Ein ungewöhnliches Storchenjahr

Samstag, 21. Juli 2007

Wir haben die das Werder durchschneidende Schnellstrasse von Danzig Richtung Elbing direkt hinter der Weichsel verlassen und fahren nun nach Fürstenwerder, dem Dorf an der Elbinger Weichsel, dessen Höfe über Jahrhunderte hinweg bis Kriegsende in Mennonitenhand waren.

Schlagartig gibt sich die Landschaft anders. Schweiften zuvor die Augen über weite Felder, die hin und wieder von Kanälen durchzogen waren, tauchen wir hier in das wirkliche Werder ein, erleben es nun auf ganz andere Weise. Am ersten Haus, einem alten Vorkriegsziegelbau, ein Storchennest, das Jahr für Jahr besetzt ist. Auf den dahinter liegenden abgemähten Wiesen bemerke ich drei Störche. Uns kommt ein Bus entgegen, ich muss auf die Straße achten, und Kinga ruft mir zu, sie sehe dort auf der Wiese sogar sechs Störche. Die enge Landstraße, von Bäumen und Sträuchern gesäumt, erlaubt nur mäßige Geschwindigkeiten und so ist es doch möglich, auch auf die anderen Nester entlang der Straße zu achten. Alle sind belegt und der Nachwuchs ist bereits flügge. Kurz vor dem Ortseingang zu Fürstenwerder, auf der linken Seite, ein Storchennest, dass die vergangenen zwei Jahre leer geblieben war. Hauptbaumaterial der Nester sind Weidenruten und wenn ein Nest nicht mehr benutzt wird, fangen diese wieder an zu sprießen. Verlassene Nester erkennt man an langen Weidensprösslingen und bei diesem Nest waren die Ruten dicht bei dicht sicher schon fast zwei Meter hoch gewesen. Aber in diesem Frühjahr kamen Störche und belegten es erneut. Wie haben sie die frisch gewachsenen Ruten aus dem Nest entfernt? Herausgerissen, abgebissen, geknickt? Und auch hier flügge gewordener Nachwuchs.

Dieses Jahr ist ein besonderes, ein ungewöhnliches Jahr. Die üppig tragenden Felder des Werders werden in der Regel frühesten Anfang August abgeerntet. Aber in diesem Sommer ist die Ernte bereits jetzt, also nach der ersten Julihälfte größtenteils eingefahren. Die Störche finden auf den umgepflügten Äckern einen reich gedeckten Tisch. Die aufgebrochenen Böden, der erdige in die Nase steigende Geruch, die braunen und gelben Farbtöne, all das ruft bereits erste herbstliche Empfindungen hervor. Es ist ein Schauspiel, ansehen zu können wie Heerscharen von Störchen die frisch aufgeworfenen Furchen nach Futter suchend durchstaken. Sie fressen sich die Fettreserven an die sie fuer ihre lange Reise in den Süden benötigen. Werden die Störche dieses Jahr bereits früher davonziehen?

Für mich sind die Störche das Wahrzeichen des Werders und der Niederung. Wie kein anderer Vogel begleiten sie die schönste Zeit eines jeden Jahres. Sie sind mit ihrem Nachwuchs das Sinnbild fruchtbaren Werdens und Gedeihens, und wenn der Sommer in den Herbst übergeht, ziehen sie gen Süden, dort wo sie ueberwintern um im nächsten Frühjahr erneut in ihre wahre Heimat zu ziehen.

Seit Jahren begrüße und verabschiede ich "meine" Störche persönlich. Im nächsten Jahr werde ich auf meinem Grundstück einen Mast aufstellen mit einem darauf befestigten Wagenrad in der Hoffnung, dass sich dort Störche niederlassen.

Ich weiss nicht, worauf meine besondere Liebe zum Storch zurückzuführen ist. In Oberbayern, wo ich geboren wurde und aufwuchs, sah ich keine. Aber ich wollte unbedingt welche sehen da ja einer von ihnen mein Brüderchen gebracht hatte. Die damalige "Aufklärung" meiner Eltern bestand darin zu sagen, der Storch bringe die Babies. Ich muss heute noch lachen wenn ich mich daran erinnnere, dass mein Vater und meine Mutter nach einem von der Volksschule veranstalteten Elternabend zurück kamen und meine Schwester und mich entrüstet fragten, wie wir denn unserer Klassenlehrerin gegenüber behaupten konnten, Neugeborene würden durch den Storch gebracht.

Heute weiß ich es natürlich anders. Aber trotzdem haben die Störche nichts an ihrer Phaszination für mich verloren.