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Poguttke
29.10.2011, 02:15
Professor Dr. Dr. h. c. mult. Gilbert Gornig
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Danzig.
Eine völkerrechtlich abschließende Regelung steht noch aus.
Die deutsch-polnische Freundschaft ist ein wesentlicher Baustein bei der Verwirklichung einer europäischen Zusammenarbeit. Deutschland und Polen haben eine bewegte Geschichte hinter sich und mehr als einmal stand man sich feindlich gegenüber. Auch heute noch sind, insbesondere bei der älteren Generation, die Ressentiments gegenüber Deutschland groß, erinnert man sich doch immer wieder der Gräuel des Nationalsozialismus. Die gute Zu-sammenarbeit nach der Wende änderte aber das Bild erheblich. Auch viele Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg sind noch einige Fragen ungeklärt. Nun, mit dem gehörigen Abstand von den Ereignissen, sollte man daran gehen, die letzten Probleme zu lösen, um dem Völker-recht zu genügen. Dazu gehört das Schicksal der Freien Stadt Danzig. Bei der Aufarbeitung der Geschichte der Stadt wünscht man sich mehr Sensibilität gegenüber den Danzigern: man ändert doch den heutigen Status der Stadt nicht, wenn man die Geschichte uminterpretiert.
I. Eingliederung der Freien Stadt Danzig durch das Deutsche Reich
1. Fakten
Am 23. August 1939 unterzeichneten von Ribbentrop und Molotow in Moskau den Hitler-Stalin-Pakt1 und anschließend die ergänzenden Geheimabkommen vom 23. August 1939 und vom 28. September 1938.2 Am 1. September 1939 begann der von Hitler befohlene Ein-marsch in Polen und in Danzig, unterstützt von deutschen und Danziger Verbänden.
Am 1. September 1939 wurde das Staatsgrundgesetz der Freien Stadt Danzig, die Wiederver-einigung Danzigs mit dem Deutschen Reich betreffend, vom 1. September 1939 erlassen. Dort heißt es in Art. III, dass die Freie Stadt Danzig mit sofortiger Wirkung mit ihrem Gebiet und mit ihrem Volk einen Bestandteil des Deutschen Reiches bildet.3 Im deutschen Gesetz über die Wiedervereinigung der freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich vom 1. September 19394 wird gemäß § 1 das vom Staatsoberhaupt der Freien Stadt Danzig erlassene Staatsgrundgesetz über die Wiedervereinigung Danzigs mit dem Deutschen Reich Reichs-gesetz. Die Staatsangehörigen der bisherigen freien Stadt Danzig werden deutsche Staats-angehörige nach Maßgabe von § 2 dieses Gesetzes.
1 Hierzu vgl. Gornig, Gilbert, Der Hitler-Stalin-Pakt. Eine völkerrechtliche Studie, 1990.
2 Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 – 1945 aus dem Archiv des Deutschen Auswärtigen Amtes, Serie D (1937 bis 1945) (ADAP), Bd. VII: Die letzten Wochen vor Kriegsausbruch, August bis September 1939, 1956, Nr. 229, S. 206 f., und Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918 – 1945 aus dem Archiv des Deutschen Auswärtigen Amtes, Serie D (1937 bis 1945) (ADAP), Bd. VIII: Die Kriegs-jahre. Erster Band, September 1939 bis März 1940, 1961, Nr. 159, S. 129.
3 Danziger Gesetzblatt 1939, S. 435.
4 RGBl. 1939 I, S. 1547.
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2. Völkerrechtliche Beurteilung
Die Wiedervereinigung am 1. September 1939 führte weder in vertraglicher Hinsicht, noch als einseitige deutsche Maßnahme zur rechtswirksamen Eingliederung der Freien Stadt Danzig in das Deutsche Reich.
Zum einen war der Inkorporationsvertrag nicht wirksam zustande gekommen, weil der Danziger Staat als Vertragspartner völkerrechtlich nicht rechtswirksam vertreten war. Für den Danziger Staat handelte nämlich das sog. Staatsoberhaupt Forster, dessen Ernennung durch den Senat verfassungswidrig war, da ein Staatsoberhaupt als Person in der Danziger Ver-fassung nicht vorgesehen war. Seine Ernennung, mit der die Einheit von Partei und Staat pro-klamiert wurde, stützte sich auf das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat vom 23. Juni 19335 und das Verlängerungsgesetz vom 5. Mai 19376. Forster war somit nicht recht-mäßiges Verfassungsorgan des Danziger Staates. Auch das gesetzlich festgelegte parlamentarische Verfahren wurde nicht beachtet. Die völkerrechtliche Wirkung eines ver-fassungswidrigen Vertrages entfaltet sich zwischen den beiden Extremen der absoluten Ir-relevanz (Irrelevanztheorie) und der absoluten Relevanz (Relevanztheorie) des innerstaat-lichen Verfassungsrechts. Eine vermittelnde Ansicht versucht beide Extreme aneinander an-zugleichen, indem sie, im Grundsatz von der Relevanztheorie ausgehend, eine Verletzung innerstaatlicher Kompetenznormen nur dann für den internationalen Bereich eine Bedeutung zukommen lässt, wenn diese offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf (Evidenztheorie). Von einer solchen Offenkundigkeit kann hier zum Nachteil des Deutschen Reiches ausgegangen werden.
Nicht aber allein aus formellen Gründen ist das rechtswirksame Zustandekommen des Ein-gliederungsvertrages zu bezweifeln. Die Bedenken beziehen sich außerdem auf die Nichtver-einbarkeit des Vertrages mit völkerrechtlichen Vereinbarungen, die sowohl für das Deutsche Reich als auch für die Freie Stadt Danzig verbindlich waren. Beide Vertragsparteien ver-stießen nämlich gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, denen sie aufgrund des Versailler Vertrages sowie der Folgeverträge, insbesondere der vereinbarten internationalen Schutz-beziehung für den Bestand der Freien Stadt Danzig, unterlagen. Der einseitige Ein-gliederungsakt war eine Annexion, die als Erwerbstitel nicht mehr anerkannt und damit völkerrechtswidrig war und zwar unabhängig von der Frage, ob es sich um eine kriegerische oder um eine nicht kriegerische Annexion handelte.
Das völkerrechtswidrige Verhalten des Deutschen Reiches hatte daher nicht eine rechtswirk-same Eingliederung Danzigs und den Untergang des Danziger Staats zur Folge.
5 Danziger Gesetzblatt 1933, S. 273.
6 Danziger Gesetzblatt 1937, S. 358. Vgl. auch Verordnung betreffend das Staatsoberhaupt der Freien Stadt Danzig vom 23.08.1939, Text: Danziger Gesetzblatt 1939, S. 413.
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II. Eingliederung der Freien Stadt Danzig durch die Republik Polen
1. Besetzung
Die Besetzung der Freien und Hansestadt Danzig durch Truppen des Deutschen Reiches fand sein Ende mit der Eroberung des Gebietes durch die sowjetischen Truppen und die mit ihnen verbündeten polnischen Streitkräfte. Damit hörte jedoch der Freistaat Danzig nicht auf zu existieren. Der Freistaat war nun ein besetzter Staat, da die sowjetischen und polnischen Streitkräfte als Besatzungsmächte zu betrachten sind. Allerdings hatten die Regierung der Sowjetunion und die kommunistische polnische Exilregierung, die vorerst in der Sowjetunion (Lublin) beheimatet war, in einem Geheimabkommen vom 27. Juli 19447 schon die Frage der künftigen Grenzen zwischen der UdSSR und Polen geregelt. In diesem Geheimabkommen war vorgesehen worden, dass Südostpreußen und das Gebiet von Danzig mit Stadt und Hafen an Polen fallen sollten.
Mit Beschluss des sowjetischen Staatskomitees für Verteidigung Nr. 7558 vom 20. Februar 1945 übertrug die Sowjetunion die deutschen Ostgebiete sowie Danzig gemäß dem Grenz-abkommen vom 27. Juli 1944 den Polen zur Verwaltung. In diesem Beschluss wurde jedoch der ausdrückliche Vorbehalt gemacht, dass die polnische Verwaltung der deutschen Ost-gebiete und der Freien Stadt Danzig sich vorerst auf die Zeit bis zur endgültigen Festlegung der Grenzen Deutschlands beschränken sollte.
Auf der Potsdamer Konferenz der Siegermächte, die im Juli/August 1945 in Potsdam stattfand und mit dem sogenannten Potsdamer Abkommen abgeschlossen wurde, wurde die zwischen der Regierung der Sowjetunion und der polnischen Lubliner Exilregierung in ihrem Geheim-abkommen vom 27. Juli 1944 vereinbarte Grenzregelung bestätigt, d. h. die Freie Stadt Danzig verblieb in dem Gebiet, das den Polen zur Besetzung und vorläufiger Verwaltung übergeben worden war.
2. Polnische Annexion
Schon vor Beendigung des Zweiten Weltkrieges, am Tage der Besetzung durch sowjetische und polnische Truppen, wurde „die ehemalige Freie Stadt Danzig“ durch Dekret des polnischen Ministerrates vom 30. März 19458 als Wojewodschaft (Provinz) Danzig dem
7 In den drei ersten Artikeln Geheimabkommens vom 27. Juli 1944 wurden der exakte Verlauf der polnisch-sowjetischen Grenze und die Angliederung des nördlichen Ostpreußens einschließlich der Stadt Königsberg an die UdSSR festgeschrieben. Den übrigen Teil von Ostpreußen und die Stadt Danzig sprach Stalin Polen zu.
8 Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 11, Pos. 57, deutscher Text: Bundesministerium für Ver-triebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984, Nr. 15, S. 49 ff.; vgl. auch Böttcher, Hans Viktor, Die völkerrechtliche Lage der Freien Stadt Danzig seit 1945, 1958, S. 128, 176.
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polnischen Staat eingegliedert9. Das Dekret wurde vom Präsidenten des Landesnationalrates bestätigt und trat gemäß Art. 5 mit dem Tage seiner Verkündung, am 7. April 1945, in Kraft.10
Die im Gebiet der ehemaligen Freien Stadt Danzig bisher geltende Rechtsordnung wurde ge-mäß Art. 3 des Dekrets als mit der Verfassung des polnischen demokratischen Staats unver-einbar außer Kraft gesetzt und durch die im übrigen Teil der Wojewodschaft Danzig gültige polnische Gesetzgebung ersetzt. In der Präambel der Verfassung Polens vom 22. Juli 1952 hieß es: Die wiedergewonnenen Gebiete sind für ewige Zeiten an Polen zurückgekehrt11. Dieser Einverleibungswille hinsichtlich der sog. „wiedergewonnenen Gebiete“ bezieht sich auch auf das Gebiet der Freien Stadt Danzig. Durch Gesetz vom 11. Januar 194912 über die Vereinigung der wiedergewonnenen Gebiete mit der allgemeinen Staatsverwaltung wurde das am 13. November 1945 eingerichtete Sonderministerium für die polnischen Westgebiete wie-der aufgelöst. Damit galt Danzig endgültig als Bestandteil Polens.13
Spätestens durch das Dekret vom 30. März 1945 brachte die polnische Regierung ihren Willen zum Ausdruck, Danzig annektieren zu wollen. Sie bestätigte diese ihre Annexions-absicht durch weitere Maßnahmen, die danach von ihr getroffen wurden. Dass die polnische Regierung dennoch einen Unterschied zwischen den von Polen – ebenfalls völkerrechtswidrig – annektierten deutschen Ostgebieten einerseits und dem Gebiet des Freistaates Danzig andererseits machte, wird daraus ersichtlich, dass in vielen polnischen Dekreten, wie z. B.
9 Vgl. auch Böttcher, Hans Viktor, Die Freie Stadt Danzig. Wege und Umwege in die europäische Zukunft, 3. Aufl. 1999, S. 140.
10 Vgl. zur Problematik auch Gornig, Gilbert, Das rechtliche Schicksal der Danziger Kulturgüter seit 1939/45 am Beispiel der Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig. Ein Rechtsgutachten, 1999, S. 64 ff.
11 Vgl. Deutsches Institut für Rechtswissenschaft (Hrsg.), Die Verfassungen der europäischen Länder der Volksdemokratie, S. 92, 95.
12 Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 4, Pos. 22, deutscher Text: Bundesministerium für Ver-triebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984, Nr. 15, S. 49; deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene (Anm. 8), Nr. 125, S. 488.
13 Einzelne deutsche Autoren bezweifeln die Kontinuität der Freien Stadt Danzig. H.-J. Jellinek begründet seine Auffassung vom Untergang des Danziger Staates mit dem Fehlen einer handlungsfähigen Regierung und des Danziger Staatsvolkes, das „in alle Winde zerstreut“ worden sei (vgl. Jellinek, Hans-Jörg, Der automatische Erwerb nach Verlust der Staatsangehörigkeit durch völkerrechtliche Vorgänge. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Staatensukzession, 1951, S. 213 f.). Andere Autoren bestreiten zwar eine rechtswirksame Einverleibung Danzigs durch Polen, halten aber einen etwaigen Fortbestand des Danziger Staates für eine Fiktion (vgl. Schätzel, Walter, Der heutige Stand des deutschen Staatsangehörigkeits-rechts, in: AöR, Bd. 74 [1948], S. 273 ff. [295 ff.]; Crusen, Georg, Zur gegenwärtigen staatsangehörig-keitsrechtlichen Lage von Staatsangehörigen der Freien Stadt Danzig, in: DRiZ 1949, S. 499; Makarov, Alexander N., Zur Behandlung von deutschen Zwangseinbürgerungen 1938 - 1945, in: JZ 1952, S. 403 ff. [405]). Menzel bejaht die Wirkungskraft des Kontinuitätsprinzips gegenüber dem die Völkerrechts-ordnung sonst beherrschenden Grundsatz der Effektivität auch dann noch, wenn der alte Rechtszustand zur bloßen Fiktion geworden ist. Er hält den Staat erst dann für erloschen, wenn mit einer Rückkehr zum alten Rechtszustand nicht mehr zu rechnen ist (vgl. Menzel, Eberhard, Völkerrecht, 1962, S. 218 f.). Obwohl die Staatsgewalt als das wesentliche Element des Staatsbestandes gesehen wird, war für den Fortbestand und für das Wiederaufleben der besetzten und einverleibten Staaten - wie die Staatenpraxis zeigt - das Vorhandensein einer Exilregierung nicht entscheidende Voraussetzung (vgl. Menzel, Eberhard, Deutschland. – Ein Kondominium oder Koimperium? Eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Prof. Dr. Hans Kelsen, in: JIR, Bd. 1 [1948], S. 43).
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dem vom 8. März 194614, vom 6. Dezember 194615 und vom 28. Oktober 194716 sowie im Gesetz vom 30. Januar 194817 ausdrücklich nebeneinander von einerseits „den wieder-gewonnenen Gebieten“ und andererseits von „der ehemaligen Freien Stadt Danzig“ die Rede ist.
3. Vertreibung der Danziger Bevölkerung
Nach der Eroberung Danzigs durch sowjetische und polnische Truppen und Einführung der polnischen Rechtsordnung durch Dekret vom 30. März 194518 begann Polen die Danziger aus ihrer Heimat zu vertreiben und in den frei werdenden Raum polnische Bevölkerung aus Ost-polen umzusiedeln19. Die Vertreibung erfolgte also noch während des Krieges vor dem Ab-schluss des Potsdamer Abkommens. Mit der völkerrechtswidrigen Vertreibung verbunden war die völkerrechtswidrige entschädigungslose Enteignung der Vertriebenen.20
4. Rechtfertigungsversuche Polens
Von polnischer Seite werden mehrere Begründungen für den von Polen seit 1918 erhobenen Anspruch auf Danzig und die im Jahre 1945 vollzogene Annexion gebracht. Es handelt sich hierbei sowohl um historische, rechtliche, ethnische als auch moralische Argumente. Alle diese Argumente sind jedoch entweder wenig stichhaltig, rechtlich unhaltbar oder beruhen auf einer Vortäuschung ethnischer Gegebenheiten. Dies gilt sowohl für die polnische Argumentation in den Jahren 1918/1919 als auch für jene, die seit 1944 von polnischer Seite vorgetragen wurde.
14 Deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984 (Anm. 8), Nr. 38, S. 126 ff.
15 Deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984 (Anm. 8), Nr. 86, S. 339 ff.
16 Deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984 (Anm. 8), Nr. 117, S. 442 ff.
17 Deutscher Text: Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984 (Anm. 8), Nr. 120, S. 454 ff.
18 Dziennik Ustaw Rzeczypospolitej Polskiej Nr. 11, Pos. 57, deutscher Text: Bundesministerium für Ver-triebene (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa I. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bd. 3, 1984 (Anm. 8), Nr. 15, S. 49.
19 Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 143.
20 Vgl. Gornig, Gilbert, Eigentum und Enteignung im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Vertreibungen, in: Schriftenreihe Geschichte, Gegenwart und Zukunft der altösterreichischen deutschen Minderheiten in den Ländern der ehemaligen Donaumonarchie, Band 6, hrsg. vom Felix Ermacora Institut, 2010, passim; ders., Eigentum und Enteignung im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung von Vertriebenen, in: Gornig, Gilbert/Horn, Hans-Detlef/Murswiek, Dietrich (Hrsg.), Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht. Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung, Teil 1, Staats- und völker-rechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, Band 25/1, 2008, S. 19 ff.
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a. Historische Argumente
Die Stadt Danzig gehörte nie zum polnischen Staat. Im Jahre 1454 hatte die Stadt zwar mit dem Deutschen Orden gebrochen und sich dem polnischen König zugewandt und ihn als Schutzherrn auserkoren, ist damit aber dennoch nicht ein Bestandteil Polens geworden.21 Wenn man sich einer Schutzmacht unterstellt, wird man nicht Teil der Schutzmacht, wie es unzählige Beispiele der Geschichte und Zeitgeschichte belegen.
Der polnische König hatte am 6. März 1454 unter Verletzung der vorangegangenen mit dem Orden geschlossenen Friedensverträge das sog. Inkorporationsprivileg ausgefertigt. Nach dem Wortlaut des Inkorporationsprivilegs forderte der König die Unterwerfung des preußischen Landes und fügte es dem Königreich Polen an. Die preußischen Stände sprachen dagegen in ihrer Gegenurkunde entsprechend den Ergebnissen des Verhandlungsverlaufs und der dem König unterbreiteten Angebote von der Einverleibung in den Titel der Krone Polen.22
Die Stadt Danzig verhandelte nicht als Gebietsteil des Deutschen Ordens, nicht als Untertan Polens, zu dem es nicht gehörte, und nicht für den Preußischen Bund, sondern für sich selbst als freier Partner seiner Rechtsbeziehungen.23 Danzig hatte sich aus freien Stücken der Krone Polen unterstellt, aber nur unter der Bedingung einer weitestgehenden Unabhängigkeit. Danzig wollte nicht sein altes Joch abschütteln und gegen ein neues vertauschen, vielmehr erwartete die Stadt seine soeben gewonnene freiheitliche Stellung zu sichern und auszubauen.
Danzigs Bemühen war erfolgreich, da es im Rahmen einer ausgehandelten Schutzbeziehung zur Krone Polen weitgehend selbständig wurde und außerhalb des polnischen Königreichs als deutscher Stadtstaat, als Stadtrepublik, eine starke Stellung errang, die es unter der Herrschaft des Deutschen Ordens nicht inne gehabt hatte. Die wesentlichen Danzig zustehenden Rechte24 waren Selbständigkeit der auswärtigen Politik und Kriegsführung, eigenes Gesandtschafts-recht, Verteidigungshoheit mit eigenen Truppen und Befestigungsrecht der Stadt, freies Ver-fügungsrecht über den Hafen ohne polnische Mitwirkung, Gesetzgebungsrecht, Finanzhoheit, Steuer- und Zollhoheit, Münzrecht, Gerichtsbarkeit, eigene Flagge. Als Zeichen seiner Souveränität und Machtstellung erhielt Danzig das Recht, mit rotem Wachs zu siegeln und in das Wappen eine goldene Krone aufzunehmen. Die dem König vorbehaltenen Rechte waren auf die mit der Schutzhoheit zusammenhängenden Kompetenzen beschränkt. Er musste
21 Vgl. dazu auch Gornig, Gilbert, Schlußbemerkungen – zugleich ein Beitrag zur Geschichte Danzigs, in: Gornig, Gilbert (Hrsg.), Deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Kultur. Societas Physicae Experimentalis. Schriften der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, Band 2, 1998, S. 122 ff.; ders., Schlussbemerkungen – auch ein Beitrag zum Status Danzigs zwischen 1454 und 1793, in: Gornig, Gilbert (Hrsg.), Deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Kultur. Societas Physicae Experimentalis. Schriften der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, Band 6, 2004, S. 214 ff.
22 Wermter, Ernst Manfred, Das Königliche Preußen (Preußen königlich-polnischen Antheils) 1454 bis 1569 mit dem Hochstift Ermland und den drei großen Städten Danzig, Elbing, Thorn. Innerer Aufbau und das Verhältnis zur Krone Polens, in: Baumgart, Peter (Hrsg.), Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Veröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 55, 1983, S. 130 ff. (131).
23 Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 36.
24 Vgl. dazu Kaufmann, Karl-Josef, Das staatsrechtliche Verhältnis Danzigs zu Polen von 1454-1793 und 1807-14, in: Schriftenreihe der Stadt Danzig, Heft 5, Danzig 1920, S. 9.
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Schutz und Beistand gewähren und konnte seinerseits Rat und Hilfe verlangen. Aus dem Kreis von acht dem König vom Rat benannten Danziger Ratsherren durfte er einen Stellver-treter, den Burggrafen, ernennen.25 Dieser übte für den König das Recht aus, Todesurteile des Schöffengerichts zu bestätigen oder abzuändern. Die Stadt hatte eine jährliche Rente an den König zu entrichten. Ein Königschloss wurde nicht gebaut, da der König im Umkreis von acht deutschen Meilen um die Stadt kein Schloss errichten durfte. Danzig war somit aufgrund der Verhandlungsergebnisse eine souveräne deutsche Stadtrepublik unter Gewährung bestimmter festgelegter königlicher Herrschaftsrechte. Sie bildete keine Realunion mit Polen, der polnische König war nicht Landesherr der Stadt, er übte nur die Schutzhoheit über das sich im Übrigen selbständig und unabhängig regierende Danzig aus26. Danzig war nicht in die staat-liche Organisation Polens einbezogen und war trotz wiederholter Aufforderung, am polnischen Reichstag regelmäßig teilzunehmen, nur als Repräsentant der preußischen Stände ausnahmsweise vertreten, wenn von der polnischen Politik abweichende Positionen begründet werden mussten.27 Am 21. Juli 1526 bestätigte der polnische König Danzigs Privilegien.28
Vom deutschen Kaiser wurde allerdings die Auffassung vertreten, Danzig gehöre seit seiner Zugehörigkeit zum Deutschen Orden im Jahre 1309 wegen Nichtanerkennung des Zweiten Thorner Friedens vom 19. Oktober 146629 auch nach 1466 zu Kaiser und Reich.30 Auch der Papst erkannte den Zweiten Thorner Frieden nicht an. Nach dieser Auffassung stand Danzig auch nach dem Abfall vom Orden in einer rechtlichen Beziehung zu Kaiser und Reich.
Mit dem Erlass des Lubliner Dekrets am 16. März 1569, das als Interpretation des In-korporationsprivilegs von 1454 gewertet werden kann, wurde allerdings die Selbständigkeit der preußischen Städte unter Verletzung des Vertrags von 1454 beseitigt. König Sigismund II. August wandte sich wieder gegen Danzig. So wurden Danziger Bürgermeister und Ratsherren ohne Begründung verhaftet und gefangen gehalten. Die von einer Kommission entworfene „Statuta Karnkowiana“, die die Stadt in eine Abhängigkeit von der Krone bringen sollte, wurde zwar von König Sigismund II. August am 20. Juli 1570 zum Gesetz erhoben, kam allerdings nicht zur Umsetzung, da sich die Danziger dagegen wehrten.
25 Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 38.
26 Vgl. Schweisfurth, Theodor, Danzig, in: Encyclopedia of Public International Law, Bd. 12, 1990, S. 83 f.
27 Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 38.
28 Vgl. dazu insgesamt auch Gornig, Schlussbemerkungen – auch ein Beitrag zum Status Danzigs zwischen 1454 und 1793, in: Gornig, Deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Kultur, Band 6, 2004 (Anm. 21), S. 214 ff.
29 Text: Weise, Erich (Hrsg.), Die Staatsverträge des Deutschen Oerdens in Preußen im 15. Jahrhundert, Band 2, 1955, Nr. 403, S. 262 ff.; Gornig, Gilbert, Das Nördliche Ostpreußen. Gestern und heute. Eine historische und rechtliche Betrachtung, 2. Aufl. 1996, S. 244 ff.
30 Wermter, Ernst Manfred, Die Reichsacht gegen Danzig und Elbing (1497-1515). Städtische Handels-politik im Spiel der Großmächte, in: Jähnig, Bernhart/Schuch, Hans-Jürgen (Hrsg.), Elbing 1237-1987. Quellen und Darstellungen zur Geschichte Westpreußens, Nr. 25, 1991, S. 75 ff., 78, 88 ff., 94 f.; Gornig, Gilbert H., Territoriale Entwicklung und Untergang Preußens, 2000, S. 47 f.
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Vom neu gewählten König Stephan Bathory verlangte der Rat die Bestätigung der Rechte der Stadt Danzig, bevor man ihm huldigen31 wollte. Aus diesem Grunde verhängte der König am 24. September 1576 gegenüber Danzig die Acht und griff mit einem großen Heer die stark befestigte Stadt an. Nach ersten kriegerischen Auseinandersetzungen versuchte man zu ver-handeln, es wurden jedoch die Danziger Abgesandten widerrechtlich verhaftet. Am 11. Februar 1577 verhängte der König erneut die Acht und setzte die Danziger Gesandten für sieben Monate fest. Das polnische Heer besetzte die Halbinsel Hela und fügte den Danzigern eine Niederlage bei Dirschau zu. Diese verteidigten aber sodann ihre belagerte Stadt erfolg-reich und zwangen die Polen zum Abzug. Auch eine zweite polnische Belagerung mit 17.000 Mann musste nach für Danzig siegreich verlaufenden Kämpfen abgebrochen werden. Der König zog sich nach Marienburg zurück, Danzig hatte sich somit behauptet. Durch Ver-mittlung des Kurfürsten von Sachsen kam es am 12. September 1577 zum Friedensschluss. Gegen Geldzahlung hob König Stephan Bathory die Acht auf, bestätigte alle Privilegien und sicherte die Ausübung des protestantischen Bekenntnisses zu. Im Pfahlgeldvertrag (Pfahlgeld sind Hafengebühren) vom 26. Februar 1585 wurden die städtischen Rechte nochmals bestätigt und der König nahm die Statuta Karnkowiana zurück. Danzig erhielt so weitgehende Vor-rechte, dass seine Stellung an der Weichselmündung der einer der hansischen Reichsstädte im Heiligen Römischen Reich vergleichbar wurde. Nachdem die Beziehungen zur Krone Polen befriedet und gefestigt waren, erlebte Danzig, das nun etwa 50.000 Einwohner zählte, einen beachtenswerten wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Faktisch gelang es also der Stadt Danzig in Anerkennung der Schutzhoheit des polnischen Königs seinen weitgehend unabhängigen Status als deutsche Stadtrepublik durchzusetzen und alle polnischen Einfluss-versuche abzuwehren.
Im Teilungsvertrag vom 23. Januar 1793 erhielt Preußen die Kontrolle über Danzig und Thorn sowie über Großpolen und Teile Masowiens, welche zur neuen Provinz Südpreußen zusammengefasst wurden.32 Im Rahmen der Polnischen Teilung nahm Friedrich der Große das Gebiet um Danzig mit dem Hafengelände an der Weichselmündung mit Neufahrwasser und der durch Anschwemmungen und Aufschüttungen aus zwei kleinen Inseln entstandenen Halbinsel Westerplatte in Besitz. Danzig sträubte sich aber auch gegen einen Anschluss an Preußen und wünschte seine unabhängige Stellung zu erhalten. Entscheidend für seine Um-orientierung war schließlich die Erkenntnis, dass die Schutzbeziehung zur Krone Polen ihre Wirkung und ihre Bedeutung für die weitere Lebens- und Entwicklungsfähigkeit der Stadt-republik Danzig verloren hatte und dass unter dem wachsenden Druck der Danzig umgebenen preußischen Gebiete die Existenzgrundlagen der Stadt nicht mehr sicherzustellen waren. Am
31 Bei der Huldigung (lat. homagium) handelt es sich um ein Treueversprechen im mittelalterlichen Lehns-wesen. Der Lehnsnehmer war verpflichtet, seinem Lehnsherrn Gefolgschaft und Treue zuzusichern. Der Lehnsherr sicherte dem Vasallen im Gegenzug ebenfalls Treue und darüber hinaus Schutz sowie die Wahrung seiner Rechte zu. Huldigung durch Fremde heißt nicht, dass man sich dem Staatsverband des Gehuldigten anschließt.
32 Das russische Territorium erweiterte sich um ganz Weißrussland sowie weite Gebiete Litauens und der Ukraine.
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11. März 1793 beschlossen Rat und Bürgerschaft die Angliederung der Stadt an Preußen.33 Auf diese Weise endete nun die Schutzbeziehung zum König von Polen, die dieser ohnehin nicht mehr ausübte und nicht mehr auszuüben gedachte. Am 4. April rückten preußische Truppen ohne Störungen vereinbarungsgemäß in die Stadt ein.
Die Beschlüsse des Wiener Kongresses 1814/1815 haben die Zugehörigkeit Danzigs zu Preußen und damit zu Deutschland nicht in Zweifel gezogen.
Stets hat sich die Stadt durch die ihr verliehenen bzw. von ihr ausbedungenen Privilegien eine besondere Position zu bewahren gewusst. Zwar musste Danzig wiederholt um die Aufrecht-erhaltung seiner Sonderposition kämpfen, wobei es gegebenenfalls auch kriegerische Aus-einandersetzung nicht scheute, aber immer wusste es seine Selbstständigkeit zu bewahren. So konnte Danzig wenn auch unter größter Anstrengung, während des Nordischen Sieben-jährigen Krieges (1563 – 1570), an dem der polnische König auf Seiten Dänemarks und im Bunde mit Lübeck gegen Schweden teilnahm, seine Neutralität bewahren.
All diese Ereignisse spielen allerdings für den völkerrechtlichen Status der Stadt Danzig heute keine Rolle, so dass die damaligen historischen Ereignisse unvoreingenommen aufgearbeitet werden können. Selbst wenn man der geschichtlich nicht haltbaren Meinung folgen würde, dass die deutsche Stadt Danzig in den Staatsverband des Königreichs Polen integriert worden sei, können daraus keine Schlussfolgerungen für die heutige Rechtslage abgeleitet werden.
Die Bevölkerung Danzigs war zu mehr als 97 % deutsch und in der übergroßen Mehrheit evangelisch. Die historischen Fakten, die ethnischen Verhältnisse und die religiösen Ge-gebenheiten sprachen dann auch allesamt gegen die 1919 von den Alliierten und Assoziierten Mächten getroffene Entscheidung, Danzig vom Deutschen Reich abzutrennen.
Die Begründungsversuche Skubiszewskis34, der unter Missachtung historischer Tatsachen die deutsche Hansestadt Danzig als Bestandteil des polnischen Königreiches vor ihrem Anschluss an Preußen im Jahre 1793 betrachtet und wiederum unter Verkennung historischer Tatsachen davon spricht, dass Danzig den polnischen Staat verteidigt habe – in Wirklichkeit erfüllte Danzig seine Vertragspflichten gegenüber dem polnischen Wahlkönig – können unberück-sichtigt bleiben, da sich aus diesen historischen – zumal auch falschen – Darlegungen keine territorialen Ansprüche herleiten lassen35.
b. Danzig als souveränitätsfreies herrenloses Gebiet
Skubiszewski bemühte sich, die Einverleibung Danzigs in das polnische Gebiet 1945 zu rechtfertigen. So wird die These vertreten, die Freie Stadt Danzig sei kein Staat gewesen,
33 Damit ist die Darstellung, Danzig sei durch die zweite Teilung Polens im Petersburger Vertrag vom 23. Januar 1793 zu Preußen gekommen oder gar von Polen an Preußen abgetreten worden, nicht zutreffend.
34 Skubiszewski, Krzysztof, Die Westgrenze Polens, 1975, S. 285.
35 Vgl. Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 180 ff.; Kraus, Herbert, Der völkerrechtliche Status der deutschen Ostgebiete innerhalb der Reichsgrenzen nach dem Stande vom 31. Dezember 1937, S. 44 ff.; Krülle, Siegrid, Die völkerrechtlichen Aspekte des Oder-Neiße-Problems 1970, S. 295 ff.
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lediglich eine „staatsähnliche Korporation“36. Diese staatsähnliche Korporation habe folglich keine Souveränität gehabt. Aufgrund des Versailler Vertrages sei die territoriale Souveränität über das Danziger Gebiet auf die alliierten und assoziierten Hauptmächte übergegangen und dann aber mit der Errichtung der Freien Stadt Danzig erloschen. Danach habe es keine Souveränität über das Danziger Gebiet mehr gegeben. Polen sei berechtigt gewesen, seine territoriale Souveränität auf das souveränitätsfreie herrenlose Gebiet des von der Sowjetunion und von Polen kriegsbesetzten Danzig auszudehnen37. Zur Zeit des Potsdamer Abkommens sei dieser Akt bereits vollendet gewesen. Anders als für die Oder-Neiße-Gebiete sei im Pots-damer Abkommen auch keine Regelung zu Danzig getroffen worden. Danzig habe zu dieser Zeit bereits zu Polen gehört. Von den Alliierten sei diese Lösung anerkannt worden.38
Dem von polnischer Seite behaupteten Anspruch des Zugriffs auf herrenloses, souveräni-tätsfreies Danziger Gebiet39 kann schon deshalb nicht gefolgt werden,40 weil die Freie Stadt Danzig über staatliche Souveränität verfügte, betrachtete man die Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich als völkerrechtswidrig. War die Wiederver-einigung mit dem Reich jedoch völkerrechtsmäßig, so konnte dieses Gebiet erst recht nicht mehr als souveränitätsfrei bezeichnet werden. Im Übrigen ist kaum zu vertreten, dass eine staatsähnliche, nach staatlichem Muster organisierte Korporation mit eigenen Regierungs-organen und einer eigenen geschlossenen Bevölkerung, von anderen Staaten respektiert, dem Zugriff eines fremden Staats, nämlich Polen, ausgesetzt sein könnte. Schließlich ist nicht zu verstehen, dass Skubiszewski die deutsche Einverleibung des seiner Ansicht nach souveräni-tätsfreien Gebiets der Freien Stadt als rechtswidrig betrachtete,41 die polnische Einverleibung Danzigs 1945 aber als rechtmäßig.42
c. Keine Rechtfertigung durch das Potsdamer Abkommen
aa. Keine völkerrechtliche Bindung an das Potsdamer Abkommen
Die Polen vertraten nun die Auffassung, die Freie Stadt Danzig sei durch das Potsdamer Ab-kommen an Polen abgetreten worden43. Zur Rechtfertigung territorialer Veränderungen stützt sich Polen auf die Kriegskonferenzen und versucht, die dort erfolgten Absichtserklärungen durch Auslegung des Erklärungswillens der Konferenzteilnehmer zu begründen. In dieser Konsequenz sieht Polen die Ergebnisse der faktischen Festlegungen im Potsdamer Ab-kommen als verbindliche Bestätigung der vorher politisch erzielten Einigungen an.
36 So Skubiszewski (Anm. 34), S. 291; vgl. hierzu Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 182 ff.
37 Vgl. Skubiszewski (Anm. 34), S. 291 f., 312.
38 Vgl. Skubiszewski (Anm. 34), S. 310 ff.
39 Vgl. Skubiszewski (Anm. 34), S. 309 ff.
40 Vgl. auch Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 184.
41 Skubiszewski (Anm. 34), S. 304.
42 Vgl. Skubiszewski (Anm. 34), S. 310 ff.
43 Vgl. Krülle (Anm. 35), S. 154, Anm. 21; Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 150.
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Nun war das Potsdamer Abkommen kein Danzig oder das Deutsche Reich bindender völker-rechtlicher Vertrag. Ebenso wie die Entscheidungen des Potsdamer Abkommens für Deutsch-land nach herrschender Lehre als res inter alios gesta nicht rechtsverbindlich Gebietsver-änderungen erzwingen konnten, konnte die Freie Stadt Danzig nicht ohne ihre Beteiligung in einem Vertrag zum Anschluss an Polen gezwungen werden.
Im übrigen kann sich auch Polen gar nicht auf das Potsdamer Abkommen berufen, weil es nicht Partner des Potsdamer Abkommens gewesen ist.
bb. Widersprechender Wortlaut
Der eindeutige Wortlaut des Potsdamer Abkommens widerspricht ferner den von Polen vor-genommenen Auslegungen. Es war nämlich klargestellt, dass die endgültige Grenzziehung nur einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben solle44.
Im Potsdamer Abkommen wird die Freie Stadt Danzig erstmals in einer Vereinbarung der Alliierten in Abschnitt IX b Absatz 2 angesprochen und einer Besatzungsregelung unter-worfen, und zwar soll das Gebiet „der früheren Freien Stadt Danzig“ ebenfalls „unter die Verwaltung des polnischen Staats kommen“.45 Durch die Einbeziehung Danzigs in die vor-läufige Verwaltungsregelung wurde aber auch die endgültige Regelung der Danziger Frage gemäß Kapitel IX b Absatz 1 „bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt“.46 Von Danzig war in Kapitel IX b Absatz 1 allerdings nicht die Rede.47 Die Siegermächte des Zweiten Welt-krieges haben sich damit jeder gebietsändernden Entscheidung über Danzig enthalten. Auch für Danzig wurden die territorialen Entscheidungen aufgeschoben, das entsprach dem für Danzig schon vorher von der Sowjetunion getroffenen Geheimbeschluss vom 20. Februar 194548. Die polnische Deutung, die Rückstellung bis zum Friedensvertrag habe lediglich Ge-legenheit geben wollen, die Delimation als formelle Absteckung der endgültigen Grenze nachzuholen, ist nicht haltbar49. Für Danzig ist dieses Argument schon deshalb nicht zu ge-brauchen, weil es zur Eingliederung Danzigs durch Polen keiner Grenzfeststellungen zwischen Deutschland und Polen bedurfte, betrachtete man die Einverleibung der Freien Stadt durch das Deutsche Reich 1939 als rechtswidrig.
44 Vgl. Kraus (Anm. 35), S. 33.
45 Vgl. Krülle (Anm. 35), S. 161; Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 154.
46 Abschnitt IX des Potsdamer Abkommens.
47 Die Freie Stadt Danzig war nicht Kriegsgegner der Alliierten. Das Danziger Territorium war aber von Deutschland zum Kriegsschauplatz gemacht, seine Bevölkerung war von der Sowjetunion und Polen ver-trieben worden, und die Sonderrechte Polens in Danzig zur Sicherung des Zugangs zur Ostsee bedurften im Hinblick auf die eingetretenen Veränderungen einer Neuregelung. Wegen dieser Zusammenhänge lag es nahe, die Danzig betreffenden Probleme im Rahmen einer Friedenskonferenz zu regeln; vgl. Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 163.
48 Beschluss des Staatskomitees für Verteidigung der UdSSR Nr. 7558. Text: Uschakow, Alexander, Geheimdokumente der UdSSR und des Lubliner Komitees 1944/45 zur Oder-Neiße-Linie, in: Böttcher, Hans Viktor, Materialien zur Deutschlandfrage. Politiker und Wissenschaftler nehmen Stellung 1988/89, 1989, S. 473 ff. (475 ff.).
49 Vgl. Nachweise bei Kraus (Anm. 35), S. 25 f., sowie ausführlich: Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 187.
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Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen kann Polen auch nicht mit der Behauptung ge-hört werden, das für die Verwaltung verwendete Wort "administration" sei mit "government" als Ausübung territorialer Souveränität gleichzusetzen50.
50 Klafkowski Alphonse, Die Rechtsgrundlagen der Oder-Neiße-Linie, in: Instytut Zachodni, Die polnischen Westgebiete, 1960, S. 86 ff. (110 ff.).
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cc. Fehlende Kompetenz der Siegermächte und Polens
Die Alliierten waren ferner rechtlich nicht in der Lage, durch Zession die territoriale Souveränität der Freien Stadt Danzig an Polen zu übertragen oder eine Inkorporation Danzigs in die Volksrepublik Polen herbeizuführen und somit den Untergang des Danziger Staats herbeizuführen.
Da bei Abschluss und Durchführung des Potsdamer Abkommens Staatsorgane des Danziger Staatsvolkes faktisch nicht existierten, haben sich die drei West-Alliierten im Rahmen ihrer Schutzverantwortung und im Sinne dieses Vertragssystems zusammen mit der Sowjetunion der Stadt Danzig angenommen. Die territoriale Souveränität des Danziger Staats ist aber hier-durch nicht an die Alliierten übertragen worden. Sie haben gemeinsame Fremdherrschaft über das Gebiet der Freien Stadt Danzig als Koimperium übernommen51 und die Befugnis zur vor-läufigen Ausübung dieser Fremdherrschaft durch Verwaltung des Danziger Gebietes an Polen übertragen. Damit haben die Alliierten die Ausübung der Staatsgewalt, nicht jedoch die Staatsgewalt übertragen52. Polen hat damit die Aufgabe übernommen, seine Verwaltung im Sinne des Vertragszweckes wahrzunehmen und eine treuhänderische, pflegerische Aufgabe übernommen mit dem Ziele, die occupatio bellica sobald wie möglich durch einen Friedens-vertrag zu beenden. Das im Gebiet der Freien Stadt Danzig gelegene öffentliche Eigentum durfte vom Verwalterstaat unentgeltlich benutzt werden. Die Eingriffe in das Privateigentum waren vom Verwaltungsauftrag nicht gedeckt. Sie waren unabhängig von den Verletzungen der Art. 46 und 47 Haager Landkriegsordnung völkerrechtswidrig53.
Die Staatsangehörigkeit der Danziger wurde nicht angetastet. Die Vertreibung des Danziger Staatsvolkes war durch den Verwaltungsauftrag nicht gedeckt. Außerdem überschritt Polen mit den Massen-Neuansiedlungen polnischer Bürger im Danziger Raum die Grenzen des Verwaltungsauftrags54.
Über das Staatsgebiet durfte der Verwalterstaat also nicht verfügen, er war allerdings ver-pflichtet, eine ordnungsgemäße Verwaltung sicherzustellen und alles zu unterlassen, was die territoriale Souveränität gefährdete und die Ermessensfreiheit künftiger völkerrechtlicher Lösungen einschränkte.
51 Vgl. Menzel, Eberhardt, Deutschland. – Ein Kondominium oder Koimperium? Eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Hans Kelsen, in: JIR, Bd. 1 (1948/49), S. 75 ff.; Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 158.
52 Vgl. auch Verdross, Alfred von, Völkerrecht, 1937, S. 214 f.
53 Vgl. Blumenwitz, Dieter, Das Offenhalten der der Vermögensfrage in den deutsch-polnischen Be-ziehungen, 1992, S. 49.
54 Vgl. Blumenwitz (Anm. 53), S. 49.
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III. Keine Anerkennung durch Deutschland
Nach der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Einverleibung der Freien Stadt Danzig durch den polnischen Staat stellt sich die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland diese Annexion anerkannt hat, und falls dies der Fall sein sollte, ob die Anerkennung rechtmäßig war.55
1. Moskauer Vertrag
Im Moskauer Vertrag vom 12. August 197056 wird zur Frage der Freien Stadt Danzig nicht Stellung genommen. Bei diesem Vertrag, in dem die Vertragspartner künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich betrachten, wie sie am Tage der Unterzeichnung dieses Vertrages verlaufen, einschließlich der Oder-Neiße-Linie, die die Westgrenze der Republik Polen bildet, handelt es sich nicht um einen Grenzanerkennungsvertrag.57 Für eine solche Regelung wären die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion ohnehin recht-lich nicht zuständig gewesen, weil sich die nicht souveräne Bundesrepublik Deutschland nicht einmal bezüglich der Grenzen Deutschlands von 1937 binden konnte. Im Übrigen war der Vertrag lediglich ein Gewaltverzichtsvertrag58.
2. Warschauer Vertrag
Der Warschauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 197059 bezieht sich ebenfalls nicht auf die Freie Stadt Danzig. Auch hierbei handelt es sich um einen Gewaltverzichtsvertrag.60 Eine Regelung des Status der Freien Stadt Danzig hätte die Kompetenz der Vertragspartner überschritten.
3. Zwei-Plus-Vier-Vertrag
Die im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung geschlossenen Verträge61 enthalten keine Regelungen des Schicksals der Freien Stadt Danzig. Der mit den Vier-Mächten, der Bundes-republik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geschlossene Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 12. September 199062 enthält keine Regelung der völkerrechtlichen Fragen der Freien Stadt Danzig. Die Vertragspartner beziehen sich in der Präambel auf die „Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier-Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes“. Im Vorspruch und in Art. 7 wird außerdem hervorgehoben, dass „die Rechte und Verantwort-
55 Vgl. zur Problematik auch Gornig (Anm. 10), S. 69 ff.
56 Text: BGBl. 1972 II, S. 354 f.
57 Vgl. auch Gornig, Gilbert H., Das Nördliche Ostpreußen gestern und heute. Eine historische und recht-liche Betrachtung, 1996, S. 148 ff.
58 Vgl. die Entschließung des Deutschen Bundestags zum Moskauer und Warschauer Vertrag vom 10. 5. 1972, Stenografische Berichte, 6. Wahlperiode, 187. Sitzung, 10. 5. 75, S. 10960. Vgl. auch Gornig, Gilbert, Die deutsch-polnische Grenzregelung, in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.), Deutschland im welt-politischen Umbruch, 1993, S. 163 ff. (178 ff.); ders., Das Nördliche Ostpreußen gestern und heute (Anm. 57), S. 148 ff.
59 Text: BGBl. 1972 II, S. 362 f.
60 Vgl. auch Gornig (Anm. 58), in: Göttinger Arbeitskreis, S. 178 ff.
61 Dazu Gornig, Gilbert, Der völkerrechtliche Status Deutschlands zwischen 1945 und 1990. Auch ein Bei-trag zu Problemen der Staatensukzession, 2007, passim.
62 Text: BGBl. 1990 II, S. 1318 ff.
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lichkeiten der Vier-Mächte in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes ihre Bedeutung verlieren“ und deshalb beendet sind. Es wird damit deutlich, dass die Rechte und Verantwort-lichkeiten in bezug auf die Freie Stadt Danzig nicht berührt werden. Insgesamt fehlt damit bislang eine vertragliche Lösung der völkerrechtlichen Probleme der Freien Stadt Danzig63.
4. Partnerschaftsverträge
Weder der deutsch-sowjetische Partnerschaftsvertrag64 noch die beiden deutsch-polnischen Verträge, nämlich der Grenzbestätigungsvertrag vom 14. November 199065 und der Nachbar-schaftsvertrag vom 17. Juni 199166, enthalten Anhaltspunkte für eine Regelung der territorialen Souveränität der Freien Stadt Danzig. Vermögensrechtliche Probleme werden im Nachbarschaftsvertrag ebenfalls nicht aufgearbeitet. Im Brief zum Nachbarschaftsvertrag67 wird in Ziffer 5 von beiden Seiten übereinstimmend erklärt: „Dieser Vertrag befasst sich nicht mit Fragen der Staatsangehörigkeit und nicht mit Vermögensfragen“68, also erst recht nicht mit solchen die Freie Stadt Danzig betreffenden Fragen.
IV. Wiedergutmachung
Jede Rechtsverletzung verpflichtet auch im Völkerrecht den Verursacher dieser Rechtsver-letzung zur Wiedergutmachung des von ihm verübten Unrechts. Da sowohl das Deutsche Reich als auch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in völkerrechtswidriger Weise gegen die Freie Stadt Danzig vorgegangen sind und ihr Schäden zugefügt haben, sind sie somit verpflichtet, eine Wiedergutmachung zu leisten.
V. Verantwortung internationaler Institutionen
1. Völkerbund
Der Völkerbund hat nicht offiziell zur Wiedereingliederung Danzigs in das Deutsche Reich Stellung genommen. Weder die im Völkerbund vertretenen Großmächte noch der Völkerbund selbst haben bei der Regierung des Deutschen Reiches gegen die Wiedervereinigung Danzigs mit dem Deutschen Reich formell protestiert.69 Die Auffassung des Völkerbundes, dass die Freie Stadt Danzig nach den Eingliederungsakten im Jahr 1939 und 1945 fortexistierte, kommt allerdings in den Publikationen zum Ausdruck, mit denen der Völkerbund seine Auf-gaben auf die Vereinten Nationen überleitete.70 In einer im Juli 1944 herausgegebenen Broschüre mit einer Liste aller sich aus internationalen Verträgen ergebenden Zuständigkeiten
63 Vgl. Gornig, Gilbert, Der Zwei-plus-vier-Vertrag unter besonderer Berücksichtigung gebietsbezogener Regelungen, in: ROW 1991, S. 183 Anm. 111.
64 Text: BGBl. 1991 II, S. 703 ff.
65 Text: BGBl. 1990 II, S. 1329.
66 Text: BGBl. 1991 II, S. 3315.
67 Text: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1991, S. 547.
68 Zur rechtlichen Qualifizierung des Briefes vgl. Wenk, Silke, Das konfiszierte deutsche Privatvermögen in Polen und der Tschechoslowakei, 1993, S. 20 f.
69 Vgl. dazu ausführlich Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 199 f.
70 Dazu vgl. Lotze, Herbert, Das territoriale Erbe des Völkerbundes, Diss. Dortmund, 1970, S. 99 ff.
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des Völkerbundes71 und einer im Anschluss daran im September erschienen 160 Seiten um-fassenden Darstellung der Rechtsquellen dieser Kompetenzen sind alle Verantwortlichkeiten bezüglich der Freien Stadt Danzig aufgelistet. In einer Studie des britischen Außen-ministeriums vom 19. Februar 1945, die eine Zusammenstellung der rechtlich noch be-stehenden Verantwortlichkeit des Völkerbundes enthält, wurde bei Unterscheidung der recht-lich und tatsächlich noch ausübbaren Funktionen nach „politischen“ und „nicht politischen“ Aufgaben der Schutz Danzigs bei den speziell politischen Funktionen ausdrücklich erwähnt.72 Es ist also davon auszugehen, dass der Völkerbund vom Fortbestehen der Freien Stadt Danzig ausging. Daraus ist zu schließen, dass die Freie Stadt Danzig nach der deutschen, aber auch nach der polnischen Annexion als fortbestehend zu qualifizieren ist.73 Der Schutz der Freien Stadt Danzig gehörte also zu den Aufgaben des Völkerbundes. Dieser war aber nach 1939 nicht mehr in der Lage, Danzig tatsächlich Schutz zu gewähren.
2. Vereinte Nationen
Nach dem Zweiten Weltkrieg traten an die Stelle des Völkerbundes die Vereinten Nationen. Diese verstanden sich zwar nicht als die Nachfolgeinstitution des Völkerbundes, dennoch waren sie zum Teil mit der Übernahme und Weiterführung der Aufgaben, die in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg dem früheren Völkerbund auferlegt worden waren, betraut.74 Die Vorbereitungskommission für die Vereinten Nationen vertrat die Meinung, dass die sogenannten „politischen Funktionen“, die der frühere Völkerbund zu er-füllen hatte, nicht erloschen seien, sondern rechtlich fortbestünden und für eine Übertragung auf die neue Weltorganisation in Betracht kämen. Die Vorbereitungskommission hat, bei der Auflistung dieser „politischen Funktionen“ des früheren Völkerbundes, auch die Aufgaben, die dem Völkerbund in Bezug auf die Freie Stadt Danzig auferlegt waren, ausdrücklich be-rücksichtigt. Ob Funktionen des Völkerbundes von den Vereinten Nationen übernommen und weitergeführt werden sollen, muss in jedem Einzelfall auf Antrag der Interessenten von der dafür zuständigen Instanz der Vereinten Nationen entschieden werden. Die Vereinten Nationen können aber auch von sich aus den Beschluss fassen, Aufgaben des früheren Völkerbundes zu übernehmen. In der Regel gehen aber die Verantwortlichkeiten einer auf-gelösten auf eine neu gebildete internationale Organisation auch ungeachtet und unabhängig vom Willen beider Organisationen dann über, wenn die Weiterführung der Funktionen der aufgelösten Organisation notwendig für den Fortbestand (von ihr überwachter geschützter und
71 «Compétences attribuées à la Société des Nations par les traités internationaux», in: SdN RT, Offizielle Nr. C.3.M.3.1944.V/Publikationsnr. «V.Questions juridiques («V.Legal) 1944.V.1».
72 Hierzu vgl. Lotze (Anm. 70), S. 106.
73 So auch Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 201 f.; Klein, Friedrich, Gutachten zur Frage: Sind Verantwortlichkeiten des Genfer Völkerbundes hinsichtlich der Freien Stadt Danzig auf die Organisation der Vereinten Nationen übergegangen? Münster 1970, S. 59 f.
74 In diesem Zusammenhang sei besonders auf Kapitel XII der Satzung der Vereinten Nationen, das den Titel „Das internationale Treuhandsystem“ trägt, hingewiesen. In Artikel 77 Absatz 1 sub a wird von Mandatsgebieten gesprochen, eine Bezeichnung, die aus der Ära des Völkerbundes stammt und auch in die Satzung der Vereinten Nationen Eingang gefunden hat.
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kontrollierter) internationaler Institutionen, insbesondere eines internationalen Status, ist und wenn die neu gebildete Organisation ein Organ besitzt, das gleiche oder zumindest ähnliche Aufgaben erfüllen und daher die Aufgaben der aufgelösten Organisation übernehmen kann (“automatic succession“). Damit gingen der internationale Schutz und die internationale Kontrolle als wesensnotwendige Bestandteile des Status der Freien Stadt Danzig auf die Ver-einten Nationen über.75
Bis jetzt haben die Vereinten Nationen hinsichtlich Danzig weder die „politischen Funktionen“ des früheren Völkerbundes in Bezug auf die Freie Stadt Danzig übernommen, noch ihrerseits eine eigene Initiative entwickelt. Von einem automatischen Übergang der Aufgaben des Völkerbundes in Bezug auf Danzig auf die Vereinten Nationen kann also nicht die Rede sein. Im Falle Danzigs bedeutet dies, dass eine Danziger Exilregierung76 durchaus berechtigt ist, sich mit einem diesbezüglichen Gesuch an die Vereinten Nationen zu wenden, um den Status Danzigs als Freie Stadt wiederherzustellen.
Artikel 77 Absatz 1 UN-Charta gibt eine Auflistung der Fälle, in denen das internationale Treuhandsystem Anwendung finden kann, und erwähnt diesbezüglich:
a) gegenwärtig bestehende Mandatsgebiete;
b) Hoheitsgebiete, die infolge des Zweiten Weltkrieges von Feindstaaten abgetrennt werden;
c) Hoheitsgebiete, die von den für ihre Verwaltung verantwortlichen Staaten freiwillig in das System einbezogen werden.
Artikel 77 Absatz 2 lautet:
„Die Feststellung, welche Hoheitsgebiete aus den genannten Gruppen in das Treuhandsystem einbezogen werden und welche Bestimmungen hierfür gelten, bleibt einer späteren Überein-kunft vorbehalten.“
Dass die Bestimmung des Artikel 77 Absatz 1 lit. a UN-Charta keine unmittelbare An-wendung auf die Freie Stadt Danzig finden kann, ist ersichtlich, da die Freie Stadt Danzig kein Mandatsgebiet des Völkerbundes war. Artikel 77 Absatz 1 lit. a UN-Charta bezieht sich also nicht auf Danzig.
Aber auch Artikel 77 Absatz 1 lit. b UN-Charta kann keine Anwendung auf die Freie Stadt Danzig finden, denn Danzig gehörte am 1. September 1939 nicht zum Hoheitsgebiet des Deutschen Reiches, sondern bildete einen eigenen, selbstständigen Staat, der zwar am ersten Tag des deutsch-polnischen Krieges mit Krieg überzogen und von deutschen Truppen besetzt
75 Klein, Friedrich, Sind Verantwortlichkeiten des Genfer Völkerbundes hinsichtlich der Freien Stadt Danzig auf die Organisation der Vereinigten Nationen übergangen? Gutachten, o. J.
76 Vgl. zur Exilregierung grundsätzlich Koberg, Alexander, Die Exilregierung im Völkerrecht. Eine Unter-suchung ihrer rechtlichen Klassifikation, 2005, passim.
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wurde, aber selbst keine Partei in diesem Kriege war und daher ausschließlich als Opfer dieses Krieges zu betrachten ist. Polen war 1945 genauso wenig berechtigt, das Gebiet der Freien Stadt Danzig zu annektieren, wie es dem Deutschen Reich zustand, sich das Gebiet auf Grund eines eigenmächtigen Vorgehens anzugliedern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht einmal die Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land sich getraut hat, im Rahmen ihrer sogenannten Ostpolitik das Gebiet der Freien Stadt Danzig in ihre Verträge mit Polen einzubeziehen.
Die Anwendung des Art. 77 Absatz 1 lit. c UN-Charta auf das Danziger Gebiet wäre denkbar, aber erfahrungsgemäß ist nicht zu erwarten, dass die polnische Regierung bereit sein wird, das von Polen widerrechtlich annektierte Gebiet der Freien Stadt Danzig freiwillig herauszu-geben, um die Wiederherstellung Danzigs als Freistaat zu ermöglichen. Aus diesem Grund wird es daher notwendig sein, ein Sonderverfahren einzuleiten, das als Analogverfahren des Art. 77 Absatz 1 lit. c UN-Charta auf das Danziger Gebiet angewandt wird mit dem Ziel, den Status Danzigs als Freie Stadt wieder herzustellen und sie als Freie Stadt Danzig in ihre Rechte wieder einzusetzen.
Die Danziger Exilorgane Rat der Danziger (Parlament) und Vertretung der Freien Stadt Danzig (Exekutive) haben bereits zahlreiche Eingaben bei den Vereinten Nationen gemacht mit dem Ziel, eine Befassung mit den ungelösten völkerrechtlichen politischen Fragen der Danziger zu erreichen.77 Ein Antrag wurde am 22. April 1995 an den Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali gerichtet. In diesem Antrag ersuchte die Danziger Vertretung die Vereinten Nationen, sich mit der Danziger Frage zu befassen, um eine noch ausstehende völkerrechtsgemäße Lösung für die Danziger herbeizuführen. Zu diesem Zwecke sollten so bald wie möglich die erforderlichen Schritte eingeleitet werden und hierbei die Exilorgane der Danziger beteiligt werden.78 Die Danziger im Exil weisen darauf hin, dass ihre Ziele im Sinne der friedenserhaltenden Aufgaben der Vereinten Nationen erfolgen und ihre Vorschläge mit der Friedensordnung der Welt und Europas in Einklang stehen. Sie betonen, dass sie die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen werden. Sie bringen die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen dem Frieden dienen wird. In dem Antrag schlägt die Vertretung vor, eine Kommission einzusetzen, zu deren Sitzungen neben der Vertretung der Freien Stadt Danzig die Republik Polen und die Bundesrepublik Deutsch-land eingeladen werden sollten. Weitere Eingaben erfolgten an die Republik Polen sowie an die Bundesrepublik Deutschland, aber auch an den Generalsekretär des Europarates, den Präsidenten der Europäischen Kommission, den Präsidenten des Europäischen Parlaments und an den Generalsekretär der OSZE.79 Schließlich erfolgten noch eine Petition an die Alliierten, Eingaben an die Vereinten Nationen, Schreiben an die Republik Polen und die
77 Vgl. hierzu Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 317 ff.
78 Text des Antrags: Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 323 f.
79 Vgl. hierzu Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 324 - 328.
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Bundesrepublik Deutschland, an den Europarat und an weitere europäische Organisationen sowie an die baltischen Staaten.80
Bemerkenswert ist die Antwort der Bundesrepublik Deutschland, die darauf hinweist, dass der deutsch-polnische Vertrag vom 14. November 1990 die bestehende Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen bestätigt habe. Außerdem hätten beide Vertragspartner erklärt, dass sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche in Zukunft nicht erheben werden. Mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 habe sich nach Einschätzung der beteiligten Mächte auch die Frage einer weiteren friedensvertraglichen Regelung erledigt. Die Argumentation der Bundesrepublik Deutschland geht völlig an der Rechtsfrage vorbei und zeugt von Unkenntnis der Rechtslage. Hier geht es nicht um die deutsch-polnische Grenze – es sei denn die Bundesregierung betrachtete die Einverleibung Danzigs 1939 als rechtswirk-sam – und um einen deutsch-polnischen Ausgleich, sondern um einen dritten Staat, die Freie Stadt Danzig, deren Einwohner nun großenteils Einwohner und Staatsangehörige der Bundes-republik Deutschland sind, und ihr Verhältnis zu Polen. Die Danziger wenden sich an ihren Wohnsitzstaat, um Unterstützung bei einer völkerrechtlichen Regelung des Status der Freien Stadt Danzig zu erhalten. So, wie mit Deutschland im Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 eine abschließende Regelung zahlreicher Fragen erreicht worden ist, muss es auch möglich sein, bezüglich des Status Danzigs eine abschließende Regelung zu erreichen.81 Die Danziger weisen im Schreiben an Polen auch darauf hin, dass auch die Republik Polen an einer völkerrechtlichen Lösung für Danzig interessiert sein müsste.82
Die Danziger Frage ist also immer noch nicht gelöst, Danzig ist – völkerrechtlich betrachtet – nach wie vor ein von einer fremden Macht besetzter Staat, der von der besetzenden Macht darüber hinaus auch noch annektiert worden ist, was ein weiterer Verstoß gegen geltendes, Völkerrecht ist.
Um etwas zu bewirken, müssten die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte König-reich und Russland dazu zu bewegt werden, von der in der sogenannten Potsdamer Erklärung vom 2. August 1945 von ihren Regierungen verfügten „vorläufigen polnischen Verwaltung“ des Gebietes der „ehemaligen Freien Stadt Danzig“ Abstand zu nehmen. Sollten die Regierungen nicht bereit sein, den von ihnen verlangten ersten Schritt zu tun, um den Weg zur Wiederherstellung der Freien Stadt Danzig frei zu machen, obliegt es den freigewählten Ver-tretern der seit 1945 im Exil lebenden Danzigern bzw. einer zu bildenden Danziger Exilver-tretung83, den Versuch zu unternehmen, sich unmittelbar an die Vereinten Nationen zu
80 Texte bei Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 328 - 333.
81 Vgl. hierzu auch die Petition an die Alliierten vom 18. Februar 1998, Text: Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 328 f.
82 Vgl. hierzu Schreiben an die Republik Polen, Text: Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 330 f.; zur Überleitung der Völkerbundsaufgaben auf die Vereinten Nationen vgl. auch Böttcher, Die Freie Stadt Danzig (Anm. 9), S. 287 ff.
83 Zur unechten Exilregierung vgl. Koberg, Die Exilregierung im Völkerrecht (Anm. 76), S. 276 ff. (278).
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wenden und dort für die Rechte der Freien Stadt Danzig einzutreten. Ziel aller ihrer An-strengungen müsste die Wiederherstellung Danzigs als Freie Stadt sein, ein Rechtszustand, wie er am 31. August 1939 bestand. Die Chancen sind realistisch gesehen schlecht und die Frage stellt sich, ob die Danziger das überhaupt wollen!
Jedenfalls hat die Freie Stadt Danzig Rechtsansprüche sowohl an das Deutsche Reich als auch an die Republik Polen für alle Schäden, die durch und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem am 1. September 1939 auch über die Freie Stadt Danzig gekommenen Krieg entstanden sind. Polen hat in angemessener Weise eine Entschädigung an die im Zusammenhang mit den drohenden Kriegsgefahren seit 1944 aus Danzig geflüchteten und vertriebenen Menschen nicht polnischer Staatsangehörigkeit nach völkerrechtlichem Fremdenrecht zu entrichten.
IV. Resümee
Aus dem oben Erwähnten muss zwangsläufig die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Danzig vom 1. September 1939 an bis zum heutigen Tage als ein von einer fremden Macht besetzter Staat zu betrachten ist.
Danzig gehörte, wie festgestellt werden konnte, zur der Zweite Weltkrieg ausbrach (1. September 1939) nicht zum Deutschen Reich. Die Tatsache, dass die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 in das Danziger Gebiet einmarschierte und am selben Tag dieses Gebiet – in völkerrechtswidriger Weise – dem Deutschen Reich wieder eingliederte, bei dem es sich völkerrechtlich gesehen um eine vollzogene Annexion handelte, gibt Polen nicht das Recht, sich nun auch seinerseits über den Status des Freistaates Danzig hinwegzusetzen und das seit März 1945 von ihm besetzt gehaltene Gebiet des Freistaates Danzig zu annektieren. Die ehe-malige Sowjetunion unterstützte Polen insoweit aktiv und die westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges billigten das Vorgehen, zumindest stillschweigend, obwohl Polen, nicht anders als das Deutsche Reich, zahlreiche Normen des Völkerrechts verletzte. Die von Polen nach dem Zweiten Weltkrieg vorgenommene Annexion der Freien Stadt Danzig ist also eben-falls rechtswidrig. Die Sowjetunion, die mit ihrer Roten Armee 1945 bis weit in Mitteleuropa vorgedrungen war, übertrug neben den zum Deutschen Reich gehörenden Gebieten jenseits von Oder und Neiße auch das Gebiet der Freien Stadt Danzig den Polen zur Besetzung und vorläufigen Verwaltung übertragen. Dabei war aber ausdrücklich der Vorbehalt gemacht worden, dass die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben würde.
Da die Freie Stadt Danzig 1945 nicht zum Deutschen Reich gehörte und Danzig während des Zweiten Weltkrieges auch keine kriegführende Partei gewesen war, hätten die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, hier besonders die Sowjetunion, die Besetzung der Freien Stadt Danzig so schnell wie möglich wieder aufheben und die staatliche Integrität des Freistaates Danzig wiederherstellen müssen. Stattdessen haben die Siegermächte während der Drei-mächtekonferenz von Berlin (Potsdam, 17. Juli – 2. August 1945) auch das Gebiet der Freien
Professor Dr. Dr. h. c. mult. Gilbert Gornig
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Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates gestellt (sog. Potsdamer Ab-kommen, IX. Polen, unter b), auch hier mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass die end-gültigen Grenzen Deutschlands erst in einem Friedensvertrag festgelegt werden. Mit ihrer in Bezug auf Danzig getroffenen Entscheidung hatten die Siegermächte ihre Befugnisse weit überschritten, weil sie die Freie Stadt Danzig nicht als zum Deutschen Reich gehörend hätten betrachten dürfen. Die Siegermächte hätten dem rechtlichen Status Danzigs als Freier Stadt Rechnung tragen müssen. Sie hatten sogar die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass der Ver-letzung der Rechte des Freistaates Danzig baldmöglichst ein Ende gesetzt werden würde. Wenn sie sich selbst dazu nicht in der Lage gesehen hätten, wäre es wohl der beste Weg dafür gewesen, die Schutzpflicht, die dem Völkerbund oblag, nach der Auflösung dieser Organisation am 18. April 1946 auf die Vereinten Nationen zu übertragen. Zwar sind die Ver-einten Nationen nicht ohne weiteres als die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes zu be-trachten, aber die Zielsetzung der beiden Weltorganisationen tendiert in dieselbe Richtung – nämlich Schaffung einer dauerhaften, friedlichen Weltordnung auf der Grundlage kollektiver Sicherheit.
Eine endgültige völkerrechtliche Lösung bleibt bis zu einer friedensvertraglichen Regelung aufgeschoben. Polen hat unter Verletzung dieser treuhänderischen Aufgabe das Danziger Staatsgebiet als Ganzes seinem Territorium einverleibt, das Staatsvolk vertrieben und das widerrechtlich vertriebene Staatsvolk ausgesperrt und durch Neuansiedlung polnischer Be-völkerung vollendete Tatsachen zu erreichen versucht.
Das Deutsche Reich wurde nach der Niederlage des Deutschen Reiches im Jahre 1945 für sein völkerrechtswidriges Vorgehen zur Verantwortung gezogen und bestraft. Polen dagegen, obwohl es sich während des Zweiten Weltkrieges nicht weniger völkerrechtswidrig verhielt und sein rechtswidriges Verhalten bis zum heutigen Tage fortsetzt, nicht. Polen übt völker-rechtlich gesehen, ohne, dass es von einem anderen Staat oder von den Vereinten Nationen daran gehindert wird, in dem Freistaat Danzig ein widerrechtliches Besatzungsregime aus.
Man mag nun einwenden, dass das alles keinen Menschen mehr interessiere, aber in einer völkerrechtlichen Betrachtung ist die Rechtslage zu beleuchten, der Zeitgeist oder politische oder gar ideologische Überlegungen spielen keine Rolle. Die Moral sagt uns, dass die Ver-nichtung eines Staates, Vertreibung und Enteignung Unrecht sind. Das moderne Völkerrecht basiert auf moralischen Überlegungen und Wertungen, mehr als manche innerstaatliche Rechtsordnung. Es verurteilt Vertreibungen und entschädigungslose Enteignungen genauso wie die Annexion eines Staates.

http://www.voelkerrecht.com/lebenslauf.html

ada.gleisner
05.11.2011, 12:08
Für mich sind die Darlegungen des Prof. Gornig vollständig nachvollziehbar, natürlich auch deshalb, weil ich keinerlei rechtsstaatliches Wissen habe bis auf mein natürlichers Rechtsempfinden. Vor allem ist es auch so dargestellt, daß es ein Laie ohne weiteres verstehen kann. Aber was ergibt das für uns, die noch lebenden deutschen Danziger ?
Nur die Tatsache, daß uns Unrecht geschehen ist, das aber sonst keinen interessiert.
Werden wir von dieser Erde verschwunden sein, wird man sich nur noch in ausgesuchten Geschichtszirkeln mit diesem Teil Europas beschäftigen. Die Folgen des 2. Weltkriegs sind noch abzulesen in unzähligen Publikationen, aber wir wissen auch, daß pausenlos weitere völkerrechtliche Verbrechen, Fehlurteile, Kriege u.ä. passieren und das Vergangenes selten wirklich aufgearbeitet wird. Wir sollten uns diese Arbeit in die Schreibtischschublade legen und bei entsprechenden Fragen an uns, die Antworten aus diesem Artikel suchen, sie scheinen mir vorurteilsfrei und gut begründet zu sein. Gruß von Ada

Poguttke
05.11.2011, 13:44
"Aber was ergibt das für uns, die noch lebenden deutschen Danziger ?"

Da wir Danziger ja weltweit verstreut sind ist es wohl sinnvoll von den vertriebenen, verfolgten und enteigneten Danziger Staatsbürgern zu sprechen, denn "deutsche Danziger" ist ein Widerspruch in sich und wird im Ausland nicht verstanden. Unsere Nationalsprache ist deutsch, wir sind aber Danziger. Ein Staatsvolk in dieser Form zu behandeln ist Völkermord, es unterliegt dem Völkerrecht und verjährt niemals, wird also vererbt. Was das wert ist wird die Zukunft zeigen, bei Palästinensern und Tibetern können wir ja verfolgen welcher Weg erfolgreicher ist, der aktive oder passive Widerstand. In jedem Falle stehen wir Danziger nicht allein in der Welt in unserem Bemühen der Durchsetzung des Völkerrechts, und im ehemaligen Jugoslawien sehen wir auch, daß sich in Europa einiges völkerrechtlich bewegt was auch mit den Versailler Verträgen zu tun hat.

Marc Malbork
05.11.2011, 14:58
Ich darf mal zusammenfassen:
Nach Gornig & "Poguttke" üben die Polen heute in Danzig ein völkerrechtswidriges Besatzungsregime aus, dass von Rechts wegen beseitigt werden müsste, nach "Poguttke" unter Hinweis u.a. auf die Palästinenser mit der Erwägung"aktiven" Widerstands, denn der von Polen verübte "Völkermord" an den Danzigern verjährt nie.

Ich meine, dies ist nur noch Hass, Revanchismus und Revisionismus in Reinkultur.

Eigentlich bin ich in dieses Forum seinerzeit auch eingetreten, weil ich fand, dass unter Vorantritt Wolfgang Naujocks hier in ausgewogener Weise ein freundliches und offenes Polenbild vorherrscht und ebenso über das seit '45 polnische Gdansk interessant und interessiert "plachandert" wird.

Nuja, es hat wohl nicht sollen sein.

Beate
05.11.2011, 15:16
Ach, nee, Rüdiger, was für eine befremdliche Reaktion! Du kannst doch nicht von der Meinung eines einzelnen auf das ganze Forum zurückschließen! Glaubst doch nicht im Ernst, dass hier alle so denken, oder? Führen dann so viele von uns wirklich nach Danzig? Würden wir uns dann hier sofür Danzig mit allem Drumherum begeistern können? Gäb es dann dieses Forum in dieser Form noch???

Wirklich deine Ansicht?

Schöne Grüße Beate

Uwe
05.11.2011, 15:31
Hallo Rüdiger,

ich glaube auch "Poguttke" gehört zu den sehr wenigen hier die rückwärtsgewandt sind. Kann mich da nur Beate anschließen, Du solltest nicht auf den Rest hier schließen. Nur weil der Rest nicht der aberwitzigen rechtlichen Diskussion widerspricht. Ich denke die meisten wollte nur nicht eine Diskussion hierzu im öffentlichen Bereich "anheizen". Deswegen habe ich bisher auch nicht geantwortet auf den Beitrag von "Poguttke". Ziel des Beitrage von "Poguttke" in dem Teil des Forums ist glaube ich politische Agitation, ansonsten wäre es im Bereich "Heiße Themen" eingestellt worden, der ja nichtöffentlich ist.

Herzliche Grüße

Uwe

Beate
05.11.2011, 16:22
Ja, genau so sehe ich das auch, Uwe, und da ich auch keinerlei Interesse daran habe, in derartige, für mich absurde, Diskussionen verwickelt zu werden, will ich da auch nicht drauf eingehen. Aber, Rüdiger, ich will, genau wie sicher die meisten hier, auch nicht in den großen Topf der "schweigenden Zustimmung" geworfen werden, ganz sicher nicht!

So, von mir aus gibt es dazu nichts weiter zu bemerken, werde mich nach Möglichkeit der "vornehmen Zurückhaltung" befleißigen...

Schöne Grüße Beate

Schöne

Christkind
05.11.2011, 18:49
Zitat:Nach Gornig & "Poguttke"

Ohhh, heißt das also, dass Prof. Gornig eigentlich ein Polenhasser ist?
Oder vielleicht, dass man um des himmlischen Friedens willen hier im Forum keine Art von geschichtlicher Aufarbeitung, die eventuell ein bisschen am Geschichtsbild, das so lange galt, erwähnen darf?
Da muss ich wohl auch was missverstanden haben.
Zumindest aber weiß ich für mich selbst Schlüsse zu ziehen.Anheizen lassen muss ich mich nicht.
____
Christa

Wolfgang
05.11.2011, 20:31
Schönen guten Abend,

ich habe dieses Thema verschoben in das Unterforum "Heiße Themen". Nicht weil Prof. Gornigs Ausführungen uninteressant sind, sondern weil die daran anschließende Diskussion "heiß" werden kann.

Es gibt heute auf deutscher und polnischer Seite viele fach- und sachkundige Beiträge zum früheren und heutigen Status Danzigs die allesamt diskussionswürdig sind. Es ist Unrecht geschehen, und vielfach verjährt Unrecht auch nicht. Unrecht kann jedoch nicht geheilt werden indem neues Unrecht begangen wird. Wer diese Tatsache in der Diskussion ausblendet bzw. so tut als ob man die Uhr einfach zurück drehen kann, läuft tatsächlich Gefahr der politischen Agitation bezichtigt zu werden.

Gerold Ewald bzw. "Poguttke" verfügt über ein eigenes einschlägig bekanntes Forum in dem er seine Ansichten zur Diskussion stellen kann. Gerold, ich möchte nicht, dass Du unser Forum für Deine Absichten und Ziele verwendest.

Viele Grüße aus dem herbstlich-milden Danzig
Wolfgang Naujocks
-Admin des Danzig-Forums-

Poguttke
06.11.2011, 01:11
"Unrecht kann jedoch nicht geheilt werden indem neues Unrecht begangen wird."

Genau so sehe ich das auch Wolfgang und das ist in meinem Konzept auch nicht vorgesehen, ich stehe nur für eine Lösung ein die alle Seiten zufriedenstellt, alles andere sind bösartige Unterstellungen von Personen die Opfer und Täter nicht auseinanderhalten können und deren Äußerungen du aber offenbar duldest. Sei es drum, der Hausherr hat gesprochen und ich werde mich nicht mehr dazu äußern :)

Heinzhst
06.11.2011, 01:58
Rüdiger, nimm dir ein Beispiel an Poguttke.
Poguttke vertritt seine Meinung und geht auf andere Meinungen ein.
Er wurde von Dir als Hasser, Revanchist und Revesionist benannt.

Wie würde es dir gefallen von ihm so genannt zu werden?

Wolfgang, Gero hat es richtig erkannt, du bist der Hausherr dieses Forums aber es fällt dir manchmal schwer neutral zubleiben.

Schönen Sonntag allen.
Heinz (HST)

Marc Malbork
06.11.2011, 03:41
Eigenzitat Rüdiger:

Ich darf mal zusammenfassen:
Nach Gornig & "Poguttke" üben die Polen heute in Danzig ein völkerrechtswidriges Besatzungsregime aus, dass von Rechts wegen beseitigt werden müsste, nach "Poguttke" unter Hinweis u.a. auf die Palästinenser mit der Erwägung"aktiven" Widerstands, denn der von Polen verübte "Völkermord" an den Danzigern verjährt nie.
Ich meine, dies ist nur noch Hass, Revanchismus und Revisionismus in Reinkultur. (...)

Ende des Zitats.

Ich habe also, heinzhst, nichts anderes getan als auf andere Meinungen einzugehen und meine Meinung dazu zu sagen. Im Regelfall pflege ich exakt zu formulieren und bitte dies nicht zu verfälschen.

Für mich ist die Sache damit auch erledigt.

Peter von Groddeck
06.11.2011, 19:00
Liebe Forumer,
nur damit nicht der Eindruck entsteht, es denken viele im Forum wie Poguttke, will ich nur anmerken, ich denke nicht so, sondern schaue otimistisch in die Zukunft Europas , wo diese Frage keine Rolle mehr spielt. Wer dnkt heute noch darüber nach, ob z.B. Minden zu Preußen oder Hannover gehört. Es spielt keine Rolle mehr und so werden zukünftige Generationen über Danzig denken.
Gruß Peter