im Schützenhaus zusammenfand.

Schon früh waren die Verantwortlichen der Schützengilde um ihren Nachwuchs bemüht. So wurde Mitte der zwanziger Jahre eine "Jungschützen-Abteilung" der Gilde angegliedert. Zunächst war es nur eine kleine Schar junger Freunde des Schießsports, die den Älteren nachzueifern sich bemühten. Zu ihnen gehörten nach meiner Erinnerung:

Karl Bernhardt, ... Grossnick, Walter Joost, Alfred Kreisig, zwei Brüder Langwald (Schloßstr.).

Leider sind mir weitere Mitglieder nicht mehr in Erinnerung. Den Jungschützen standen natürlich für ihre Übungs- bzw. Preisschießen und insbesondere für das Königsschießen die Einrichtungen der Gilde zur Verfügung. Ebenso beteiligten sie sich an den Veranstaltungen auswärtiger Jungschützen-Abteilungen. Beim Königschießen im Jahre 1927 gelang es mir Jungschützenkönig zu werden. Der Gildekönig Erich Manhold hatte hierfür einen Silberlöffel mit folgender Gravur gestiftet: "Dem König gew.v.S.M. E. Manhold 1927". Dieses Erinnerungsstück hat durch die späteren Ereignisse seinen besonderen Wert für mich bekommen.

Ich war - etwa 1920/21 - Teilnehmer der Versammlung im "Hotel Hamm" (später "Hotel Sagert“), in welcher der "Ruderverein Tiegenhof" aus der Taufe gehoben wurde. Vorsitzender wurde damals Landrat Kramer, eine Persönlichkeit, die große Sympathien in der Bevölkerung genoss. Landrat Kramer übersiedelte einige Jahre später nach Königsberg/Pr. Den Vorsitz im Ruderverein übernahm dann meines Wissens Apotheker Wilhelm Dannenberg. Der Ruderverein hatte sonders zu dieser Zeit in seinen Reihen tatkräftige und opferbereite Mitglieder, dazu Freunde und Gönner, die seine sportliche Aufgabe förderten und zur wirtschaftlichen Sicherstellung des Vereins beitrugen. Die Möglichkeiten zur Ausübung des Rudersports in Tiegenhof waren nicht sonderlich günstig. Von den Aktiven wurde immer wieder der Beweis des guten Willens gefordert, wenn es darum ging auf der streckenweise recht schmalen und vielfach verkrauteten Tiege das notwendige wettkampfmäßige Training durchzuführen. Regatten konnten - wenn auch unter organisatorischen Schwierigkeiten und unter Verzicht auf finanziellen Ertrag für den Veranstalter - auf der benachbarten Linau ausgetragen werden. Für den Ruderverein wäre es wirkungsvoller und finanziell einträglicher gewesen, wenn die Regatten auf der Tiege im Stadtbereich vor den Augen der Bürger hätten stattfinden können. Für das Wanderrudern dagegen boten die Tiege, der Weichsel-Haff-Kanal und zum Teil auch das "Frische Haff" (hier insbesondere bei Fahrten zu den befreundeten Elbinger Rudervereinen) ausreichende Möglichkeiten. Insgesamt gesehen hat die Existenz und das Wirken des Rudervereins als Träger lokaler sportlicher Aufgaben stets Verständnis und Unterstützung in der Bürgerschaft Tiegenhofs gefunden.

Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde der "Verein für Bewegungsspiele" (VfB) gegründet. Ihm gelang es sehr bald, die sportlich lnteressierten Bewohner unserer Stadt für die Vereinsziele zu mobilisieren und zum großen Teil für die Mitgliedschaft zu gewinnen. In erster Linie war es das Fußballspiel, das schon damals seine Anziehungskraft nicht verfehlte. Der VfB hatte den Vorteil, das fast seine gesamte Arbeit vor den Augen einer breiteren Öffentlichkeit abrollte, im Gegensatz zu dem mehr in der Stille wirkenden Turnverein, dessen Erfolge aber auch weiterhin in unserer Stadt achtungsvoll gewertet wurden.

Großen Raum in der sportlichen Schau nahmen die Fußball-Wettspiele mit auswärtigen - meist Danziger - Mannschaften ein. Immer wieder haben diese Spiele ihre Zuschauer gefunden. Die Übungs- und Kampfstätte des VfB war in den ersten Jahren seines Bestehens der "Sportplatz am Wasserturm". Der in unmittelbarer Nähe des Magistratsgebäudes liegende Platz hat niemals die Zustimmung der Sportler gefunden. Er war nicht mehr als nur ein Notbehelf. Die frühere Wiese hatte ihre Tücken (Unebenheiten, abfallende Seiten) im Laufe der Zeit nicht verloren. Erst einige Jahre später gelang es der Vereinsführung ein geeigneteres Gelände an der Ecke "Schwarzer Wall/Rückenauer Chaussee" zu erhalten, das dann eine weitaus bessere sportliche Ausbeute zuließ.

Die Leichtathletik als weiterer Teil der Vereinsaufgaben konnte sich nur langsam entwickeln, sie war, im Gegensatz zum Mannschaftsspiel Fußball, auf Einzelkönner angewiesen, die aber in einem jungen Kleinstadt-Verein erfahrungsgemäß erst heranwachsen müssen und zudem auch nur dünn gesät waren. An den Sonntagen, an denen auswärtige Sportler zu Wettkämpfen in unsere Stadt kamen, wurde das Stadtbild unwillkürlich von diesem lokalen Ereignis beeinflusst. Die Wettkämpfer beider Vereine zogen an solchen Tagen bereits im Sportdress (Umkleideräume am Sportplatz bestanden nicht) durch die Straßen zum Platz, begleitet von der interessierten Jugend. Die Zuschauer auf dem Platz hatten die Möglichkeit, den Veranstaltungen unmittelbar am Spielfeldrand beizuwohnen. Der Platz hatte keine feste Absperrung, eine Zuschauertribüne gab es nicht. Ich erinnere mich an einen älteren Tiegenhöfer Bürger, der - als großer Fußballanhänger allgemein bekannt - bei den Wettspielen seinen Stehplatz fast während der gesamten Spieldauer am Torpfosten der einheimischen Mannschaft einnahm. Das Tor war damals nicht - wie jetzt allgemein - durch ein Netz rückwärts abgeschirmt. So geschah es einmal, dass sich dieser passionierte Zuschauer während eines Wettspiels im Eifer des Gefechts dazu verleiten ließ, selbst "aktiv" in das Spiel einzugreifen. Dies ergab sich bei der folgenden Situation: Bei einem Angriff der auswärtigen Elf auf das VfB-Tor flog der gut getretene Ball genau in den von dem alten Herrn "besetzten" Torwinkel. Durch jahrelange Beobachtungen geschult, zirkelte der "Passive" den Ball mit einer gekonnten, kaum wahrnehmbaren Fußbewegung aus dem anvisierten Toreck heraus in das Spielfeld zurück. Er hatte aber vergeblich gehofft, der VfB-Mannschaft auf diese Weise einen Verlusttreffer ersparen zu können. Der Schiedsrichter hatte die Situation klar erkannt, seine Entscheidung lautete natürlich auf "Tor". Unliebsam für den Verein war es schon, wenn nach einem Fußballspiel eine oder gar mehrere Fensterscheiben am Magistratsgebäude, dass das Spielfeld zum Teil abgrenzte, erneuert werden mussten. Zu oft landete der Ball auch in dem nahegelegenen Bürgermeistergarten, sehr zum Leidwesen des Stadtgewaltigen.

Der VfB konnte sich besonders in den ersten Jahren seines Bestehens auf Mitglieder stützen die große Teile ihrer Freizeit für die sportlichen Aufgaben des Vereins uneingeschränkt zur Verfügung stellten. In diesem Zusammenhang möchte ich hier - wieder aus der Erinnerung heraus und nicht vollständig - einige Aktive erwähnen, die in den ersten Vereinsjahren zur I. Fußballmannschaft gehörten und ihren Verein häufig auch außerhalb Tiegenhofs in Wettkämpfen vertreten haben. Dabei wurden lediglich die Fahrtkosten aus der Vereinskasse erstattet.

Hans Albrecht, Reinhold Bauer, Gebrüder Dersewski, ... Erdmann, Lothar Gebhardt, Georg Gillmann, Walter Helbing, Otto Hinz, Alfred König, Kurt Lau, Felix Minder, Bruno Nogalski, Helmuth Ostrowski, Kurt Regehr.

Auf ein Vereinsmitglied möchte ich hier etwas näher eingehen: Wolfgang Ziemens. Vielen Tiegenhöfern und Werderanern war er unter dem Spitznamen "Pille" bekannt, ein "Relikt" aus seiner Schulzeit (sein Vater war Apotheker.) Er konnte. für sich den Verdienst in Anspruch nehmen, durch den VfB viel für die Entwicklung des Sports in unserer Stadt getan zu haben. Dass andere Tiegenhöfer das an anderer Stelle auch getan haben, folgt aus den vorangegangenen und den nachstehenden Ausführungen. Wolfgang Ziemens war - von der Vereinsgründung ab - lange Jahre Vorsitzender des VfB. Dieses Amt brachte es unwillkürlich mit sich, dass sein Tabakgeschäft in der Marktstraße/Ecke Rossgarten zum Treffpunkt für die Vereinsmitglieder wurde. Besonders um die Mittagsstunde war der Geschäftsladen - und oft auch der angrenzende Privatraum - ausschließlich von "VfBlern" überbesetzt. Hier wurden in der Diskussion die sportlichen Tagesfragen behandelt und Vorschau auf die nächstliegenden Aufgaben gehalten, hier tagte sozusagen das "Vereins-Parlament". Viele unbeteiligte Geschäftskunden waren beim Betreten des Ladens offensichtlich verwundert, ausgerechnet in einem Tabakgeschäft einen solchen Kreis debattierender junger Menschen anzutreffen.

Wolfgang Ziemens war nicht nur an der Vereinsführung maßgeblich beteiligt, er versuchte auch auf sportlichem Gebiet dem Verein eine Stütze zu sein. Dies geschah durch seinen Einsatz als Torwart der I. Fußballmannschaft. Besonders bei hohen Bällen konnte er hier seine Körpergröße vorteilhaft "ins Spiel" bringen. Im Übrigen hatte er das Fußballspiel früher wohl höchstens auf dem Schulhof betrieben, es gehörte sicher nicht zu seinen Leidenschaften. Und doch glaubte er, auch auf dem Sportplatz vorbildlich mitwirken zu müssen.

Der VfB unterhielt u.a. auch eine Schwimmabteilung, die vorwiegend bei den jugendlichen Mitgliedern beliebt war. Eine wettkampfmäßige Ausübung dieser Sportart wurde, ähnlich wie bei der Trainingsarbeit und den Regatten des Rudervereins, dadurch erschwert, dass eine Übungs- und Wettkampfstätte nur außerhalb unserer Stadtgrenzen gefunden werden konnte. Die breitere Tiege unmittelbar vor der Kanalschleuse Platenhof/Petershagen war schließlich geeignet, den sportlichen Erfordernissen - z.B. auch für Wasserballspiele - einigermaßen zu entsprechen. Durch eine Vereinbarung mit dem wohl allen Tiegenhöfern bekannten Gastwirt Otto Ruschau, Petershagen,über die Benutzung des Ufergeländes auf seinem an der Tiege gelegenen Grundstücks wurde es erst möglich, dort auch die notwendigen Umkleidekabinen für die Sportler aufzustellen. An den Tiegenböfer Verhältnissen gemessen, konnten auf diesem Tiege-Abschnitt, außer dem Übungsbetrieß, die sportlich wichtigen Schwimmveranstaltungen - nicht selten mit auswärtigen Mannschaften - durchgeführt werden. Dafür bürgte als Schwimmwart während einer Reihe von Jahren der kürzlich verstorbene Elektromeister Otto Hinz, der sich dem Schwimmsport mit begeisternder Hingabe verschrieben hatte. Lediglich die insgesamt doch bescheiden zu nennenden wassersportlichen Gegebenheiten und die Unmöglichkeit, ausreichend Zuschauerplätze am Ufer der Platenhöfer/Petershagener Tiege bereitstellen zu können hinderten daran, dass die Tatkraft der Verantwortlichen des Vereins sich nicht stärker entfalten konnte. Meine Erinnerungen an den VfB möchte ich mit einem Hinweis auf dessen Vereinsabzeichen beschließen. Das Abzeichen für die Mitglieder war ellipsenförmig und stellte einen auf Porzellan gemalten Marathonläufer mit Ölzweig dar. Wegen der besonders gelungenen Ausführung war das Abzeichen von allen auswärtigen Sportlern als Erinnerungsstück sehr begehrt.

In meiner Schilderung aus der Vergangenheit will ich mich jetzt einem weiteren Verein unserer Heimatstadt zuwenden. Von der Stadt- und Landbevölkerung immer wieder begrüßt wurde das Wirken des "Dramatischen Dilettanten - Vereins" (DDV). Der Zusammenschluss musisch interessierter Menschen aus Stadt und Land zu einem Verein erfolgte gleichfalls zu Beginn der zwanziger Jahre. Ganz offensichtlich war diese Zeit geeignet, unserer Stadt in vielen Belangen - gegenüber den Vorkriegsjahren - ein anderes Gesicht zu geben. Dabei denke ich nicht allein an die Gründung und erfreuliche Weiterentwicklung einiger Vereine, sondern u.a. auch an die eingangs erwähnte Verlegung der Kreisverwaltung "Großes Werder" nach Tiegenhof, den Ausbau der bisherigen Realschule zum Gymnasium sowie einige Veränderungen von vorwiegend wirtschaftlicher Bedeutung, z.B. an die Gründung der Ölmühle, die Errichtung der Kreissparkasse usw.

Der Dramatische Dilettantenverein hatte sich die Aufgabe gestellt, durch die Aufführung von Bühnenwerken in Tiegenhof und Umgebung zur Unterhaltung auf kulturellem Gebiet beizutragen, ein Vorhaben, das es verdient hätte, bereits viel früher in unserer kleinen Stadt zur Entfaltung gekommen zu sein.

Wenn ich mich recht erinnere, war es auch hier Wolfgang Ziemens, der dem Gründergedanken die Tat folgen ließ. Für die aktive Arbeit, gerade in diesem Verein, brachte er Erfahrungen aus der früheren Laientätigkeit in seiner Vaterstadt Neustadt/Westpr. mit, die, wie sich bald erweisen sollte, für sein nunmehriges Wirken als "Amateur-Regisseur" nahezu unerlässlich waren. Die Benennung "Hobby" für eine Passion wäre bei Wolfgang Ziemens schon damals am Platze gewesen. Die Mitglieder des DDV waren fast ausnahmslos aktiv an der Bewältigung der Aufgaben und Ziele des Vereins beteiligt, in der Hauptsache als Bühnendarsteller. Aber auch hinter und außerhalb der Bühne waren tätige Kräfte nicht zu entbehren, so z.B. - um einige Aufgaben zu nennen - als Inspizient, Requisiteur oder Souffleur. Die Aufgaben als Friseur, Beleuchter und schließlich als Bühnenhelfer wurden bezahlten Kräften übertragen. Bei der Funktion des Souffleurs bzw. der Souffleuse möchte ich kurz verweilen. Unsichtbar für die Zuschauer sitzt der Souffleur in seinem Kasten vor dem Rampenlicht und verfolgt - unabwendbar den Bühnenstaub einatmend - gespannt jeden Vorgang auf den Brettern, während der gesamten Vorstellung für die Darsteller ein wachsamer Partner und jederzeit bereit, dem Gedächtnis des Schauspielers zu Hilfe zu kommen, denn das Lampenfieber auf der Bühne war und ist nun einmal ein nicht zu verscheuchender Begleiter der um den Erfolg bemühten Darsteller. Sofern es die Situation zulässt, wird auch aus den Kulissen heraus souffliert.

Doch nun wieder zurück zur nüchternen Betrachtung der Vergangenheit. Vorsitzender des DDV in den ersten Jahren seines Bestehens war der im Ruhestand lebende Rechnungsrat Hermann Sohl. Mit viel Lebenserfahrung und klaren Vorstellungen über eine Vereinsführung verschaffte er dem DDV - auch außerhalb der Bühne - großes Ansehen. Notwendige Besprechungen über die Vereinsarbeit haben uns oft in seiner Wohnung zu Vorstandssitzungen zusammengeführt. Der Vorsitzende war dabei auch ein aufmerksamer Gastgeber, der uns, d.h. seine Mitarbeiter, an Winterabenden gern die Geheimnisse einer "Bremer Öllampe“ (sonst als "Grog" bekannt) in praxi offenbarte. Bei der Vereinsarbeit lag die besondere Schwierigkeit in den ersten Jahren u.a. zunächst darin, die geeigneten Kräfte für die Bühnendarstellung in der Bevölkerung aufzuspüren, sie für die Aufgaben und Ziele des Vereins zu interessieren und nach Möglichkeit auch als zahlende Vereinsmitglieder zu werben. Wesentliche Voraussetzung bei den darstellenden Mitgliedern war die Neigung und Eignung zum Theaterspiel sowie die Bereitschaft, Opfer an Zeit und Geld zu bringen. In diesem Zusammenhang soll zunächst wieder der Einsatz von Wolfgang Ziemens Erwähnung finden. Er hat viele Tiegenhöfer d Werderaner, nicht nur jüngere, durch ihre Heranziehung zum Theaterspiel für eine musische Betätigung überhaupt erst begeistern können. Ich bin sicher, dass es ohne sein Wirken manche erbauliche Stunde für viele Bewohner Tiegenhofs und des Werders nicht erst gegeben hätte. Ideen und Erfahrungen des "Amateur-Regisseurs" Wolfgang Ziemens bildeten zusammen mit der Begeisterung der Mitglieder und Freunde des DDV das Fundament der Vereinsarbeit. An dieser Stelle muss ich aber auch die besondere Beanspruchung erwähnen, die während der Vorbereitung und Aufführung eines Bühnenstückea, mit seinen zahlreichen Proben, von einem großen Kreis der Mitwirkenden gefordert wurde. Die Einstudierung einer Aufführung konnte natürlich nur in den Abendstunden erfolgen, und dann auch nur an den Tagen, an denen das geeignete Lokal (d.h. der Zuschauersaal und die Bühne) nicht anderweitig besetzt war. Einige Darsteller hatten einen langen Anmarschweg, den sie nach Beendigung ihrer "Laienarbeit" meist in später Nachtstunde und ohne Rücksicht auf die Wetterverhältnisse per Rad wieder zurücklegen mussten. Zu diesen besonders beschwerten Mitwirkenden gehörten in den ersten Jahren insbesondere: Hansulrich Röhl, der als Lehrer in Groß Mausdorf amtierte, Bruno Herrmann, der gleichfalls Lehrer in einer mir nicht mehr erinnerlichen Werdergemeinde war und schließlich Erich Meyer, damals Lehrer in Tiegenhagen. Wie diese Mitglieder hatten auch die meisten anderen Mitwirkenden durch berufliche Verpflichtungen zeitlich manche Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Mindestens aber die drei Genannten wurden durch den beschwerlichen Heimweg besonders gefordert. Die Belastung für sie wurde dadurch besonders groß, dass die wesentliche (Bühnen-) Arbeit des Vereins nun einmal in die Herbst- und Wintermonate fiel, in denen zu häufig Regen, Kälte und Schnee ohnehin ihnen bei dem An- und Abmarsch zu schaffen machte. Hier möchte ich außer den bereits genannten Bruno Herrmann, Erich Meyer, Hansulrich Röhl gleich weitere Mitglieder bzw. Freunde des DDV, soweit sie mir heute, nach rund 50 Jahren, noch in Erinnerung sind, erwähnen, die an dem Wirken des Vereins, sei es auf, hinter oder außerhalb der Bühne mindestens in den ersten Jahren seines Bestehens beteiligt waren:

Karl Bernhardt, Margarete Cymler, Anna Freyer, Cornelius Hochdörfer, Kurt Hube, Ernst Korella, Otto Murawski, Erna Ostrowski, Otto Philipsen, Luise Römer, Hans Rothe, Berta Schwirtz, Hugo Spode, Fritz Weigt und schließlich mein Bruder Willi.

Diese leider nur unvollständige Aufzählung bringe ich, um den einen oder anderen Leser dieser Aufzeichnung in seiner Erinnerung an das Wirken des DDV vielleicht ein wenig zu unterstützen.

Die Vorbereitungen für die Aufführungen waren stets mühsam und zeitraubend; sie lassen sich in ihrer Vielfalt nicht vollständig schildern. Von großer Bedeutung erwies sich die treffende Wahl unter den zur Aufführung vorgelegten Werken, konnte sie doch schon über den Erfolg oder Misserfolg der Darbietung überhaupt entscheiden. Es kam hierbei darauf an, unter Wahrung der Tendenz des Bühnenstückes seine mögliche Wirkung auf das Publikum nach allen Seiten abzuwägen. Für Vorstand und Mitglieder des Vereins stellte sich somit stets die gleiche Frage: "Wie wird das Stück beim Publikum ankommen?“ Eine Kleinstadt hat nun einmal in puncto Moral und Empfindsamkeit eigene Gesetze. Andererseits musste die finanzielle Ausbeute der Aufführungen auch die Voraussetzung für die weitere Vereinsarbeit erbringen. Eine schwere Aufgabe war die Besetzung der Rollen für die vorgesehene Aufführung. Nicht immer war es dem Regisseur möglich, Wünsche oder Erwartungen einzelner Mitglieder des Spielerkreises für eine Rollenübertragung und damit für die aktive Mitwirkung an der Aufführung des in Aussicht genommenen Stückes zu berücksichtigen. Sobald die Bühnenproben angelaufen waren, mussten auch die Nebenverrichtungen bzw. die technischen Arbeiten für die Aufführung in Angriff genommen werden. Dazu gehörte in erster Linie die Schaffung des Bühnenbildes, also das Malen der Kulissen. Fast selbstverständlich war es, dass Wolfgang Ziemens sich dieser bedeutsamen Aufgabe - auch wieder als Laie - unterzog. Andernfalls hätte der Verein erhebliche Mittel aufwenden müssen, um die Bühnendekoration von fremder Hand herstellen zu lassen. Wolfgang Ziemens vermochte die optische Wirkung des Bühnenbildes auf den Theaterbesucher richtig einzuschätzen und hat sich dank seines allgemein großen Interesses für das Schaffen eines Bühnenbildners an diese spezielle Arbeit herangewagt. Offenbar halfen ihm die Erfahrungen auf diesem Gebiet aus seiner Vaterstadt Neustadt/Wpr. über die Anfangsschwierigkeiten hinweg. Sachverständige Unterstützung bei der Bewältigung dieser heiklen und zeitraubenden Aufgabe konnte er aus dem Mitgliederkreis nicht unbedingt erwarten. Meiner Auffassung nach hat er lediglich mit dem für die Vereinsarbeit in unserer Stadt aufgeschlossenen Zeichenlehrer Heinrich Mischke insoweit Anschauungen über seine Pläne und Entwürfe austauschen können. Wichtig war weiter die Beschaffung der Garderobe für die Darsteller, was je nach Charakter und Umfang des Stückes unterschiedlich schwierig war. Der Regisseur war hier auch gleichzeitig "Gewandmeister". In einigen Fällen konnte der Maskenverleih Kriekhahn, Marienburg/Wpr. (aus den Zeiten der Maskenbälle in Tiegenhof, Platenhof als Kostüm-Lieferant allgemein bekannt) seine Dienste zur Verfügung stellen. Wichtig war die Auswahl und rechtzeitige Sicherstellung der Requisiten, soweit sie für die weitere Ausstattung der Bühne in den einzelnen Aufzügen oder auch für die Darsteller selbst nötig waren. Zu dieser Sparte gehörten häufig Gegenstände, die in den Privathäusern unserer Stadt nur noch selten anzutreffen waren, wie etwa: Standuhr, Truhe, Schaukelstuhl, Kaiserbilder, Petroleumlampe, Pompadour usw. Die angesprochenen Bürger haben bei der leihweisen Hergabe dieser Requisiten gern mitgeholfen, rückte doch auf diese Weise ihr oftmals antiker Besitz ungeahnt in das Rampenlicht der Bühne. Für die tagelangen Vorbereitungsarbeiten an Ort und Stelle, auf dem Gelände des Schützenhauses Platenhof, fand der Verein stets die aufmerksame Unterstützung des bekannten und geschätzten Schützenwirts Otto Epp. Die Zahl der Theateraufführungen für Tiegenhof und die nähere Umgebung ergab sich aus der Zugkraft des Stückes. Sobald ein Aufführungserfolg erkennbar war und eine geeignete Bühne in anderen Orten des Kreisgebietes es technisch ermöglichte, wurden Aufführungen auch außerhalb Platenhofs arrangiert, meines Wissens z.B. in Tiegenort und mindestens in einem Falle in Palschau a.d. Weichsel. Alle Aufführungen des DDV bedeuteten natürlich keine Beeinträchtigung der Vorstellungen, die das Danziger Stadttheater von Zeit zu Zeit in Tiegenhof bzw. Platenhof durchführte. Die Bemühungen beider Bühnen kamen damit einem ständigen kulturellen Bedürfnis in der Bevölkerung wenigstens zu einem Teil entgegen; volle Häuser haben es den Veranstaltern immer gedankt.

Zum Schluss meiner Aufzeichnung will ich es noch mit der Aufzählung einiger Stücke versuchen, die der DDV in den ersten Jahren seines Bestehens zur Aufführung gebracht hat. Die Arbeit des Vereins überhaupt begann seinerzeit mit der Aufführung des für unsere engere Heimat so charakteristischen Werkes von Max Halbe: "Der Strom". Die Entscheidung gerade für dieses Stück als erste Vereinsaufführung erwies sich als glücklich für das weitere Wirken der musischen Dilettanten. Ohne Garantie für die Vollständigkeit der Aufzählung und die richtige Reihenfolge seien hier weitere Aufführungen genannt:

"Flachsmann als Erzieher"
"Katte"
"Alt-Heidelberg"
"Onkel Bräsig"
"Die spanische Fliege".

Das Bemühen des Dramatischen Dilettantenvereins, in der Auswahl der Stücke den Wünschen und Erwartungen einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht in Stadt und Land zu entsprechen, dürfte im Großen und Ganzen gelungen sein. Die mehrmalige Wiederholung einiger Aufführungen wurde von allen Beteiligten immer als eine Bestätigung dieses Eindrucks angesehen.

Mit dem Weggang aus Tiegenhof (Anfang 1931) endete meine Zugehörigkeit zum Dramatischen Dilettantenverein und auch die Bindung zu einigen anderen Vereinen meiner Vaterstadt.

Ich hoffe, mit dieser Aufzeichnung bei den Tiegenhöfer Bürgern und Werderanern, insbesondere bei meinen Freunden und Bekannten jener unwiederbringlichen Jahre, ein Stück Zeitgeschehen in Erinnerung gebracht zu haben.

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Anmerkung: Die "Tiegenhöfer Nachrichten" werden jährlich vom "Gemeinnützigen Verein Tiegenhof - Kreis Großes Werder e.V" herausgegeben. Nähere Infos zum Verein und den Tiegenhöfer Nachrichten sind zu finden unter: www.tiegenhof.de (http://www.tiegenhof.de/)