PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Schulzen, Geschworenen, Schöffen, Kirchenvorsteher in der Danziger Niederung



MueGlo
11.10.2012, 22:31
Moin,

weiß jemand --- oder kennt eine Quelle --- etwas über die Schulzen, Geschworenen, Schöffen, und Kirchenvorsteher im 17., 18. und 19. Jahrhundert in der Danziger Niederung?

Wie und von wem wurden sie gewählt / ernannt?

Gab es fixierte Amtszeiten?

Gab es bei den Kirchenvorstehern mehrere und hießen die alle Kirchenvorsteher?

Was waren ihre Aufgaben?

Sind die Amtsträger irgendwo dokumentiert. Falls ja, hat jemand schon einmal die Dokumentationen gesehen?

Wann wurde ihre Funktion abgeschafft und was trat an ihre Stelle?

Beste Grüße aus Kigali, wo heute innerhalb von 15 Minuten 13 mm Regen herunterschoss ..

Rainer MueGlo

Bartels
12.10.2012, 22:18
Hallo Rainer,

eigentlich warte ich hier selbst gespannt auf die erste Antwort. - Über die Pfalz könnte ich Dir umfassend Auskunft geben, da gab es bis 1797 von den (über 30) Territorialherren ernannte Schultheisse (eine Art Gouverneur) denen meist jährlich neu gewählte Bürgermeister von Stadt, Gemeinde oder Dorf gegenüberstanden. - Wenn sie nichts falsch gemacht haben, wurden diese aber bis zum Tode wiedergewählt. (In der Freien Reichsstadt Speyer hatten sie jeweils ein Jahr Pause, damit sie sich ums eigene Unternehmen kümmern konnten). - Das Amt des Schultheissen war oft "erblich", da der Vater den Sohn anlernte und mit dem Familienvermögen für dessen Fehler haftete.

-----

Mit Schöffen und Geschworenen nach altem Landrecht war es in PREUSSEN 1794 vorbei: http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeines_Landrecht_f%C3%BCr_die_Preu%C3%9Fische n_Staaten

Alle von Gemeinden gewählten Funktionsträger sollten in den Ratsprotokollen erwähnt sein.


Kirchenvorsteher sind die heutigen Presbyter und davon gab es immer mehrere, bei den Reformierten hiessen sie auch Kirchenälteste und davon gab es auch mehrere. Die Aufgaben hängen davon ab, inwieweit die Kirchen von oben regiert wurden. Ihre Namen sollten im Kirchenbuch vermerkt sein, oder in Protokollen und Kirchenakten falls diese separat geführt wurden.


Adlige Gutsbesitzer hatten oft eine eigene niedere Gerichtsbarkeit und konnten dann auch selbst Recht sprechen (aber nicht zum Tod verurteilen). Wo sie Rechte über die örtliche Kirche hatten konnten sie Pfarrer selbst einsetzten, mussten die Kirche unterhalten und hatten dort einiges Mitspracherecht.

sinus
13.10.2012, 00:16
Hallo Rainer,

so viele Fragen zu so vielen Ämtern über einen so große Zeitraum. Und das bei den verschiedenen Eigentumsverhältnissen im Danziger Werder! (Freidörfer, Scharwerksdörfer, Klosterbesitz, Adeliger Besitz, Danziger Besitz)

Zunächst mal zu den Schulzen
Es gab Schulzen und Erbschulzen. Letztere hatten das Privileg, das sie abgabenfreies Land hatten, die sog. Schulzenhufen. Sie hatten das Schulzenbuch zu führen und die Schulzenlade, in der vor allem die Belege über die Eigentumsverhältnisse und die Abgaben geführt wurden. In den Gemeinden wurden die Schulzen von der Werderschen Funktion bestellt, der ein gesonderter Bürgermeister der Stadt Danzig vorstand. In den Gutsbezirken waren automatisch die Gutsbesitzer die Schulzen. Schulzen gab es nur bis 1874, ab dann gab es nach preussiaschen Gemeindeordnung "Gemeindevorsteher", die nach dem preussischen 3-Klassen-Wahlrecht gewählt wurden.

Zu den Geschworenen,
deren Bestellung und Aufgaben findest Du am besten in dem Buch "Die Entwicklung des Deich- und Entwässerungswesens ...", auf Deiner Seite zu finden, http://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/doccontent?id=7906&dirids=1, ab Seite 40. Danach wurden die Geschworenen (Deichgeschworene, Schlickgeschworene) i.d.R. auf Lebenszeit bestellt. Die Aufgaben sind vergleichbar mit denen der heutigen Wasser- und Bodenverbände.

Kirchenvorsteher gab es häufig zwei oder auch drei. Sie sind zumindest in den Kirchenbüchern verzeichnet. Oft wurden sie auch Kirchenväter genannt. Sie hatten vor allem den Kirchgemeindehaushalt zu führen und zu überwachen. In dieses Amt wurden hauptsächlich die größeren Landbesitzer bestellt. Vergleichbar mit den heutigen Kirchgemeinderäten.

Ich hatte bei meinen Vorfahren sowohl Schulzen, als auch Schlickgeschworene und Kirchenvorsteher.

Herzliche Grüße aus Mecklenburg
sinus

Bartels
23.10.2012, 17:33
Hallo Rainer,

grössere Kirchen wie Wotzlaff und die vier grossen lutherischen Kirchen von Danzig hatten jeweils vier Kirchenvorsteher, unter ihnen wechselte das Amt des "Verwalters".

MueGlo
23.10.2012, 23:47
Moin, Rudolf und Sinus,

sorry, es hat ein wenig gedauert … Besten Dank für Eure Antworten.

Sinus, hast natürlich Recht, das waren gleich eine Menge Fragen / Themen … aber wenn man einmal in Schwung ist …

Aber es gab eine erhebliche Einschränkung bei meinen Fragen: Es geht mir nur um die Danziger Niederung, d.h. um „freie“ Dörfer wie Klein- und Groß Zünder, Sperlingsdorf, Trutenau, Käsemark, etc., wo man mit dem Adel wenig oder gar nichts am Hut hatte.

Daher noch einmal genauer:

Kirchenvorsteher: Ich lerne, es gibt mehrere. Und diese sind gleichberechtigt. D.h., es gibt keinen Kirchenvorstehervorsitzenden. Richtig?

1927 finde ich dann im KB Groß Zünder einen „Kirchenältesten“? Habt Ihr eine Ahnung, wann dieser Begriff den Kirchenvorsteher ablöste? Änderte sich etwas an den Funktionen? Gab es nach wie keinen „Vorsitzenden“? – Entschuldigung, mit der Kirchenorganisation habe ich mich noch nie beschäftigt.

Geschworene: Sinus, das Buch habe ich seit Monaten bei mir auf der Platte gespeichert … und habe mich noch nicht aufraffen können, es zu studieren. Danke für die Erinnerung.

Schulz: Ich habe in der Landesaufnahme von 1793 nachgeschaut, dessen einer Band u.a. mit der Danziger Niederung mir auch als pdf-Datei vorliegt … was das Suchen ungemein erleichtert. Den Begriff „Erbschulz“ gibt es dort nicht. In Groß und Klein Zünder gab es mit Sicherheit keine Vererbung des Schulzenamtes im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Lässt sich das generalisieren bzgl. der gesamten Niederung? Nach meinem fragmatischen Wissen gab es sie auch nicht auch nicht auf der Nehrung und in der Elbinger Niederung. Gab es den Erbschulzen eher in den älteren Orten auf der Danziger und Elbinger Höhe?

Es gab aber 1793 Schulzenhuben bzw. Schulzen Huben, für die offensichtlich wenig oder gar keine Abgaben zu zahlen waren. Aber mir ist etwas nicht ganz klar: Waren das Huben / Flächen, die der jeweilige Schulz bekam und abgabenfrei bewirtschaften konnte – d.h., die Nutzung stellt eine Art Entgelt für seine Tätigkeit dar – oder werden vom jeweiligen Schulz eine definierte Anzahl seiner Huben von Abgaben freigestellt – d.h., der Entgelt für den Schulz erfolgt durch eine Steuerbefreiung?

Sinus: Und wenn Du jetzt noch die „Werdersche Funktion“ erklären würdest?

In Groß Zünder waren meine Altvorderen Schumacher, Eichholtz, Hendrichßen und Störrmer im 18. Jahrhundert Schulz (wenn, Sinus, Deine auch in dem jahrhundert, dann dürften sie sich ja wohl gut gekannt haben). Nach dem momentanen Erkenntnisstand kamen mindestens drei von ihnen, eventuell alle vier von außerhalb und heirateten offensichtlich in Höfe hinein (noch nicht bestätigt).
Dann stellt sich die Frage:
--- wurden sie Teil der dörflichen Elite aufgrund ihrer Persönlichkeit oder
--- heirateten sie in die dörfliche Elite hinein, wurden bei der "Vergabe" der Tochter jedoch auch schon unter unter dem Aspekt der Führungskapazitäten des Hofes ausgesucht?

Ich hatte vor einiger Zeit im Kontext der Diskussion von Hofzeichen in Groß- und Klein Zünder mich darüber gewundert, dass kaum ein Hof mehr als zwei Generationen unter einem Familiennamen firmierte. Du, Sinus, hattest dabei auf die Turbulenzen durch Kriege, Seuchen, etc. verwiesen, die zu sozialen Verwerfungen führten und damit zu neuen Hofbesitzern. Eventuell blieben aber doch erheblich mehr Höfe durch Einheiraten in der Familie mit der Folge, dass die soziale Stabilität erheblich höher war, als wir vermuteten. Bzgl. Groß und Klein Zünder werde ich das noch herausbekommen …

Beste Grüße aus Kigali, Rainer MueGlo

Peter von Groddeck
24.10.2012, 14:49
Hallo Rainer,#
In der Altpreußischen Geschlechterkunde 1998, Seite 141 geht es um die Kirchenbücher von Rambeltsch. Darin ist auf Seite 142 und 152 von Erbschulzen in Rambeltsch die Rede.
Gruß Peter

sinus
26.10.2012, 00:05
Hallo, Rainer,

lass mich mal mit der "Danziger Niederung" anfangen. Es gab in der Niederung nicht nur "freie Dörfer", sondern auch adligen Besitz (Quadendorf, Nassenhuben, Neunhuben, Hochzeit) und geistlichen Besitz (Mönchengrebin und Gemlitz). Es ist aber schwierig mit den Begriffen. "Danziger Niederung" wird eher geografisch für die Gegend bis zur Weichsel verstanden, die später auch den gleichnamigen Landkreis bildete. Das Gebiet, das der Stadt Danzig gehörte, wurde früher Danziger (oder auch) Stüblausches Werder genannt. Dazu gehört nicht der v.g. adelige Besitz.

Kirchenälteste:
Die Kirchenvorsteher werden in den Kirchenbüchern auch Kirchenälteste genannt. Verschiedene Bezeichnungen für das gleiche Amt. Ob es bei mehreren Kirchenvorstehern einen "ranghöchsten" gab, weiß ich nicht. Ich nehme an, es ging den Kirchgemeinden damals eher um das 4-Augen-Prinzip. Vielleicht hatten sie im Alltagsgeschäft auch eine Arbeitsteilung?

Schulzenland:
Das habe ich mich auch immer schon gefragt. Ich glaube, dass es sich um einen Abschlag von den Zinszahlungen handelte.
Anderenfalls würde dieses Land bei einem Wechsel im Schulzenamt ja außerhalb der eigenen Flächen liegen.


Werdersche Funktion
Ich hatte mich auch lange gefragt, was das ist. Im Internet findest Du nirgends eine Definition. Aber in einigen Quellen wie im "Gedenkbuch der Fam. Wessel" und in der "Geschichte des Rittergutes Herrengrebin" findest Du an mehreren Stellen diesen Begriff und Hinweise auf die Aufgaben. Ich habe das für mich so interpretiert: es ist die Verwaltungskommission der Stadt Danzig für das Danziger (Stüblausche) Werder. Sie besteht aus einem Bürgermeister, meist dem ältesten (Danzig hatte immer mehrere BM mit verschiedenen Aufgaben), Ratsmitgliedern, Schöppen und einigen niederen Angestellten wie den oft genannten Werderschen Amtsboten. In erster Linie war die Werdersche Funktion zuständig für die Landpachtverträge (zu polnischer Zeit i.d.R. Zeitpachtverträge, zu preussischer Zeit ab Anfang des 19. Jhdt. Erbpachtverträge) und für das Eintreiben der Pachtzinsen, für das Grundbuch und für alle Eigentümerwechsel (von Kauf bis Zwangsversteigerung) und für die Organisation des Deich- und Entwässerungswesens.

Schulzen:
Unter meinen Vorfahren waren Schulz in Mönchengrebin
Urururgroßvater Jacob Nickel warKarl August Nickel war 1853 Schulz in Mönchengrebin

sinus
26.10.2012, 00:32
halt, versehentlich zu früh geklickt.

Unter meinen Vorfahren waren Schulz in Mönchengrebin:
1805 Urururgroßvater Jacob Maker
1817 Urururgroßvater Jacob Nickel
1853 dessen Sohn Karl August Nickel

zum Wechsel der Hofbesitzer:
also meine direkten Vorfahren im Namensstamm waren seit 1824 in 5 Generationen auf dem gleichen Hof in Mönchengrebin. Aber bei anderen Höfen wurde laufend gewechselt. Zahlungsunfähigkeit wegen Mißwirtschaft, Mißernten, Überschwemmungen, oder Todesfälle mit nachfolgender Zahlungsunfähigkeit im Zusammenhang mit der Auszahlung der Miterben waren die häufigsten Ursachen. In Extremfällen wechselten die Eigentümer in 10 Jahren 3 mal.
Natürlich wurden für die Kinder die Ehepartner ausgesucht. Willkommen waren solche Ehepartner, die Geld mitbrachten.
In meiner Famile ist eine Geschichte überliefert, wonach in den 1930er Jahren Bauer Claassen aus Müggenhahl meinem Großvater seinen Sohn als Gemahl für Großvaters älteste Tochter (also meine Tante) angeboten hat, falls mein Großvater 10.000 Gulden Mitgift zahlen würde. Mein Großvater hat das Angebot abgelehnt, weil seine Tochter diesen Sohn auch nicht mochte.

So, für heute Gute Nacht
sinus

Bartels
26.10.2012, 01:12
Hallo Rainer,

Groß Zünder war so ein Ort mit vier Kirchenvorstehern.
1817 wird an zweiter Stelle genannt: J.G. Schumacher

Die Reihenfolge war nicht alphabetisch, das KANN bedeuten, dass Schumacher dies Amt am zweitlängsten innehatte, also eine gewisse Seniorität unter sonst Gleichrangigen. - In Danzig wechselte unter ihnen das Amt des "Verwalters" (vermutlich des Geldes).
(Reihenfolgen in histor. Quellen sollte man niemals umsortieren, solange man nicht weiss was die Grundlage dazu war)

Der Begriff Kirchenältester kommt aus der reformierten Kirche. In Danzig gab es davon sechs "Kirchensenior" genannt, die drei dienstjüngeren bildeten mit max. zehn weiteren ein Dreizehner-Collegium. Daneben gab es drei Vorsteher an der Kirche. Das bedeutet m.W. dass dann Presbyterium und Verwaltung der Ein- und Ausgaben auf diese Gremien verteilt waren.

Zu den Einheiraten: In der Regel hat man versucht auf gleichen Niveau zu heiraten, d.h. Tochter aus Schulzenfamilie heiratet Sohn aus Schulzenfamilie, oder ähnliche Hofgrössen oder Vermögenswerte.

Das klappt nicht immer, es gibt Familien, die sich sachte über viele Generationen vom Reichskammergerichts-Präsidenten bis zur Näherin heruntergeheiratet haben. - Gegenbeispiel sind die Frhr. von Weizsäcker, wo sich die Söhne über einige Generationen in ihren Ehen praktisch "hochgeheiratet" haben. - Richard hat noch einen Onkel gehabt der als Nachkomme der Erblinie immer noch Müller war, wie die ganze Erblinie vor ihm.

Peter von Groddeck
26.10.2012, 09:32
Hallo,
Ergänzung zu meinem Eintrag Erbschulzen in Rambeltsch aus der gleichen Quelle:
"Merkwürdigerweise wurde Rambeltsch dem Territorium der Stadt Danzig zugerechnet obwohl es Danzig nle in irgendeiner Weise zugesprochen worden war; Rambeltsch war
Privatbesitz Danziger Hospitäler." Mehrere Groddecks waren im 17. Jahrhundert Erbschulzen in Rambeltsch.
Gruß Peter