Die Danziger Stadtbibliothek (1)
Dienstag, 2. April 2002
Stadtbibliothek Danzig: So hieß sie einmal früher. Heute nennt sie sich "Danziger Bibliothek der polnischen Akademie der Wissenschaften". Michal Gorski hat einen Termin vereinbart. Frau Stefania Sychta, eine perfekt deutsch sprechende Mitarbeiterin der Stadtbibliothek, erwartet uns mit strahlendem Lächeln.
Wir gehen die hölzerne Wendeltreppe ein Stockwerk höher. Alles in dunklem Braun. Nicht nur das Äußere des Gebäudes ist Ehrfurcht gebietend, auch das Innere, die Hängelampen, die Türen, die Dielen, veranlassen jeden Besucher automatisch, sich leise und ruhig zu verhalten. Frau Sychta geht zuerst auf die Geschichte der Bibliothek ein, erklärt uns die Karteien, erläutert die Stichwortverzeichnisse, fragt mich, ob ich die "gotische" Schrift der Vorkriegszeit lesen könne. Der größte Teil der Vorkriegsbestände der Bibliothek ist erhalten geblieben und stehe heute wieder zur Verfügung. Sie erwähnt, am Ende des Krieges sei eine Bombe in das Gebäude eingeschlagen, die glücklicherweise nicht gezündet habe. Frau Sychta fordert uns auf, ihr zu folgen. Es geht eine Etage nach unten, wir stehen vor einer hohen Gittertür, zu der sie einen Schlüssel aus der Tasche zieht. Im vom Tageslicht erleuchteten Raum steht ein Tisch, auf dem sie einmalige Exponate vorbereitet hat. Ein altes Werk in silberbeschlagenem Einband mit Schloss und dann ein Buch, dass ich sehr gerne besäße: Ein originaler Curicke. Komplett erhalten und mit handschriftlichen Ergänzungen. Es tut meiner Begeisterung keinen Abbruch als sie erwähnt, die Bibliothek besäße auch noch eine kolorierte Fassung, die sie uns aber leider nicht zeigen könne. Es ist ein eigenartiges und Respekt gebietendes Gefühl, zu sehen, wie Frau Sychta mit weißen Handschuhen vorsichtigst Seite um Seite umblättert. Es macht ihr Freude, uns diese Einmaligkeiten zu zeigen. Es folgt ein Werk über Hevelius mit Zeichnungen, die zu der Frage verleiten, ob seine astronomischen Geräte nicht nachgebaut werden könnten. Großes Interesse findet ihre Ankündigung, dass die kompletten Ratsverordnungen der Stadt, also der Gesetze Danzigs, demnächst über das Internet abrufbar sein werden. Mit deutscher Unterstützung werde es ab Mai dieses Jahres so weit sein.
Nachbemerkung: Es ist bewunderns- und anerkennungswert, was die Stadtbibliothek alles tut, um ihre Bestände nicht nur der polnischen Bevölkerung, sondern auch Deutschen zur Verfügung zu stellen. Ein immer größer werdendes Problem ist, dass in der jüngeren Generation die deutsche Sprache gegenüber dem Englischen in den Hintergrund tritt. Nur wenige Deutschsprechende sind in der Lage, gedruckte Frakturschrift zu lesen. Von Sütterlin und älteren deutschen Schriften gar nicht zu reden (aber das kann mittlerweile auch bei uns kaum jemand von der jüngeren Generation lesen).