PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hinaus in die Mailuft



Wolfgang
16.11.2010, 17:15
Aus „Unser Danzig“ Nr. 10 vom 20.05.1965, Seite 7

Hinaus in die Mailuft
von Erich Freiwald

Ja, den Begriff "Mailuft" kennen wir alten Danziger. In die Mailuft zu gehen, war Tradition. Dann packte am Vorabend die Mutter die Brote, die hartgekochten Eier und den Kartoffelsalat ein, und das war nicht wenig, denn es galt, ein halbes Dutzend Mäuler zu stopfen. In aller Frühe weckte uns der Vater, und mit Freuden standen wir auf, denn durch das Fenster winkte ein sonniger Maimorgen. Schnell waren wir angekleidet und reisebereit, und so ging es los und hinunter in die noch stille Stadt. Wie ruhig lagen die Straßen da. Nur hier und da traten auch Familien aus den Häusern, man winkte sich zu. Wer nicht wandern wollte und wer Geld hatte, mietete sich einen Kremser, eine Kutsche, deren Sitze quer zur Fahrtrichtung gebaut waren - dazumal ein begehrtes Verkehrsmittel. Wie großartig war der Kremser wie maitäglich auch die Pferde geschmückt. Mit froher Miene auch schwenkte der Kutscher grüßend seine Peitsche.

Der Ausflugsziele gab es genug, zu denen man wandern oder fahren konnte. Einmal ging es nach Guteherberge, an der schönen Radaune entlang, ein andermal nach Schidlitz in den "Krummen Ellbogen", das nächste Mal zu "Caffee Einhaus" an der Mottlau oder zum "Dicken Franz" , dann wieder nach Bürgerwiesen oder Oliva. Fast menschenleer waren die Straßen, als wir mit Gesang durch das Neugarter Tor marschierten, durch die Karthäuserstraße und geradewegs an der "Beek" entlang in Richtung Schidlitz zu. War Vater spendabei, gab er uns 50 Pfennig, für eine große Tüte Kuchen gerade genug. Endlich am Ziel: Wir kehrten im "Krummen Ellenbogen" ein. "Der alte Brauch-wird nicht gebrochen, hier können Familien Kaffee kochen!" war in großen Lettern über der Pforte zu lesen. An den Tischen saßen schon Familien und tranken Kaffee. Mutter nahm die Tüte mit Kaffee und Zichorie hervor, ging zur Theke und entrichtete eine ganz geringe Gebühr für das Leihen des Geschirrs und das Aufbrühen des Kaffees. Bald stand die Kaffeekanne auf dem Tisch, heller Dampf ringelte sich in die Höhe, und vortrefflich mundeten Kaffee und Kuchen unter den blühenden alten Kastanienbäumen des weiten Gartens. Für den Vater gab's ein "Tulpchen" Bier, für die Kinder ab und zu mal einen Obolus. Für ein "Dittchen" legte eine bunt bemalte Eisen-Henne ein Blech-Ei, innen hohl, gefüllt mit allerlei Leckerzeug. An einem Automaten reckte sich ein Junge, auf Zehenspitzen stehend, in die Höhe und buchstabierte die Sorten, die man sich ziehen konnte, denn derer gab es viele. Da las er "Eau de Cologne". Was das wohl war? Er warf ein Dittchen hinein, ein Fläschchen kam heraus, das er gleich an den Mund setzte. Was er vereinnahmt hatte, spie er aber sofort wieder aus. Welch große Enttäuschung, vielleicht die erste in seinem Leben.

War es nicht herrlich hier im Garten? Wie rein war doch die Luft. Die Eltern riskierten manch munteres Tänzchen im großen Saal, aus dem weithin die Musik erscholl. Zur Mittagszeit sattelte man Schusters Rappen, und frohgemut ging's heimwärts. Natürlich immer schön zu Fuß, das kostete nichts und war gesund. Viele schon kehrten heim, und die auf dem Kremser waren besonders ausgelassen, sangen und winkten uns zu. Dieser herrliche Maientag hatte alle frisch und froh gestimmt, und selbst die Jüngsten unter uns verzichteten darauf, wie sonst üblich "Oppa" getragen zu werden. Ein wirklich schöner Tag im Monat Mai war vergangen, wir hatten "Mailuft" geschnappt!

-----

Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
Bund der Danziger
Fleischhauerstr. 37
23552 Lübeck

Bei vom Bund der Danziger genehmigten Veröffentlichungen ist zusätzlich ist die Angabe "Übernommen aus dem forum.danzig.de" erforderlich.

-----

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Gisela Schwetje
16.11.2010, 17:51
Hallo Wolfgang, schön, diesen Artikel gelesen zu haben. Ich bin in Gednken mitgewandert.
Lb. Grüße
Gisela