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Wolfgang
13.04.2008, 01:36
Straßenbahnfahrt mit Unterbrechungen

Dienstag, 05. Februar 2002

Straßenbahnhaltestelle Novotel. Ich steige in die von Heubude (Stogi) kommende Linie 8 ein. Bereits am Tag zuvor hatte ich mir mehrere Tagestickets zu je 6,20 Sloty gekauft (umgerechnet 1,71 Euro bzw. 3,35 DM). Ich stemple die Fahrkarte in einem der in jedem Wagen mehrfach vorhandenen roten Entwerter und hangel mich wieder zurück zur Wagenmitte, wo ich noch ein bisschen Platz finde. Los geht die Fahrt. Nach Überqueren der Mottlau ist zur Rechten ein Teil der Stadtsilhouette mit Marienkirche und Rathaus zu bewundern. Es geht vorbei am Hohen Tor. Hier ergatter ich einen Platz im roten Schalensitz. Der Sitz wackelt, aber ich sage mir, besser schlecht gesessen als gut gestanden. Dann der Bahnhof, kurz darauf am Solidarnosc-Hochhaus rechts ab, Hansaplatz, Werft. Hier entzündete sich der Aufstand der Danziger Werftarbeiter. Die Gleise werden schlechter, immer wieder harte laute Schläge, die von gebrochenen Gleisen zeugen. Irgendwann steigt mir brenzliger Geruch in die Nase. Ich schau zum Fenster raus, sehe aber nichts qualmen. Die Straßenbahn vollführt Bocksprünge. Das letzte Mal wurde ich im Flieger nach Danzig so durchgeschüttelt. Da hieß es dann "bitte anschnallen, wir kommen durch ein Gebiet mit heftigen Turbulenzen". Hier ist aber nichts von Gurten zu sehen. Neuschottland. Bardewiekweg. Ich schnüffel durch die Nase. Der Wohnblock, in dem meine Großeltern und mein Vater während des Krieges ein Weilchen wohnten, steht noch, ist noch genauso grau wie vor drei Jahren. Es geht links rum Richtung Storchenhaus. Ich denke, irgendwo müssen die draußen Plastikabfälle verbrennen. Das Storchenhaus, in blassrosa, liegt vor mir. Hier also ist halb Danzig geboren, vorgestern, gestern, heute. Im Hof der Klinik hohe Bäume, vielleicht Eichen, ich kann es nicht genau erkennen. Nun ja, hätte halt in der Schule besser aufpassen sollen. Auf den Bäumen in sattem Grün unzählige Mistelkugeln. Also jetzt beisst es langsam in der Nase, die Fahrgäste schauen irritiert. Kommt denn der Geruch von draußen? Ich räusper mich, schlucke, schaue mich um. Nichts zu sehen. Am Storchenhaus geht's rechts ums Eck rum. Haltestelle. Wir werden aufgefordert, die Straßenbahn zu verlassen. Der Fahrer inspiziert den Wagen, findet nichts, zögert. Hinter uns stauen sich die "Zwei" nach Saspe und die "Fünfzehn" Richtung Brösen. Der Fahrer schaut noch einmal, prüft, ob die Wagen leer sind, steigt ein, schließt die Türen und fährt alleine weiter.