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Wolfgang
13.04.2008, 02:41
Am Strand in Bohnsack

Mittwoch, 06.Februar 2002

Die Ponton-Brücke über die Tote Weichsel soll bei den Januarstürmen beschädigt worden sein. Wir fahren einfach auf gut Glück los und tatsächlich ist die Brücke offen. Das Wasser steht sehr hoch. Nicht weit entfernt rammen Arbeiter eine neue Uferbefestigung in den sandigen Boden. Wir fahren durch den Ort Richtung Schiewenhorst (Swibno), biegen zum Strand ab. Mitten in den Dünen stellen wir den "Polski Fiat" auf dem leeren Parkplatz ab. Schwere Baumaschinen haben den Sandboden zerfurcht, die Vegetationsschichten zerrissen. Wir vermuten neu verlegte Kanalrohre. Zum Strand geht es am "Robinson" vorbei, einer kleinen Sommerbar. Ich atme tief durch, frage Adam, meinen Begleiter, ob er auch würzigen Pilzgeruch wahrnimmt. Kurz vor dem Strand liegen abgezäunt Abschnitte mit spärlichem Pflanzenbewuchs. Zum Windschutz liegen auf dem Sand dicht bei dicht Weidenruten, dünne Äste, Zweige von Nadelbäumen. Vereinzelt wachsen Weiden an deren Ruten Weidenkätzchen den nahenden Frühling erahnen lassen. Trampelpfade in die Dünen zeugen von unbedachten Standbesuchern, die in das Dünenschutzgebiet liefen, um Weiden zu brechen oder zu schneiden. Aber dann die See. Eine frische Brise lässt mich unwillkürlich die Arme hoch reißen, sie ausbreiten. "Hier bin ich" rufe ich laut gegen den Wind, nehme in mir die Natur, den Strand, die See auf.

Ich sage Adam, dass hier, zwischen Bohnsack und Nickelswalde, meine Vorfahren jahrhundertelang lebten. Dass bereits 1649 auf der ersten Seite des Bohnsacker Kirchenbuches zwei Einträge von meinen Ahnen berichten. Wo könnte ich eher Heimatgefühle entwickeln als hier?

Der Sand ist phantastisch, einmalig. Soll ich barfuß laufen? Wir gehen am Strand entlang, suchen erfolglos Bernsteinsplitter. Hohe Winde zerzausen die Wolken, geben immer wieder Blicke durch Wolkenfenster zum hellblauen Himmel frei. In der Ferne schiebt sich die Weichselmündung tief ins offene Meer. Ich bin unvorsichtig, das Wasser schwappt über meine schwarzen Halbschuhe, lässt mich einen Satz machen auf sicheres Gelände. Nichts ist passiert, die Füße bleiben trocken.

Ein entwurzelter Baumstamm, von kräftiger Brandung hoch auf den Strand geworfen, verleitet zu Fragen. Was ist das für ein Baum, wo kommt er her? Ließ das Wasser die Maserung so deutlich hervor treten oder war es der windgepeitschte Sand? Wie alt ist er, was hat er gesehen?

Ich wende den Blick ab, senke ihn, schließe die Augen, bleibe stehen. Höre Meeresrauschen, lasse salzige Luft durch die Nase strömen, ziehe mir meine Elbseglermütze tiefer in die Stirn um der frischen Brise besser zu trotzen. Träume wieder mal. Vom Fischen, von Neunaugen, vom Stör. Bilde mir ein, Kurenwimpel im Wind knattern zu hören. Sehe nicht mehr vorhandene Windmühlen, Schöpfwerke, kleine Katen. Schweife durch die Jahrhunderte, sehe Strandreiter, Bernsteinräuber.

Adam holt mich zurück: "Vor ein paar Jahren gab es hier große Schäden in den Dünen. Illegale Bernsteinsucher spülten nachts mit Wasserkanonen den Sand weg". Ein Zufall: Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart gehen in einander über, reichen sich die Hände.

Wir drehen um, gehen zurück. Der Sand poliert die Schuhe. Vormals schwarz kommen nun an der Spitze und den Seiten helle Stellen durch. Ich hätte doch barfuß laufen sollen.