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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fred Otte: Pfingsten 1944 in Danzig



Wolfgang
17.01.2011, 22:10
Schönen guten Abend,

Fred Helmut Otte, einer unser älteren Teilnehmer der heute in Poughkeepsie, NY lebt, bat mich, einen Auszug aus seinen Tagebuchaufzeichnungen in unser Forum zu stellen. Fred selber kam nicht aus Danzig, aber er schrieb mir, dass sein Grossvater aus der Danzig Gegend kam.


Vorwort.
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Am besten ist es wohl das alte Tagebuch Wort für Wort wiederzugeben. Als meine Heimatstadt nenne ich Wien, weshalb der Leser einige süddeutsche Ausdrücke finden wird. Weil wir Verwandte in Königsberg hatten habe ich dort ein Semester studiert. Während der Pfingstferien 1944 besuchte ich Danzig, wo mein Großvater aufgewachsen war. Weil ich kaum 19 war bitte ich um Verständnis für die ab und zu jugendlichen Frühlingsstimmen.

PFINGSTEN 1944 IN DANZIG.

25.Mai 1944
In Anbetracht der Pfingstferien fahre ich morgen auf einige Tage nach Danzig und Zoppot.

26.Mai 1944
Erst will ich gar nicht fahren weil es gar so schüttet. Fahre mit dem 2.Zug, nette Reisebekanntschaft, Berlinerin. Etwas kalt - nasskalt! Mittag in Danzig. Mache verschiede Bummel durch die Stadt und gewinne Eindrücke über Eindrücke. Leute bedeutend freundlicher als in Königsberg. Bin nur mit bester Schale und Aktentasche (Pyjama, Hausschuhe, Kulturbeutel, Brot) und Foto. - Danzig unvergleichlich schöne Stadt, großartige Bauten, kleine Hansahäuser, alte Gasserln, alles in helles Grün gekleidet. Fahre ein Stückchen durch den Hafen per Schinackel, bewundere das und jenes, kleine Häuschen, die von alten Zeiten künden, den Hafen mit rasselnden Kränen, riesigen Fachwerkspeichern und Seeschiffen. Natürlich auch die Berühmtheiten: Krantor, Marienkirche, "Langer Markt" entzückend mit Rathaus! Das ist der Mittelpunkt mit den erwähnten schmalen Häusern und grünen Bäumen, Häuser oft mit Gold verziert. - Ferner fabelhafte Straßenbahn, ruhiges fahren, moderne Wagen, gepolsterte Sitze. Das Palast Cafe mit guter Jazz begrüßt mich mit "Schließ deine Augen und träume". Unterkunft in einem Art Studentenheim. Abends blauer Himmel und Sonne - was will ich mehr ....

27.Mai 1944
Herrlichen Tag verlebt. Strahlendes Wetter. Gleich hinaus ans Meer nach Zoppot. Fabelhaft. Große gepflegte Anlagen mit Stiefmütterchen in allen Farben und Tulpen, der Strand mit dem tiefblauen Meer, Strandkörbe. Pompöse Hotels, Kasinohotel, Kurhaus. Richtiges Sommerfrische-Milieu: die Vorzüge der Stadt mit denen des Landes vereinigt. Damen in langen Hosen und Sonnenbrillen. Überall Parkanlagen, moderne Cafes und weiße Bankerln überall, alles so sauber. Es kommt einem vor wie im Frieden, nur draußen die Kriegsschiffe und die vielen Flugzeuge erinnern an den Krieg. Natürlich fehlt auch der Tanz.
Großer breiter Seesteg mit Bänken, setze mich da neben eine Hübsche, unterhalte mich, sonne mich, genieße die Seeluft, betrachte den schönen Strand, die Strandpromenade mit den im jungen Grün stehenden Bäumen. Zwischen dem Rauschen der Brandung mischen sich flotte Rhythmen, auch Wiener Melodien aus dem Lautsprecher, dazwischen kommen Luftlagemeldungen und da ist man dankbar, daß man hier so genießerisch sitzen kann, während sie in Westdeutschland in den Keller müssen. So könnte man stundenlang weiter schwärmen. In Kurhaus gibt es so gutes und reichliches Essen, daß es fast für mich zu viel wird. Es ist ein ganz vornehmes Lokal mit nur bestem Publikum, wie ein Köning kommt man sich vor und man sich richtig wohl fühlen. Und dann die dezente Einrichtung, einfach fabelhaft. Nachmittags sind etwas mehr Leute, alles freut sich über das schöne Pfingstwetter. Ich spaziere etwas außerhalb, ziehe mich aus und lege mich an den Strand (natürlich auch neben eine Hübsche). Es wird ordentlich warm, so daß ich ein erfrischendes (kann man wohl sagen) Bad nehme in den salzigen Fluten. Äußerst gottvoll! Anschließend Dauerlauf. Hier riecht es so richtig nach Tang.
Abends mache ich noch einen Bummel durch Danzigs Altstadt. Wenn man so durch die alten Gassen schlendert fühlt man sich wirklich ein bisserl in alte Zeiten zurück versetzt. Die goldene Abendsonne fällt schräg, fast waagrecht in die Gassen mit den schmalen, etwas schiefen Häusern und spiegelt sich wieder in den blank geputzen Fenstern. Auf das altertümliche Kopfsteinpflaster selbst treffen nur einzelne Sonnenstrahlen die von dem jungen Laubwerk der knorrigen Bäume durchgelassen werden. Diesen alten Bäumen, die hier mitten in der Stadt wachsen, sieht man förmlich an, daß sie es nicht leicht hatten, sich hier zwischen den Steinen zu behaupten. Alle stehen schief und krumm da, wie ein alter Mensch wenn er hier nach dem Wetter schauen will. Die Luft ist lau und von Tönen aller Art erfüllt. Hier tratschen 2 alte Weiblein mit Kopftüchern, da latscht ein alter Schiffer mit Pfeife übers Pflaster und viele Kinder rufen und lachen und spielen "Vater, leih mir d'Scher". Dazu bellt irgendwo ein Hund und von ferne tönt ein Schifferklavier aus einem offenen Fenster. Jedes Haus hat eine steinerne Vor-Terasse, etwas über dem Niveau der Straße, da stehen die Leute in Gruppen beisammen und freuen sich auf Pfingsten. Eine Schar froher, junger Mädchen kommt daher, ein jedes hat einen großen Strauß Flieder im Arm. Über alles erhaben klingt auf einmal das Glockenspiel des Rathauses. Dann liest man die Aufschrift "LSR" und es kommt einem zum Bewußtsein, daß dieses Idyll innerhalb weniger Minuten zerstört sein kann. Man tritt durch ein altes dunkles Tor und übersieht plötzlich den Hafen mit einer Menge von grauen und schwarzen Schiffen. Etwas weiter ragt das Wahrzeichen Danzigs, das Krantor zwischen den niederen mittelalterlichen Häusern hervor. Das Wasser ist ölig und schwarz und dennoch hell, auf der anderen Seite stehen, von der Abendsonne beleuchtet wuchtige große Speicher, meist in Fachwerkbau. Schlendert man ein bisschen weiter, so hält auf einmal heulend eine Elektrische neben einem, man steigt ein in den modernen Wagen und man ist bald wieder Großstädter. Im übrigen wimmelt es im Danzig von Matrosen, sehen alle sehr fesch aus in ihren dunkelblauen Uniformen und den weiten Hosen. Eindruck von Danzig natürlich noch viel besser als hier geschildert.

28.und 29.Mai 1944 (Pfingsten)
Einfach herrliches Wetter. Zwei selten schöne Tage in Zoppot verlebt. Auch Oliva besichtigt. Bemerkenswerter Schlossgarten. In Zoppot finden wir uns zu einer netten Gruppe zusammen: Zwei Kindergärtnerinnen, Hannelore, angenehm mollig und Irmgard die hübschere, etwas spröde. Heinz, ein Jurist mit einem Arm, sehr netter Kerl, schon fertig studiert und 2 Mediziner. Tagsüber im Sand gebraten und im Meer geschwommen. Aufs Mittagessen mussten wir zwei Stunden warten, nicht viel besser abends. Auf dem Seesteg promeniert und geblödelt, der Kurkapelle (Hans Busch) gelauscht, Leute verlästert, im Cafe gesessen wo auch Musik war, wirklich nett und gemütlich. Immer erst mit dem letzten Zug zurück um halb 12.

30.Mai 1944
Noch ein schöner Tag. Vormittags noch einmal mit Hanne und Irmi unter kundiger Führung von Heinz durch Danzig spaziert. Mittag in Oliva. Anschließend in den Wald ganz wundervoll im kühlen Schatten gelegen, gelacht, ein klein wenig geküsst und geträumt.
Später den Nachmittag fahre ich nach Gotenhafen. Häßlich, verwahrloste Gstetten, Müllhaufen, Zementkasten. Allerdings ein großartiger Hafen, man kann aber nicht dazu, man sieht nur riesige Kräne, Speicher, Kriegsschiffe. Ein ebenso großer Güterbahnhof (der andere ist kümmerlich). Abends D-Zug nach Königsberg wo ich vor 23 Uhr ankomme.

Christkind
17.01.2011, 22:55
Schönen Dank an Fred!
Er hat die Tage sehr genossen, man spürt es.
Die Matrosen haben sicher das Straßenbild sehr farbenprächtig gestaltet.
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Mit Grüßen von Christa