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Thema: Bericht der Reise nach Danzig von Kiki in 2004

  1. #1
    langhecken, +26.09.2011

    Standard Bericht der Reise nach Danzig von Kiki in 2004

    Nachdem es nicht gelingt, den in verschiedenen mails erhaltenen Bericht
    nach dem Scannen ins Forum zu übertragen, werde ich den 6 DIN A4 Seiten starken Bericht von Kiki sukzessiv abschreiben und ins Forum setzen. Viel Spass beim Lesen wünscht langhecken:

    Wo sollten wir zuerst hingehen? Wenn man aus dem Fenster unseres
    Hotels nach links blickte, konnte man den Hauptbahnhof sehen. Die heutige Heweliusza Str. führte vom Hotel direkt darauf zu. So begannen
    wir dort. Ich zeigte Oliver (ihrem Sohn), wo vor genau 60 Jahren sein
    Großvater in den Zug stieg, als er eingezogen wurde, um für einen längst
    verlorenen Krieg nun auch sein Leben zu lassen. Wir fotografierten den
    Bahnsteig, gingen dann in den Bahnhof hinein. Gab es damals dort schon
    Geschäfte? Wohl kaum. Oder doch?. Alles war mir unbekannt.

    Wieder draussen, blieben wir auf dieser Strassenseite und liefen den
    Stadtgraben entlang, überquerten Silberhütte, dann durch einen kleinen
    schattigen Park bis zur Radaune. Wir schlenderten an ihrem Ufer entlang
    bis zum Krebsmarkt. Dort suchte ich nach dem früheren Raifeisenhaus,
    in dem meine Mutter vorübergehend während ders Krieges gearbeitet hatte. Es steht dort heute noch ein Gebäude, aber auch hier kein
    Erkennen. Ich meinte, es hätte anders ausgesehen.Das Wetter war die
    ganze Zeit über herrlich sonnig. Wieder machten wir Fotos, schauten eine
    Weile auf das fliessende Wasser und weiter gings, an der Radaune entlang
    nochmals in die Sandgrube, dann weiter bis Am Bischoffsberg.

    Dieses Mal sahen wir uns alles genauer an. Fanden die Salvator Gasse,
    wo Waldlemar einmal als Kind wohnte und auch den Treppenaufgang
    zum Friseur, bei dem Mutti uns die Haare schneiden liess. Ein Schild
    über der Tür sagte uns, daß ein polnischer Friseur heute noch sein Handwerk dort betreibt. Dann entdeckte Oliver auch das ehemalige
    Restaurant "Zum Schwarzen Meer". Die Straßen dort waren fast leer.
    Einmal trat eine junge Frau aus einem Haus heraus. Sonst war niemand
    zu sehen. Zurück zur Radaune und dieses Mal lief der Weg unterhalb
    der Straße weiter, am Ufer lang bis wir über einen Treppenaufgang die
    Straße in Richtung St. Trinitatis Kirche überquerten. Wieder durch einen
    kleinen Park, der jetzt aber auch ganz anders aussah als in meiner
    Kindheit.

    Das nächste Mal geht es weiter

  2. #2
    langhecken, +26.09.2011

    Standard Danzigreise 2004 von Kiki Fortsetzung

    Zuerst wollten wir uns jedoch das National Museum ansehen (das frühere
    Franziskanerkloster) denn dort war Hans Memlings "Jüngstes Gericht" ausgestellt. Soviel hatt ich darüber gehört und gelesen. Jetzt wollte ich es selbst einmal im Original sehen. Zuerst sahen wir uns die unteren
    Ausstellungsräume an, mit alten geschnitzten religiösen Holzfiguren und Objekten. Eine Schulklasse saß dort und sah ein Video über Kunst an. Wir liefen weiter durch einen langen Gang mit wunderschönen alten Möbeln im
    typischen Danziger Hanse-Stil. Ich fragte mich, woher diese Gegenstände
    stammten. War Danzig nicht zu 95 % zerstört worden und alles verbrannte?
    Eine Treppe führte zur Gemädegalerie nach oben, und dann stand ich zum
    ersten Male vor dem so berühmten "Jüngsten Gericht". Ich hatte es mir
    grösser vorgestellt, denn was es darstellte war von großer Bedeutung für
    einen Christen. In einem Nebenraum fanden wir eine Portraitgalerie. Die
    Gemälde stellten reiche Hanse-Kaufleute und ihre Frauen und Kinder dar, auch Menschen von hohem Rang und Positionen aus dem 16./17. Jahrhundert. Der Maler war Jacob Wessel. Ich war sehr von diesen Portraits beeindruckt und fragte den jungen Museumsaufseher, ob es
    davon einen Katalog gäbe, wie ich es von den New Yorker Museen gewohnt bin. Er vereinte, meinte aber, vielleicht auf der Internetseite des
    Museums.

    Unsere nächste Station war die St. Trinitatiskirche, in der ich im April 1936
    getauft worden bin. Seit meiner Taufe bin ich wohl nie wieder innen drin gewesen. Wir bogen links in die ehemalige Fleischergasse, dann wieder scharf links in die St. Trinitatis-Kirchen-Gasse. Ein Eingangsportal fanden
    wir nicht. Die Nord- und Westseite der Kirche war mit Baugerüsten umstellt. Auf der langen Seite fanden wir ein nicht sehr großes Eingangstor. Neugierig gingen wir hindurch um zu erkunden, wohin es uns
    führen würde. Wir traten in einen kleinen Innenhof, der uns sofort in eine andere, vergangene Zeit versetzte. Abseits vom Rest der Stadt, luden zwei Bänke zum Ausruhen und Besinnen ein. Auf einer saßen zwei ältere Frauen in ein Gespräch vertieft. Sie blickten kurz auf und sprachen weiter. Links sahen wir eine große Eingangstür, aber sie war verschlossen. In
    einem kleinen Büro saß ein junges Mädchen hinter einer Glasscheibe.
    Sie konnte weder Deutsch noch Englisch verstehen, trotzdem meinten
    wir durch Fingerzeichen verstanden zu haben, daß um 17 Uhr sich die
    Kirchentür öffnen würde. Wir hatten eine Stunde Zeit und ich beschloß
    auszuharren. Eine Weile saß Oliver neben mir, dann entschloss er sich,
    für uns Eis zu holen und ging fort. Irgendwo hatte er einen Eisverkäufer
    gesehen. Ich fühlte mich unterdessen gut aufgehoben in diesem
    geschützten Plätzchen und hatte Muße, mir alles anzusehen. Mir gegenüber standen die beiden Statuen von St. Klara und meinem Lieblings-
    Heiligen St. Franziskus, jenem der zu den Tieren sprach. (Ich bin nicht
    katholisch, aber da ich selbst sehr tierlieb bin, habe ich ihn mir zu meinem
    Heiligen erkoren.) Jemand hatte ein Blumensträußchen vor ihn hingestellt.
    Eine Fürbitterin, dachte ich. Neben mir, in der rechten Ecke des Hofes
    stand ein zarter Rosenstrauch, der sich an der Mauer hochrankte und dem Lich entgegenstrebte. Ich stand auf, nahm meine Kamera und wollte ein Foto machen.Im gleichen Augenblick kam ein junger schlanker Priester mit langer Kutte aus dem Fachwerkhaus, das hinter mir lag, heraus und überquerte den Hof zur Kapelle hin. Als er mich sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Was er wohl dachte? Vielleicht wusste er etwas über diesen Rosenstrauch, von dem ich nichts ahnte. Hatte er ihn gepflanzt? Bald folgte ihm ein zweiter junger Priester und dann kamen langsam Frauen und Mädchen, mal auch ein Mann und folgten den Priestern in die Kapelle. Wenn die Tür aufging, hörte man von innen Stimmen eines Predigers und die der Gemeinde im Gebet. Sonst war es so ruhig und friedlich an diesem verschwiegenen Ort, man fühlte sich fast unwirklich, wie in eine andere
    Zeit versetzt. Hier hätte ich länger bleiben mögen. Nach einer halben
    Stunde kam auch Oliver zurück. Das Eis war unterwegs nicht geschmolzen
    und wir leckten genüsslich, aßen die Waffel bis nichts mehr übrig war. Da
    ging plötzlich die Tür zur Hauptkirche auf, und eine kleine alte Frau in
    einer Kittelschürze, mit einem Eimer in der Hand, trat heraus. Ah. dachte
    ich, jetzt wird man gleich in die Kirche hinein können. Sie verschwand im
    Büro. Mutig ging ich zur Tür und winkte Oliver. Wir traten zögernd ein und
    entdeckten, dass die alte Frau durch eine Innentür wieder in die Kirche
    gegangen war. Einer der Priester befand sich auch dort. Sie sahen zu uns
    rüber, redeten kurz etwas miteinander und gingen jeder seiner eigenen
    Sache nach, dachten wir. Wir gewannen mehr Mut und traten vorsichtig
    tiefer in die Kirche hinein. Bald mekrten wir aber, daß auch hier renoviert
    wurde. Ein überlebensgroßes Kreuz mit einer Jesusfigur lag ausgestreckt auf dem Boden. Gerüste an mehreren Stellen. Am nördlichen Kirchensschiff
    hatte man eine Wand durchbrochen, also standen größere Veränderungen
    bevor. Dort sah es noch unfertig aus. Wir wagten uns weiter vor, machten schnell ein paar Fotos von Taufbecken und Kanzel, als plötzlich die alte
    Frau unwirsch auf uns zukam und uns andeutete, daß wir zu verschwinden hätten. Ich versuchte ihr mit meinen Händen zu erklären, daß ich hier getauft worden war, aber sie verstand nicht. Sie erlaubte uns
    gerade noch ein paar Zlozy in die Sammelbüchse zu stecken, und dann
    schloß sich die Tür hinter uns. Ich hörte sie wieder den Schlüssel umdrehen.

    Fortsetzung folgt.

  3. #3
    langhecken, +26.09.2011

    Standard Danzigreise von Kiki Teil 3

    Von der Trinitatiskirche liefen wir in Richtung Langgasse und Langermarkt.
    Wir waren hungrig geworden und wollten essen gehen.Zuerst mussten wir
    durch eine Unterführung, vor denen in unserem Forum mehrmals gewarnt worden war. Ehrlich gesagt, war mir etwas mulmig zu Mute. Mein Herz klopfte etwas schneller. Drei Treppengänge trafen in dem etwas dumpf-
    düsteren Gang zusammen und aus jeder konnte eine Gefahr zu uns herunterkommen, aber keine Menschenseele war zu sehen. Wir durchquerten den Gang schnell und kamen auf der anderen Seite am ehemaligen Polizeipräsidium wieder ans Tageslicht. Weiter ging es bis zum Hohen Tor, das wir umgehen mussten, denn auch hier wurde renoviert und der Durchgang war versperrt. Auf der anderen Seite betrat man durch
    das Langgasser- oder Goldene Tor die Langgasse. Das Goldene Tor machte seinem Namen alle Ehre. Neu und hell renoviert, glänzten die goldenen Verzierungen in der Sonne. Sehr schön sah es aus. Gleich rechts,
    wo früher das Feinkostgeschäft Fast gewesen war, hatte jetzt ein
    Antiquitätenhändler seinen Laden. Hier kaufte Mutti früher den von mir
    so geliebten italienischen Salat und andere Delikatessen. Die Geschäfte,
    die ich als Kind an der Hand meiner Mutter besuchte waren natürlich nicht
    mehr dort. Kein Sternfeld, in dem ich nie die Spielzeugabteilung ausließ.
    Ich sehe heute noch die Käte Kruse-Puppen und Schildkrötpuppen in den
    Wandschränken hinter Glas stehen. War man das Jahr über brav, stand
    eine von ihnen vielleicht zum Weihnachtsfest unterm Tannenbaum. Kein
    Salamander-Schuhgeschäft, wo uns die Füße durchleuchtet wurden, um
    zu sehen, ob sie in den neuen Schuhen auch genügend Platz hatten. Kein
    Restaurant mit Trinkautomaten, wo man sich für einen Groschen die
    Waldmeisterbrause aus einem Wasserhahn ins Glas laufen lassen konnte.
    Ich kann sie fast heute noch schmecken. Auf der rechten Seite war das
    Uphagenhaus neu entstanden, aber die Zeit reichte nicht um hineinzugehen. Es gab eine neue Post, in der man nach Nummern aufgerufen wurde und alles sehr geordnet zuging, neue Geschäfte und
    Restaurants und zwischendurch boten Straßenhändler ihre Souvenirs an.
    Postkarten, Stadtführer und Landkarten. Ich erstand zwei hübsche Magneten für meinen Kühlschrank: Das Krantor und ein typisch Danziger
    Patrizierhaus mit gemalten Blumenkästen vor den Fenstern. Jeden Morgen,
    wenn ich den Kühlschrank öffne, schau ich sie an. Auf der linken Seite
    stand das Rathaus mit seinem schlanken Turm und das Danziger Wappen
    über dem Toreingang, aber auch hier fehlte die Zeit zur Besichtigung.

    Nun standen wir auf dem Langenmarkt vor dem Neptunbrunnen. Wie vor
    fast 60 Jahren stand er dort und schaute auf das Getriebe. Hinter ihm der
    Artushof. Versteckt hinter Sonnenschirmen und Bäumen das Goldene Haus.
    Hier sahen wir, außer vieleicht um den Bahnhof herum, die größte Ansammung von Menschen. Langermarkt Nr. 3 war ehemals das Bürohaus
    der norwegischen Schifffahrts-Gesellschaft Bergtrans oder Bergenske,
    in dem mein Vater als Prokurist gearbeitet hatte. Jedes Mal wenn Mutti und ich ihn besuchten, setzte man mich auf den Tresen der die Büroräume
    vom Eingang trennte, und ich musste vor aller Belegschaft ein Kinderlied
    nach dem anderen singen, oder Gedichte aufsagen. Damals habe ich es wohl gerne getan, aber ich hätte es meinen eigenen Kindern nicht antun
    mögen.
    Heute befinden sich in den Häusern am Markt fest überall Cafes und
    Restaurants mit vorgebauten Decks für Tische, Stühle und Sonnenschirme, die leider den unteren Teil der wunderschön bemalten
    Häuserfronten verdecken. Ich finde sie heute schöner als ich sie aus Kindertagen erinnere, denn sie sind neu, mit Figuren und hellen Farben
    kunstvoll verziert. Ich versuchte festzustellen welcher der Aufgänge
    einstmals zum Eispalast von Toscani führte. Im Einwohnerbuch von 1942 steht Nr. 9. Wir sahen uns die Speisekarte des "Rotterdam" an und es
    sagte uns zu. Wir liessen uns an einem der Tische nieder und bestellten.
    Ich einen Meeresfrüchte-Salat und einen Teller mit Pfannkurchen und Früchten. Wir hatten lange nichts gegessen. Alles schmeckte vorzüglich,
    doch kaum war ich mit Essen fertig, traf etwas recht Unerwartetes ein.
    Einem Mexikoreisenden ist es als "Montezumas Rache" bekannt. Warum hatte ich nur die Warnung nicht erinnert, in fremden Ländern keine Salate
    zu essen und kein Wasser zu trinken? oder waren es die Meeresfrüchte?
    Auf jeden Fall wurde ich diesen Zustand erst nach und nach in London
    los, wohin ich von Danzig zu meiner Tochter gereist war. Bisher hatten
    wir nur im Hotel gegessen, und nichts dergleichen war dort passiert...
    und wir wollten noch nach Langgarten. Unverdrossen spazierten wir durchs
    Grüne Tor auf die Grüne Brücke zu. Von hier hat man einen sehr schönen
    Blick über die Mottlau, die Lange Brücke, Sternwarte und Krantor. Ich
    erinnerte wieder, daß mein Vater am Neujahrsabend mit mir dort stand und
    den Turmbläsern zuhörte, die um Mitternacht mit ihren Trompeten das
    neue Jahr begrüssten. Wir fotografierten uns gegenseitig, mit Mottlau und
    Krantor im Hintergrund. Reingespuckt habe ich aber dann doch nicht.
    Weiter ging es, vorbei an schönen neuen Häusern auf der einen Seite, den
    Ausgrabungen auf der linken Seite, durch die Milchkannengasse, vorbei am
    Milchkannenturm, nach Langgarten. An der Neuen Mottlau machte Oliver
    Fotos von den noch übriggebliebenen Ruinen des 2. Weltkriegs und wir
    liefen ein Stück am Wasser entlang bis dorthin wo Segelboote liegen und man das Krantor auf der anderen Seite sehen konnte. Gott sei Dank gab
    es hier öffentliche Einrichtungen, denn Montezuma meldete sich wieder.

    Zuerst strebten wir auf die St. Barbara Kirche zu, der Taufkirche meiner
    Schwester Astrid. Sie war wie fast alle Kirchen abgeschlossen und man
    konnte nur durch eine Gittertür ins Innere sehen, welches neu aufgebaut war. Kurz vorher bogen wir dann links ab bis hin zur ehemaligen Plankengasse, wo in der Nr. 6 meine Tante Erna mit Onkel Richard und ihren 4 Söhnen Joachim, Roland, Winrich und Ortwin gewohnt hatten. Das
    Haus wurde 1942 einmal ausgebombt und die Familie zog vorübergehend
    zu uns nach Schwarzes Meer. Wir waren oft bei ihnen zu Besuch, auch
    traditionell am 2. Weihnachtsfeiertag, aber es kam mir alles seltsam fremd
    vor, ich konnte nicht einmnal erinnern, in welchem Stockwerk sie gewohnt
    hatten. Zuletzt sahen wir uns das Langgarter Tor an. Auch dort wurde
    gebaut und renoviert.

    Jetzt waren wir müde und am nächsten Tag wollten wir zur Westerplatte.
    Also zurück zum Hotel und ausgeruht.

    Bei unseren abendlichen Spaziergängen durch die beleuchtete Stadt, die
    wir mehrere Male unternahmen, in Begleitung eines anderen Teilnehmers
    unserer Gruppe, fiel mir auf, daß sich grössere Schwärme dunkler Vögel
    auf den Dächern Danzigs versammelten und ständig lautschreiend aufflogen, um sich auf einem gegenüberliegenden Dache wieder niederzu-
    lassen. Was für Vögel waren das? Weiss es jemand?


    Fortsetzung folgt mit dem Besuch in der Kaschubei.

  4. #4
    langhecken, +26.09.2011

    Standard Danzigreise von Kiki Teil 4

    Ein besonderer Höhepunkt ist das Kaschubische Bauernfest. Es beginnt mit einer Kutschenfahrt, worauf eine kleine Schiffahrt auf dem Ostritzer See folgt. Anschliessend erwartet Sie dann am Lagerfeuer ein "Festgelage" mit
    regionalen Gerichten und Spezialitäten. Natürlich steht auch Folklore, Musik und Tanz auf dem Programm... Na, hört sich das nicht vielversprechend an? So jedenfalls stand es im Reisekatalog.

    Während wir in der Töpferei noch unsere Einkäufe tätigten, wartete der
    Busfahrer bereits ungeduldig auf uns Nachzügler. Nun sollte es an den Ostritzer See gehen. Weiter ging es durch hügelige Landschaft vorbei an
    Wald und Seen und immer wieder die Pilzverkäufer. Einmal machten wir noch halt auf einer Anhöhe, von wo man einen weiten Blick über das Land hatte. Dort lag einr großer Stein, auf dem das Kaschubenland mit seinen Seen und grünen Flächen in bunten Farben aufgezeichnet war. Es
    gab auch ein Denkmal dort, aber ich erinnere nicht mehr für wen. Vielleicht kennt es einer von Euch. Am See angekommen wurden wir in zwei Gruppen geteilt. Die eine ging auf ein kleines Schiff, und man fuhr uns ein Weilchen
    auf dem See spazieren, während ein Mann in typisch kaschubischer Kleidung mit seinem Akkordeon für uns Musik machte. Wieder an Land zurück waren wir nun an der Reihe in einer Pferdekutsche ein Stück am See lang zu fahren, während die andere Gruppe nun das Schiff bestieg. Unser Pferd war recht störrisch, warf den Kopf ständig zurück und der
    junge Kutscher musste es dauernd am Zügel reißen. Mir tat das Tier leid. Wahrscheinlich hatte es keine Luste mehr, ständig im leichten Trab,
    die gleiche kurze Strecke hin und her zu laufen. So etwas Stumpfsinniges.
    Der Sommer war aber fast vorbei, und ich hoffe dem Tier stand eine bessere Zeit im Herbst und Winter bevor.

    Auf der Wiese des Grundstücks liefen Gänse und Enten herum. Eine Ziege lag im Gras, an einen dünnen Pfahl angebunden und ließ sich willig streicheln, während sie aus einem Eimer Futter fraß. Sehr ländlich alles.
    Man führte uns in eine Holzhütte mit einer vorgebauten überdachten offenen Veranda in der wir uns auf Holzbänke setzten. Am hinteren Ende war eine kleine Küche, davor eine Theke und in einer Ecke stand noch ein
    kleiner Tisch, auf dem, kaum waren wir mit Essen fertig, die Stickereien
    ausgebreitet wurden. Ich erstand 3 kleine Deckchen mit typisch kaschubischem Muster. Man hatte uns erzählt, daß früher nur 7 Farben zum Sticken benutzt wurden. Drei verschiedene Blautöne, rot, gelb, grün und schwarz, und daß es zur guten Erziehung der Töchter aus besseren Familien gehörte,daß sie diese Art der Stickerei erlernten.

    Kaum saßen wir, wurde uns als erstes ein Schmalzbrot gebracht. Ich aß es
    mit Genuss, denn bei mir zu Hause wurde Schmalz schon seit langer Zeit
    nicht mehr verwendet. Auch vertrage ich tierisches Fett nicht mehr. Koche nur mit hellem Olivenöl. Es erinnerte mich aber an meine Kindheit, als Mutti selbst ihr Griebenschmalz machte und dann Zwiebeln und Äpfel zufügte. Oder um die Weihnachtszeit das schöne Gänseschmalz. Heute esse ich
    weder das eine noch das andere. Auch keine Gans mehr. Macht einfach zuviel Arbeit und hat zuviel Fett.

    Als nächstes bekamen wir einen Teller mit Schweinefleisch, geschnitten von einer großen Keule. Dazu, mit viel Fett und lange gekochtes Kohlgemüse. Dazu große Mengen Kartoffeln, sie schmeckten gut, aber
    dieses Gericht war zu sättigend, daß die meisten von uns auf die Wurst, die als Letztes serviert wurde, verzichteten. Das Ganze war nichts Besonderes, aber wir waren hungrig. Also ....assen wir.

    Inzwischen war auch der Kaschube mit dem Akkordeon, seine Frau mit einer Fiedel und sein kleiner Sohn mit einem Instrument erschienen, das ich nicht benennen kann. Es war ein aufrechter Stab mit Saiten zum Zupfen und übereinander gesetzten Blechscheiben, die beim auf den Boden
    stampfen und schütteln, schepperten. Keine kaschubische Hochzeit, keine
    Folklore, Gesang oder Tanz. Was hatte ich mir eingebildet. Jemand brachte ein langes hölzernes Horn und die Männer durften sich den Hut des
    Kaschuben aufsetzen und versuchen, diesem großen Horn mit größter Anstrengung einen Ton zu entlocken, während eine der Frauen das Horn horizontal balancieren half, denn es war schwer. Einer hat es geschafft
    und die Männer hatten ihren Spaß.

    Irgendwann steckte jemand nebenan hinter dem Gasthaus einen Haufen Reisig an, der fürchterlich qualmte. Niemand forderte uns auf dort hinzugehen und auf den umstehenden Bänken Platz zu nehmen. Es
    geschah dort auch garnichts. Sollte das das versprochene Lagrerfeuer
    sein?

    Mehr ist darüber nicht zu berichten, höchtens, daß ich auf dem Weg zum Bus als es wieder in Richtung Danzig gehen sollte, der Ziege nochmals über das weiße Fell strich. Sie lag noch immer an der gleichen Stelle, kaute gelasssen vor ich in und ließ es gutmütig geschehen.

  5. #5
    langhecken, +26.09.2011

    Standard Danzigreise von Kiki Teil 5 und Ende

    Die letzten beiden Tage unserer Reise hatten wir zur freien Vefügung. Wir
    mussten gut planen, denn wir hätten gerne einiges gesehen, es war aber nicht genügend Zeit vorhanden.

    Für Sonnabend Vormittag hatten wir uns mit Pawel verabredet. Er fragte mich am Telefon, woran wir uns denn erkennen würden. Ich war zuversichtlich "Ein großer Sohn mit der gleichen Frisur wie deine, und eine kleine Mama" sagte ich. "Auf jeden Fall werde ich Dich erkennen". Pünktlich holte Pawel uns vor dem Hotel Hewelius ab. Wir gingen sofort auf einanderzu, und als Erstes fragte er uns :"Seid Ihr schon am "Schwarzen Meer" gewesen?" Wir verneinten und er bot sich an, uns dort hinzufahren. Der liebe junge Mann, mit all seinen eigenen Sorgen, machte sich Gedanken um uns.

    Er fuhr uns zum "Am Bischofsberg" und zeigte uns unter anderem, wo
    Charlie einmal gewohnt hatte. Waldemar beschrieb die Gegend vor Kurzem
    im Forum. Es sah genau so dort aus. Ziemlich menschenleer und herunter-
    gekommene Häuser. Eines davon mit kaum leserlicher deutscher Aufschrift. Oliver entdeckte es und machte ein Foto. Da stand "Restaurant
    Schwarzes Meer". Ich hatte keine Ahnung, daß es dieses dort einmal gegeben hatte. Ich wusste, daß Schwarzes Meer 1945 von den Russen
    niedergebrannt worden war.

    Als Mutti 1971 zum ersten Mal nach Danzig fuhr, berichtete sie über
    unsere Straße, daß es nun dort nur noch Schrebergärten gäbe. Ich hatte also keine Illusionen etwas vorzufinden. Dann bat ich Pawel uns doch einmal in die Sandgrube zu fahren. Dort wurde ich im Dezember 1935 in
    der Privatklinik des Dr. Schulemann geboren. Meine Mutter ist nie mit mir dort hingegangen, obwohl die Sandgrube eigentlich parallel zum Schwarzen
    Meer lief. Ich hatt also keine bestimmte Vorstellung wonach ich suchte.
    Was wir fanden war eine große moderne Klinik, die mir nicht bekannt war.
    Dann erzählte ich Pawel von dieser Kirche mit dem Jesus Mosaik. Er schien
    sofort zu wissen, wovon ich sprach. "Das soll aber schon immer eine
    polnische Kirche gewesen" meinte er. Das war sicher so, aber als Kind hatte ich davon keine Ahnung. Wenn ich heute daran zurückdenke, dann waren es wahrscheinlich nicht unsere befreundeten Mitbewohner aus dem Haus, die mich dorthin mitnahmen, sondern unsere Wanda, die als gläubige
    Katholikin, dort Sonntags zur Messe ging. Manchmal habe ich, später im
    Leben, daran gedacht, daß ich nie ihren vollen Namen kannte, noch wusste, woher aus Polen sie stammte. Wahrscheinlich hätte ich versucht
    nach ihr zu suchen, denn gerne hätte ich erfahren, was aus ihr geworden war, nachdem sie uns verlassen mußte. Sie wäre doch so gerne in Deutschland geblieben. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, daß vermutlich auch sie gezwungen worden war, in Deutschland zu arbeiten.
    Ich kenne aber ihre wahre Geschichte nicht. Mutti sagte nur einmal, daß
    Wanda große Angst hatte, in die Hände der Russen zu fallen.

    Zurück nun zur Kirche. Am Ende der Sandgrube bog Pawel links ab, und plötzlich standen wir vor der "Christus-König-Kirche" und sie sah noch
    genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Jesus schaute genau wie früher auf uns herunter und auf die aus der Kirche strömenden Gläubigen.
    Für mich war es einer der Höhepunkte meines Danzigbesuchs.

    Danach ging es zu Pawel nach Hause, wo bereits Magda, ihre Mutter und
    Schwester und natürlich die kleine Hanusia auf uns warteten. Ich hatte einmal an Pawel geschrieben, daß man sich das Ausmaß dieser Krankheit
    garnicht vorstellen kann, wenn man das Kind nie gesehen hat. Da lag nun dieses kleine hübsche, gesund aussehende Mädchen in ihrem Wagen, angeschlossen an den Beatmungsapparat und konnte nichts, aber auch
    nichts bewegen, als ihre schönen großen blauen Augen, die uns fragend ansahen. Wieder neue Gesichter, die es für sie wahrzunehmen gab. Sie lag so geduldig und ernst blickend da, und ihre Mutter sprach leise auf sie ein. Wir wurden an den gedeckten Tisch gebeten, auf dem gleich zwei, von Magdas Mutter gebackene, vorzüglich schmeckende Kuchen standen.
    Eine Unterhaltung kam sofort in Gange, auch zwischen Oliver und Magdas
    Schwester, (deren Namen ich im Moment nicht weiss), denn sie sprach gut und fließend Englisch. Wir anderen unterhielten uns in deutscher Sprache.
    Pawel erzählte uns von dem bevorstehenden Umzug in eine größere
    Wohnung. Man konnte erkennen, daß die jetzige eigentlich für die Familie
    zu klein war. Auch musste der Kinderwagen die Treppen hinunter und
    später hinaufgetragen werden, was mit dem Beatmungsgerät ziemlich
    schwer sein musste. Wie Pawel uns hier im Forum kürzlich mitteilte, hat dieser Umzug inzwischen stattgefunden und Hanusia kann nun öfter einen Spaziergang an der frischen Luft machen. Ich wünsche der kleinen tapferen Familie viele glückliche Jahre dort. Später brachte Pawel uns in Hotel zurück, wo Oliver und ich Pläne für den Rest des Tages machten.

    Ende des Berichtes.

  6. #6
    langhecken, +26.09.2011

    Standard Danzigreise von Kiki Teil 5

    Habe ein Foto von Christa während ihrer Danzigreise 2004 gefunden.

    Gruß
    langhecken
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