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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Elisabeth Westing: Der Wassermann



Rudi Bellon, + 24.08.2010
26.03.2008, 16:54
In Danzig lebte damals der - Wassermann.Er war ein spaßiger Herr,spaßig anzusehn,wenn er wie der Wassergott selbst mit wehendem Haar und Bart,leuchtendblauen Augen seinen Freund Pluvius (Regenspender,Beiname
von Gott Jupiter) beschwor,ihm ja wie alljährlich zum Erntedankfest gnädig
zu sein und nicht mehr als eine kleine Husche Regen zu bescheren,damit
seine Naturkinder nicht um die Festfreuden kämen,die er,der Wassermann,
ihnen zu schenken pflegte.
Hinter dem Neugarter Tor lag Wassermanns Naturheilgarten.Er lag eingebettet in einen Grüngürtel,der sich wie ein schützender Wall um die
Stadt zog.Laube an Laube,schlichte und prunkvolle mit tönenden Namen
umrahmten den Naturheilgarten,der mit seiner Spielwiese,dem Sandkasten
für die Kleinsten,den Turn-und Klettergeräten,dem Luft-und Sonnenbad
und der herrlichen Kaffeeküche,wo man 1 und 2 Pfennige Pfefferminzstangen und Kommißbrötchen kaufen konnte,ein Kinderparadies
vorstellte.
" Mit altem Brauch wird nicht gebrochen,
hier können Familien Kaffee kochen!"
Da liefen sie,die langbezopften,blau-und braunäugigen Mädel,mit der
dickbäuchigen Bunzlauer zur Tante Venzke an die Kaffeebude und forderten "die ganze Kanne voll für 10 Pfennige..."
Sie waren selbstständige Hausfrauen,diese Kinder,wenn sie ihre Jasmin-
laube scheuerten,die Petroleumlampen auffüllten,die Fliegenschränke in
der Essenkammer säuberten,damit keine Ameisen oder Brummer an die
Speisen herankämen.Und wenn die Schularbeiten gemacht waren,draußen
vor der Laube an den langen Tischen,die rund rund um den Garten standen
dann ging es ans Spielen,bis,-ja ,bis es dunkel wurde und man nach Hause
traben mußte.Oft kamen die Eltern in den Naturheilgarten,dann durfte ma ihnen auf der Kegelbahn beim Kegelschieben zusehn und verdiente sich
10 Pfennige für das Aufsetzen der Kegel.Oder Erich Anger,der Rattenfänger
mit der Mandoline,zog beim Mondenschein singend dem lampiontragenden
Volk voran rund um den Naturheilgarten,am alten Kirchhof vorbei,über die
Glacis mit den uralten Weiden-und Buchenbäumen,die soviel zu wispern
hatten.Das war unheimlich schön,und man träumte nachts davon.
Das Erntedankfest war der festliche Höhepunkt im Leben des Naturheil-
vereins.Alle Laubenbesitzer wetteiferten im Fahnen-und Blumenschmuck.
Bunter Wimpel,Lampions und Girlanden,Schieß-und Würfelbuden,Preis-turnen,das aufregende Klettern nach der Uhr,die auf der höchsten Spitze
der Kletterstange schaukelte und dem kühnsten Kletterer als Belohnung
winkte,gaben dem Tag ein buntes,festliches Gepräge.
Im Mittelpunkt des Ereignisses aber stand der Einzug des Wassermanns.
Da erschien er,märchenhaft anzusehen mit seinem eisgrauen Bart,dem
wehenden Haar,inmitten seiner Trabanten,und beschwor seinen Freund
Pluvius,ihm weiterhin gnädig zu sein und sein Volk zu bewahren vor
Krankheit,Not,Aussatz und bösen Geistern.Da stand er und predigte:
"Badet in der Sonne,trinkt Wasser,entfernt euch nicht von der Natur,
sie ist euer Freund und Helfer!"
Sein Volk hörte auf ihn.Wurde eins seiner Kinder krank,pilgerte es ver-
trauensvoll zum Wassermann.Der half immer.Es war heimelig und geheimnisvoll in den hohen Räumen in der Breitgasse.War man die ausge-
tretene,von einer Tranfunselschwach erleuchtete Wendeltreppe
heraufgestolpert,dann umfing den Leidenden die wohltuende Atmosphäre
des Prießnitzbades.
Da trieb er nun sein tolles Werk,der Wassermann.Trieb er nicht wahr und
wahrhaftig den Teufel aus?Wie sie prusteten und schwitzten,mit dicken
roten Nasen und perlenden Stirnen im Schwitzkasten stöhnten,bis er sie
erlöste!Es war nicht so einfach,diese Teufelsaustreibung.Manch einer
fiel dabei in tiefen Schlaf,grad wie das Dornröschen im Märchen.Der
Wassermann aber hob sein krankes Huhn aus den Dampftrog.Oh,er hatte
Riesenkräfte und nahm es mit den Fettleibigsten auf.Erwachte man,so lag
man in Windeln gewickelt und hörte aus der leinenumspannten Kabine
von nebenan das Schnarchen der Befreiten.Fast fühlte ma sich wohl
inmitten der feuchten Wickel und rohseidenen Umschläge,die Hals,Leib
und Beine umspannten,aber da kam er ,der Wassermann,wickelte einen
aus den Windeln,beklatschte,knetete und schrubbte solange,bis der Teufel ausgetrieben war.
Ja,das war der Wassermann.
Er war in der ganzen Stadt bekannt.Der Männergesangverein,dem er seit
einem halben Jahrhundert angehört hatte,hätte seinem Baßbuffo das
Grablied gesungen wenn ...
Emil Hollmichel hieß er.Fast an die hundert Jahre muß er alt gewesen sein,
als 1945 die Flammen sein Werk zerstörten und ihn dazu,den guten,
alten Wassermann.

Von Elisabeth Westing
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Grüße von Rudi