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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Siegfried Lenz: Heimatmuseum



Wolfgang
05.05.2013, 18:53
Schönen guten Nachmittag,

dieses Unterforum heißt "Neue Bücher"... - und nun komme ich mit einem von Siegfried Lenz vor 35 Jahren verfassten und publizierten Werk: Heimatmuseum.

Warum? Ich erwarb das Buch als die ersten Exemplare druckfrisch die Presse verließen. Ich las es aber nicht. Ein, zwei Mal versuchte ich mich an den ersten dreißig, vierzig oder fünfzig Seiten. Aber das Thema befremdete mich irgendwie. Ich legte das 700 Seiten umfassende kiloschwere Werk beiseite, es verstaubte in meinen Regalen.

Und noch einmal: Warum? Warum kaufte ich es? Ich weiß es nicht mehr. Aber wahrscheinlich lag der Entschluss dieses Buch zu erwerben in einer bereits seinerzeit vorhandenen Sehnsucht eine nie empfundene Heimat zu entdecken, Heimat zu finden. Und mir zeigt es im Nachhinein auch auf, wo ich die ersten unbewussten Pflöcke auf einem langen Weg setzte der mich in die alte Heimat meiner Eltern und auch in meine eigene Heimat führte.

HEIMATMUSEUM! Welch ein Titel! Und doch sagt er alles aus. Das Buch handelt von Heimat, von verlorener Heimat, von Erinnerung, Gedenken und was daraus von Jenen gemacht wird, die deren Verlust mitverschuldeten. Die Hauptperson, der masurische Ich-Erzähler Zygmunt Rogalla, rettet Teile eines bereits in Masuren angelegten Heimatmuseums in den Westen, nach Rest-Deutschland. Fast philosophisch lässt Siegfried Lenz seinen Zygmunt Rogalla immer wieder über den Begriff Heimat erzählen, auch wie ihn die Folgegeneration sieht. Das Werk, obwohl vor fast zwei Generationen verfasst, mutet auch heute noch in weiten Passagen sehr aktuell an. Ortsbezeichnungen lassen sich austauschen - es könnte dort genauso gut auch die Höhe oder das Werder stehen, natürlich mit anderen Traditionen, Charakteren, Schrulligkeiten, aber die Dichte der Erzählung, das Erkennen der Geschichte der Vertriebenengeneration, die auch auf deren Kinder abfärbte, übertragen, vererbt wurde, rief bei mir teils atemlose Beklemmung hervor.

Zygmunt Rogalla brennt sein Heimatmuseum nieder. Um es zu retten. Welch Paradoxon! Ganz langsam, während des Lesens des Buches und des damit verbundenen Verstehens und Empfindens entsteht Verständnis für seinen Entschluss. Und auch Trauer ob des Verlustes.

Ich habe das Buch nun aus einem Regal hervorgeholt, entstaubt, verschlungen. Ich brauchte mehrere Tage. Ich hätte es schon vollständig lesen sollen als ich es seinerzeit kaufte. Es hätte mir Manches aufgezeigt und mir vielleicht auch Antworten gegeben auf Fragen, auf Fragen zum Thema Heimat, die mich vor langer Zeit beschäftigten.

Welch ein Kontrast zu dem kürzlich gezeigten Fernseh-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter"! Wer Geschichte verstehen möchte, muss sich in sie vertiefen, muss sich mit ihr auseinandersetzen, auch wenn das mitunter beklemmend sein mag. "Heimatmuseum" ist kein Konsumartikel, es bedeutet konzentriertes Lesen, Nachdenken, Folgerungen ziehen.

Ein Buch, an das sich zu erinnern lohnt.

Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang

ada.gleisner
05.05.2013, 20:01
Guten Abend Wolfgang,
interessanterweise habe ich mir das Buch vor 2 Tagen gekauft. um es nochmal nach vielen Jahren zu lesen. Ich glaube, daß man, älter geworden, vieles besser oder anders versteht, als wenn man mitten im Berufsleben stehend, Familie versorgend, Politik machend, auf die Schnelle so ein Buch liest. Ich bin gespannt, was es mir heute sagen wird. Schöne Grüße von Ada