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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Walter Sperling: Mutter Friese



Rudi Bellon, + 24.08.2010
02.04.2008, 15:43
Frau Friese war - obwohl erst dreiundvierzig Jahre - schon eine
alte Frau,als in ihrem Schoß noch ein Spätling dem Licht ent-
gegenträumte.Im gewissen Sinne alt,-denn an der Fischerkante,
da zählen die Jahre doppelt;jedes gräbt eine tiefe Rune in die
Gesichter der Menschen,deren Leben reich an Müh und arm an
Freuden dahingleitet im ewigen Gleichmaß des Alltages.
Wie eine heilige Aufgabe des Schicksals war die Zeit der freudigen
Erwartung und Hoffnung über sie gekommen,und mit allem Hoffen
verband sie ihre Wünsche.Wenn Frau Friese in dem kleinen Gärtchen
vor dem Haus saß,die gefalteten Hände über dem werdenden Leben,
über sich die hohen Sonnenblumen,die der gleichen Reife entgegen-
blühten,dann wünschte sie,daß es ein Junge werden würde.So ein
richtiger Junge,dem sie alle Liebe und Sorgfalt angedeihen lassen
könnte,die ihr gereiftes Herz für das späte und sicherlich letzte
Kind bereit hielt.
Und wenn sie die Leute vom Strand kommen sah,schwerfällig,
bepackt mit Zeug und mit steinernen Gesichtern,deren braune,
wind-und salzverharschte Haut kaum noch ein Lächeln zuließ,
dann wünschte sie ferner,daß dieser Junge kein Fischer,kein
Seemann werden sollte,-
Ihr erster Wunsch ging in Erfüllung!
Ein heller Schein huschte über ihre herben Züge,als sie vernahm,
daß es ein Junge sei,den man in ihren Arm legte.Nun wußte sie,
daß sich auch das andere erfüllen würde,und in glückhaftem
Dahindämmern träumte sie von der Zukunft des Kindes,in dessen
Herz ein Teil ihrer kostbaren Wünsche schlummerte.
Es war daher kein gedankenloses Gerede,wenn Frau Friese später
des öfteren betonte,daß es der Junge einmal besser und leichter
haben werde im Leben,als seine Eltern.Und wenn Vater Friese
meinte,er werde schon einen strammen Fischer aus ihm machen,
dann lächelte sie still in sich hinein;wußte sie doch besser,was
werden würde ...
Jahre gingen über das abgeschiedene Fischerdorf hinweg,und die
Menschen hielten Schritt mit der Zeit.Frau Frieses Rücken hatte
sich inzwischen ein wenig gekrümmt,aber von ihrem Hoffen und
Wünschen hatte sie nicht nachgelassen.Sie sparte mehr denn je
und legte Pfennig auf Pfennig für die Zukunft des kleinen Paul,
der schon fleißig in die Schule ging und sich auf das große Leben
vorbereitete.
Hin und wieder schnitt sie am Familientisch an,daß es bald an der
Zeit sein werde,einen Beruf für den Jungen auszusuchen;aber mit
starrköpfigen Alten war nicht zu reden.
"Wir haben doch die beiden großen Jungen zu Haus",widersprach
sie."Die gehen in ein paar Jahren ihre eigenen Wege",beharrte der
Fischer,"dann brauche ich eine junge Hilfe!"
"Aber er soll es doch mal gut haben,der Paul!" unterstrich sie ihre
Absichten."Gut haben-haben wir es denn nicht gut,Mutter?Der Paul
wird Fischer-Wie ich und der Ohm!"Damit war die Frage für Vater
Friese erledigt.Im übrigen hatte er schon seine bewährte Methode,
dem Jungen das Meer begehrenswert zu machen.Er holte die alte Fischerchronik aus der Lade,schlug sie auf und las langsam und
wohlabgemessen,mit einem Seitenblick auf seine Frau,was auf der
ersten Seite stand:
"Wiewohl das Meer überaus groß ist/so ist es doch nicht leer/
sondernvoller Gnaden und Wohltaten./Es ist eine große und reiche
Speiskammer Gottes/daraus er den größesten Teil der Welt
speiset ..."
Dann gab er das schweinsledern gebundene,abgegriffene Buch dem
Jungen.Frau Frieses Augen wurden tränenfeucht, wenn dieser mit
seinem Zeigefinger die Zeilen abfuhr und Wort für Wort mitsprach,
und leise Zweifel stiegen dann mächtig inihr auf an der Kraft ihrer
Gedankensaat,die sie im Herzen des Knaben wußte.
In der Folgezeit war Frau Friese doppelt darauf bedacht,daß sich
alles nach ihrem Sinn entwickelte.Sie sprach mit diesem und jenem,
schuf sich Hilfstruppen ,und als auch der Schulmeister einmal
erklärte,daß der Paul eigentlich zu schade sei für den Fischerberuf,
da wurde auch der Friese schwankend,um so mehr,da der Junge
für die Fischerei wenig Liebe an den Tag legte.
"Mach,was du willst!"brummte er schließlich seine Frau an.Und ein
anderes Mal:"Kein Fischer ist schon besser,als ein halber Fischer!"
Als es soweit war und der Junge in der Stadt die ersten Geheim-
nisse des ehrbaren Schlosser-und Maschinenbauerhandwerks in
sich aufnahm,da begann Frau Frieses einsames Herz müde zu werden;
nicht,daß sie ihren anderen Kindern eine weniger gute Mutter war
nur der Weggang des einen und das erreichte Ziel ihres Wollens
bestimmten eine gewisse Entspannung,die ihren bisherigen Lebens-
willen etwas abklingen ließ.Jetzt,da sie den jüngsten weit weg wußte
vom Meer,dessen drohendes Toben oft durch das Rauschen des
Dünenwaldes an ihr Ohr drang,begann Frau Friese merklich schnell
älter zu werden;das Haar wurde schneeweiß über den eingefallenen
Schläfen,und silbergraue Fäden durchzogen den dünnen Scheitel.
Ihr Wirtschaften ging langsamer vonstatten,aber stille Zufrieden-
heit lag in ihrem Antlitz,wenn der Vater Friese abends die Brille
aufsetzte und vorlas,was ihr Paul geschrieben hatte,und er schrieb
immer gleich zufrieden,daß es ihm gut gehe und die Arbeit ihm
gefalle.
Die Briefe ihres Jungen gehörten mit zu den spärlichen Freuden,die
das Leben für sie aufgehoben hatte.So lebte sie von einer solchen
Freude zur anderen,und das Stundenglas der Zeit lief weiter ab.
Frau Friese wurde schon ein wenig gleichgültig dem Leben gegen-
über,daher konnte sie den Sinn der Nachricht nicht sofort erfassen,
als Vater Friese eines Tages mit freudebewegter Stimme vorlas,daß
der Paul nun nach seiner Gesellenprüfung auf einer Schiffswerft
arbeite.Erst viel später,als eine weitere Nachricht besagte,daß er
Maschinist geworden sei und auf einem Fischdampfer fahren werde,
horchte sie bestürtzt auf.
"Auf einem Fischdampfer ...?"murmelte sie.
"Ja",blitzte sie der alte an,und er schreibt,daß er sich darüber
freue!"
"Fischdampfer ... Da - ja da muß er doch aufs Meer,aufs Wasser!"
Jetzt hat die See ihren Jungen doch bekommen,und si wußte,daß
sie ihn von nun an gefangenhalten würde.Aber ihr Mutterherz war
zu müde geworden,um über diese Fügung aufzubegehren;vielleicht
hatte auch die Zeit den Dingen,deie ihr früher wichtig erschienen
waren,ein anderes Gesicht gegeben.
Frau Friese nahm es hin als letzten Mißerfolg ihres langen Lebens.
Doch diese Meinung milderte sich,als Paul nach langer Zeit vor ihr
stand,breit,voller Jugendkraft und Frische,die blauen Seemannshosen
über die Stiefel hochgeschlagen,und sie vor ihm,klein und zusammen-
gesunken,ein lebendiger Zweifel daran,daß dieser Körper einmal
soviel Kraft in die Welt setzen konnte,da fand ein großer Abschnitt
ihres Mutterlebens seinen Abschluß.
Das war ein Seemann,ein Fischer,de vor ihr stand,und als der Junge
zum erstenmal in seiner Mußezeit mit dem Alten zum Fang hinausfuhr,
da war ihr,als müßte es so sein - und wäre schon immer so gewesen.

Von Walter Sperling

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Grüße von Rudi

Frischula
02.04.2008, 17:57
Meine Güte Rudi,

bist Du fleissig! Hast Du das alles eingetippt?

Aber sehr interessant Dein Bericht von "Mutter Friese"!

Greetings aus dem Ländle

Frischula

P.S.: man stellt fest, dass Du Rentner bist (hier jetzt im postivem Sinne gemeint)!

Rudi Bellon, + 24.08.2010
02.04.2008, 18:36
bist Du fleissig! Hast Du das alles eingetippt?



Mein lieber Fritz.
Ich wusste das dieser Beitrag von Dir gelesen wird.
Das war auch der Grund diesen Beitrag zu schreiben.
Mein rechter Zeigefinger ist jetzt angeschwollen ;)
Was tut man nicht für einen Freund.:)

Sei gegrüßt junger Mann !