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Wolfgang
23.11.2010, 12:52
Aus "Unser Danzig", Nr.11 vom 10./11. Juni 1967, Seiten 24-25

Wer war einmal in Dreischweinsköpfe?
Von Walter Sperling

Kanada, Südamerika habe ich durchstreift - aber ich war nie auf dem Hausberg meiner Heimatstadt, England, Frankreich, Skandinavien sind mir nicht fremd - aber niemals war ich auf jener nahen Anhöhe, zu deren Füßen sich die stoffgewordene Geschichte meiner Stadt, meiner Heimat, der Ort meiner Kindheit ausbreitete, Afrika bereiste ich - aber für einen Blick von jenem Berg, weit hinaus über See und Ströme, bis zu den verschwimmenden Dörfern der Ferne, hatte ich weder Zeit noch Lust... So etwa lautete die nachdenkliche Beichte eines gleichbetroffenen Memelländers, der das Nichtgesehene beklagte, heute, wo es unerreichbar, begehrenswert geworden ist.

Viel Ungesehenes, das nicht den Rahmen unserer Erinnerung ausfüllt und das wohl wert gewesen wäre, von uns in Gedanken gehütet zu werden, ließen wir zurück. Ach, so vieles wohl! Wer stand schon am Rand des Bischofsberges und sah in die Höfe der Grenadiergasse hinab, in das kleinbürgerliche Getriebe, rund um das tiefliegende Salvatorkirchlein? Wer machte schon einen Sonntagsbummel durch stille Stadtbezirke, zum Bleihof etwa, zum Kielgraben, wo Prähme und rostende Dampferchen, zerfallende Remisen und sehenswerter Krimskrams einen stadtnahen Winkel zum Traumbereich machten? Wer verweilte an dem fast niederländisch aussehenden Leegetor und betrachtete die im Sandstein eingegrabenen Kritzeleien aus geschichtlicher Zeit? Wachtposten fremder Zunge verewigten sich dort, kyrillische Schriftzeichen waren darunter, und es fiel nicht schwer, sich zu vergegenwärtigen, was vor mehr als hundertfünfzig Jahren unsere Stadt erschütterte. Wer ging schon an lauem Sommerabend, begleitet vom Gequak der Frösche, wenn ein großer Mond über der Walddorfer Mühle stand, im Umflutergebiet die Dämme nach Petershagen zu, oder erstieg
die Höhe, um Wonneberg einen Besuch abzustatten, einem wundersamen Fleckchen mit einem einsamen Haus auf der Kuppe eines Hügels, das sich beim Nähergehen als die über den Hügelrand lugende, hausähnliche Spitze unseres Marienturmes entpuppte, der dann höher und höher wuchs, bis das Häusermeer sich vor dem Wanderer aus breitete, ein Bereich, in dem es so viel zu erschauen und zu erleben gab. Gab ...

Wer war schon mal in Dreischweinsköpfe? Das lag in einer Richtung, wo es schon recht ländlich zuging, an einem Weg, der auf der Grenze zwischen Höhe und Niederung verlief: auf dem Radaunedamm!

Wer Petershagen hinter sich ließ, geriet schnell in eine Welt, der man es nicht ansah, dass sie Bestandteil einer großen, lebhaften Stadt war. Hier standen inmitten verkramter Schrebergärten, die merkwürdigen, im alten Festungsbereich auf raschen Abbruch erstellten kleinen Häuschen. Jenseits der von vielen Brückchen überspannten Radaune stieg die Jesuitenschanze an, zu deren Füßen die terrakottafarbene, figurengeschmückte Kirche St. Ignatus ein einfügsames Bild bot. Linker Hand versteckte sich unter ausladenden Laubdächern der alte Viehhof; ab und zu ratterte die Bahn vorbei. Im Stadtgebiet, an der Schönfelder Brücke erhob sich noch einmal betriebsamer Lärm; aber dann wurde es stiller und stiller auf diesem Weg. Dass es sich hier geruhsam leben ließ, haben schon die Hoenes gewusst, die in Ohra ihr Haus errichteten und den hübschen Park mit seinen Teichen anlegten, der in unserer Zeit einladend seine Tore geöffnet hielt. Hier war nichts von jener kalten Pracht, die manchen Kunstgärten eigen ist; das wohlpfleglich Gehaltene, jedoch nicht in strenge Ordnung gezwängte machte diesen Garten vor den Toren unserer Stadt zu einem verwunschenen Plätzchen, an dessen Grenzhecken bereits gelbe Kornfelder wogten. Denn hier begann das Land!

Beiderseitig der träge dahinziehenden Radaune lagen die langgestreckten Gemüsestriche der Kleinbauern, die auf unserem Dominikanerplatz an Markttagen ihre Schätze auszubreiten pflegten. Ein wenig weiter errichteten einst die Ferber ihren Sommersitz. Es war ein reserviert wirkender Bau im Stil seiner Zeit, von etwas verblätternder Pracht, in einer Nische ein kleiner, vergoldeter Löwe. Wohl darum nannte man das Gemäuer Löwenschlösschen. Der Waldberg von Guteberberge erhob sich jenseits der Radaune. Diesseits die sauberen Häuschen der Anlieger. Herr Kriesel -Futtermittel und Naturalien- saß vor der Tür und paffte seine Zigarre; immer saß er da, all die Jahre meines Wanderweges sah ich dieses Bild.

Ein weiß gekalktes Brückchen führte zum Gasthaus; drei Schweineköpfe schmückten das Wappen in der Hauswand. Sie gaben dem "Etablissement" seinen Namen. Hinter der Wirtschaft klapperten im Gastgarten verhalten die dickbauchigen Tassen; es roch nach ländlicher Küche, nach Kaffee und Selbstgebackenem. Unter den breit ausladenden Ästen der Buchen ließ man es sich gut sein. Ein aller Kellner im sehenswerten Biedermeierfrack und ewig schief sitzender Schleife -Rosin war sein Name!- wetzte mit Kuchenbergen zwischen den wenigen Tischen herum und unterhielt die Gäste mit nie stimmenden Wetterprognosen. Jeder kannte das - und ihn.

Steil war der Weg zum Gipfel der Höhe. Aber welch eine Welt bot sich den suchenden Augen . "Unten breitete sich die Niederung aus; das Türmchen von Müggenhahl lugte aus dem Grün der Weiden. Weit hinten lagen gut sichtbar die Bögen der Dirschauer Brücke, und wer Glück hatte, konnte manchmal in der Ferne die blitzenden Turmziegel der Marienburg ausmachen. Da lag nun alles was uns lieb und wert war; der mächtige Strom, der von weit herkam, und die Orte mit denen wir verbunden waren, auch wenn man ihre Lage nur erahnen konnte: Zünder, Gemlitz, Ladekopp, Trutenau, Käsemark, Schönbaum, Letzkau; weiter hinten im Werder: Lichtenau, Neuteich, Tiegenhof und was sich sonst noch ins Bewusstsein rückte. Da meldete sich wohl Fernweh im Herzen des Ausschauenden, das nicht geringer wurde am westlichen Rand des Waldes, wo sich die Äcker der Höhe ausbreiteten und im Lichtschatten der untergehenden Sonne die Umrisse des Dörfchens Borgfeld sichtbar waren. Man wusste, da führte der Weg vorbei, der nach Goschin, Straschin-Prangschin führte und weiter, weiter...

So vieles war zu erträumen und zu vertiefen an dieser Stätte, die den schlichten, vielleicht belächelten Namen "Dreischweinsköpfe" trug. Glücklich, in dessen Erinnerung dies alles einen Platz hat.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

AngelB +12.3.22
15.01.2011, 13:07
Hallo -
hier kann ich auch mal was sagen. Ich habe gerade in einem alten Buch ueber Wanderwege gelesen (stammt von 1899 oder so) und da stand folgendes:

" ... Bei der Chaussee nach Straschin geht man auf das andere Ufer, an den paar Haeuschen vorbei, dann im Felde weiter. Ein Rueckblick auf Danzig zeigt die Stadt in einem wundervollen Architekturgebilde. Vom Walde her dringt Stimmengewirr an unser Ohr - Dreischweinskoepfe ist nah ..."

Viele Seiten spaeter wird der Ort dann noch einmal erwaehnt, und zwar

" .. Weiterhin kommt Dreischweinskoepfe, so benannt nach dem Wappen der besonders im 15. und 16. Jahrhundert in Danzig bluehenden Patrizierfamilie Ferber, die hier ein noch stehendes, grosses Herrenhaus besass, worin 1677 Johann III Sobieski, Koenig von Polen, zu Besuch weilte."

Der naechste Ort schein dann Scharfenort und St. Albrecht, eine Vorstadt von Danzig zu sein.

Gruss
Angelika

Uwe
15.01.2011, 15:25
Hallo Angelika,

das war wenn ich mich richtig erinnere ein Gasthaus benannt nach drei Hügeln in der Nähe. Am besten ist wenn Du dieses hier im Forum als Suchbegriff eingibst, dann müßten die Artikel dazu auftauchen.

Herzliche Grüße

Uwe

Hans-Joerg +, Ehrenmitglied
15.01.2011, 18:38
Genau Uwe....
Hatte ich auch als " Rätsel" hier reingestellt!

Viele Grüße
Hans-Jörg