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Wolfgang
27.12.2012, 14:25
Aus "Unser Danzig", Nr. 4 vom 20.02.1963, Seiten 20-22

Besuchsfahrten mit Hindernissen
von Gustav Penner

Es war nach dem ersten Weltkrieg. Das Leben hatte sich so leidlich stabilisiert, und die zerrissenen Familienbande konnten wieder neu geknüpft werden. Da wurde zu diesem Zweck vom Familienvorstand die Parole ausgegeben: Heute wird nach Steegenerwerder gefahren um den Verwandten dort einen Besuch abzustatten. Es handelte sich hierbei um unsern lieben Ohm Knaels
und seine Frau Natchen. Beide hatten wir schon von frühester Jugend an liebgewonnen. Tante Natchen brachte nämlich bei ihren Besuchen immer für uns Jungen etwas Begehrenswertes mit. Meistens waren es Süßigkeiten, in der Hauptsache Bonbons. Wir waren von Hause aus mit solchen Sachen nicht sehr verwöhnt, und dementsprechend stieg Tante Natchen sehr hoch in unserer Achtung. Sie erhielt dafür auch den recht ordentlichen Ehrentitel: Bonbontante! Diese Achtung ihr gegenüber färbte auch auf Ohm Knaels ab. Also schon hieraus ist zu ersehen, mit welcher Freude wir an den Besuch und die Fahrt dachten. Nun war dieses Vorhaben ja gut gemeint und fand auch
die Zustimmung sämtlicher Familienmitglieder; nur ganz so einfach lagen die Dinge freilich nicht.

Jetzt im Spätherbst konnte man nicht die näheren Landwege über Pechlappen benutzen, sondern musste auf der Chaussee über Tiegenhof fahren, was ein erheblicher Umweg war. Aber wo ein Wille, da ist auch ein Weg.

Also fix den Landauer überholt, die Kutschpferde in Schuss gebracht und nichts wie los! Auf nach Steegenerwerder! Dieser kurzhändige Entschluss war um so bemerkenswerter, als die Fahrtdauer dieser Reise so etwa drei Stunden betrug.

Anfangs ging alles programmäßig vor sich. Wir passierten Tiegenhof und Tiegenort, bewunderten hier die von uns so benannte "Bummelbrücke", und dann standen wir mit unserm Fuhrwerk an der Elbinger Weichsel und nun kam der Knalleffekt. Wir konnten nicht herüber gesetzt werden, da der Fluss infolge des starken Sturmes vom Haff her derartig angestaut war, dass der Fährverkehr aussetzen musste.

So standen wir da mit unserm Talent und konnten es nicht verwerten. Zweieinhalb Stunden waren wir schon unterwegs und nun diese Pleite. Was war da zu tun? Nach langem Beraten wurde beschlossen, dass die alten Herrschaften mit der Kleinbahn über Fischerbabke das Fahrziel erreichen sollten. Der Fahrplan bestätigte diese Möglichkeit. Mein Bruder und ich aber sollten mit dem Wagen wieder nach Tiegenhof fahren, dort einstellen und mit einer späteren Kleinbahn
nachkommen. Wir bekamen dann auch noch einen Zug und landeten glücklich in Steegenerwerder bei Onkel und Tante.

Allerdings hatten wir dabei noch eine kleine.Panne. Da in Steegenerwerder nur eine Bedarfshaltestelle war und wir unser dortiges Aussteigen dem Zugführer nicht bekanntgegeben hatten, brausten wir im Höchsttempo durch die Haltestelle bis Steegen. Wir wurden dann aber von Ohm Knaels abgeholt und landeten schließlich am vorgenommenen Fahrtziel.

Es wäre ja nun wohl alles schön und gut gewesen, wenn wir dort eine längere Zeit hätten bleiben können. Die letzte Kleinbahn nach Tiegenhof fuhr aber in ganz kurzer Zeit. Mein Bruder und ich haben uns kaum satt essen können, dann hieß es schon wieder: auf zur Kleinbahnstation - Richtung
Tiegenhof und Heimat.

Am günstigsten bei dieser Fahrt hatten unsere Kutschpferde abgeschnitten. Aus Dankbarkeit für ihre Schonzeit waren sie recht übermütig und schlugen mehrfach über die Stränge.

Mir aber tauchten bei dieser Fahrt Erinnerungen auf aus meiner frühesten Jugend mit Erlebnissen an den Fähren. Einmal war es zwischen Weihnachten und Neujahr, als wir mit der ganzen Familie zu Besuch nach Steegenerwerder wollten. Das Wetter war bei einigen Graden Frost recht angenehm. Die beiden Fähren, die kurz hintereinander die Elbinger und Königsberger Weichsel überquerten, waren voll im Betrieb. In Helgoland, bei der Kneipe zwischen den beiden Fähren, wurde schnell noch einer "abgebissen". Wie ich mich zu entsinnen glaube, hieß die Gegend Neukrügerskampe. Wir kamen dann in Steegenerwerder bei Onkel und Tante gut an, wurden begeistert aufgenommen
und bewirtet.

Es gab ja auch so vieles zu berichten, und Neuigkeiten waren auszutauschen. Wir Kinder bestaunten die Weihnachtsgeschenke unserer Vettern und waren beschäftigt, die Spiele zu erproben, die der Weihnachtsmann gebracht hatte. Auch die vielen selbstgebackenen Pfeffernüsse und Pfefferkuchen
und sogar Marzipan mussten gekostet werden.

Leider musste bald an die lange Heimfahrt gedacht werden, doch frohen Sinnes nahmen wir Abschied von einander. Inzwischen aber hatte sich das Wetter völlig gewandelt. Starker Frost war eingetreten, und die Wassergräben, auch die kleinen Flüsse, waren schnell zugefroren. Da standen wir nun wieder mit unserer Kutsche an der Weichsel vor den Fähren, um übergesetzt zu werden. Groß aber war unser Erstaunen, als wir erfuhren, dass beide Fähren wegen der so plötzlich eingetretenen ungünstigen Eisverhältnisse nicht in Betrieb genommen werden konnten. Das Eis war für die Fähren zu stark und für eventuelle Fahrzeuge oder Fußgänger zu schwach. Nun gab es kein
Fortkommen aus dieser Mausefalle. Eine Kleinbahn gab es damals hier noch nicht. Das Ende vom Lied war: zurück zu Onkel und Tante! Die staunten ja vielleicht über den zwangsweisen Dauerbesuch, der plötzlich wieder eingetrudelt war. Doch mit Humor wurde diesem Umstand Rechnung getragen, und Schlafgelegenheiten für den unerwarteten Besuch wurden improvisiert. Für uns Kinder war diese Angelegenheit ja nun ein gefundenes Fressen. Es war doch einmal ein aufregendes Ereignis und sogar bei der Bonbontante!

Einmal mussten ja wieder geregelte Verhältnisse eintreten, und es wurden eifrig Erkundigungen eingezogen, wann unsere Heimfahrt möglich sei. Aber weiß der Kuckuck, das Wetter blieb so, dass ein Übersetzen mit der Fähre nicht möglich war. Also blieben wir weiter Gäste bei Onkel und
Tante. Wir Kinder sahen begeistert dem Backen der Porzeln zu, die traditonsgemäß an Silvester gebacken wurden. Oh, wie schmeckten sie herrlich in ihrer verschiedenen Zubereitung mit Rosinen, Äpfeln oder Honigaufstrich. Das herrlichste aber waren der Ort und die Umstände, die uns hier
festhielten.

Nach einer Woche endlich konnten wir das Überschreiten des zugefrorenen Flusses wagen und landeten wohlbehalten in Kalteherberge. Pferd und Wagen mussten jedoch noch in Steegenerwerder bleiben, ehe sie die Heimreise antreten konnten. Wie lange dieses noch dauerte, ist mir entfallen. Auf alle Fälle gefiel es den Kutschpferden dort sehr gut bei reichlich Hafer und gutem Heu und
Nichtstun.

Unsere ganze FamilIe wurde von einem Ersatzfuhrwerk von Kalteherberge abgeholt, das telefonisch zur richtigen Zeit dorthin beordert worden war.

Als wir nach langer kalter Fahrt daheim eintrafen, wurden wir mit Jubel von den Großeltern und von allen Dienstboten empfangen. Besonders Großmutter war rührend beglückt, ihre Großkinder wieder bei sich zu haben. Wie Großmütter so sind, hatte sie sich. am meisten Sorge gemacht, wie es
uns ergehen könne. Sie wähnte uns so dicht am Nordpol zwischen Eisbären und Seehunden.

Auch wir Kinder waren auf eine Art froh, wieder daheim zu sein, doch mochten wir dieses Erlebnis nicht mehr missen.

Noch einmal haben uns die Fähren am Weichselmündungsarm mit der durch großen Sturm verursachten Wasseranstauung Schwierigkeiten bereitet. Nach lang anhaltender Geburtstagsfeier bei Ohm Knaels wurde erst ziemlich spät beziehungsweise früh von uns und einigen anderen Familien
die Heimreise angetreten. Als wir alle mit Pferd und Wagen übersetzen wollten, war dies wiederum durch Stauwasser nicht möglich.

Teils mit nassen, teils mit vergnügten Augen mussten wir alle wieder zur soeben verlassenen Geburtstagsfeier zurückkehren: Wir wurden von den noch feiernden Gästen und besonders von Onkel und Tante mit Jubel begrüßt. Die Feier wurde nun wieder mit verstärkten Kräften weitergeführt. Danach musste für eine Schlafgelegenheit für so viele Gäste gesorgt werden. Mit Humor und gutem Willen wurde dies zu aller Zufriedenheit bestens geregelt. Eine weitere solche Nacht brauchten die Gäste nicht mehr zu erleben. Der Sturm legte sich überraschend schnell, und jeder konnte nach einem guten Mittagessen die Heimreise antreten.

Ende der dreißiger Jahre etwa sind die beiden Fähren modernen Straßenbrücken gewichen. Großen Nutzen davon hatten die anliegenden Dörfer. Zugleich war aber auch wieder ein Stück Heimatromantik zerstört.

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