Ausflug an die pommersche Ostseeküste bei Stilo

Freitag, 02. Mai 2003

Einer der schönsten Ostseestrände Pommerns erstreckt sich von Lebau aus nach Osten. Wir haben uns eine schöne Tour vorgenommen. Hinter Neustadt (Weyherowo) soll es auf verträumten Landwegen Richtung Küste gehen. Ziel ist Stilo, ein kleines Dörfchen inmitten Pinien- und Kiefernwald bestandener Dünen. Über Zoppot und Gdingen geht es an Neustadt vorbei. Dort biegen wir nach Norden ab. Bolszewo, Zamostne, Placzewo, Mierzyno - kleine Dörfer deren deutsche Namen ich nicht weiß. Einige von ihnen sind so klein, dass sie selbst in polnischen Straßenkarten nicht zu finden sind. Uns erwarten endlose Alleen in zartem Grün. Letowo, Slaikowo, Zelazno, riesige Felder aus sandigem Lehmboden, die sich in der Ferne verlieren. Ein Traktor mit Anhänger, auf ihm Saatgutkartoffeln, steht an einem Feldrain. Es wird keine Fröste mehr geben, die Kartoffeln können gesetzt werden. Przebedowo, Kurowo, Ciekozinko, Ciekocino, Sasino. Schon von weitem grüßt der fast 100 Jahre alte schwarz-weiß-rote Leuchtturm. Nachdem wir einen kleinen Bach überquert haben erreichen wir Stilo. Vor 200 Jahren ließen sich hier die Pächter Michael Stylow und Jacob Adrian nieder. In Stilo herrscht reges Treiben, hier ist Leben. Der zum Strand führende Sandweg ist zugeparkt. Kleine Imbissbuden preisen auf großen Schildern "Rybi i Frytki" (Fisch und Pommes Frites) an. Zahlreiche Motorroller belegen einen schattigen Waldparkplatz. Ihre Fahrer haben einen gemeinsamen Ausflug gemacht. Wir parken den Wagen neben ihnen, erkundigen uns, wie weit es zum Strand ist. Die 2-3 Kilometer können wir per Pferdekutsche zurücklegen oder zu Fuß laufen. Wir entscheiden uns für "per pedes". Der Weg führt an harzig duftenden Kiefern vorbei. Die Sonne wärmt, lässt uns schwitzen. Gelbe Zitronenfalter tänzeln schwerelos vor uns, stimmen heiter. Starke Winde haben dicke Wurzelstränge frei gelegt. Sie ragen aus dem gelben Sand, der hier einen leichten blaugrauen Schimmer aufweist. Einige Motorradfahrer röhren auf ihren Zweitaktern knatternd vorbei. Der Geruch verbrannten Öles zieht mit ihnen. Wir laufen nun seitlich des Weges mitten durch den Wald. Der Boden ist dick langnadlig bedeckt, schluckt jedes Geräusch. Nur hin und wieder knackt ein verdorrter Ast unter den Füßen. Selbst unsere in gedämpften Stimmen geführte Unterhaltung ist nur wenige Schritte zu hören. Es geht bergab und von einer letzten strandgras- und nadelholzbewachsenen Düne blicken wir auf Strand und Meer. Die Küste zieht sich sowohl in östlicher als auch in westlicher Richtung fast endlos hin. Das blaue Wasser steht in hartem Kontrast zum gelben Landstreifen. Wir gehen hinunter, fragen uns, ob wir ost- oder westwärts ziehen sollen. Wir entscheiden, uns dem 12 Kilometer entfernten Leba zuzuwenden. Direkt am Wasser können wir zügig voranschreiten. Der blassgelbe Sand ist extrem fein, fast mehlig. Selbst durch eine Eieruhr liefe er wie Wasser. Nur wenige Spaziergänger marschieren ihres Weges. Ein scharfer Nordwestwind hat den Sand waschbrettartig geriffelt angehäuft. Auf den Dünen halten Wind zerzauste strohgelbe Gräser die feinen Sandmassen, schützen sie vor den Gewalten der Winde und Wasser. Feine Gischt spült an den Strand, schäumt. Kräftigerer Wellenschlag hat einen bunten Teppich kleiner rund gewaschener Kiesel - sie sehen wie Knöpfe aus - angeschwemmt. Wasserbenetzt glänzen sie in allen Farben: Schwarz, rotbraun, gelb, anthrazit, grün. In der Ferne ragen unweit des Ufers zwei Masten aus dem Meer. Sind es wirklich Masten? Oder Bojen? Was kann es sein? Wir gehen weiter und weiter, langsam, öfters stehen bleibend, uns umsehend. Ich stolpere über große schwarze Fladen, vermute Erdöl, schüttle den Kopf. Nein, sagt Kinga, nein Wolf, das sind nasse Torfstücke, die das Meer frei gespült hat. Ich bin skeptisch, breche ein Stück von einem Fladen ab, zerreibe es, rieche daran. Tatsächlich. Es ist Torf. Ein paar hundert Meter weiter wird der Strandstreifen schmaler. Hier haben stürmische Seen ganze Arbeit geleistet. Ein Teil der Dünen ist weggespült, abgebrochen, Kiefern sind nach unten gerutscht, das Wurzelwerk wettergebleicht. Und hier sehe ich auch den Torf. Eine dicke Ader schwarzen Torfes durchzieht waagerecht die Dünen. Hier also hat sich das Meer den Torf geholt und ein Stückchen weiter wieder an den Strand geworfen. Von der oberen Abbruchkante hängt dichtes Wurzelgeflecht vertrockneten Strandgrases herab. Dicht verwoben, zäh, lässt sich nicht zerreißen. Mir wird klar, warum Strandgras ein hervorragender Schutz vor Erosionen bietet.

Wir sind den zwei mastähnlichen Gebilden etwas näher gekommen und doch ist noch nicht auszumachen, ob es tatsächlich Masten sind. Wir werden noch ein ganzes Stück laufen müssen. Vereinzelt kommen uns Wanderer entgegen, eine junge Frau mit T-Shirt und großem Rucksack überholt uns schnellen Schrittes. Für ein T-Shirt wäre es mir nun doch noch ein wenig zu frisch am Wasser. Ich überlege aber immer wieder ob ich mir die Schuhe ausziehen soll, ob ich durch Sand und Gischt waten soll, lasse es dann aber doch bleiben. Die Küste ist atemberaubend. Klare Sicht , wunderbare Farben, Sand, Dünen, den Stürmen trotzende Bäume, ein stetes Rauschen des Meeres und wieder dieser herrlich blaue Himmel. Mir geht Caspar David Friedrich durch den Kopf, der vor bald 200 Jahren die Kreidefelsen von Rügen in einzigartiger Weise auf Leinwand malte. Hier hätte er genauso schöne Motive vorgefunden...

Die zwei Masten sind tatsächlich Masten. Ich wollte es unbedingt wissen. Nur deswegen liefen wir soweit. Etwa 100 Meter vom Ufer entfernt, vielleicht auch ein paar Meter mehr, ragen zwei stählerne Masten aus dem Wasser. Ich kann nicht genau erkennen, ob es Funkmasten sind, aber sie stammen eindeutig von einem gesunkenen Schiff dessen Aufbauten das Meer schon weitestgehend verschlungen und unter Sand begraben hat. Nun können wir zurückgehen, fühlen Wind und Sonne im Rücken. Es ist etwas angenehmer zu laufen, denn die Sonne wanderte bereits ein ganzes Stück nach Westen und die Winde wurden spürbar kühler. Der gleiche Weg am Strand zurück und trotzdem bemerken wir auf Schritt und Tritt Neues, sei es
Angespültes, seien es Pflanzen oder auch nur die Farben- und Schattenspiele, die von Sonne und kleineren Wolken wechselseitig beeinflusst werden. Der Weg durch den Wald steigt etwas an und wir kommen wieder ins Schwitzen. Vorhin hatte ich gar nicht die große Wanderdüne bemerkt die sich seitlich unseres Weges durch den Wald schiebt. Die Sandmassen sind dabei, einen Teil des Waldes zu verschlingen.

Wir sind nicht müde, wollen nun aber doch rasten und etwas Ordentliches essen. Am Waldrand von Stilo angekommen - der Leuchtturm hatte uns unterwegs gegrüßt - lassen wir uns auf rustikalen Bänken eines Fischimbisses nieder. Es werden alle möglichen Fischgerichte angeboten, nicht billig, aber zumindest nach meinen Maßstäben doch preiswert. Ich bestelle eine große Portion gebratenen Zander mit Pommes Frites, Salat und, da ich nicht fahren muss, einem großen Bier. In Polen gibt es hervorragendes Essen. Manchmal jedenfalls. Manchmal auch nicht. Das Bier war auf jeden Fall sehr gut.

Ein schöner, ein gelungener Ausflug nach Stilo und seinem Strand geht zu Ende. Auch hier wieder ein Landstrich mit einer unvergleichlichen Natur, die ihr eine unverwechselbare Prägung gibt. Ich lerne laufend neue Abschnitte der Ostseeküste kennen und überall wo ich war, gab es Besonderheiten, gab es Einzigartigkeiten und charakteristische Merkmale. Stilo, ein Ort, ein Leuchtturm, eine Küste – ein Ort zum Innehalten, zum Erholen, zum Verweilen.