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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kleine Naxhhilfe in Geschichte



christian65201
02.07.2012, 18:19
Hallo zusammen,
eine kleine Nachhilfe in der Geschichte Polens:

http://www.landesarchiv-bw.de/stal/polen/index.htm


Grüße
Christian

mottlau1
05.07.2012, 19:32
Guten Abend Christian,

danke für diesen sehr interessanten Hinweis.

Viele Grüße
Jutta

Poguttke
06.07.2012, 02:43
Danzig, Polen und der Völkerbund. Eine politische Studie

Dr. Hans Adolf Harder




Um die Rechtsstellung Danzigs



Die Polen auf Grund der Bestimmungen des Versailler Vertrages zuzugestehenden Rechte in Danzig sind zwischen Polen und Danzig in dem Pariser Vertrage vom 9. November 1920 vereinbart worden. Die Rechtsnatur der Freien Stadt aber blieb im Halbdunkel der Unklarheit. Der Danziger Entwurf hatte eine jeden Zweifel ausschließende Feststellung vorgesehen: "Danzig ist ein souveräner Staat, der unter dem Schutze des Völkerbundes steht". Der endgültige Text der Pariser Konvention schweigt über diese Frage. In dem vom Völkerbunde genehmigten Text der Verfassung ist die Freie Stadt als ein "Freistaat" angesprochen worden. Die nicht beseitigte Unklarheit ist von polnischer Seite benutzt worden, um die polnische Souveränität über Danzig zu behaupten: Danzig sei nur eine Selbstverwaltungskörperschaft innerhalb des polnischen Staates. Der Zweck dieser Behauptung ist klar: Gelänge es Polen für diese These Anerkennung zu finden, dann bedürfte es keiner besonderen Anstrengung mehr, um den Zustand zu einem Faktum zu machen, der hier als eine Rechtsbeziehung postuliert wird. Es ist dieses also ein Vorstoß gegen Danzig, der gleich aufs Ganze geht und die Selbständigkeit der Freien Stadt mit einem Schlage durch eine einfache Rechtskonstruktion beseitigen soll. Die hierbei verwandten Argumente sind zu prüfen und die hierin unternommenen Schritte zu verfolgen.

Die von polnischer Seite in bezug auf die Rechtslage Danzigs geltend gemachten Argumente sind von dem Professor an der Schule für politische Wissenschaft und der Handelshochschule in Warschau, Julien Makowski, in einer Schrift "La Situation juridique du territoire de la Ville libre de Dantzig", zusammengefaßt worden.

a) Als wichtigstes Argument benutzt Makowski die Verknüpfung von Einst und Jetzt durch die von der Entente an Deutschland gerichtete Note vom 16. Juni 1919: "Elle [Danzig] va se trouver désormais placée de nouveau a une position semblable a celle quelle a occuppée pendant tant de siècles", und sagt, es erscheine jedenfalls sicher, daß die Urheber des Versailler Vertrages Danzig wiederum in dieselbe Stellung hätten bringen wollen, in der es sich vor der Zertrümmerung Polens befand. Aber einmal ist das zwischen Danzig und Polen auf Grund des Versailler Vertrages bestehende Rechtsverhältnis ein durchaus anderes, wie sich schon aus dem Katalog der Rechte der Hansestadt Danzig ergibt. Und zweitens hatte die Ententenote auch nur von einer Ähnlichkeit, aber nicht von einer Gleichheit der Rechtsverhältnisse von damals und jetzt gesprochen, so daß hieraus schwerlich überhaupt etwas über die Rechtsnatur der Freien Stadt schlüssig abzuleiten ist.

b) Weiter führt er ins Feld, daß das Schicksal Danzigs mit Polen vereinbart worden sei, nicht aber mit Danzig selbst. Erstens stimmt der behauptete Tatbestand nicht. Die Entscheidung der vier Ministerpräsidenten ist entgegen den Wünschen Polens gefallen. Alle polnischen Bemühungen, um eine Abänderung der Entscheidung zu erreichen, sind vergebens gewesen. Von einer Vereinbarung zwischen den Alliierten und Polen über das Schicksal Danzigs kann also keine Rede sein, will man dem Sinn der Worte nicht Gewalt antun. Zweitens aber würde, selbst wenn die Behauptung zutreffen würde, die daraus gezogene Folgerung ein Trugschluß sein. Danzig gehörte zur Zeit der Friedensverhandlungen noch dem Deutschen Reiche an, konnte also völkerrechtlich handelnd damals nicht auftreten.



Der Versailler Vertrag, durch den Danzig aus dem Gebiete des Reichs gelöst und die Souveränität auf die alliierten Hauptmächte übertragen wurde (Artikel 100), wurde für Danzig verbindlich durch das Deutsche Reich abgeschlossen. Die alliierten Hauptmächte verpflichteten sich, die Stadt Danzig mit Umgebung als Freie Stadt zu gründen (Artikel 102) und einen Vertrag, dessen Grundzüge hier schon festgelegt wurden, zwischen Danzig und Polen zu "vermitteln". (Artikel 104). Verträge aber können nur zwischen formell gleichberechtigten Staaten abgeschlossen und vermittelt werden. Sowohl nach den Vorgängen, die in Paris zum Danziger Kompromiß geführt haben, als auch nach dem Wortlaut des Versailler Vertrages ist Polen ebenso wie Danzig Objekt des Versailler Vertrages gewesen. Auch dieses Argument zerfließt also bei näherer Betrachtung ins Nichts.

c) Schließlich müssen noch eine Reihe von Nebengründen und Analogieschlüssen herhalten, um die polnische These zu stützen. Es sei am 17. Juli 1920 zwischen den Vertretern der Alliierten in Memel und in Danzig ein Abkommen über einen gemeinsamen obersten Gerichtshof abgeschlossen worden: "Dieses Abkommen ist dadurch für uns von Interesse, weil es zwischen den Mandataren einer und derselben Besitzerin der souveränen Macht abgeschlossen worden ist, da sowohl Danzig als auch Memel damals unter dem Kondominium der vier alliierten Hauptmächte standen. Es ist ein Beweis dafür, daß die Tatsache des Abschlusses eines Abkommens irgendwelcher Art nicht dafür angeführt werden kann, um einem der Kontrahenten die Eigenschaft einer Person des Völkerrechts zu verleihen". Was beweist dieser Tatbestand für die völkerrechtliche Geschäftsfähigkeit der Freien Stadt Danzig, die erst am 15. November 1920, also vier Monate später, gegründet wurde? Nichts. - Der Vertrag vom 9. November 1920 enthalte nicht die Ratifikationsklausel. Trotz der dringenden Vorstellungen der Danziger Delegation habe die Botschafterkonferenz nicht ihre Zustimmung zur Einfügung dieser Klausel gegeben, offenbar um dieser Konvention nicht den Charakter eines internationalen Vertrages zu verleihen. Da nach Artikel 40 der Vertrag gleichzeitig mit der Errichtung einer Freien Stadt in Kraft treten sollte, wäre das Verlangen einer vorherigen Ratifikation nicht erfüllbar gewesen. Ratifikation ist zudem ein im einzelstaatlichen Staatrecht festgelegtes Erfordernis. Aus der Tatsache, daß der Pariser Vertrag nicht die Ratifikationsklausel enthält, kann jedenfalls nichts geschlossen werden, was gegen den Staatscharakter der Freien Stadt spräche. - Der Artikel 34 des Pariser Vertrages sähe vor, daß die Einbürgerungsbedingungen in der Freien Stadt im Einvernehmen mit Polen festzusetzen seien. Durch die Nichtberücksichtigung der Danziger Einwände hätten die alliierten Hauptmächte noch einmal bewiesen, daß es durchaus nicht in ihrer Absicht läge, einen unabhängigen Staat Danzig zu schaffen. Es ist dies eine Sonderbestimmung, um eine in der damaligen Situation vielleicht mögliche Benachteiligung von polnischen Staatsangehörigen zu verhindern und Polen dadurch den freien Gebrauch des Danzigers Hafens zu gewährleisten. Nach Festlegung der Einbürgerungsbedingungen aber ist die Handlungsfreiheit der Danziger Staatsorgane in diesem Rahmen nicht eingeengt worden. - Der Völkerbundkommissar habe am 22. August 1922 entschieden, daß in Danzig Kommunalanleihe und Staatsanleihe dasselbe sei. Diese Meinung scheine indirekt die These zu bestätigen, nach der Danzig kein Staat, sondern eine kommunale Selbstverwaltungskörperschaft sei. Wenn der Völkerbundkommissar - es war der britische Generalleutnant Haking - in der angezogenen Entscheidung Anleihen der Stadtgemeinde "oder einer ähnlichen Einrichtung des Staates" als unter Art. 7 des Pariser Vertrages fallend erklärte, so werden finanzielle Transaktionen dieser Art dadurch in seine und des Völkerbundes Kompetenz gezogen (Ziffer 7 der Entscheidung). Man kann diese Entscheidung als eine vom Kommissar vorgenommene Kompetenzerweiterung kritisieren, aber über das Verhältnis von Danzig und Polen kann nichts aus ihr entnommen werden.

Selbst Polen wohlwollend Urteilende werden die Beweisstücke für die polnische These, daß Danzig nur ein Selbstverwaltungskörper im Bereiche des polnischen Staates sei, nicht als irgendwie stichhaltig anerkennen können. Der Wunsch ist nur zu deutlich der Vater dieser Konstruktion. Es ist hier jedoch nicht der Ort, um die Rechtslage der Freien Stadt Danzig ausführlich zu erörtern. Der Hinweis sei jedoch gestattet, daß Danzig unzweifelhaft ein Staat ist. Es gibt ein genau umgrenztes Danziger Staatsgebiet, eine Danziger Staatsangehörigkeit (die in der Regel die polnische Staatsangehörigkeit ausschließt), und eine eigene Staatsgewalt. Die Polen durch Vertrag zugestandenen Rechte können von ihm selbst nicht erweitert werden. Dieses sichere Merkmal widerlegt die Behauptung von der Selbstverwaltungskörperschaft im Bereiche des polnischen Staates. Die Unabhängigkeit nach außen ist dadurch, daß Polen die auswärtigen Angelegenheiten Danzigs führt, eingeschränkt. Nun ist aber die Unabhängigkeit nach außen, auch wenn die Staatsmänner von heute noch so sehr den Schein zu wahren suchen, durch den Völkerbund, wenn vielleicht auch tatsächlich mehr als rechtlich, bei allen dem Bunde angehörenden Staaten, in einem Maße beschränkt worden, daß, wenn man ehrlich sein will, von einer uneingeschränkten Souveränität der Staaten nicht mehr die Rede sein kann. Der Begriff der Souveränität ist eine reichlich abgegriffene Münze geworden, die heute nur noch mit Mühe in Zahlung gegeben werden kann. Will oder muß man den Begriff aber aus irgendwelchen Gründen heute doch noch anwenden, dann kann man es nur im Hinblick auf einen bestimmten Tatbestand tun. In bezug auf die Danziger Frage wird es alsdann Fälle geben, in denen die Souveränität zu bejahen ist, und andere, in denen eine Beschränkung besteht. Allgemein ist aber daran festzuhalten, daß der Besitz der Souveränität die Regel ist, und daß auch in Zweifelsfällen die Vermutung hierfür spricht. Jede einzelne Beschränkung muß besonders aus dem Pariser Vertrag oder dem Versailler Vertrag nachgewiesen werden. Wie bei der Frage der auswärtigen Angelegenheiten zu zeigen sein wird, ist Danzig Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft. Als solches ist es von der höchsten internationalen richterlichen Instanz, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag, zudem ausdrücklich anerkannt worden. Auch hat das Sekretariat des Völkerbundes gemäß Artikel 18 des Pakts (auf Grund eines polnischen Antrages) den zwischen Danzig und Polen am 9. November 1920 abgeschlossenen Vertrag - neben einer Reihe von weiteren Verträgen, an denen Danzig beteiligt ist - registriert.

Der erste Versuch, die polnische Auffassung von der Rechtsstellung Danzigs international zur Geltung zu bringen, wurde bereits bei der XI. Tagung des Rats, am 14. November 1920, gemacht. Paderewski verlangte damals Streichung des Wortes "Souveränität" und Abänderung des Ausdruckes "Freistaat"' in "autonomen Staat" im Verfassungsentwurf. Ein zweiter solcher Versuch erfolgte bei der XII. Ratstagung durch die von Askenazy am 20. Februar 1921 übergebene Denkschrift, durch die wiederum der Ausdruck "Freistaat" aus dem Verfassungsentwurf getilgt werden sollte. Diese Formel, wurde gesagt, bildete "eine juristische Neuheit, welche die unangenehmsten Mißverständnisse nach sich ziehen könnte" ("une nouveauté juridique capable de créer des malentendus les plus regrettables"). Volle Souveränität entspräche weder der tatsächlichen noch der rechtlichen Lage Danzigs.

Bei den vielfach nötig gewordenen Vertragsverhandlungen zwischen Danzig und Polen entstanden regelmäßig Schwierigkeiten daraus, daß Polen sich weigerte, in den Verträgen Danzig das Attribut "Staat" und seinem obersten Organ die Bezeichnung "Regierung" zukommen zu lassen sowie die Verträge mit der Ratifikationsklausel zu versehen. Danzig sah in dieser Formfrage mit Recht eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung für seine internationale Rechtsstellung, insbesondere gegenüber der Polnischen Republik, und rief, als Polen sich weigerte, das Abkommen vom 22. Juli 1922 über die Tarife der polnischen Eisenbahn auf Danziger Gebiet, wie vereinbart, zu ratifizieren, den Völkerbundkommissar an. Dieser, es war MacDonnell, fällte am 7. November 1924 eine Entscheidung, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. In der Begründung sagte er: "Der Ausdruck 'Auswärtige Angelegenheiten' schließt in den Augen der Welt eine staatliche Existenz in sich, denn wenn die Freie Stadt als solche keine staatliche Existenz hätte, so würde sie keine auswärtigen Angelegenheiten mit anderen Ländern zu verhandeln haben," und entschied: "Die Danzig-polnischen Beziehungen sind Beziehungen zwischen Staaten,..." und "Danzig ist ein Staat im völkerrechtlichen Sinne des Wortes, und ist zum Gebrauch von Ausdrücken, welche diese Tatsache erkennbar machen, berechtigt".

Die polnische Regierung legte gegen diese Entscheidung Berufung beim Völkerbundrat ein. Auf Grund eines Berichtes des spanischen Vertreters, Quiñones de Léon, bestätigte dieser die Entscheidung seines Kommissars, daß vertragliche vorgesehene Ratifikationen ausgeführt werden müssen. In der prinzipiellen Frage aber, die in der Entscheidung des Kommissars angeschnitten worden war, wich er aus. "Was den Ausdruck Staat betrifft, so ist er so wenig genau und wird unter so verschiedenen Bedingungen angewandt, daß der Rat es nicht für nötig hält, in die Untersuchung der Bedeutung dieses Ausdrucks und seiner Anwendung auf Danzig einzutreten. Das internationale Statut der Freien Stadt ist durch den Vertrag von Versailles festgelegt." ("défini.") Auf Grund einer (wohl nur dekorativ gemeinten) Bemerkung des Kommissars MacDonnell wurde dann noch im Protokoll die Hoffnung des Rats ausgesprochen, daß künftig keine Fragen über diesen Gegenstand bei ihm anhängig gemacht werden. Es ist jedoch festzustellen, daß der Rat die Entscheidung seines Kommissars, daß Danzig ein Staat ist, nicht etwa aufgehoben hat.

Der Völkerbundrat ist in Danzig-polnischen Streitfällen die letzte Berufungsinstanz. Er entscheidet endgültig. In diesem Falle hat er sich aber, statt eine den Streit beendende Entscheidung zu fällen, mit einer diplomatischen Formel aus der Affäre gezogen und hat zum Ausdruck gebracht, daß er auch in Zukunft nicht mehr mit dieser Frage befaßt zu werden wünsche. Der Streit zwischen Danzig und Polen über die internationale Rechtsstellung der Freien Stadt ging daher weiter.

Bereits ein Jahr, bevor der Rat sich mit der Frage der rechtlichen Stellung der Freien Stadt beschäftigte, war von der polnischen Regierung ein Versuch unternommen worden, vor dem Rat eine Erweiterung seiner Rechte über die Bestimmungen des Pariser Vertrages hinaus zu erlangen.

Um die Wende des Jahres 1922 auf 1923 herrschte eine Spannung in den Beziehungen zwischen Danzig und Polen. Der polnische diplomatische Vertreter Plucinski war der Exponent einer Politik des scharfen polnischen Zufassens. Er erklärte beispielsweise in einem Interview die vom Senat erfolgte Ablehnung des Titels "Generalkommissar" für den diplomatischen Vertreter Polens in Danzig für "kindisch" und äußerte sich bei dieser Gelegenheit weiter dahin, daß die Streitigkeiten zwischen Danzig und Polen nur solange dauern würden, wie eine Danziger Autonomie bestünde. In einem weiteren, wenige Tage später veröffentlichten Interview wurde er noch deutlicher und sagte: "Hier haben wir zwei Auswege: Entweder wir ersuchen den Völkerbund um Entscheidung, oder wir zwingen es [Danzig] durch Zwangsmaßnahmen, in dem wir einige unserer für Danzig günstigen Abmachungen nicht einlösen". In dem gleichen Interview sprach er auch davon, daß er als Repressalie für das Zögern des Senats, die polnischen Ein- und Ausfuhrvorschriften einzuführen, ein teilweises Einfuhrverbot erlassen hätte. In bezug auf die Schärfe der Tonart stand dem polnischen Vertreter in Danzig das polnische Staatsoberhaupt nicht nach. Der polnische Staatspräsident erklärte in einer am 28. April 1923 in Karthaus gehaltenen Rede: "Man muß Danzig alle diejenigen lebenswichtigen Säfte unterbinden, die es Polen nimmt, und dies solange, bis in Danzig eine andere dauerhafte Richtung die Oberhand gewinnt, die keinen Kampf und keine Aufrichtung von Schwierigkeiten will, sondern die eine loyale Zusammenarbeit sucht und Polen als Großstaat und Macht anerkennt, der in Danzig nicht nur geschriebene, sondern auch natürliche Rechte hat".

Beide Äußerungen verdeutlichen den einmütigen Willen der polnischen Politik, eine Änderung der Danzig-polnischen Beziehungen von Grund auf herbeizuführen, d. h. die Polen durch den Pariser Vertrag zugesprochenen Rechte zu erweitern. Wie sich das damalige Spannungsverhältnis auch in den Formen des Verkehrs von Staat zu Staat auswirkte, zeigt ein weiteres Vorkommnis. Nach Pariser Muster wurde eine Danziger Note in der Frage der Ausweisung von 16 Danziger Staatsangehörigen (vom 16. Juni 1923) vom polnischen diplomatischen Vertreter, "da sie Sätze enthält, welche nicht in geziemendem und der allgemeinen Höflichkeit entsprechendem Tone abgefaßt ist", zurückgeschickt. In der Danziger Note war unter anderem gesagt worden, daß das polnische Vorgehen "in der Bevölkerung der Freien Stadt Danzig als Erpressung empfunden" würde.

Die damalige Situation wurde dann wenige Tage später, in der Sitzung des Völkerbundrats vom 4. Juli 1923, vom Völkerbundkommissar MacDonnell umrissen. Das zur Schlichtung von Danzig-polnischen Streitfällen vorgesehene Verfahren wäre in der letzten Zeit mißlungen, weil 1. die polnische Regierung den Weg der direkten Aktion beschritten hätte, 2. der polnische Vertreter es abgelehnt hätte, mit den Vertretern des Senats zum Zwecke der Verhandlung zusammenzukommen, und 3. eine in Polen stattgefundene offizielle Kampagne und heftige Preßkampagne eine Spannung zwischen den beiden Parteien zur Folge gehabt hätte.

Diese Feststellungen des Kommissars zeigten die Kampffront auf und gaben zugleich den Auftakt zu dem nunmehr erfolgenden polnischen Generalangriff. Der polnische Vertreter, es war Plucinski, lief vor allem Sturm gegen den Vertrag vom 9. November 1920, dessen Artikel 39 es ermöglichte, jede Streitfrage und auch solche, die zur Verwaltung und Gerichtsbarkeit Polens gehören, von Seiten Danzigs vor den Völkerbundkommissar zu bringen. Polen wünschte die Wirksamkeit dieses Vertrages dadurch eingeschränkt zu wissen, daß die Auslegung an dem Wortlaut von Artikel 103 und 104 des Versailler Vertrages gebunden würde.

Im einzelnen richteten sich die Angriffe 1. gegen die Zollverwaltung in Danzig, an der die Freie Stadt festhält, 2. gegen dem Hafenausschuß als einen "Staat im Staate", der sich mit lokalen Verwaltungsaufgaben, also Fragen sekundärer Natur, beschäftige, darüber aber seine Hauptaufgabe, Polen die Freiheit und die Entwicklung seiner Ein- und Ausfuhr zu garantieren, vollkommen vernachlässige, der Polen außerdem finanzielle Lasten auferlege, ihm aber keine Rechte gebe. Man müßte glauben, daß der Hafen von Danzig des Hafenausschusses wegen da wäre, was der Schließung des Hafens für Polen gleichkäme; 3. gegen die Nicht-Zugestehung der Exterritorialität an mehr als 10 polnische Beamte, 4. gegen die Beschränkung im Gebrauch polnischen Staatseigentums durch die Wohnungszwangswirtschaft, 5. gegen die Beschränkung des freien Zuzugs von polnischen Staatsangehörigen durch Polizei und Demobilmachungsamt.

Der Rat maß diesem Vorstoß offenbar nicht die gleiche Wichtigkeit bei wie Polen. In dem Bericht des spanischen Vertreters, Quiñones de Léon, der am 7. Juli 1923 die Billigung des Rats fand, wurde Polen (und Danzig) die Empfehlung zuteil, jede ernste Beschwerde, die ein Teil gegen den anderen hegte, dem Völkerbundkommissar zur Entscheidung vorzulegen. "Une précision générale" wurde abgelehnt.

Lord Robert Cecil, der Vertreter Großbritanniens, richtete jedoch bei dieser Gelegenheit an den polnischen Vertreter die Frage, ob Polen den Pariser Vertrag unterzeichnet hätte und sich daran gebunden fühlte. Plucinski mußte beide Fragen bejahen.

Anschließend fanden zwischen den Regierungen über die strittigen Fragen Verhandlungen statt. Schon nach drei Tagen war über die Grundlage, auf die die weiteren Verhandlungen sich stützen konnten, Übereinstimmung erzielt. In seinem Bericht an den Rat vom 31. August 1923 stellte der Kommissar MacDonnell fest, "daß die Verhandlungen durchweg in einer Atmosphäre des guten Willens geführt wurden, und daß beide Parteien den Wunsch nach völliger Verständigung über alle polnisch-Danziger Beziehungen zum Ausdruck gebracht haben". In einer langen Reihe von Fragen praktischer Natur war man, dank eines gewissen Einlenkens von Danziger Seite, zu einer Vereinbarung gelangt. Im übrigen aber wurde der bisherige Rechtszustand vollauf bestätigt. An mehreren Stellen der Vereinbarung wurde ausdrücklich auf die Berufungsinstanz des Völkerbundkommissars und die Anwendung des Artikels 39 des Pariser Vertrages verwiesen. Nur über die Frage der Rechtsstellung der polnischen Staatsangehörigen in Danzig (Auslegung von Artikel 33 des Pariser Vertrages) wurde keine Übereinstimmung erreicht. Aber zur Vermeidung von Weiterungen sollte unter Mitwirkung des Kommissars jeder einzelne Fall einer Meinungsverschiedenheit einer vorläufigen Beilegung entgegengeführt werden. Von einer allgemeinen Revision des bisherigen Regimes, wie Polen sie gefordert hatte, war jedoch keine Rede mehr.

Damit war die polnische Aktion ergebnislos verpufft. Der Völkerbundrat als eine Forderungen, Argumente und Rechte abwägende Instanz, hatte soweit beruhigend gewirkt, daß es nicht zu der drohenden Anwendung staatlicher Machtmittel kam, mit deren Hilfe es Polen vielleicht möglich gewesen wäre, sich das Maß an Rechten zu beschaffen, das es zu erhalten begehrte.

Es ist die Konsequenz aus dieser Auffassung, wenn Makowski an anderer Stelle erklärt: "Wenn es zwischen Danzig und Polen zum bewaffneten Konflikt kommen würde, so hätten die militärischen Operationen nicht den Charakter eines internationalen Krieges, sondern den der Unterdrückung eines Aufstandes von Untertanen gegen ihren eigenen Staat;..."

Bouchereau spricht daher von "sogenannten Vertragschließenden."

"Wenn Danzig nur ein Teil des polnischen Staates wäre, so bedürfte es eines Vertrages zwischen beiden nicht, ja vom staatsrechtlichen Standpunkt wäre ein solcher Vertrag nicht angängig, denn ein Staat regelt die Rechtsverhältnisse seiner Selbstverwaltungskörper durch Gesetze". "Auch in der Bestimmung des Artikels 103, Abs. 2, VV. ('Streitigkeiten zwischen Polen und Danzig unterliegen der Entscheidung des Hohen Kommissars') liegt ein Argument gegen die polnischen Ansprüche: Wäre die Republik Polen ein der Freien Stadt übergeordneter Staat, so könnte sie auf keinen Fall zulassen, daß ein außenstehendes Forum über seine internen Verwaltungsangelegenheiten entscheidet". In gleicher Weise ließ sich auch der Völkerbundkommissar Haking in der Begründung zu seiner Entscheidung vom 6. Dezember 1921 aus: "Wenn ich die Frage der internationalen Wesensart der Konvention vom 9. November 1920 betrachte, so scheint mir aus dem Vertrag von Versailles hervorzugehen, daß diese Konvention durch die alliierten und assoziierten Mächte zwischen der Regierung [von] Polen [und] der Freien Stadt Danzig vermittelt wurde, und daß daher jeder von ihnen ein vertragschließender Teil war, und daß Polen nicht etwa Danzig einen Vertrag aufgezwungen hat. Es scheint mir daher ganz klar, daß die Konvention ein internationaler Vertrag zwischen den beiden Staaten war...."

Loening weiß hier von einem Vorkommnis zu berichten, das man nur als sehr merkwürdig bezeichnen kann. In den Entwürfen zum Pariser Vertrage vom 9. November 1920, wie sie von Danzig und Polen angenommen und von der Botschafterkonferenz bestätigt worden wären, hätte die Schlußformel mit den Worten geendigt: "dont les expéditions authentiques seront remises à chacune des Hautes Parties contractantes." Vor der Unterzeichnung wäre der Text nicht noch einmal verlesen worden mit der Begründung, er wäre bekannt. Die Danziger Vertreter hätten unterzeichnet und Abdrücke empfangen, in denen sich auch die erwähnte Formel befunden hätte. Erst als Makowski die Freie Stadt einer Fälschung bezichtigte, als sie den Pariser Vertrag mit dieser Formel veröffentlicht hatte, hätte Danzig das Originalexemplar des Vertrages in Paris einsehen lassen und dabei festgestellt, daß dort statt "Hautes Parties contractantes" die Worte "la Pologne et la Ville Libre de Dantzig" ständen!

Makowski schließt seine Abhandlung mit den Worten: "Glücklicherweise arbeitet die Zeit für Polen, und der Augenblick scheint nahe, wo sich allen die Revision der Rechtsstellung der Freien Stadt Danzig aufdrängen wird." Entsprechend dem Schlußabsatz bei Geneviève Levesque: "Übrigens bestimmen weniger die juristischen Prinzipien als die politischen und wirtschaftlichen Interessen die Ereignisse. Die Verträge selbst werden nur solange beobachtet, als sie durch eine tatsächliche Macht gestützt sind. Und das künftige Schicksal der Freien Stadt Danzig hängt zweifellos weniger von der Auslegung des Versailler Vertrages, als von der Verteilung der Macht unter den europäischen Staaten ab."

Auch Loening vertritt die Ansicht, daß der Begriff der Souveränität durch den Völkerbund "einen schweren Stoß erlitten" habe. In dem für alle Staaten beschränkten Sinne könne Danzig die Souveränität nicht abgesprochen werden.

Die uneingeschränkte Souveränität Danzigs wird z. B. behauptet von Pfeuffer, Albrecht, Beckmann, Damme, de Lannoy, Schroeder. Dagegen wird die Souveränität verneint von Schücking-Wehberg, Tigler. Freudenberg spricht von "Gleichberechtigung" der beiden Staaten und verneint eine Unterordnung Danzigs. Bouchereau verneint den Staatscharakter Danzigs, das nichts weiter wäre als eine Stadt mit der Kompetenz einer Stadtverwaltung." So ist die juristische Stellung Danzigs gegenwärtig das Resultat eines Machtgleichgewichts, oder vielmehr Einflußgleichgewichts zwischen dem Völkerbunde, Polen und auch Deutschland, ohne von anderen entfernteren Einflüssen zusprechen." Piccioni erklärt die Souveränität Danzigs für dreifach aufgeteilt, nämlich zwischen Polen, dem Völkerbund und Danzig. Dagegen Geneviève Levesque: Die alliierten Hauptmächte hätten Polen, dem Völkerbunde und der Freien Stadt bestimmte Teile der Regierungsgewalt in Danzig gegeben; es fände sich nirgends, daß diese Mächte die ihnen von Deutschland gemäß Art. 100 des VV. abgetretene Souveränität aus den Händen gegeben hätten. Diese behielten daher das Recht der Überwachung und der Änderung des Statuts. - Jede Diskussion über die Frage der Souveränität in Danzig wird sofort zu einer Erörterung über die Waffen im Danzig-polnischen Kampf.

Loening bezeichnet die Rechte Polens in Danzig als Staatsservituten. Diese Ansicht wird als richtig anzuerkennen sein. - An anderer Stelle weist Loening darauf hin, die völkerrechtliche Stellung sei "eine eigenartige, mit früher vorhandenen ähnlichen Gebilden nicht zu vergleichen."

Gemäß Beschluß des Völkerbundrats vom 17. Mai 1922 steht der Ständige Internationale Gerichtshof im Haag allen Nicht-Mitgliedstaaten allgemein oder für einen einzelnen Fall, je nach der von diesen Staaten abgegebenen Erklärung, offen. Daraufhin hat der Gerichtshof am 28. Juni 1922 beschlossen, diesen Ratsbeschluß erstens den Nicht-Mitgliedern, die in der Anlage zum Pakt genannt worden sind, und zweitens den folgenden Staaten mitzuteilen: Deutschland, Dominikanische Republik, Georgien, Ungarn, Island, Liechtenstein, San Marino, Mexiko, Monakko, Polen (zur Übermittlung an die Freie Stadt Danzig) und der Türkei. Die Cour hat ferner eine Liste der Staaten und der Empfangsstellen für Mitteilungen aufgestellt. Unter diesen Staaten figuriert (eingeordnet nach dem französischen Alphabet) auch Danzig. Als Empfangsstelle ist der polnische Gesandte im Haag angegeben. In diesem Zusammenhang mag auch noch ein Dokument Erwähnung finden, das dadurch bemerkenswert ist, daß es von einer Instanz der Alliierten stammt. In einem dem Präsidenten des Senats vom Verteilungsausschuß unter dem 10. März 1922 übersandten Rechtsgutachten, von dem ausdrücklich gesagt wurde, daß es die Bestätigung der Botschafterkonferenz gefunden hätte, heißt es unter Ziffer 1: "Die Wasserläufe sind Gegenstände des Herrschaftsbereiches des Staates als Folgeerscheinung seiner Souveränität. Sie sind daher in der Abtretung dieser Souveränität mit einbegriffen und infolgedessen nicht gemäß Art. 107 des Deutschen Friedensvertrages zu verteilen".

Dieser Tatbestand allein würde schon die Unrichtigkeit des zweiten weiter oben unter c) angeführten Makowskischen Arguments zeigen.

Zu welch merkwürdigen Aushilfsmitteln da gegriffen werden mußte, zeigt der Artikel 244 des Warschauer Abkommens, in dem statt "Austausch der Ratifikations-Urkunden" ein "Austausch von Noten" vereinbart worden ist.

Die gleiche eindeutige Stellungnahme war auch schon von Seiten des Völkerbundkommissars Haking erfolgt, wie sich aus der von dem Präsidenten des Senats an diesen gerichteten Note vom 6. Dezember 1921 ergibt: "Die Freie Stadt Danzig ist ein souveräner Staat, wie Eure Exzellenz die Güte hatte, mir erneut im Laufe unserer Unterredung von heute zu erklären. Sie hat daher auch das Recht, von diesem Vorrecht Gebrauch zu machen." (Rückübersetzt aus dem Französischen.) Wenige Tage später sprach der Völkerbundkommissar in seiner Entscheidung vom 18. Dezember 1921 von Danzig als einem "freien und unabhängigen Staate", eine Fassung, die den gleichen Inhalt wie die gegenüber dem Senatspräsidenten erfolgte Äußerung hat. Auch die Entscheidung vom 28. November 1922 bezeichnet den Senat als die "Regierung" eines "unabhängigen Staats". Der Anlaß für diese Äußerung war durch eine Entscheidung des Danziger Obergerichts gegeben, daß polnische Gesellschaften als ausländische anzusehen wären.

Als der Senat sich in einer Note bei Plucinski über die Richtigkeit der in dem Warschauer Blatt veröffentlichten Äußerungen erkundigte, notifizierte dieser allerdings eine an die genannte Zeitung gesandte Berichtigung, die am 9. Juli 1922 auch veröffentlicht wurde. Hier erfuhr die damalige Veröffentlichung folgende Abschwächungen: "Die Streitigkeiten werden schließlich dauernd sein, solange das Verhältnis Polens zu Danzig nicht endgültig, und zwar, nicht nur grundsätzlich, sondern auch in der praktischen Ausführung geregelt ist." Aus der Nichtanerkennung eines unrichtigen Titels durch polnische Behörden könnten sich Nachteile für Danziger Bürger ergeben. Die Repressalien-Verordnung wäre nicht von ihm herausgebracht, sondern nur veranlaßt.

Hierauf antwortete der Kommissar MacDonnell sofort in der gleichen Sitzung. Er sprach sich mit Nachdruck gegen die polnische These aus, daß keine Frage der inneren Verwaltung Polens der Kompetenz des Hohen Kommissars unterliege. Hiermit bestätigte er seine Entscheidung vom 1. Mai 1923, in der es hieß: "Es gibt keine Angelegenheit, die von vornherein nicht angerührt werden darf, weil sie als eine Angelegenheit der 'inneren Verwaltung' bezeichnet werden kann, noch ist eine solche Angelegenheit a priori dem Bereich der Zuständigkeit des Hohen Kommissars für eine Entscheidung auf Grund der Verträge von Versailles oder Paris entzogen."

jonny810
06.07.2012, 21:28
Das ist ja hoch interessant.

wie kommt man nur an so eine Lektüre ?

Poguttke
06.07.2012, 22:37
Suchen, suchen, suchen, und alles lesen und prüfen, ähnlich wie mit der Geneologie, ich befasse mich mit dieser Thematik seit 22 Jahren :) Gero

Hans-Joerg +, Ehrenmitglied
06.07.2012, 22:56
Hallo Gero ( und Erhart)
Tscha die " Quellen " ..... wohl unerschöpflich und umfangreich ......
Aber welche sind " korrekt " ???
Viele Grüße
Hans-Jörg

Poguttke
07.07.2012, 00:12
Alle Quellen die sich an das Völkerrecht halten sind korrekt. Die Versailler Verträge sind Teil des Völkerrechts. Durch sie wurden Polen und Danzig als Staaten restauriert. Wer uns Danzigern unser Recht abspricht, stellt damit auch das Existenzrecht Polens in Frage. Der Vertrag der von Danzig unterschrieben wurde, wurde weder aufgekündigt noch verändert und ist völkerrechtlich somit ewig gültig. Außerdem beinhaltet er die Schutzverpflichtung und Schutzgarantie für Staat und Verfassung seitens der internationalen Staatengemeinschaft. Ich kann mir keinen besseren Vertrag vorstellen. Auch wenn die Fakten eine andere Sprache sprechen, haben wir wohl keine andere Wahl als am Völkerrecht festzuhalten und für unsere Rechte bis zur endgültigen Klärung der offenen Danziger Frage einzustehen. Gero