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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gauschulungsleiter Wilhelm Löbsack



asche
29.01.2011, 16:24
Eine bedeutende Rolle bei der Judenverfolgung, insbesondere bei der Enteignung/Beraubung, soll Wilhelm Löbsack gespielt haben, bekannt aus der "Blechtrommel". Er saß nach dem Krieg knapp drei Jahre im Zuchthaus, verurteilt in den Nürnberger Prozessen, und wurde dann Groschenroman-Autor (http://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Kenney). Wer kannte ihn persönlich und weiß mehr zu berichten?

Wolfgang
29.01.2011, 22:47
Schönen guten Abend,

Wilhelm Löbsack hat bereits in den frühen dreißiger Jahren eine Biographie über Nazi-Gauleiter Albert Forster geschrieben. Bereits darin wird gegen Juden gehetzt und verlangt was man mit politischen Gegnern tun soll: Einfach an die Wand stellen.

Ich habe dieses viele Jahre vor Kriegsausbruch und vor der tatsächlichen physischen Vernichtung der Juden und politischen Gegner geschriebene Buch, sprich: deren Ermordung, noch in Deutschland liegen. Es legt einen eindeutigen und unwiderlegbaren Beweis dafür ab, dass die Nazis niemals damit zurückgehalten haben was sie tun werden, wenn sie erst an der Macht sind.

asche
29.01.2011, 23:27
Guten Abend,
von der Biografie (1934, anscheinend zwei verschiedene Bücher) weiß ich auch, habe sie aber nicht gelesen. Die politischen Äußerungen der beiden Herren dürften denen Hitlers entsprechen, und der hat ja schon in "Mein Kampf" kaum ein Blatt vor den Mund genommen. Lediglich in öffentlichen Reden hielten die Nazis sich bedeckt, um die Fernstehenden (die mehrheitlich keine Nazi-Bücher lasen) nicht zu verschrecken.

Mich interessiert, wie sich Löbsack als Amtsträger verhielt, sozusagen in den Rollen von Goebbels, Göring und Eichmann in Personalunion. Er wohnte in Zoppot, Konradshammerweg 1, und hatte mit einigen Zoppotern nach dem Krieg Kontakt. Sicher hat er sich auch politisch geäußert. Wer erinnert sich daran? (Es geht in unserer Familie das Gerücht, er habe sich bei meinem Onkel anbiedern wollen, der ihn aber abblitzen ließ; Löbsack war vormals ein arroganter "Goldfasan" und mein Onkel Gymnasiast in der Nachbarschaft gewesen).

asche
03.02.2011, 14:38
Löbsack kommt auch in dem Artikel von Robert Sanders vor, den Wolfgang uns bereits vermittelt hat (http://forum.danzig.de/showthread.php?4332-Auswanderer-in-f%FCnfj%E4hriger-Odyssee-Das-Schicksal-der-Danziger-Juden. Zu Recht wird der Mann angeprangert; mich würde aber zusätzlich interessieren, auf welche Weise er sich als Biedermann sah und verkaufte. Immer wieder liest man, wie auch nach dem Krieg die Begriffe Anstand, Patriotismus und Kameradschaft weiterhin von den Eliten der Nazizeit monopolisiert und zu ihrer Entlastung eingesetzt wurden; Löbsack scheint mir ein gutes Beispiel zu sein.

Um meine eigene Haltung zu verdeutlichen: bei allem Respekt möchte ich mir Wolfgangs Satz "Am Krieg hatte Deutschland schuld" nicht zu eigen machen. Länder oder Völker haben keine Schuld und sind nicht schuld an irgend etwas, nur Personen. Wer im Einzelnen wie viel Schuld trägt, ist oft schwierig zu beurteilen, dies ist zum Glück nicht meines Amtes. Gerne wüsste ich aber, welche Motive und Ideen die Leute umtrieben. Ehrgeiz, Lust an der Macht und am Geld ist nicht die komplette Antwort. Manch einer brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig Zyniker (wie Göring) und Fanatiker zu sein, speziell in der sogenannten Judenfrage.

Eine bedeutende Rolle spielte die abstruse Idee, die Juden als Kollektiv hätten die Niederlage Deutschlands 1918 herbeigeführt. Hitler glaubte dies tatsächlich und war noch 1945 der Überzeugung, die Ermordung aller Juden würde auf magische Weise (durch "Entgiftung des Volkskörpers") Deutschland den Sieg sichern. Daher wurden sogar Reichsbahnzüge, die für Militärtransporte benötigt worden wären, zugunsten des Holokausts umdirigiert. Merkwürdig ist vor allem, dass sich anscheinend so viele Leute von der Paranoia anstecken ließen, entgegen ihren eigenen Interessen.

Kann jemand weitere Details zu diesen Fragen beitragen, insbesondere Danzig und Zoppot betreffend? Die gesamte Zeit ab 1919 ist diesbezüglich bedeutsam.

Poguttke
03.02.2011, 20:07
ja zu dieser person wilhelm löbsack gibt es bei wikipedia leider noch keinen artikel.

asche
03.02.2011, 22:56
Poguttke: ... bis auf den erwähnten Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Frank_Kenney. Dort wird auf die Quelle verwiesen, ein Spiegel-Artikel von 1951, also lange vor der eigentlichen Auschwitz-Diskussion; sehr lesenswert (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29193320.html). Sicher wissen einige von uns noch mehr zu berichten. An welcher Schule lehrte er, bevor er Politiker wurde? Welche Fächer, welche Lieblingsinhalte? Wie wirkte er als Mensch?

Sanders Schmähungen zu Äußerlichem sind weder hilfreich noch "politisch korrekt". Grass hatte da mehr zu bieten - Zitat aus der "Blechtrommel" 1959, die Szene spielt anscheinend ca. 1929 [wer weiß es genau?], wohlgemerkt der Hauptperson in den Mund gelegt und daher ohne Anspruch auf Objektivität und "politische Korrektheit":

Es sprachen entweder Greiser oder der Gauschulungsleiter Löbsack. Der Greiser fiel mir nie besonders auf. Er war zu gemäßigt und wurde später durch den forscheren Mann aus Bayern, der Forster hieß und Gauleiter wurde, ersetzt. Der Löbsack jedoch wäre der Mann gewesen, einen Forster zu ersetzen. Ja hätte der Löbsack nicht einen Buckel gehabt, wäre es für den Mann aus Fürth schwer gewesen, in der Hafenstadt ein Bein aufs Pflaster zu bekommen. Den Löbsack richtig einschätzend, in seinem Buckel ein Zeichen hoher Intelligenz sehend, machte ihn die Partei zum Gauschulungsleiter. Der Mann verstand sein Handwerk. Während der Forster mit übler bayrischer Aussprache immer wieder "Heim ins Reich" schrie, ging Löbsack mehr ins Detail, sprach alle Sorten Danziger Platt, erzählte Witze von Bollermann und Wullsutzki, verstand es, die Hafenarbeiter bei Schichau, das Volk in Ohra, die Bürger von Emmaus, Schidlitz, Bürgerwiesen und Praust anzusprechen. Hatte er es mit bierernsten Kommunisten und den lahmen Zwischenrufen einiger Sozis zu tun, war es eine Wonne, dem kleinen Mann, dessen Buckel durch das Uniformbraun besonders betont und gehoben wurde, zuzuhören. Löbsack hatte Witz, zog all seinen Witz aus dem Buckel, nannte seinen Buckel beim Namen, denn so etwas gefällt den Leuten immer. Eher werde er seinen Buckel verlieren, behauptete Löbsack, als daß die Kommune hochkomme. Es war vorauszusehen, daß er den Buckel nicht verlor, daß an dem Buckel nicht zu rütteln war, folglich behielt der Buckel recht, mit ihm die Partei - woraus man schließen kann, daß ein Buckel die ideale Grundlage einer Idee bildet.

-Zitat Ende.)

Wolfgang
04.02.2011, 22:21
Schönen guten Abend,
hallo Alexander,

Wilhelm Löbsack war als der "Goebbels von Danzig" einer der Einpeitscher und Hauptverantwortlichen der Verbrechen des Nazi-Regimes. Der Hinweis auf den Spiegel-Artikel von 1951 ist wirklich hochinteressant. Dass der Spiegel seine Gauschulungsleiter-Tätigkeit und seinen Gefängnisaufenthalt quasi nur im Nebensatz erwähnte, wirft auch ein bezeichnendes Licht auf den Umgang mit den Hauptschuldigen und deren Re-Integration in den ersten Nachkriegsjahren.

Wilhelm Löbsack war ein fanatischer Juden- und Polenhasser, jemand der die Sprache missbrauchte und dazu beitrug eine Stimmung zu schaffen aus der heraus erst Massen- und Völkermord möglich war. Seine Reden und Schriften waren zynisch und abgrundtief menschenverachtend.

Über Löbsack wird es in den Archiven sicherlich viele Belege seines "Wirkens" geben. Ich selber besitze auch Schriftverkehr von ihm im Original aus seiner Danziger Zeit. Über ihn wird aber auch ausführlich in der Geschichtsliteratur berichtet. Momentan kann ich nur sagen, dass ich mich daran erinnern kann, über ihn in Dieter Schenks Biographie über Albert Forster gelesen zu haben.

Löbsack schrieb drei Bücher über Albert Forster, die schon sehr frühzeitig ein Schlaglicht auf die Absichten der Nazis in Danzig warfen.

Wilhelm Löbsack starb 50-jährig am 09.03.1959 in Düsseldorf (Quelle: Bundesarchiv Ludwigsburg).

Poguttke
05.02.2011, 12:34
ich bin schon erstaunt erst jetzt auf diese person zu stossen,wo ich mich doch schon so lange mit der problematik auseinandersetze. das da so wenig veröffentlicht ist macht mich echt fassungslos.

Beate
05.02.2011, 13:29
Hallo Poguttke,
Bitte, wäre es wohl möglich, dass du deine Beiträge in der üblichen Groß- und Kleinschreibung verfasst? Es bereitet ein wenig Probleme, sie zu Lesen, und es ist doch schade, wenn man die Beiträge einfach als "gelesen" kennzeichnet...
Ich weiß, dass es im Internet in einigen Foren so üblich ist- wir haben aber auch hier bestimmt außer mir noch mehr Mitleser, denen die übliche Schreibweise geläufiger ist.
Nicht gekränkt sein, ja? Ist nur eine Bitte...

Beate
05.02.2011, 13:31
Schöne Grüße Beate

(Entschuldige, habe den Beitrag auf Reisen geschickt, anstelle auf "Erweitert" zu gehen...werde alt...)

asche
08.02.2011, 23:23
Hallo Wolfgang und alle,

da du diese Diskussion abgetrennt hast, hat es etwas gedauert, bis ich sie wieder gefunden habe. Mit der "Danziger Judenfrage" ist sie jedenfalls eng verknüpft.

Meine Kenntnisse der Fachliteratur und Archive sind alles andere als umfassend; danke für die Tipps. Weißt du etwas über die Todesumstände - gerade im Erscheinungsjahr der "Blechtrommel"?

Der "Spiegel"-Journalist hatte wohl keine wirkliche Idee von Löbsacks Aufgaben und Taten, dieser wird sie ihm nicht auf die Nase gebunden haben. Die Nürnberger Prozesse befassten sich ja hauptsächlich mit dem Krieg, und die Auschwitz-Prozesse lagen noch weit in der Zukunft. Zudem: Auch wer von den Verbrechen wusste und sie verabscheute, kannte so viele "anständig" wirkende Mitläufer, dass die gedankliche Abgrenzung zu den Tätern schwer fiel.

Löbsack und viele andere Haupttäter spielten auf anständig und hielten sich sogar selbst dafür. Das zeigt er gerade in der Spiegel-Reportage: Er bekennt sich mit seiner Romanfigur zu "Bescheidenheit und Kameradschaftlichkeit". (Aus den Zivilinternierungslagern der Briten wurde berichtet, dass die Deutschen sich gegenseitig rührend halfen, während die Bewacher einen beschimpften und viele verhungern ließen - kein Wunder, dass die kleinen dummen Mitläufer die Nazis für ihre Freunde hielten, nicht die Demokraten.)

Auf weitere Erkenntnisse bin ich neugierig.

Wolfgang
09.02.2011, 15:46
Schönen guten Nachmittag,

über die Todesumstände / -gründe Wilhelm Löbsacks weiß ich momentan (noch) nichts. Er starb jedoch nicht in Hamburg wo er seine Honorare als Groschen-Roman-Autor in "seine" (?) Wohnung (lt. Spiegel) steckte sondern in Düsseldorf.

Fest steht auch, dass er nach Ermittlungen englischer Behörden nach dem Krieg einer Organisation hochrangiger Nazis angehörte (welche Organisation und auch die Quelle meines Wissens kann ich momentan nicht nennen, da meine Unterlagen noch in Deutschland liegen und ich von hier aus keinen Zugriff darauf habe).

Die Biographie Löbsacks als Mann in der zweiten Reihe (zur ersten Reihe zähle ich seinen direkten Chef Gauleiter Albert Forster) scheint aber sehr interessant zu sein. Ich werde auch bei diesem Thema "am Ball" bleiben.

Poguttke
14.03.2011, 13:59
150 Jahre Schopenhauer, habe hierzu einen interessanten link gefunden, Löbsack war natürlich dabei...

http://www.yasni.de/ext.php?url=http%3A%2F%2Fwww.schopenhauer.philosop hie.uni-mainz.de%2FAufsaetze_Jahrbuch%2F66_1985%2FH%25C3%2 5BCbscher02.pdf&name=Wilhelm+L%C3%B6bsack&cat=science&showads=1