Frischer Aal am Frischen Haff
Donnerstag, 02. Januar 2003, früher Nachmittag
Wir sind hungrig. Die frische Luft, der frische Wind am Frischen Haff schaffen Verlangen nach frischem Fisch. Ich freue mich schon darauf, kenne ich doch bereits vom vergangenen Sommer das Bodenwinkler Fischrestaurant „Bar rybny U Basi“. Es liegt ein wenig versteckt abseits der Hauptstraße, hin zum Haff. Das neue, moderne Restaurant fällt mit seiner weißen Fassade und dem großen, voll verglasten Vorbau, der als Gaststube dient, sofort auf. Wüsste ich nicht, dass hier hervorragende Fischgerichte auf der Speisekarte stehen, wäre mir die Atmosphäre möglicherweise ein bisschen zu nüchtern um einzukehren. Malerisch wirkt jedoch der schneebeladene
Wir stellen den Wagen ab und stapfen durch den Schnee. Meine Füße fühlen sich warm an obwohl Schuhe und Socken vollkommen durchnässt sind. Im Restaurant sitzt an einem Tisch eine Gruppe Jugendlicher, die gerade mit dem Essen fertig sind. Wir werden von der Gastwirtin freundlich begrüßt. Sie führt uns zu einem Tisch nahe der Theke, erklärt dann aber, es gebe zur Zeit keinen frischen Fisch, da Ostsee und Haff zugefroren seien. Die Fischer kämen nicht mehr hinaus, müssten hier bleiben.
Plötzlich strahlt sie und erklärt Zbyszek, wir könnten Aal haben. Er schaut mich fragend an, und ich stimme zu. Ein Aal aus dem Haff? Wahrscheinlich wurde er schon früher gefangen und bis jetzt gehältert. Zuerst erhalten wir eine große Terrine dampfender Nudelsuppe mit zahlreichen Aalstückchen. Hm, ist das ein Gedicht! Die würzige Brühe, der frische Dill, der feste Aal – ich könnte das kochtopfweise essen. Danach wird ein Teller mit einem großen Stück mildsauer eingelegten Aal serviert. Oh, der Duft, das feine säuerliche Aroma, das in die Nase steigt. Und erst der Geschmack! Ich kaue langsam, lasse alle Geschmacksknospen verwöhnen, möchte gar nicht schlucken, tröste mich aber damit, dass ja der nächste Happen auf der Gabel wartet. Warum habe ich so etwas noch nicht in Deutschland gefunden?
Wohlig lehne ich mich zurück, während Zbyszek mit einem Bekannten, der gerade das Restaurant betreten hatte, ein paar Worte wechselt. Wir müssen noch einige Minuten auf das Hauptgericht warten und während dessen sagt mir Zbyszek, in dem Gespräch habe es sich um die Werder-Kleinbahn gehandelt, die während der Saison regelmäßig zwischen Nickelswalde und Stutthof verkehren soll. Es werde nun ein Träger gesucht und wahrscheinlich laufe es darauf hinaus, dass dies ein Eisenbahner-Verein übernehme. Es müsste noch einiges geklärt werden, denn das ganze koste auch viel Geld.
Zwei riesige Teller werden vor uns hingestellt. Ein Stück gegrillter Aal, ein Monstrum, bestimmt 20 Zentimeter lang und 5 Zentimeter dick, knusprige, goldgelb heraus gebackene Pommes Frites, Selleriesalat in Sahnesauce mit Rosinen, etwas milden Weißkohl, sauer eingelegte Zwetschgen, und das alles mit einem frischen Salatblatt garniert. Die Augen leuchten. Ich mache mich über den Aal her, enthäute ihn, ziehe mit dem Messer das wenige Fett vom Aalfleisch ab, das beim Grillen nicht ausgebraten war. Ein Gedicht. Der Aal ist ein Gedicht! Ich schwelge, genieße, freue mich. Ich habe noch nie einen solchen Aal gegessen.
Aber auch das beste Essen ist einmal vorbei. Gesättigt, nein, richtig satt und voll machen wir uns zufrieden auf den Weg zurück nach Fürstenwerder. Wieder herrscht dichtes Schneetreiben. Kurz nach Ortsausgang Bodenwinkel, stehen auf der gegenüber liegenden Fahrbahn einige Fahrzeuge. Im Straßengraben, ganz unten, ein hinein geschlitterter VW Golf mit abgerissenem Anhänger. Zbyszek kennt den Fahrer, es ist ein Fischer. Ihm ist nichts passiert. Hilfe ist bereits da. Wir fahren weiter. Weiter durch die herrliche Landschaft, die Allee entlang, zwischen Bäumen, deren schwer Schnee beladene Äste sich wie ein Baldachin über uns wölben. Wir fahren langsam, sehr langsam, nehmen uns Zeit. Und ich träume nicht nur von der Landschaft, nein, ich träume auch von dem wunderbaren Aal aus dem Frischen Haff. Wenn ich das nächste Mal hier bin, werde ich wieder Aal essen. Oder doch vielleicht eines der vielen anderen Fischgerichte, die es dort gibt? Ach, egal, jedes einzelne Fischgericht ist ein Gedicht.
Wann werde ich nur das nächste Mal in Bodenwinkel sein?