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Wolfgang
17.12.2010, 14:00
Aus den Tiegenhöfer Nachrichten 2001 (www.tiegenhof.de (http://www.tiegenhof.de)), Seiten 33-35:

Lehrjahre waren keine Herrenjahre
von Karl Rückwardt

Erinnerungen an die Lehrzeit vom 1.04.1935 bis 30.03.1938 bei Schmiedemeister Paul Kestner in Fürstenau Kreis Großes Werder. Erzähle ich meinen Enkeln aus dieser Zeit, glaubt es kaum einer. Doch bei vielen aus dieser Zeit, wird sich das Niedergeschriebene so oder ähnlich auch zugetragen haben.

Ich wohnte in Pasewark Kreis Danziger Niederung und wurde im März 1935 aus der 8. Klasse der Volksschule entlassen. Mit Hilfe meines Vaters, der auch Schmied war, hatte ich die Lehrstelle bei Schmiedemeister Paul Kestner in Fürstenau bekommen. Eine Lehrstelle zu bekommen war nicht so leicht, da es nicht so viele gab. Die meisten Mädchen und Jungen fanden Arbeit auf den großen Bauernhöfen. So fuhr ich mit meinem Vater mit meinem ersten eigenen Fahrrad, es war für 20 Gulden gebraucht gekauft worden, am Sonntag zur Lehrstelle in Fürstenau. Es war meine erste große Fahrt und Reise. Die Fahrt ging über Junkeracker nach Steegen. Hier bogen wir rechts ab in Richtung Tiegenhof über Fischerbabke, Helgoland und über die Brücken der Elbinger Weichsel, dann weiter über Tiegenort, Tiegenhagen und Platenhof bis zur Kreisstadt Tiegenhof. Nun fuhren wir durch Tiegenhof in Richtung Elbing. Bald teilt sich die Straße einmal in Richtung Jungfer und Zeyer und zum anderen in Richtung Elbing. Im nächsten Dorf in Fürstenau sind wir am Ziel. Ich als kleiner Bengel war ganz schön müde von der 25 km langen Fahrt, hatte ich neben dem Rucksack auf dem Rücken auch noch auf dem Gepäckträger die Arbeitssachen wie Lederschürze und zwei Paar Schlorren. Fast zwei Stunden sind Vater und ich gegen den Wind geradelt.

Der Meister und seine Frau nahmen mich in Empfang. Vater machte sich wieder auf den Heimweg und ließ mich alleine weit weg in der Fremde. Der Meister zeigte mir die Schlafstelle auf dem Dachboden. Unter den Oken stand mein Bett am Schornstein. In den Dachsparren waren Nägel eingeschlagen, das war mein Kleiderschrank und unter dem Bett war eine Holzkiste für die Wäsche. "Es ist nur vorübergehend", sagte der Meister, "unten das Zimmer ist von zwei Gesellen und einem Lehrling belegt, die fahren aber zum Wochenende immer nach Hause. Erst Montags früh um 7 Uhr sind sie wieder da. Wenn Du alles verstaut hast, kommst Du nach unten zu uns in die Stube."

Der Meister ging und ließ mich mit meinen Sorgen und meinem Kummer allein. Die ersten Tröster waren meine Tränen! Mir fehlten so sehr die Mutter, der Vater und mein Bruder. Das erste mal in der Fremde und ganz alleine auf mich gestellt. Am liebsten hätte ich mein Rad genommen und mich auf den Weg nach Hause gemacht. Doch ich legte mich in mein Bett und schlief mit all meinen Sorgen ein. Plötzlich rief eine fremde Stimme meinen Namen, ich solle zum Kaffee kommen. Schnell zog ich mich an und ging die Treppe runter. Da stand die Frau Meisterin und sah mein sorgenvolles Gesicht und nahm mich liebevoll in ihre Arme und sagte: "Aller Anfang mein Junge ist schwer, doch die Zeit heilt alle Wunden."
Gleich ging es mir besser und ich hatte Vertrauen.

Ich ging mit in das Zimmer und nahm an einem langen Tisch Platz und wunderte mich über dessen Größe. Es waren zugegen der Meister und seine Frau mit ihren zwei Söhnen, 4 und 10 Jahre alt, und ich der neue Lehrling. Wir haben gegessen und Kaffee getrunken, doch keiner sprach ein Wort. Vater und Mutter hatten mir eingebläut nur etwas zu sagen wenn ich gefragt würde. Plötzlich sagte der Meister: "Ansonsten sind wir zum Frühstück um 8:00 Uhr: die Familie, zwei Gesellen und zwei Lehrlinge, die hier auch übernachten. Zum Mittagessen sind noch drei weitere Gesellen dabei, die um 7:00 Uhr anfangen und um 18:00 Uhr nach Hause fahren. Am Tisch hat jeder seinen Platz, zwei Plätze sind nicht belegt, sie sind reserviert für Aushilfskräfte Tischler oder Maler. Wir haben hier nicht nur einen reinen Schmiedebetrieb, sondern führen auch Motoren-, Dampfkessel-, Strohpressen- und Dreschkastenreparaturen durch, sowie Wagenbau, Pflugbau und Schornsteinbau, außerdem Arbeiten in Molkereien, an Wassermühlen, Mähmaschinen und noch vieles mehr. Unsere Arbeitszeit ist im Sommer von 6:00-18:00 Uhr und im Winter von 7:00-17:00 Uhr aber oft auch länger je nach Kundenbedarf. Für den Lehrling im 1. Lehrjahr fängt der Tag wie folgt an: Nach dem Wecken alle Schuhe putzen, die auf der Treppe stehen. 250 Schläge mit der Schwengelpumpe Wasser in die Tonne pumpen. Vom Bauern Schröder mit dem Fahrrad 10 Milch holen. Danach meldest Du dich bei mir und gehst mir oder einem Gesellen zur Hand. Um 10:00 Uhr meldest Du dich bei der Meisterin, um zum Kaufmann zu fahren und die Einkäufe zu Tätigen."

Die Meisterin hatte keine Haus- oder Küchenhilfe, außer einer alten Frau, die die Kartoffeln schälte oder das Gemüse putzte. Bei den vielen Leuten zu Tisch hatte die Meisterin genug zu tun. Am Samstag wurde bis zum Kaffee gearbeitet, dann fuhren die Gesellen nach Hause. Die zwei Lehrlinge mußten die Feilbänke säubern, das Resteisen sortieren und ordnungsgemäß in der Eisenecke aufstellen. Die beiden Hallen mußten ausgefegt und die Maschinen geputzt werden, dazu gehörten zwei Drehbänke und zwei Bohrmaschinen, die Schneideisen und Kluppen und die Feueresse. Wenn diese Arbeiten fertig waren, kam der Meister, um sie zu begutachten und sagte: "Ihr könnt fahren", und drückte uns noch 2 oder 3 Gulden in die Hand. Wir machten einen Diener, bedankten uns und sagten auf Wiedersehen. Dann schöpften wir zwei Eimer Wasser aus dem Dorfgraben, der an der Schmiede vorbei führte und erwärmten es mit einem glühenden Wagenachsschenkel. In der Schmierhalle, in der sonst die Pferde beschlagen wurden, wuschen wir uns dann. - So auch Tag täglich nach Feierabend. Zuerst durften sich die Gesellen waschen und dann die Lehrlinge. Der Lehrling im 1. Lehrjahr war dafür zuständig das Wasser zu erwärmen und anschließend die Eimer zu reinigen. - Hatten wir uns gewaschen und umgezogen ging es ab nach Hause. Meistens kamen wir Jungen erst zwischen 18:30 und 19:00 Uhr weg. Ich war dann, je nach Wetterlage, so um 21:00 Uhr daheim.

Leider ging es nur alle 14 Tage so, denn jeden zweiten Sonntag mußten wir nach Tiegenhof von 8:00-11:00 Uhr zur Berufsschule. Der Lehrer war der Schmiedemeister Niblau aus Tiegenhof, der auch der Obermeister der Schmiedeinnung war. Er unterrichtete uns in Hufbeschlag und Wagenbau. Sein Steckenpferd war der Hufbeschlag, sowie Pferde- und Hufkrankheiten. Diesen Berufsschulunterricht hatten wir nur ein Jahr lang, dann wurde er von den Nazis abgeschafft, da die Jungen lieber zum HJ-Dienst sollten. So hatten wir einen freien Sonntag mehr.

Unser Meister war ein vielseitiger und guter Fachmann. Er war im Großen Werder weit und breit bekannt. Wir hatten immer gut zu schaffen in den Dörfern wie Lakendorf, Tiege, Rückenau, Marienau, Rosenort, Einlage, Klein- und Groß Mausdorf, Lindenau oder Brodsack, um nur einige zu nennen. Wir führten Reparaturen an Lokomobilen, Dreschkästen, Pressen, in Molkereien, an Wassermühlen, Blechschornsteinen aus und vieles mehr, einschließlich der Vorbereitungen für Kesselprüfungen durch den TÜV. Die Revisoren kamen zum bestellten Termin aus Danzig, blieben meistens eine Woche und fuhren von einer Besichtigung und Druckprobe zur anderen.

1936 hatte sich unser Meister Kestner schon einen PKW Opel P4 angeschafft. Nun konnten wir schneller an die verschiedenen Arbeitsplätze kOlnmen. Mit dem Fahrrad war dies oft sehr beschwerlich, denn viele Höfe und Molkereien waren nur über Triften zu erreichen. Diese waren je nach Witterung oft beschwerlich zu befahren. Auf den Höfen und bei den Molkereien gab es immer ein gutes, kräftiges Frühstück, Mittagessen und eine Kaffeezeit. Man kannte die guten und die schlechten Stellen.

Die meisten Molkereien wurden 1936 nach und nach geschlossen und es kamen die Molkereigenossenschaften. Für diese Milchfachbetriebe wurden gummibereifte Wagen gebaut. Die von Pferden gezogen wurden. Fürstenau hatte eine solche Großmolkerei. Fast ein Jahr lang habe ich dort im zweiten Lehrjahr gearbeitet. Die Kessel und die Dampfmaschine aufgestellt, sämtliche Transmissionen und Rohrleitungen verlegt, die großen Käsebottiche angeschlossen und die Regale im Käsekeller gebaut. Bei diesen Arbeiten habe ich viel gelernt. Noch heute bin ich dem Lehrbetrieb von Paul Kestner dankbar für die Vielseitigkeit, die man mir beigebracht hat aber auch den Gesellen Paul Maschke aus Grenzdorf, Meister Zipp aus Tiegenhof, Meister Star aus Lakendorf, Meister für den Hufbeschlag Heinrich Koch aus Fürstenau und dem Gesellen Heinz Stein aus Steegen.

1938 machte ich in Brodsack meine Gesellenprüfung, die ich mit "gut" bestanden habe! Als Geselle im 1. Jahr verdiente ich 15 Gulden in der Woche bei freier Unterkunft. Die Altgesellen verdienten 25 Gulden. Leider hatte ich nur ein Gesellenjahr, denn dann kam der Krieg und sein trauriges Ende.

Dies ist mein Beitrag aus der alten Heimat.

ingrid.beckert
17.12.2010, 18:03
Hallo Wolfgang,

ich freue mich und danke dir, für diesen Beitrag.
Ist wirklich super.

viele Grüße
Ingrid

waldling +6.8.2023
21.11.2014, 17:23
Guten Tag zusammen,

in dem Bericht wird der Schmiedemeister Niblau, Obermeister der Schmiedeinnung erwähnt.


Mein Urgroßvater Friedrich Wilhelm Rosenbaum war Schmiedemeister und hatte eine Schmiede in Glabitsch. Sein Geburtsort soll Zinten/Kreis Heiligenbeil gewesen sein. Leider bin ich dort nicht fündig geworden und habe wohl so ein toten Punkt erreicht.

Aber vielleicht wäre die Schmiedeinnung ein neuer Ansatzpunkt. Die Schmiedemeister wurden doch bestimmt namentlich dort genannt. Wenn, dann müsste er so etwa zwischen 1860 und 1900 dort genannt sein.

Hat jemand eine Idee, ob es derartige Listen noch gibt und wo ich sie gegebenfalls einsehen könnte?

Ich danke im Voraus!
Uwe