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Wolfgang
23.11.2010, 13:58
Aus "Unser Danzig", Nr.20 vom 20. Oktober 1967, Seite 17-18

Mit den Autos der Dampferspedition "Brunhilde" durch das Große Werder
von Otto Lemke jun.

Dieser Bericht soll die Erinnerung an unseren schönen Kreis Großes Werder wachrufen. Wer kannte sie nicht, die roten Autos mit gelber Aufschrift der Dampferspedition Brunhilde, Inhaber David Zimmermann und Söhne? Mit ihnen wurde die Fracht, die der Dampfer von Danzig für die Geschäfte der Kreisstadt Tiegenhof und des Werderstädtchens Neuteich und die Umgebung dieser beiden Städte beförderte, zu den Geschäftsleuten transportiert. In meiner Jugend hatte ich, da mein Vater bei der Spedition als Beifahrer beschäftigt war, in den großen Ferien oft Gelegenheit, die Dörfer des Werders kennenzulernen. Morgens um fünf Uhr wurde die Fracht für Tiegenhof auf ein Auto geladen, auf das zweite Auto wurde eine Frachtzusammenstellung für die Dörfer von Rückenau bis zu dem Städtchen Neuteich geladen. Mit den Fahrern Prohl oder Schwarz begann die Fahrt dann schon gegen 7.30 Uhr. Zuerst hielten wir in Rückenau bei der Schmiede und der Werkstatt Döring. Dort wurden Stahlflaschen und einige Eisenrohre abgeladen. Dann ging die Fahrt zur Gaststätte Strochhowitz, wo die von ihm bestellten Waren abgeliefert wurden. Weiter ging es nach Marienau zu den Geschäften und Gaststätten Richter und Ratke. Auf dem Weg nach Neuteich hielten wir auch noch in Brodsack bei Schmiedemeister Schlichting.

Nach zwanzig weiteren Minuten erreichten wir dann das Werderstädtchen Neuteich. Auf dem Wege dorthin winkten uns oft arbeitende Männer und Frauen von den Getreidefeldern zu. Über die Schwentebrücke fuhren wir in Neuteich ein. Die ersten Geschäfte, die wir mit Waren belieferten, waren Buchdruckerei Pech und Richard, Klettke und Eisenwarenhandlung Wittke sowie Fleischerei Klingenberg und Bäckerei Paulwitz. Dann ging es zum Blüchermarkt, nacheinander zu den Geschäften Matzkuhn, Lettau, Fach, Apotheke Jüttner, Ferst, Deutsches Haus (Inhaber Gräf), Heinrich Penner, Kilian und der Apotheke Leuchner. Wenn dort alles abgeladen war, fuhren wir um die evangelische Kirche, im Volksmund Bleistift genannt, da sie einen spitzen Turm hatte, im Gegensatz zur katholischen Kirche, die einen stumpfen Turm besaß und im Volksmund Radiergummi genannt wurde, darauf zu dem Süßwarengeschäft Bruchmann und weiter zu den Geschäften Plebuch und Kossowski. Dann luden wir noch bei Firma Egeling (landwirtschaftliche Maschinen) bestellte Rohre und Fässer mit Öl ab. Von der Zuckerfabrik Neuteich nahmen wir Zucker für die Geschäftsleute in Tiegenhof mit. Vorbei an wogenden Getreidefeldern ging es darauf in schneller Fahrt dem Dorf Groß Lichtenau zu. Dort hielten wir bei Gaststätte und Geschäft Schmidt, wo der Aufenthalt etwas länger dauerte, da der Fahrer und mein Vater ein erfrischendes Getränk gereicht bekamen. Nach dieser Verschnaufpause ging es dann nach Neukirch zu den Gaststätten und Geschäften Pauls und Reich. War die Ware dort abgeladen, fuhren wir über Neuteich zurück, wo wir dann noch beim Tabakmonopol hielten, um Rauchwaren für das Geschäft Ziemens mitzunehmen sowie zu Lehrer Kroll nach Eichwalde, der wieder einmal für seine Bienen Zucker und für sich selbst eine Kiste Wein bestellt hatte. Meistens schenkte er für Fahrer und Beifahrer noch ein Gläschen Wein ein. Nach dem kurzen Umtrunk ging es dann über Marienau und Rückenau nach Großmausdorf zum Geschäft und der Gaststätte Kurt Manhold. Von dort aus traten wir die Rückfahrt nach Tiegenhof an.

Alle acht Tage wurde dann eine Frachtsammlung für die Strecke Orloff bis Neumünsterberg geladen. Auf dieser Strecke hielten wir zuerst bei der Gaststätte Klingenberg und der Reparaturwerkstatt Heinrichs in Orloff. Weiter ging es dann nach Ladekopp zu den Geschäften Schröder und Wiebe. Auf dem halben Wege nach Schöneberg lag das Dorf Schönsee, wo wir kurz bei der Gaststätte Knorr hielten. Auf asphaltierter Straße fuhren wir weiter nach Schöneberg, wo wir u. a. der Reparaturwerkstatt Hövener Ware hinbrachten; dann kamen wir nach Neumünsterberg. Bei der Bäckerei Glodde wurden einige Säcke Mehl abgeladen. Mittlerweile hatte ich dann Hunger bekommen, und mein Vater reichte mir eine Tüte mit "Amerikanern" ins Auto, die ich so gern mochte, weil sie dick mit Puderzuckerguss bestrichen waren. Dann fuhren wir noch zum Geschäft und der Gaststätte Sprung. Wenn dort alles abgeladen war, traten wir wieder die Heimreise nach Tiegenhof an. Hinter Orloff sahen wir dann wieder die Wahrzeichen von Tiegenhof, den Wasserturm, die evangelische und katholische Kirche. Über die Galgenbrücke und über den Ziegelhof erreichten wir schließlich die Dampferspedition.

Genau wie über die Strecke nach Neumünsterberg ging es jede Woche nach Jungfer und bis Einlage an der Nogat. In Fürstenau erinnere ich mich an das Geschäft Klose und an die Schmiede von Paul Kestner. In Rosenort hielten wir an der Schmiede Rosnik. Weiter ging es nach Einlage zum Geschäft Haak. In Reinland wurde nur Geschäft und Gaststätte Preuß beliefert. Auf dem Wege nach Jungfer hielten wir dann noch bei dem Sägewerk Müller Keitlau. Nach etwa zehn Minuten erreichten wir Jungfer. Dort hatten wir Ware für das Geschäft Krause, Kaiser's Kaffee-Geschäft und die Schmiede Schwarz. Da diese Fahrt nicht zuviel Zeit in Anspruch genommen hatte, luden wir, nachdem wir wieder die Spedition erreicht hatten, noch Ware für unsere letzte Strecke, die über Fischerbabke zum Ostseebad Steegen führte. Die erste Station war die Autoreparaturwerkstatt Tetzlaff in Platenhof, wo Stahlflaschen und andere Eisenteile abgeladen wurden. Dann erreichten wir das bekannte Schützenhaus Otto Epp. Dort wurden meistenteils Korbflaschen mit alkoholischen Getränken geliefert. Weiter ging unsere Fahrt nach Tiegenhagen zur Gaststätte Legel. Von dort ging es zügig nach Tiegenort zu den Geschäften Folchert und Wichmann. Auf unserer Fahrt nach Steegen blieb zur linken Hand, nachdem wir die Brücke über die Elbinger Weichsel passiert hatten, die Gaststätte Helgoland, Inhaber Görtz, liegen. Über die Brücke der Königsberger Weichsel erreichten wir dann auf gerader Straße das Ostseebad Steegen, wo wir bei dem Geschäft Wichmann und der Bäckerei Mammei Ware ablieferten. Nach etwa einer 3/4 Stunde erreichten wir dann wieder Tiegenhof und seine Dampferspedition.

Mit den Autos der "Dampferspedition Brunhilde" wurde aber nicht nur Fracht gefahren, sondern alle 14 Tage wurde für die Heeresverpflegungsämter Marienburg oder Elbing Käse befördert. Der Tilsiter und Schweizer Käse wurde von den Käsereien Groß Lesewitz (Verwalter Kriech), Klein Lesewitz (Verwalter Howald), Einlage an der Nogat (Verwalter H. Kobel, Zweiter Verwalter Schmidt), Tiegenort (Verwalter Wunderlich), Steegen (Verwalter Minder) und von der Käserei Jungfer (Verwalter Galli) abgeholt.

Eine kleine wahre Begebenheit möchte ich noch von einer Käsefahrt berichten. Wir hatten Schweizer Käse in der Käserei Neumünsterberg (Verwalter Ingold) geladen, der für Marienburg bestimmt war. Als wir nach Marienburg kamen, fragte der Zollbeamte, was wir geladen hätten. Mein Vater zeigte ihm die Papiere, und der Zollbeamte sagte: "Der Käse muss gewogen werden." Da nun bekanntlich der Schweizer Käse einzeln ein ganz schönes Gewicht hat, guckte mein Vater den Zollbeamten groß an und meinte, die schweren Käse sollen wir alle einzeln wiegen? Der Zollbeamte bestand darauf, der Käse müsste gewogen werden! Mein Vater hatte sich aber von den Käsern zeigen lassen, wo das Gewicht am Rand des Schweizer Käses eingekratzt war. Als nun ein Käse vom Wagen herunter gehoben wurde, nannte mein Vater schon vorher das Gewicht des Käses. Auf der Waage bestätigte es sich. Ein zweiter Käse musste auch noch gewogen werden, und das von meinem Vater vorausgesagte Gewicht stimmte wieder. Daraufhin erkannte der Zollbeamte das Gewicht der ganzen Ladung an. Damit hatten wir uns sehr viel Arbeit erspart, da wir ja nur zwei Käse zu wiegen brauchten.

Mit den Autos wurden auch Umzüge und Ausflugsfahrten gemacht. Ich erinnere mich noch gut, dass die letzten beiden Klassen der evangelischen Volksschule Tiegenhof eine Viertagesfahrt nach Ostpreußen zum Tannenbergdenkmal mit Lehrer Hartmann machten. Auch der Kriegerverein Platenhof und der VFB Tiegenhof machten mit den Autos oft eine Fußballfahrt nach Danzig oder nach Neuteich. Mit meiner Klasse machte ich einmal eine Fahrt nach Marienburg und nach Steegen mit Lehrer Rünger mit, und einmal waren wir mit Lehrer Wächter zum Staatstheater nach Danzig zu der Aufführung von "Kriemhilds Rache" gefahren.

Bis zum Kriegsende fuhren die Autos Tag für Tag durch unser schönes Werder. Nach der Beschlagnahme der Wagen durch die Wehrmacht fuhr mein Vater noch mit einem polnischen Fahrer für die Fahrbereitschaft Tiegenhof Lebensmittel und Ware von den Geschäften, die geräumt werden mussten. Ich hoffe, dass ich mit diesem Bericht in alten und jungen Landsleuten die Erinnerung an unser schönes Großes Werder wachrufen konnte.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
Bund der Danziger
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23552 Lübeck

Bei vom Bund der Danziger genehmigten Veröffentlichungen ist zusätzlich ist die Angabe "Übernommen aus dem forum.danzig.de" erforderlich.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

ingrid.beckert
16.12.2010, 20:00
Hallo Wolfgang,

danke das du diesen Bericht ins Forum reingestellt hast.

Schmiedemeister, Paul Kestner aus Fürstenau gehört zu
meiner Familie/Verwandschaft.

Ich suche noch ein Bericht von Karl Rückwardt - Tiegenhöfer Nachrichten -
Lehrzeit 1935-1938 bei Schmiedemeister Paul Kestner.

Die "Tiegenhöfer Nachrichten besitze ich erst 2007.
Kann man ältere Exemplare käuflich erwerben ?

Viele Grüße aus dem verschneiten
und kalten Thüringen
Ingrid

Wolfgang
16.12.2010, 22:19
Schönen guten Abend,
hallo Ingrid,

einige ältere Exemplare habe ich vor einer Weile nach dem Einscannen angeboten: http://forum.danzig.de/showthread.php?6301-Angebot-Tiegenh%F6fer-Nachrichten-1994-2009.

Außerdem stehen die von mir eingescannten Ausgaben Nr.17-50 (1977-2009) zum Herunterladen auf www.tiegenhof.de bereit. In diesen Download-Exemplaren fehlen aber die Mitgliederverzeichnisse aus denen auch hervorgeht aus welchen Orten die Mitglieder stammen. Diese Angaben zu den rund 1.300-1.400 Mitgliedern sind nur in den gedruckten Exemplaren zu finden.

Wolfgang
17.12.2010, 13:05
Schönen guten Nachmittag,
hallo Ingrid,

den Artikel von Karl Rückwardt über dessen Lehrzeit 1935-1938 bei Schmiedemeister Paul Kestner kannst Du finden unter: http://forum.danzig.de/showthread.php?6675-Lehrjahre-waren-keine-Herrenjahre

ingrid.beckert
17.12.2010, 17:46
Hallo Wolfgang,

danke für deine Hinweise.

Ich werde mir mal am Sonntag in Ruhe die " Tiegenhöfer Nachrichten" anschauen.

Nach überstandenen Umzug von Niedersachsen nach Thüringen, habe ich
in September , mit meiner Familienforschung " Kestner" begonnen.
Teilweise sind die Unterlagen in Kisten verpackt , mein großer PC will auch nicht
so , wie ich es will.
Mein Buch,"Ostseebad Stutthof " wo die Adressen darin sind, habe ich im Mai der
Familie Frischkemuth in Stutthof geliehen. Kann ich im Moment auch nicht nachschauen.

So wie ich aus deinen Beitrag rauslese, sind das lose Blätter ? Oder ?

viele Grüße
Ingrid