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Wolfgang
18.12.2010, 18:05
Aus "Unser Danzig", Weinachten 1964, Nr.24, Seite 5

Weihnachtsstimmung im alten Danzig
von Erich Freiwald

Die Winter in unserer Heimat waren anders; vielleicht sind sie, wie allgemein, jetzt auch dort milder geworden. Doch als wir noch "zu Hause" waren, war Weihnachten ohne Schnee so gut wie undenkbar.

Wenn starker Schneefall eingetreten war, und das war nicht so selten wie heutzutage, dann war unser schönes Danzig in eine große weiße Decke eingehüllt. Der Schnee blieb zu unserer Freude oft wochenlang liegen. Dann standen auf dem langen Markt statt Pferdefuhrwerke Schlitten und warteten auf ihre Fahrgäste; da litten auch die Spatzen keine Not und kamen gut durch manchen sehr kalten Winter. Wie herrlich war es, wenn so ein Schlitten mit den Glocken und dem Schellengeläut durch die Straßen glitt. Oft fuhr ein herrschaftlicher Schlitten durch die Langgasse, der Kutscher saß hinten breitbeinig auf seinem Sitz und feuerte, mit der Peitsche knallend, die Pferde an, weil es ja keine Geschwindigkeitsbeschränkungen gab. Mancher blieb da stehen und sah diesem Bilde nach.

Wir Jungen und Mädchen konnten ungefährdet auf unseren Schlitten durch die Straßen fahren, und nur ab und zu erinnerte der Peitschenknall eines Kutschers daran, daß wir zur Seite gehen mußten, doch alles geschah in Ruhe und Gemütlichkeit. Fuhren dann die Petroleumwagen mit ihren großen Rädern knirschend durch den tiefen Schnee, dann strömten die Frauen aus den Häusern, um einen Kanister des so unentbehrlichen Öls zu kaufen. Alle waren fest eingemummt, wir Jungen hatten die runden Mützen auf, die wir herunterziehen konnten, so daß nur die Augen hervorschauten. In der Langgasse lockten uns vor den Kaufhäusern die großen Bogenlampen, die ab und zu auch streikten, weil ihre Kohlenstifte verbraucht waren und durch neue ersetzt werden mußten.

Was waren dort in den Schaufenstern der Geschäfte nicht für Herrlichkeiten zu sehen! Wir drückten unsere Nasen platt, um uns nichts entgehen zu lassen. Freymann, Edelstein und Sternfeld waren die Hauptanziehungspunkte. In der Heiligen-Geist-Gasse war ein Geschäft, das Hunderte von Kindern anlockte, die frierend davorstanden und dem Kasperlespiel zuschauten. In anderen Jahren war dort das Johannisfest in Jäschkental in Miniaturausgabe aufgestellt. Die Paare drehten sich sogar im Kreise, kleine elektrische Birnen illuminierten den Festplatz, und wir konnten nicht genug davon sehen. Kein noch so starker Frost hielt uns davon ab, wir standen stundenlang und konnten uns nicht davon trennen.

Der Heumarkt zog uns im Winter mächtig an. Da standen die Händler und boten ihre Weihnachtsbäume an. Ein wahrer Wald war aufgebaut, von weitem rochen wir schon den Tannenduft. Bei kärglicher Beleuchtung durch einfache Stalllaternen wirkte alles so romantisch und vorweihnachtlich auf uns, kleine Tannenzweige gaben die Händler gerne, die sich im "Blanken Tonnchen" ab und zu aufwärmten. Gelegentlich durften wir auch für ein oder zwei Dittchen einer Madame ihren Baum heimtragen, und das taten wir natürlich so gerne, denn die Dittchen waren für uns Kinder eine Seltenheit und blieben es auch. Damals gab es noch für wenig Geld eine Menge Herrlichkeiten zu kaufen, es waren eben "Herrlichkeiten" für uns. Gingen wir dann durch das Langgasser Tor heim, dann standen dort in der Georgshalle, wo die Blumenhandlung Brüggemann war, die manchmal sehr kleinen Kinder und hielten vor sich eine selbst gebastelte Weihnachtskrippe, meistens nur aus einer Zigarrenschachtel hergestellt, und sangen die schönen Weihnachtslieder auf ihre Art, oft mit zitternder Stimme. Die Nasen leckten, die Hände froren, aber manch ein Pfennig oder gar Sechser oder Dittchen wanderte in ihre Krippe. Das gehörte nun einmal in die Zeit vor Weihnachten, und man konnte sich keine Adventszeit vorstellen ohne diese Krippensänger. Jeder hatte sein Herz geöffnet und gab gerne.

An Sonntagen in der Adventszeit erklangen vom Marienkirchturm die schönen Weisen, und andächtig hörten viele Menschen zu und wurden froh und freudig. Gingen wir dann zur Langen Brücke, da staunten wir: die Mottlau war zugefroren, und Eisbrecher rissen eine Fahrrinne auf, aber leichtsinnige Buben riskierten es doch, aufs Eis zu gehen. Oft war dann der Frost schon so stark und strenge gewesen, daß an der AschbrüCke bereits die Eisbahn eröffnet werden konnte. Dann wurden schnell die Schlittschuhe vom Boden geholt, für fünf Pfennige Eintritt konnte man sich in der Kunst des Eislaufes üben bei der Musik eines Leierkastens. Da sah man alt und jung sich tummeln. War man müde oder gar durstig, oder war einem kalt geworden, dann konnte man in das auf einem alten Prahm gebaute Restaurant gehen und dort einen heißen Grog trinken oder eine Porzel und auch anderes verzehren. Tourenläufer liefen auf der etliche Kilometer weiten Eisbahn nach Krampitz. War das schön, auf der spiegelglatten, aber mitunter auch unebenen Eisbahn schnell dahinzugleiten! Einige benutzten dabei sogar ein kleines Segel, das sie vor sich hielten, und kamen dann in wenigen Minuten nach Krampitz oder gar noch weiter. Selbst in den Schulen wurde damals am Nachmittag der Eislauf gepflegt, und das machte die Jugend gesund.

Ja, so war das vor etwa 50 oder 60 Jahren in der Vorweihnachtszeit, die in unser Gedächtnis so tief eingegraben ist, daß wir uns jetzt daran sonnen und erfreuen und damit auch unsere alte, liebe Heimat Danzig nicht vergessen können.

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Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

Weitere Verwendungen / Veröffentlichungen bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch den Rechteinhaber:
Bund der Danziger
Fleischhauerstr. 37
23552 Lübeck

Bei vom Bund der Danziger genehmigten Veröffentlichungen ist zusätzlich ist die Angabe "Übernommen aus dem forum.danzig.de" erforderlich.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

djjack
26.12.2020, 11:11
Hexenhaus – Weihnachten am Hühnerberg 9 (http://www.opowiadaczehistorii.pl/hexenhaus-weihnachten-am-huhnerberg-9/)

Ulrich 31
26.12.2020, 13:39
Danke, lieber Jacek, für diese schöne Weihnachtsgeschichte aus der heutigen Niederstadt, erzählt vom bekannten Danziger Stadtführer Andreas Kasperski.

Es ist, bemerkenswert, die erste Reaktion auf Wolfgangs "Weihnachtsstimmung im alten Danzig" vom 18.12.2010 - trotz mehr als 3000 "Hits" danach.

Für diejenigen Forumer, denen Danzig wenig oder gar nicht vertraut ist, hier zu Jaceks Artikel die Erläuerung zur Straße Hühnerberg in der Niederstadt: > http://www.danzig.at/index.php?id=48,45,0,0,1,0.

Mit besten Weihnachtsgrüßen
Ulrich

djjack
26.12.2020, 14:36
Danke, lieber Jacek, für diese schöne Weihnachtsgeschichte aus der heutigen Niederstadt, erzählt vom bekannten Danziger Stadtführer Andreas Kasperski.

Es ist, bemerkenswert, die erste Reaktion auf Wolfgangs "Weihnachtsstimmung im alten Danzig" vom 18.12.2010 - trotz mehr als 3000 "Hits" danach.

Für diejenigen Forumer, denen Danzig wenig oder gar nicht vertraut ist, hier zu Jaceks Artikel die Erläuerung zur Straße Hühnerberg in der Niederstadt: > http://www.danzig.at/index.php?id=48,45,0,0,1,0.

Mit besten Weihnachtsgrüßen
Ulrich
Danke Ulrich für die schönen Worte.
Und hier ist die Geschichte der Hüherberg (http://www.opowiadaczehistorii.pl/huhnerberg-kurza/), wie sie von den Geschichtenerzählern der Niederstadt in Danzig erzählt wurde...

Ulrich 31
26.12.2020, 17:56
Kleine, aber wichtige Korrektur zu meiner Angabe in #3: ". . . , erzählt vom . . . Andreas Kasperski." Tatsächlich hat diese Geschichte Jacek erzählt (siehe auch Angabe als Autor), während Andreas Kasperski sie übersetzt hat (wie auch die Geschichte vom früheren Hühnerberg in #4).

Ulrich

Ulrich 31
25.12.2021, 12:25
Hallo zusammen,

diesen Thread ergänze ich mit einer Geschichte vom ersten Weihnachtstag 1746 in Danzig, bei der es um einen Weihnachtsbraten geht. Sie wurde am 16. Dezember 2021 vom Danziger Stadtportal gdansk.pl veröffentlicht.

> https://www.gdansk.pl/historia/wypisy-gdanskie/swiateczna-pieczen,a,210655. (Ggf. bitte nach bekannter Anleitung übersetzen.)

Schöne Weihnachtsgrüße
Ulrich

Ulrich 31
25.12.2021, 12:36
PS zu #6:

Für diejenigen, die mit der eigenen Übersetzung der inzwischen in Polnisch erscheinenden Link-Geschichte nicht klar kommen, hier die deutsche Übersetzung:

> https://www-gdansk-pl.translate.goog/historia/wypisy-gdanskie/swiateczna-pieczen,a,210655?_x_tr_sl=pl&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de.

Ulrich

christian65201
25.12.2021, 14:49
Ulrich,
vielen Dank für den Link zu der netten Weihnachtsgeschichte.

Christian

Inge-Gisela
25.12.2021, 17:15
Hallo Ulrich,

eine nette Geschichte, die man übersetzungsmäßig gut verstehen kann, auch wenn man bei einigen Wörtern rätseln muss, was sie bedeuten. Aber ich bedanke mich auch unbekannterweise bei der Übersetzerin.

Lieben Gruß

Inge-Gisela

Ulrich 31
25.12.2021, 18:00
Hallo Inge-Gisela,

bitte nenne mir die Wörter in der deutschen Übersetzung der betr. Geschichte (gerne auch per PN), bei denen Du rätseln musst, was sie bedeuten. Ich werde mich dann bemühen, sie zu enträtseln, und Dir das Ergebnis mitteilen.

Viele Grüße
Ulrich

Inge-Gisela
27.12.2021, 18:08
Ulrich, danke.
Dank PN ist die Übersetzung für mich jetzt gut verständlich. Einige Ungereimtheiten könnten vielleicht mit meinem Computer zusammenhängen. Vielleicht werden manche polnischen Buchstaben bei mir nicht richtig in die deutschen übertragen.

Einen schönen Abend, hier ist es lausig kalt.

Inge-Gisela