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AW: Ein Hafenkonzert
Zehn Jahre später
Samstag, 19. Mai 2012
Zehn Jahre nachdem ich das "Hafenkonzert" unten an der Elbinger Weichsel erlebte, bin ich wieder unten am Fluss, wieder auf Zbyszeks Bootssteg, wie bereits schon ungezählte Male zuvor. Es ist warm an diesem Abend, sehr mild, windstill, trotzdem aber nicht ruhig. Denn wie jeden Abend geben uns auch heute die Frösche ein Konzert. Aber das ist noch nicht alles...
Es war kurz vor 20:00 Uhr, wir waren noch zu Hause, drüben auf der anderen Seite des Flusses, als meine Frau fragte "Hörst Du es? Drüben beim Zbyszek? Die Klarinette?". Ich stutzte, lauschte, konzentrierte mich, und tatsächlich, von drüben klang zauberhaft leise und sanft eine Klarinette. "Es ist bestimmt Jurek", sagte ich. Jerzy Detko, Boss einer Jazz-Band, Klarinettist und Saxophonist, hält sich öfters mal bei Zbyszek auf, zum Grillen, ein Bierchen trinken, zum Fischen und zum Musizieren. Ich griff zum Telefon, rief Zbyszek an, sagte ihm, er solle nicht so laut dazwischen reden wenn Jurek spielt. Lachend sagte er, wir sollten rüberkommen.
Und nun sind wir da. Mit dem Kajak wollten wir nicht rüberfahren, auf der Straße war uns der Weg nach Fürstenwerder zu weit, und so liefen wir ein paar hundert Meter am westlichen Flussufer entlang bis wir auf die Hebebrücke stießen. Von dort aus war es dann nur noch ein Katzensprung.
Zbyszek und Jurek begrüßen uns herzlich, bieten uns einen frischen Drink an. Und gleich darauf spielt Jurek wieder, nein, er entlockt seiner Klarinette wundervolle Töne, er lässt sie sprechen, singen, sie lebt und er wird Eins mit ihr. Er ist in sein Spiel versunken, aber trotz halb geschlossener Augen verliert er seine Angel nie aus dem Blick. Denn seitdem meine Tochter und ihr Freund uns Anfang des Monats besuchten und vier große Hechte aus der Elbinger Weichsel zogen, findet Jurek keine Ruhe mehr. Er, bei dem bisher kaum etwas biss, fordert nun sein Anglerglück heraus.
Aber trotz aller traumhafter Musik fängt er nichts. Kein Hecht, kein Zander, kein Barsch verfällt den schmeichelnden Lockrufen seiner Klarinette. Vielleicht passen wir alle auch nicht richtig auf, vielleicht konzentrieren wir uns zu sehr auf Jurek und seine Musik, auf seine zu Herz gehenden Melodien. Die abendliche Sonne entschwindet orangefarben im Westen hinter hochgewachsenen Weiden am dunkelnden Horizont. Jurek packt die Klarinette ein, holt sein Saxophon hervor. Glenn Miller, Frank Sinatra, Jazz, Blues, er fragt uns, ob wir Melodien aus "Casablanca" hören wollen. Die Töne schweben über dem Wasser, lassen die Rispen des Schilfes erzittern und es scheint, als ob sogar die Frösche verstummen.
Wir summen mit, träumen, saugen die nächtliche Atmosphäre auf, staunen über klare Spiegelbilder im ruhigen, trägen Fluss. Und wieder Jurek mit seinem Saxophon...
Vor zehn Jahren begann alles mit einer vagen Vorstellung, einem Traum, einer Hoffnung. Es begann hier unten am Fluss als mir Zbyszek ein Grundstück anbot. Der Traum ging in Erfüllung.
Jurek fragt ob er weiterspielen solle. Was für eine Frage!!!
Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir ihn hier hören.