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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Auf Elbinger und Königsberger Weichsel ins Frische Haff



Wolfgang
09.08.2012, 19:34
Schönen guten Nachmittag,

mit dem über 300 km langen Weichsel-Werder-Ring, der die schönsten Wasserwege östlich Danzigs mit dem gesamten Weichseldelta bis hin zum Frischen Haff umfasst, wurde eines der naturnahesten Landschaftsgebiete dieser Region touristisch behutsam erschlossen.

Und mitten in diesem erschlossenen Netz einzigartiger Wasserwege wohnen wir, mein Freund Zbyszek und ich, und von hier aus, von Fürstenwerder (Zulawki), befahren wir eine 12 km lange Teilstrecke dieses Weichsel-Werder-Rings. Sie führt uns auf der Elbinger Weichsel (Szkarpawa) über Prinzlaff (Przemyslaw), Freienhuben (Izbiska) bis nach Helgoland in Fischerbabke (Rybina). Dort zweigt in nordöstlicher Richtung die Königsberger Weichsel ab, die nach ebenfalls rund 12 km über Schneiderkampe (Grochowo), Stutthof (Sztutowo) und Kobyla Kepa (Kobbelkampe) ins Frische Haff (Zalew Wislane) mündet.

Die Fahrt unternahmen wir bereits in der zweiten Junihälfte. Der Sommer bahnte sich in diesem Jahr spät an, und selbst zu dieser Zeit war das Wetter noch frisch und sehr vorsommerlich.

Wer hierher kommt, muss Zeit und Muße mitbringen, muss der Hektik des Alltags entsagen, muss bereit sein, mit offenen Sinnen die Natur aufzunehmen, sie zu erleben, eins mit ihr zu werden. Denn die Schönheiten dieser Landschaft erschließen sich nur Jenem, der sich auf sie einlässt.

Wir legen von Zbyszeks Bootsanleger ab, fahren mit niedrigen Drehzahlen des Schiffsdiesels zur Flussmitte. In den ersten Minuten habe ich meine Kamera nicht zur Hand. Einige Arbeiten wie das Einholen der Fender gehen vor. Meine Frau steht winkend in der Terassentür als wir keine 50 Meter von ihr entfernt auf dem Fluss langsam vorbeiziehen.

Elbinger und Königsberger Weichsel sind durchgängig bis ins Frische Haff befahrbar. Fahrwassertonnen kennzeichnen Fahrtwege und Untiefen. Worauf jedoch immer zu achten ist, sind die unzähligen und weit ins Wasser hinwachsenden Seerosenteppiche und Schlingpflanzen die sich um die Schiffsschraube wickeln können. Wenn dann der Motor kein hochzuziehender Außenborder ist, heißt es in einem solchen Fall tauchen und Propeller befreien.

Natürlich lassen sich die Wasserwege auch anders erleben. Mit einem kleineren Segelboot, mit dem Surfbrett, mit Kanu oder Kajak. Wer unter Segel fährt, wird ständig in Bewegung sein, denn häufiges Kreuzen ist unerlässlich. Mit dem Kajak sind ebenfalls größere Entfernungen möglich. Von ihnen sind häufig mehr zu sehen als Jachten und Motorboote.

Die Ufer der Elbinger Weichsel sind meist dicht bewachsen. Schilf wiegt sich im Wind, hohe Weiden neigen sich, mitunter ragen Äste und Stämme abgestorbener Bäume ins tiefdunkle Wasser. Ein Paradies für den Biber. Kormorane flitzen über das Wasser, Graureiher erheben sich sobald wir uns nähern.

Rechter Hand liegt Brunau (Bronowo), kurz darauf passieren wir Freienhuben. Dort wird schon seit einer Weile an einem kleinen Hafen und einem hoch auf dem Deich stehenden Holzgebäude gearbeitet.

Immer wieder sind auf das Ufer gezogene Holzkähne zu sehen, abblätternde Farbe und erkennbare Verwitterung lassen manchmal zweifeln ob sie noch fahrtüchtig sind. Aber sie sind malerisch, sie gehören einfach dazu. Genauso verhält es sich mit den Bootssteegen. Etliche schief und krumm, manche eingestürzt, aber immer idyllisch anzusehen. Mitunter ein schmuckes Häuschen, bunte Holzfensterläden an alten Sprossenfenstern, alles sorgsam instand gehalten. Daneben ein Mast mit besiedeltem Storchennest.

Der Kompass zeigt wechselnde Richtungen. Einmal Ost, dann Nord, dann plötzlich Süd und wieder Ost. Der Fluss, der einmal den Hauptmündungsarm der Weichsel bildete, mäandert durch das Werder. Ein Kaltblut am Ufer. Stoisch steht das Arbeitspferd da, rührt sich nicht. Wahrscheinlich schläft es in den Tag hinein.

Wir nähern uns Fischerbabke, der Eisenbahnbrücke. Sie ist zur Seite geschwenkt. Noch hat die Touristensaison nicht begonnen, noch kann das Schauspiel nicht bewundert werden, wenn zwei Arbeiter mittels eines riesigen T-Schlüssels durch reine Muskelkraft diese große Schwenkbrücke über den Fluss bewegen.

Und dann sind wir auch schon in Fischerbabke. Vor uns Helgoland, benannt nach der früheren Gaststätte "Helgoland" mit Vergnügungspark. Helgoland liegt auf einem dreieckigen Grundstück, begrenzt auf der südlichen Seite von der Elbinger Weichsel, im Norden von der abzweigenden Königsberger Weichsel und im Osten von der Tiegenhof (Nowy Dwor Gdanski) mit Stutthof verbindenden und über zwei Hebebrücken führenden Straße. Fischerbabke ist eine Sehenswürdigkeit, ein Ort, der weder auf dem Wasser noch auf der Straße einfach links liegen gelassen werden sollte. Es sind nicht nur Elbinger und Königsberger Weichsel, Helgoland, die Hebebrücken, die mobile Eisenbahnbrücke. Es ist auch das Pumpwerk, eines der größten Europas, das einen großen Teil des Werders in die Elbinger Weichsel entwässet. Außerdem ist das kleine Dörfchen einen Besuch wert. Alte Häuser, Storchennester, es gibt vieles zu entdecken.

Wir müssen kurz warten bis die Hebebrücke öffnet. Unzählige Kajakfahrer kreuzen unseren Weg. Sie vertrauen darauf, dass wir besser auf sie aufpassen als sie auf uns. Die Königsberger Weichsel ist bei Weitem nicht so breit wie das vorangegangene Fahrwasser. Wesentlich stärker verkrautet zwingt sie uns in der Mitte zu fahren. Durch die näher liegenden Ufer und die höher gewachsenen Weiden und anderen Laubbäume vermittelt sich uns manchmal der Eindruck, als ob wir durch einen grünen Tunnel fahren, durch eine Baumallee. Und doch ist alles ganz anders. Auch hier ragen manchmal Dächer stolzer alter Höfe zwischen den Baumwipfeln hervor, aber auch immer wieder bestimmen verfallene oder zusammengestürzte Häuser und Scheunen das Bild. Wehmut kommt auf, Fragen, Neugierde, wie das wohl früher ausgesehen haben mag. Waren die Ufer genauso stark bewachsen, wie sah das Wasser aus, wie die Felder, Höfe, Scheunen?

Plötzlich kommen wir an einem weißen Schloss vorbei, einem neu gebauten Wasserschloss. Hochherrschaftlich, prunkvoll, ich komme ins Staunen. Es wirkt ein wenig deplaziert, fremd, passt nach meinem Empfinden nicht ganz hierher. In Ostpreußen, in Masuren, "im Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen", da wäre es richtig, aber hier? Wie schön sähe hier ein großes Vorlaubenhaus aus...

Am rechten Ufer ein altes Blockbohlenhaus. Wie gemalt, am Wasser, umgeben von hohen Bäumen, davor ein hölzerner Bootsanlegesteg von dem zwei Bengel Freudenschreie ausstoßend ins Wasser springen.

Weiter geht es, an Schneiderkampe vorbei, an der nicht mehr betriebenen Ziegelei, an einem alten Hof mit braun und gelb gestrichener Hozverschalung sowie Rundbogenfenster im Giebel. Königslibellen begleiten unsere Jacht.

Kurz darauf laufen wir Stutthof an. Direkt vor der Hebebrücke wurde eine neue "Marina", ein kleiner Jachthafen mit Restaurationsbetrieb eröffnet. Ich genehmige mir ein schönes gebratenes Flunderchen und ein Bierchen. Nach einem Weilchen weist uns der Brückenwärter darauf hin, dass er die Brücke öffnet. Und erneut geht es durch eine traumhafte Landschaft. Stille empfängt uns, niemand anders ist unterwegs. Ein Patrouillenboot kommt von achtern, lässt die Sirene aufheulen. Ich vermute eine Kontrolle. Als es auf unserer Höhe ist, erkennt der Beamte Zbyszek, winkt ihm zu und zieht dann mit zunehmender Geschwindigkeit an uns vorbei.

Kobbelkampe, verlassene Häuser, hinter der Deichkrone nur die Dächer erkennbar. Kormorane überholen uns mit raschem Flügelschlag. Wildenten trippeln über das Wasser, heben sich in die Luft, landen hundert Meter weiter wieder im Wasser. Störche überqueren den Fluss und immer deutlicher werden die großen das Haff überfliegenden Kormoranschwärme. Und dann sind wir auch schon im Haff. Grün ist es, überall grün. Ufer, Schilfinseln, die Elbinger Höhen im Osten.

Wir laufen einen kleinen Privathafen in Bodenwinkel (Katy Rybackie) an. In den nächsten Tagen, rechtzeitig zur Saison, wird dort das Fischrestaurant "Przystan" eröffnet. Schade, dass wir dort heute noch nichts bekommen, mein in Stutthof genossenes "Flunderchen" hat richtig Appetit gemacht.

Aber so genehmigen wir uns eben nur ein Bierchen aus dem Bordproviant. Eine Tagesetappe ist geschafft.

Herzliche Grüße aus dem Werder
Wolfgang

vklatt
09.08.2012, 22:56
Hallo Wolfgang,

ein sehr schöner Bericht von Dir mit den vielen Bildern. Stutthof, Kobbelkampe und
Bodenwinkel sind auch Wohnorte einiger meiner Vorfahren.
Danke dafür und ein schönes Wochenende wünscht Dir,

Vera

ada.gleisner
09.08.2012, 23:36
Lieber Wolfgang,
für uns, die Betrachter Deiner seltenen Fotos, hat es sich schon gelohnt, daß Du ins Werder gezogen bist. Nie hätten wir sonst diese schöne Landschaft kennenlernen können. Mach weiter so, ich frreue mich auf die nächsten Bilder, Grüße von Ada

Stejuhn
10.08.2012, 10:25
Lieber Wolfgang,

ich kann mich den Worten von Ada nur anschließen. Auch ich freue mich jedesmal über Deine Bilder. Danke!!!

Viele Grüße
Sigrid

achimbodewig
10.08.2012, 10:42
Das größte Geheimnis hat Wolfgang aber für sich behalten: mögen die Fotos noch so schön sein, im Original ist alles tausendmal schöner!

Wer die Gegend nicht aus eigener Erfahrung kennt, dem sei ein baldiger Ausflug dorthin wärmstens empfohlen.

Danke, Wolfgang, für die Auffrischung meiner eigenen Eindrücke vom Sommer 2010.

Wolfgang
10.08.2012, 12:29
Schönen guten Vormittag,
hallo Achim,

ja, Du hast Recht! In Wirklichkeit ist alles noch viel, viel schöner. Es heißt "ein Bild sagt mehr als tausend Worte" und deswegen fügte ich meinem Bericht auch die Bildserie hinzu. Aber als wir diese Strecke fuhren, zeigte sich zumeist ein bewölkter Himmel. Es war grau, kontrastlos, ohne lebhafte Farben die sonst so häufig das Landschaftsbild eindrucksvoll prägend bestimmen. Nur selten zeigte sich ein bisschen Blau und hin und wieder brach auch einmal die Sonne durch die dicke Wolkendecke.

Im Augenblick bin ich dabei, ein kleines Motorboot zu restaurieren. Bald bin ich fertig und dann werde ich öfters auf der Elbinger Weichsel unterwegs sein. Angelnd, sehend, fotografierend. Und das wird noch wunderschöne Bilder geben.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

Rudi
10.08.2012, 19:33
Hallo Wolfgang. Ein schöner Reisebericht. Die Vorfahren meines Vaters kommen auch dieser Gegend.

Viele Grüße von
Rudi. Richmond BC. Canada.

Wolfgang
10.08.2012, 19:55
Schönen guten Nachmittag,
lieber Rudi,

vielleicht sind wir ja nicht nur über Deine mütterliche Trosin'sche Linie miteinander verwandt. Wer hier im Werder über Jahrhunderte saß, schlug Wurzeln. Den hat kaum jemand weggebracht. Und alle die hier so lange Zeit in diesem kleinen wunderbaren Fleckchen Erde saßen sind mit großer Sicherheit irgendwie verschwippt, verschwägert, verwandt. Rudi, schalte doch mal wieder Skype ein :)

Viele Grüße von Deinem ins Werder zurück gekehrten Cousin
Wolfgang