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Thema: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

  1. #1
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    Standard Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Schönen guten Abend,

    meiner Tante Herta, der älteren Schwester meiner Mutter, gelang Ende März 45 die Flucht aus dem umkämpften und brennenden Danzig. Sie führte Tagebuch und fasste dieses kurz nach Kriegsende in einem Bericht zusammen.

    Ich habe meine Tante nie über ihre Erlebnisse und vor allem auch nicht über ihre Aufzeichnungen befragen können. Ich entdeckte diese erst nach ihrem Tode. Der Schreibstil wirkt auf mich manchmual irritierend, manchmal auch verstörend.

    Ende März 45 war meine Tante eine junge 19-jährige Frau, lebenslustig, vielleicht auch draufgängerisch. Zumindest teilweise vermittelt ihr Bericht den Eindruck, als sei der Krieg und dessen Schrecken ein großes Abenteuer in dem es gilt, allen Gefahren heroenhaft zu trotzen. Und dann der Berichtsstil: Mitunter vermeint man, den Tonfall eines Kriegsberichtserstatters herauszuhören.

    Meine Tante hat schreiben können. Ihr Bericht, viele, viele Seiten lang, fesselt in weiten Passagen. Heute bringe ich nur einen kleinen Teil, denn es kostet doch einige Zeit, all das was sie schrieb, auf den Computer zu bringen. In den nächsten Tagen wird es weitere Folgen geben.

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    Bericht von Herta Rusch, geb. Schneider, * 03.02.1925 in Schnakenburg bei Schiewenhorst
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    In dieser zusammengefaßten Mappe will ich alles niederschreiben, was ich seit den letzten Tagen in Danzig und meiner Flucht erlebt habe, mir und meinen Kindern später zur Erinnerung.

    I.Teil. Die letzten Tage in Danzig

    Danzig war zur Festung erklärt. Die Befestigungsarbeit war überall im Gange. Unsere Vaterstadt sollte als Bollwerk im Osten um jeden Preis gehalten werden. Würden unsere Truppen standhalten, wenn die russische Walze ins Rollen kam? Hatte es überhaupt noch einen Zweck? Doch wir glaubten, glaubten noch immer, denn sonst war uns ja die zwangsweise Flucht sicher. Wir waren in großer Sorge, wie es uns wohl ergehen würde.
    Der Beschuß nahm mit jedem Tage zu. Ich mußte nochmal nach Zoppot zu Mutsch, koste es, was es wolle. Ich zögerte auch nicht. Am Sonntag, dem 11.3.45 fuhr ich raus. Es war ausgerechnet den ganzen Tag Alarm. Man hörte schon nichts anderes mehr, als die Sirene. Auf dem Bahnhof angekommen, ging die Sirene wieder los. Der Zug fuhr aber trotzdem. Tiefflieger umkreisten ihn. Ein unangenehmes Gefühl wollte mich beschleichen, doch ich kam gut in Zoppot an, und fand meine Lieben gesund [Anmerkung: Bismarckstr. 5]. Kaum angekommen, war ich auch schon wieder im Keller. Dort haben wir uns trotz heftigen Bombardements ganz nett unterhalten. Das war ein Angriff von 4 Std., immer in einzelnen Wellen. Um 21.00 konnte ich endlich aufbrechen. Im vollkommen dunklen Zug fuhr ich zurück nach Langfuhr und kam auch gut nach Hause. Das war mein letzter Tag bei Mutsch und Reini.
    In Langfuhr bei Tante Erna wars nun auch ganz schön [Anmerkung: Erna Wenzke, Hochstrieß 16]. Die ganze Familie Wenzke saß meistens den ganzen Tag im Keller. Dadurch hatte ichs gut. Zu tun war nichts und ich hatte desto mehr freie Zeit. Tieffliegerangriffe, Ari-Beschuß und Bombenangriffe nahmen mit jedem Tag zu. Ich war nie im Bunker, sondern bei Helgalein und ihrer Mutti. Wir waren am Kuchen backen, Bonbon- und Pudding-Kochen so oft es anging, nur, um die letzten Tage auch auszunutzen. Ullis Freunde kamen oft, und beim Zigaretten rauchen und manchen Erzählchen vergingen die Stunden. In allem war eine leise Wehmut, - wer weiß wie lange noch -? Eine unüberwindbare Sehnsucht nach einem gemütlichen Heim - nach Frieden überhaupt – verspürten wir alle. Warum mußte alles so sein? Das Schicksal ist grausam. Doch wir haben immer wieder versucht, diese Gedanken mit unserem unverwüstlichen Humor auszulöschen.
    Dann kam der Tag, am 14.3.45, an dem Irene und Siegfried abfuhren. Ich war sehr sehr traurig, denn ich wäre gern mitgefahren. Sie fuhren mit der Deutschland nach Kiel. Onkel Achim war ich ernstlich böse, doch Tante Erna hat mich wieder so verwöhnt, daß ich meinen großen Groll vergaß.
    Wir bekamen eine neue Einquartierung. Vorne, auf dem Hof, war eine Gulasch-Kanone aufgefahren. Zuerst hatte ich sie gar nicht beachtet, bis ich da von jemand geärgert wurde. Es war beim Tiefflieger-Angriff. Ich wusch trotzdem draußen Strümpfe. (Das Wetter war einzig schön, so ein schönes Frühjahr war schon lange nicht. Die Sonne brannte schon richtig). Da freundeten der Heinz und ich uns an, d.h. die Freundschaft bestand nur aus gegenseitigem Ärgern. - Gegen Abend gabs nen großen Angriff auf Neufahrwasser und Danzig. Der Himmel war rot. Es war eine rötliche Helle um uns, daß man hätte draußen lesen können. Zudem die bunten Tannenbäumchen in der Luft und die Leuchtspur der Flak - ein schauerlich-schönes Bild. Man wurde vielmehr an eine Johannisnacht erinnert. War das der Krieg? Ja, es war die grausamste Wahrheit und Wirklichkeit.
    Herr Wenzke kam mit einem Hauptwmstr. in den Bunker. Ein lb. Mensch. Wir unterhielten uns ganz nett, über alle Dinge des täglichen Lebens. Statt im Bunker zu sitzen, gingen wir noch ein Stündchen ins Büro [Anmerkung: Autospedition Wenzke, Hochstrieß 16]. Ein Stückchen Torte wurde uns von Helgaleins Mutti serviert, dazu hatte er Zigaretten mit, ein wirklich gemütlicher Abend. Man vergaß die grausame Welt draußen.
    Der Heinz kam unterdessen jeden Abend ins Büro. Am Tage hatte er nicht so viel Zeit. Er zeigte uns seine Kochkunst, Griespudding, Kuchen und so manchen schönen Gulasch ließ er uns zukommen. Wenn die Bordkanonen auch auf dem Hof ihre Arbeit taten, wir waren immer alle zusammen. Der Heinz fehlte nie. Den Bunker gingen wir höchst selten einmal aus Neugier von innen ansehen. Frau Lengwenings war so lieb zu uns allen. Was gab es immer für Spaß bei uns. Wir haben uns das Leben noch so schön wie möglich gestaltet. Nur der Heinz hat uns geärgert. Nun, mehr spaßig gemeint. Wenn wir schlafen gehen wollten, verschwand er nie, saß mit einer Seelenruhe da, ohne Notiz davon zu nehmen. Warf ich ihn raus, lachte er nur. Einmal geschah folgendes: Helga ging schlafen, als er dabei war. Irma lag schon im Bett. Helga war so wütend, haut sich so richtig auf die Bretter (sie schlafen übereinander, in aufgestockten Soldatenbetten). Helga, Irma, Bretter, Matratzen u. Kissen landen eine Etage tiefer. Man sah nur ein wüstes Durcheinander, aus dem Arme und Beine hervorstaken. Oh weh, was haben der Heinz und wir gelacht.
    Bald merkte ich aber, daß der Heinz es auf mich abgesehen hatte. Freitag nacht waren wir alle auf, Helgaleins kleiner Ritterkreuzträger Willy war auch da, und der Helmut. Die haben politisiert, und ich war überrascht, was „mein Heinz“ alles hervorbrachte. Ich hätte das bei ihm nie vermutet. Da verzieh ich ihm seine ganzen Sünden im stillen. Wir saßen bei der Lichtknappheit, d.h. es war ja gar kein Licht im Dunkeln, und erzählten gegenseitig unsere Erlebnisse. Wir rauchten dabei Zigaretten. Es war so urgemütlich, daß wir nicht einmal die fehlende Flasche Likör vermißten. Auf einmal erschütterte eine gewaltige Detonation unsere heimelige Stille. 7 Bomben fielen auf das Kasernengebäude, gerade auf der gegenüberliegenden Straßenseite [Anmerkung: Gegenüber lag die Husarenkaserne]. Nun, Krach dieser Art waren wir gewöhnt. Wir hoben nur den Kopf, spuckten einmal aus, nach Landserart und erzählten weiter. Nein, so ganz geheuer war die Sache nicht. Erst mußten wir sehen, was draußen los war. Da gabs ein Feuer. 25-30 Mann tot. Verbrannte und Verwundete außerdem. Nun war unser Hochstrieß erst recht beleuchtet, einsehen konnte der Iwan schon bei uns. Bei den Löscharbeiten pfefferte der Iwan immer feste rein, und dann noch mit Fliegerbordwaffen. Deshalb und wegen des Funkenregens mußten wir wieder rein. Nun dösten wir auf den Chaiselognen hin, waren vielleicht auch eingeschlafen, - krachts!!
    Aus? – Nein, man bewegt sich noch. Die Fensterläden waren indem schon aufgesprungen, Scheiben klirren, alles still. Eine Bombe von der Nachteule hatte sich gerade unter das Fenster verirrt, wo wir ungefähr schliefen, muß in den Bach [Anmerkung: Strießbach] gefallen sein. Wars nun Angst, oder nur so ein mulmiges Gefühl?, das uns heimlich beschlich. Wieder mal gut gegangen. Die Nacht ging herum. Um ½ 5 Uhr fing die Iwan-Ari an, uns ihre Grüße herüberzusenden, immer so, daß die Geschosse über unser Haus pfiffen, weil sie ja schon drüben auf der anderen Seite in die Kasernen-Gebäude gingen. Wir hatten dann ständig das Gefühl, daß es uns treffen würde, aber wenn es pfiff, wars ja schon vorbei.
    Heute, am Sonnabend nun, den 23.3.45. Morgens um 6 Uhr kamen dann anschließend die Tiefflieger, und kreisten den ganzen Tag immer in geringer Höhe über uns. Ich ging schnell, immer am Zaun entlang, zum Fleischer zur Hauptstraße. Es war so angereiht, mindestens eine 20 m Schlange zu zwein. Es war gut, daß ich gleich umdrehte und zurück ging, denn so lange Schlange stehen war nachher sowieso aussichtslos, und dann krachte es ja ununterbrochen. Flugblätter regnete es in rauhen Mengen. Schon morgens mußte der Heinz plötzlich weg. Die Küche wurde nach Neufahrwasser verlegt. Wir waren recht traurig, denn wir hatten viele schöne, und auch oft sehr gefahrvolle Std. miteinander verlebt. Der heutige Tag brachte noch Angriffe auf Danzig, Beschuss u.s.w., wie wir es nun schon gewöhnt waren. Jetzt in der Nacht haben wir keine Ruhe. Der Iwan ist vor Brentau. Wird er heute nacht schon da sein? Es heißt ja, unsere Soldaten halten.
    Doch die Nacht ging wie immer unruhig, aber ohne besondere Zwischenfälle herum.
    Nun will ich den heutigen Sonntag (24.3.45) schildern.
    Wir hatten ein herrliches Wetter. Die angreifenden Feindflugzeuge blitzten nur so in der Sonne. Die Sonne lockte direkt zu einem Sonnenbad auf der Bunkerböschung. Aber die Splitter fliegen nur so zur Erde, gleich 20 cm in die Erde, und man wollte es keinem geraten haben, sich in die scheinbar friedliche Sommersonnenstille zu legen. Es krachte in einem fort. Sollten wir heute denn kein Mittag bekommen? Hinauswagen konnte sich niemand, das hätte nicht mal ein Soldat unnötig getan. Selbst auf Mittag wollten wir alle verzichten. Ich hatte aber solchen Hunger, und flitzte über den Hof. Schnell, schnell einen Korb Kartoffeln zusammengerafft, Wasser, Messer und schon war ich wieder im Bunker. Man darf die Geschosse nicht vergessen v. der Ari und den Bordkanonen. Mit dem Schälen zu Ende, wurde wieder über den Hof in die Wohnung geflitzt. Schnell Holz gespalten, auf einmal ein Krachen, ein Rattern, waren die Teufel schon wieder da. Ich lag im nächsten Moment an der Herdwand, schnitt aber ruhig an meinen Spänen weiter. Ein paar Schüsse gingen durchs Fenster, Glassplitter klirrten. Ich machte mir nicht die Arbeit, die Geschosse zu suchen. Mittels einiger Fleischbüchsen war schnell ein Essen zubereitet. Die Kartoffeln kochten, inzwischen das Fleisch und Soße bündig gemacht, süß/sauer abgeschmeckt, mit zitternden Fingern die Kartoffeln abgegossen (weils immerfort krachte, auch auf dem Hof natürlich) und dann gings mit Tellern im Korb und dampfendem Mittag zurück in den Bunker. Ich hätte nie im Leben Mittag so schnell fertig bekommen, wie gerade heute. Im Bunker rief alles ah und Ooooh!! Draußen mochte es nun krachen, wir aßen in aller Seelenruhe Mittag. Ich dachte mir, das wird wohl das letzte Mittag gewesen sein, denn die Stalin-Orgel ist nichts für die Nerven einer Frau, und zudem das Aufschlagen der Bordwaffen, so ein kaltes Klatschen, -furchtbar-. So haben wir notgedrungen den ganzen Tag im Bunker verbringen müssen. Seit der Iwan hinter Brentau war, zu uns hin, konnte er von zwei Seiten einsehen in unsere Straße u. er sparte nun nicht mit Munition. Die Kaserne wurde so bepflastert, daß es für uns schon gefährlich war, überhaupt die Nase herauszustrecken. Der massive Zementbunker schüttelte sich ja schon. Jetzt, gegen Abend, kommt ein Bekannter zu Onkel Achim, will ein Auto, um seine Familie nach Westl. Neufähr aufs Schiff zu bringen. Tante Erna und ich sind nun spitz drauf, mitzufahren. Gesagt, getan.
    Später. Tante Erna darf nun wieder nicht weg. Da wollen Helgalein, Ulrich und ich fahren.
    Um 21 Uhr gingen wir dann schweren Herzens, und doch voll dankbarer Freude, dem Iwan entronnen zu sein, unter schwerstem Beschuß los, wie kämpfende Soldaten, immer Deckung nehmend. Wir vertrauten aber auf unser Glück, denn wir mußten schnellstens aus der Schußlinie Hochstrieß heraus. Es wurde auch schon mit Gewehr-Munition geschossen. Der Iwan wurde oberhalb Hochstrieß, 800 m von uns gehalten. Jeden Moment konnten Panzer kommen. Eile war geboten. Im Lossowweg sausten einige Einschläge in nächster Nähe ein. Wir duckten uns nicht mal, nur vorwärts, entweder oder! Im Steffensweg warteten wir in einem teilweise durch Ari-Treffer zerstörten Haus, auf Bichowski mit dem Tatra, bis 22 Uhr 30 wurden wir auf die Folter gespannt. Dann gings auf dem großen, offenen Auto nach dem Mirchauerweg über Geröll und Schutt. Immer noch hörten wir hinter uns das M.G.-Feuer des Iwan. In der Adolf-Hitlerstr. empfing uns ein Feuer, oha! Kein Haus war ganz. Die dunkle Nacht-Einschläge, immer wieder Einschläge, das rasende Feuer und dazwischen, wie ein Gespenst unser offener Wagen – uns drohte das Herz nun doch stillzustehen. In der Allee brannte auch alles. Umgekippte Fahrzeuge, Wagen, tote Pferde - furchtbar. In Danzig, am Horst-Hoffmannswall mußten wir noch eine Std. warten. Da sollten 8 elternlose Kinder mit. Eine ganze Stunde!! - Was ging wohl mit uns vor. War es nicht Wahnsinn, da zu stehn? Von Ohra, Schidlitz, Stolzenberg sogar schoß der Russe mit M.G. und schweren Waffen. Ob wir da nochmal lebend vom Fleck kommen? Die Häuser Stadtgraben brannten lichterloh. Es wurden keine Löscharbeiten vorgenommen. Feurige Fetzen und Funkenregen wurden zu uns hinübergetragen. Endlich gings los. Durch die Stadt kamen wir nicht, alles ein Flammenmeer. Wir mußten zurückfahren, und zwar oben Petershagen, Poggenpfuhl, Thornscher Weg, Weidengasse, Langgarten, Kneip ab und raus auf die Chaussee. Die Chaussee war voll Wehrmachtswagen, sodaß an ein Vorwärtskommen nicht zu denken war. Über uns die Nachteule, immer mit M.G. auf die Kolonnen. Bichowski wollte mit uns nicht weiterfahren, denn nun fielen auch Bomben. 3 km vor Westl. Neufähr mußten wir runter vom Auto und zu Fuss weiter nach Westl. Neufähr. Ein paar Mal lagen wir noch lang bis dahin. In Westl. Neufähr gingen wir noch gleich über die Brücke, gleich in das erste Haus. Aufgenommen wurden wir nicht. Ich entdeckte einen Bunker hinter dem Haus. Wir setzten uns hinein. Das Ding war aber ganz voll Wasser. Um 2 Uhr war es uns so kalt, das wir ins Haus gingen, in der Küche auf dem nackten Fußboden hockten und jämmerlich froren. Um 5 Uhr gingen wir schon raus. Das Wetter war ja herrlich. Nun gings den ganzen Tag los mit dem Bombardement, aber wie. Danzig konnten wir gut beobachten. Es war ein Feuer.
    Zu essen bekamen wir dort nichts, und machten uns allergrößte Sorgen, wie wir mit unserem Essen ausreichen würden. Zum ersten Male dachten wir so in unserem Sinn, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn wir zu Hause geblieben wären. Doch der Weg war uns ja schon abgeschnitten. Es galt jetzt nur noch vorwärts. Gegen Abend gabs einen Bombenhagel. Wir dachten, dies ist das Ende. Indem die Bomben krachten, liefen wir über das Feld ca. 100 ganze mtr., um in den großen Bunker zu gelangen.
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    Das ist die höchste aller Gaben: Geborgen sein und eine Heimat haben (Carl Lange)
    Zertifizierter Führer im Museum "Deutsches Konzentrationslager Stutthof" in Sztutowo (deutsch/englisch)
    Certyfikowany przewodnik po muzeum "Muzeum Stutthof w Sztutowie - Niemiecki nazistowski obóz koncentracyjny i zagłady"

  2. #2
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Fortsetzung des gestern ins Forum gestellten Berichtes meiner Tante über die letzten Tage in Danzig.

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    Dort verbrachten wir die Zeit bis nach 2 Uhr nachts. Ich war am Umkippen. Der Mief dort, nicht gegessen, und dann das andauernde Rauschen und Krachen der Bomben. Der Druck drang in Nase, Ohren und Mund, daß das Blut nur so brauste. Der Bunker war zudem nicht Bombensicher, nur aus Ziegel und oberhalb der Erde, also nur Splitterschutz, und die Menschen drin wie Heringe. Die Bomben fielen immer rundrum um die Bunkerwände, keine traf. Es war wie ein Wunder. Die Bomben fielen so dicht, daß wir uns an den Händen hielten, um nicht fortgeschleudert zu werden, denn ich stand hauptsächlich nahe am Ausgang, und eine Tür war nicht, nur ein Vorbau. Nach diesem überstandenen Angriff gingen wir mit einer jungen Frau in das Haus neben dem großen Bunker, damit wir nicht immer die 10 m laufen brauchten. Vorerst bekam ich von einem Soldaten noch ein paar Schnitten Brot mit Schmalz. Wir lagen auch in dem Haus die ganze Nacht auf dem Fußboden in der Küche. Ich habe (geschlafen wie nie) gefroren wie nie und habe wieder die ganze Nacht nicht geschlafen. Morgen gegen 6.30 machten wir uns auf, und wollten nach Plehnendorf, von dort mit dem Schiff weg. Herr Rehfeld hatte uns im Stich gelassen, also mußten wir unser Glück allein machen. Ich fand es weniger schön, uns da sitzen zu lassen. Inzwischen waren wir bis kurz vor Plehnendorf gekommen, immer schon unter Fliegerbeschuss, zu so früher Morgenstunde. Es wurde mir zu bunt. Wir hätten nachts gehen müssen Ruuums!, schon lag ich wieder unterm Auto. Ulrich und Helga auch irgendwo. Über die Chaussee gings aus diesem Grunde nicht weiter, war zu gefährlich. Ich mußte es übers Feld versuchen, und ging auch gleich in das 1. Haus fragen, wie der Weg sei. Wir sollten über den nächsten Hof und dann rechts gehen. Auf dem bezeichneten Hof, der parallel zur Chaussee lag, angekommen, machten wir erst mal halt. Es waren Landser da, vom Tross. Wir suchten unsere Fressage aus, und fingen, auf einem Baumstumpf sitzend, an zu essen. Wir hatten große Sehnsucht nach einem Schluck heißen Kaffee. Da kam ein Soldat, der fragte mich, ob ich Kaffee haben wollte. Endlich, der 1. Mensch, der sich um einen kümmerte. Das tat wohl. Wir bekamen warmen Kaffee, und den Becher durften wir auch gleich behalten. Wir besahen uns, haha, sahen aus, wie die Dreckschweine. Ulrich am schönsten. Sattgegessen, schaute ich mich ein bißchen dort um. Da war ein Kuhstall, und drüber ein Heuboden. Eine Leiter her! Wir dort rauf, Wasser rauf jongliert von oben bis unten gewaschen, erst wir Mädel, dann Ulrich, reine Wäsche an und dann aber hinein ins Heu, das so herrlich duftete. Das Dach war so dünn, die Bordwaffen würden glatt durchgehen, dachte ich. Na, mir war es ja so gleich. Nur schlafen, schlafen, schlafen. Wir schliefen den Schlaf der Gerechten. Nachher stand ich unten gegen die Tür gelehnt, sprach mich ein Hauptfeldwebel an. Es war der Spieß. Er bot mir ne Zigarette an, wir unterhielten uns, und er bot uns Mittag an. Ich sollte mir doch über Essen ja keine Sorgen machen. Gottseidank, Helga und Ulrich, ja nun meine Schützlinge, hatte ich voraussichtlich für diesen Tag versorgt. Er zeigte mir auch den selbstangelegten Kellerbunker. In seiner Ecke war fabelhaft Stroh geschüttet. Da hatten wir wunderbar Platz. Inzwischen bekamen wir schönes Mittag und der Spieß verwöhnte uns mit allem möglichen. Brotschnitten bekamen wir, 1/3 Brot, 2/3 Wurst oder Fleisch, einfach wundervoll. Zu Mittag ein Gullasch!, mehr Fleisch als Kartoffeln und eine Sosse wie zu Hause. Zwischendurch bekamen wir noch immer Schnitten, also Hunger?, hatten wir daran eigentlich schon gedacht? Uns ging es gut. Ich habe viel geraucht und mich mit dem Spieß wirklich nett unterhalten. Er hatte so fabelhafte Ansichten und eine Siegeszuversicht die mich tief beglückte u. zugleich beruhigte, denn wie wohl tat ein bißchen Glauben. Er war seinen Männern Vorbild in jeder Beziehung. Er kam zu seinen Leuten immer mit einer Bitte, nie mit einem Befehl, und die Männer gingen für ihn durchs Feuer. Das war unser Spieß, unser Papa, der für uns sorgte und uns alles vergessen ließ. Unsere Gedanken waren viel, sehr viel zu Hause. Ich ließ mir meinen Schutzbefohlenen gegenüber ja nichts merken, aber es war mir darum umso schwerer. Ulli hat sogar einmal geweint, was ich nie gedacht hätte. Er meinte, von zu Hause weg gehen, fiele ihm noch nie schwer, auch diesmal nicht, aber wenn er bedenke, daß er Mutti und Papa nie mehr wiedersehen solle, verflixt noch mal, da kämen einem die Tränen.
    Am Mittwoch [Anmerkung: 27.03.1945] gabs wundervolle Erbsen zu Mittag und zu Abend Plinsen (Kartoffelplinsen). Die Landser hatten es zu gut gemeint mit dem Zucker drauf. Wir konnten den gar nicht allen dazu essen. Wir haben sie wie immer mit dem Spieß gegessen. Er aß nichts allein. Helga hatte vom Koch des anderen Haufens Konserven und Dauerbrot bekommen, was wir für die weitere Reise in den Koffer verschwinden ließen. Dann war da noch ein 3. Haufen, als Führer ein Oberfeld. (Ritterkreuzträger) Und es gab manche nette Unterhaltung und Neckerei. Wir hatten genügend Zigaretten, was ja am meisten Ulrich freute. Nun klagte ich unserem Spieß mein Leid mit den Koffern, die sich inzwischen in Wohlgefallen aufgelöst hatten. Gleich ging er selbst Rucksäcke aussuchen. Was hab ich mich gefreut. Wir hatten auf einmal Rucksäcke. Unsere Koffer sausten in die Weichsel - nach Danzig zu.
    Natürlich war auch hier Beschuß und den ganzen Tag Fliegeralarm bzw. -Tätigkeit. Wir konnten so manches grausige Schauspiel mit erleben. Die Nachteule setzte uns ihre Brocken oft ziemlich dicht vor die Türe. Gegen Abend fielen zwei Bomben neben uns in die Scheune. Ulrich stand gerade dort bei den Pferden. Es waren Menschen da. Ulrich hielt tapfer die Pferde fest, damit sie sich nicht losreißen konnten, und die Kinder zertrampeln, d.h., die waren gar nicht angebunden, sondern standen gerade herrenlos da. Um ein Haar hätte Ulli auch getroffen werden können, es war direkt ein Wunder, daß er so gut davon kam. Einige Pferde waren zerrissen, eine Frau tot, hinterließ kleine Kinder, eine andere Frau schwer verletzt, die wieder hinterließ einen kleinen Säugling von ¼ Jahr, u. drei kleine Kinder, von denen das älteste auch schwer verwundet wurde. Beide wurden sofort weggebracht. Wir waren tief niedergeschlagen über das Elend. Das war so ein Zwischenfall. Indessen war der Russe schon Krakau. Wir bekamen Stalin-Orgel-Beschuss. Es wurde verdammt brenzlich. Donnerstag früh schickte der Spieß ohne unser Wissen jemand nach Bohnsack, um zu erkunden, ob noch Schiffe abfahren. Als er Bescheid hatte, sprach er mit mir unter vier Augen eindringlich. Wir sollten nach Bohnsack und mit dem Schiff weg. Der Oberfeld wollte uns nämlich die Nehrung herauf nach Pillau mitnehmen. Ich sollte mich nicht beeinflussen lassen. Nun, beeinflussen ließ ich mich noch nie. Ich sagte Helga kurz Bescheid, daß wir in zwei Stunden gehen. Sie war sehr ärgerlich, hatte sie doch mit dem Oberfeld ein harmloses Gespusi angefangen, fügte sich dann aber. Der Spieß freute sich, schrieb sich unsere Adresse auf, und verabschiedete sich dann. Er wurde nämlich zu gleicher Stunde mit seinen Männern nach Reichenberg versetzt. Wir machten uns bald auf den Weg, denn das Wetter war diesig, und für die Flieger ungünstig. Trotzdem waren sie seit dem Morgengrauen schon wieder da, aber die Sicht war ungünstig. Doch die Ari schoss ununterbrochen und das war eigentlich gefährlicher. Wir kamen mit unseren Rucksäcken man ganz flau vorwärts, denn wir hatten noch vom Spieß drei Decken bekommen. Ein Stück gegangen hielt hinter uns ein Meldeauto mit einem Hauptmann, einem Oberltn. und einem Ltn. Wir durften unser Gepäck aufgeben, und Ulrich und ich gingen zu Fuß, während Helga mitfuhr. In Bohnsack mußten Uli und ich bei Regen noch eine ganze Stunde warten, bis das Auto mit Helga über die Notbrücke kam. Die Rollbahn war nach wie vor mit Hunderten von Fahrzeugen verstopft. Dann schrieben die Männer noch ein paar Zeilen für ihre Frauen, die wir mitnehmen sollten. Ulrich wurde noch angehalten, er sollte sich melden, hat es dann aber nicht getan, wir sollten es so versuchen. Wir sahen dann noch Herta Stein, gingen mit ne Tasse Kaffee trinken und um 1800 machten wir uns auf zum Dampfer. Da standen Menschen und nochmal Menschen. Ein hysterisches Geschrei von den Müttern und Kindern -- furchtbar, furchtbar. Bis 2100 waren wir da. Es hiess es kamen keine Boote mehr. Wir mußten runter von der Brücke, hinein in die Baracken. Ich schleifte meinen Rucksack so, kamen drei Matrosen, schnappten sich meinen und Helgas Rucksack und forderten uns auf, ruhig noch mitzukommen zu ihnen auf Boot. Ich überlegte – Matrosen -- aber nicht lange.Herta mußte bei den Sachen bleiben. Und wir gingen los. Es war noch ein ganz gutes Stück zu gehen. Die Jungs auf dem Boot waren sehr nett, gaben uns ein anständiges Abendbrot. Wir rauchten und unterhielten uns. Da holten sie eine Flasche Eierlikör hervor. Hat der geschmeckt, oha, - konnte man mit dem Teelöffel essen. Die Stimmung war gut. Wir vergaßen jedenfalls die grauen Eindrücke draußen um uns, das Geschrei und den Schrecken der Bomben. Die Jungs gingen nun zum Teil auf Wache, zum Teil unsere Sachen holen, sodaß nur einer drin blieb und in seiner Ecke schrieb. Sie stellten uns anheim, uns noch ne Std. hinzulegen, denn wir müssen wohl hundemüde ausgesehen haben. Ach, mit welcher Wonne hauten wir uns in die kleine gemütliche Koje. Ich erinnere mich noch, wie zärtlich die kleinen Bildchen und Talismane auf dem Brettchen darüber aufgebaut waren. Jedem Jungen lachte, wenn er sich hinlegte, sein Mädel ins Gesicht, wie zu einem Gutenachtkuß.
    Kaum waren wir eingeschlafen, auf einmal ein Krachen, das Boot zitterte. Licht ging aus, alle kleinen Gegenstände kippten um. Alles an Deck auf Suche nach einem Leck. Wir blieben in abwartender Haltung, noch halb verschlafen, liegen. Uns konnte schon kaum mehr was erschüttern. Es war nichts passiert. 4-5 m von uns eine Bombe ins Wasser. Das Licht ging nicht an, Birne kaputt. Der Schaden und Schrecke waren gerade überstanden, rummst es noch mal, 10 m von uns ne Bombe ins Wasser. Die Nachteule mußte den Stand der Boote ausgemacht haben. Die andern Jungs gerade mit dem Gepäck, hatten den Vorfall genau beobachtet, und sagten, das sah eben sehr ernst aus. Am besten ist, ihr macht hier weg. Soeben kommen 3 Lazarettboote längs gefahren, die halten vor uns, da fahrt ihr mit. Trotzdem er das sagte, als sei das ein Befehl für ihn, konnte ich da ja nun gar nicht glauben, aber es war ganz ernst gemeint. Wir nun mit dem Gepäck raus. Es lagen mehrere Boote längsseits dem Ufer zu, und so mußten wir den ziemlich kitzligen Weg über die provisorisch, eigentlich nur für Matrosenbeine geeigneten, hingelegten Bretter machen. Die Boote schaukelten stark, es war schon ein Kunststück. Dies kaum überstanden -- die verdammte Nachteule, schon wieder lagen die Sachen in unserer Nähe. Wir lagen lang, das Gepäck kollerte, schon vom Luftdruck. Die Jungs taten nun so, als ob sie von Bord des Lazarettbootes wären. Wir durften nicht rauf. Da sagte „mein“ Obermaat, ich wäre seine Kleine, der andere schnappte sich Helga, und Ulrich schoben wir immer vor uns her ins Dunkel. Auf einmal waren wir an Bord. Ich sagte nur, wir sind oben. Mein Obermaat sagte nur ganz erstaunt, wie sie doch recht haben. Mußten so lachen. Er sagte aber gleich nun Spaß beiseite, ich solle mir meinen auffälligen Mantel bedecken und dann kauerten wir uns immer mitten mang die Verwundeten. Sie prüften noch die Windrichtung und setzten uns so daß wir auf der Fahrt nach Hela geschützt waren, denn es war doch empfindlich kalt geworden zur Nacht. Wir hatten ja auch erst März. Es wurde sogar lausig kalt. Die Verwundeten froren ihrem Fieber noch mehr als wir. Ich teilte die Decke mit meinem Nebenmann, Helga die ihre. Ulrich schlief sofort. Der Beschuß nahm zu. Wir fuhren in großer Eile ab. Das Laden hat höchsten 10 Min. gedauert. Auf See wurden wir von den Scheinwerfern gesucht. Es war ein prickelndes Gefühl. Die Schiffe geisterten durch die tiefschwarze Nacht, in den Scheinwerferkegel eingehüllt und von der ferne hörte man den rollenden Donner der Geschütze. - grausig -. Da die anderen Boote nicht so schnell mitkamen, mußten wir noch mal zurückfahren. Wieder empfingen uns die Scheinwerfer. Mir klopfte tatsächlich das Herz. Eigentlich war mir alles so egal, und ich wußte doch wieder, daß wir gut durchkommen würden. Gegen Morgen sichteten wir das Geleit vor Hela. Es war 6 Uhr. Schiffe über Schiffe, Flüchtlingsdampfer. Wir steuerten auf ein großes Lazarettschiff zu. Ich dachte mir, wenn du doch da rauf könntest. Wir saßen während des Überladens der Verwundeten unten beim Obermaat. Er wollte versuchen, uns raufzubringen. Es ging nicht. Ich gab die Hoffnung auf. Der Obermaat wollte nun extra mit uns zur Deutschland fahren, die uns schräg gegenüber stand. Ich ging an Deck, um mir den Betrieb draußen noch mal anzusehen. Kommt der 3. Offizier zu mir, d.h. eilig an mir vorbei, und fragt mich im Vorbeigehen, ob ich raufmöchte. Ich sagte ihm zuerst mal, daß wir 3 wären. Er sagte das schadet nichts, machen sie schnell, aber ohne viel Aufhebens, daß die andere Flüchtlinge sie nicht sehen, denn wir nehmen diesmal wohl keine mit. Oben an der Tür stand der Chef. Ich ging rauf, meine beiden hinterher. Der Chef erwartete uns mit durchbohrenden Augen. Vor ihm angekommen, bekam ich erst mal nen Anschiß der sich gewaschen hatte, daß ich gegen seine Anordnung doch raufgekommen war. Ich machte ganz erschreckte, unschuldig bittende Augen, und darauf sagte er lächelnd, nun machen sie bloß schon, daß sie reinkommen und stehen nicht noch so lang auf dem Präsentierteller. Mit den Worten war ich auch schon drin. Der Schreck war überstanden. Frechheit siegt. Ich hatte auch Ulrich an Bord. Nun war alles gut. Überall immer die Sorge um Ulrich, mit dem es sehr schwer war, sich überall durchzuschlängeln, denn Onkel Achim meinte ja schon, ich würde ihn nicht durchbekommen. Er hat mich eben noch nicht gekannt. Was ich mir vorgenommen habe, wurde noch immer durchgeführt, und so hatte ich auch dieses Versprechen, Ulrich gut durchzubringen, halten können. Der liebe Gott hat uns beschützt bis dahin, es würde auch weiter gut gehen.
    Wir sind im Schiff, stehen drei Matrosen da, mit der Unterbringungsliste in der Hand, blinzeln sich zu. Der eine sagt Zimmer 133 Obergefr. Rusch melden. Wir werden hingeführt. Wir gehen endlose Gänge entlang. Alles ist in weiß gehalten. Der Eindruck war überwältigend, habe ich doch noch nie so ein Luxusschiff gesehen.
    --- Nun beginnt das wundervolle Leben an Bord. ---
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    Das ist die höchste aller Gaben: Geborgen sein und eine Heimat haben (Carl Lange)
    Zertifizierter Führer im Museum "Deutsches Konzentrationslager Stutthof" in Sztutowo (deutsch/englisch)
    Certyfikowany przewodnik po muzeum "Muzeum Stutthof w Sztutowie - Niemiecki nazistowski obóz koncentracyjny i zagłady"

  3. #3
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Schönen guten Abend,

    in Kürze, vielleicht heute noch, werde ich weitere Tagebuchaufzeichnungen meiner Tante veröffentlichen können. Im Gegensatz zu den bisherigen Schilderungen werden diese gekürzt sein. Denn in dem Teil, in dem sie ihre Flucht nach Dänemark sowie ihre spätere dortige Internierung aufzeigt, schreibt sie auch sehr viel sehr Privates. Die gekürzten Teile werde ich durch "[...]" kenntlich machen.

    Meine Tante, im März 45 eine junge sehr gut aussehende Frau, lebenslustig, sehr lebenslustig, konnte offensichtlich auch die furchtbarsten Schrecknisse und Geschehnisse im untergehenden Danzig schnell bewältigen. Sie fand überall männliche Helfer, Soldaten, die sich gerne becircen ließen, die versuchten ihr nach Möglichkeit ein kleines Paradies in der tatsächlichen Hölle zu schaffen. In diesen Tagen traf sie auf dem Lazarettschiff "Pretoria" auch ihren späteren Mann, den am 01.05.1913 in Danzig geborenen Willy Rusch.

    Ich lasse die Aufzeichnungen meiner Tante weitgehend umkommentiert. Ich habe sie nicht mehr befragen können. Aus ihren Aufzeichnungen geht hervor, dass sie den Tod des "Führers" beweinte, dass sie selbst im Untergang noch Hoffnung in der Siegeszuversicht eines Spießes fand.

    Es sind authentische Aufzeichnungen, basierend auf einem unmittelbaren Tagebuch, zusammengefasst wahrscheinlich Ende 46 oder 47.

    Viele Grüße aus dem Werder
    Wolfgang
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  4. #4
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Bitte die Tagebuchausführungen CHRONOLOGISCH, also mit dem ersten Beitrag beginnend, lesen.

    II. Teil
    An Bord. [Anmerkung: An Bord des Lazarettschiffes „Pretoria“]
    Wir sind in einer schönen geräumigen Kabine----.
    Bald kam Herr Rusch, stellte sich vor und gab seine Anweisungen für das Gepäck. Dann haben wir uns erst mal gründlich gewaschen. Als wir fertig waren, kam Herr Rusch wieder, sagte dies und das und mir kam das Gesicht so bekannt vor. Ich dachte über den Namen nach und merke, daß es ja ein ganz alter Bekannter ist, d.h., Willy persönlich kannte ich nicht, aber seine ganze Familie. Ich sagte es ihm kurz, daß ich ihn kenne. Er war ganz durcheinander, weil ich ihm nichts näheres sagte. Nachher gab ich meinem Herzen aber doch noch nen Stoß und so wurden wir bekannt. Sonnabend fuhren wir los [Anmerkung: 31.03.1945]. Noch einmal standen wir alle an Deck und nahmen wehmütigen Abschied. Ich schaute hinüber nach Zoppot, wo ich meine Lieben wußte.
    Abschiedsstimmung---
    Ostern sollte wir ja nun an Bord verbringen, was wir immer noch nicht fassen konnten. Die Verpflegung war einfach himmlisch, was gab es nur alles zu essen. Am Ostermorgen hatten wir zum Frühstück soviel Ostereier, daß wir sie gar nicht bezwingen konnten. Indessen hatte Willy Frau Sennert und Frl. Elfi getroffen, die er auch noch nach unten holte. Nun begann das Leben mit der Quetsch und meiner Mundharmonika. Einen Rabatz gabs den ganzen Tag, daß alle Menschen aufmerksam wurden auf unser Zimmerchen, denn in den Kabinen nebenan waren ja auch Mädel, wir waren nicht nur allein die „Auserwählten“, die nicht in das Ladeluck brauchten. Wir haben dann Hochzeit gefeiert, da war alles dran, von der kirchl. Trauung bis zur Polinaise. Elfi war Braut, sogar mit Schleier, Clemens Bräutigam, Frau Sennert Standesbeamter und Pastor im Talar und Käppi. Wir haben Krokodilstränen gelacht. Nachts machte das Schiff dann tolle Fahrt, 22 Meilen, und immer im Zickzack. Es waren U-Boote hinter uns. Ich schlief ganz ruhig. Nach der Hochzeit wurde die Braut ganz still, verfärbte sich grünlich gelb und wankte nur noch so. Das Schiff schaukelte aber auch, man konnte nicht gerade stehen, ohne lang zu fliegen. In der Koje gings. Weder ich, noch Helga, noch Ulrich wurden seekrank, [...]
    In Kopenhagen waren wir am 4.4. Am 5. ging ich mit Willy zur Stadt. Ich war begeistert. Alles atmete Frieden. Wir haben eine Menge Torte gekauft, Italienischen Aal, Eier, Fischchen in Essig, kl. Toilettengegenstände u. was weiß ich. Von allem so viel, daß ich nur immer dachte, wann wollen wir das nur je aufessen. Nun, das ganze Leben an Bord, bes. was Verpfl. betr. sollte mich allerdings schon eines besseren belehrt haben. In einer Konditorei aßen wir auch noch Torte mit Sahne u. Bohnenkaffee dazu mit Sahne. Die vielen Eier in der Tasche waren Willy kaputt gegangen, d.h. eins, das unterste u. es kleckerte nun immer längs die Hosen. Was hab ich bloß gelacht. So verging die Zeit an Bord. Jeden Abend Musik gemacht, gelacht, gescherzt u. getanzt, vor allem gut gegessen, viel geschlafen, geraucht, Wannenbad genommen, alles in allem wunderschön. Die Flüchtlinge, die im Laderaum untergebracht wurden, hatten es ja nicht so gut, wir waren extra Glückskinder. Am 7. abends hieß es auf einmal, es gibt Kino. Ja, wir waren auf einem Übersee-Luxusschiff erster Güte. Sowas war den Flüchtlingen noch nicht geboten worden. Überhaupt, wir waren diese Reise am längsten an Bord. Alle vorher gehenden noch 2-3 Tg., dann runter. Vielleicht, sagte ich immer, macht das, daß ich oben bin. Nun wie gesagt, es gab einen Beifilm und als Hauptfilm „Romantische Brautfahrt“. Ganz nett. So haben wir auch mal Kino an Bord gesehen. Es war unsere letzte Nacht. Am 8.4. früh 8.00 wurde die Ausschiffung zu 10.00 vormittag angesagt. Wir machten uns dann fertig u. gingen gegen 9.30 von Bord. Willy mußte dann unten am Fallrepp gleich Wache übernehmen. Nach 1 Std. kamen die Autobusse, die uns zum Zug bringen sollten. Noch mal ein kurzer Abschied. In 1 Woche sehen wir uns hoffentlich wieder. Die Pretoria sollte nochmal nach Hela, u. ob sie da wiederkehren würde? Nun, es blieb keine Zeit, zu diesen Betrachtungen. Wir stiegen also ein u. waren auch bald am Zug. Dort standen und standen wir nun. Elfi u. mich plagte die Ungeduld. An der Verpfl. die dort gereicht wurde, hatten wir kein Interesse. Oh, diese Langeweile. Unsere Pretoria, ach ja. Wir gingen ein wenig spazieren, u. sahen auf einmal drüben im Hafenbecken an der Ölpiere die Pretoria stehen. Unser Schiff!, ach, nur noch einmal Abschied nehmen. Wir kämen wir nur hin. Wir fragten einen W.-Posten und kurz entschlossen gings los, durch den ganzen Hafen, an 8 Posten vorbei. Jeder fragte nach dem Hafenausweis. Wir rollten ein bißchen mit den Augen, wie man so sagt, u. nach einer ½ Std. standen wir vor dem Schiff. Willy hatte zufällig wieder unten Wache. Er sah uns gar nicht kommen. [...] Und dann stand ich vor ihm. [...] Er sagte, ohne mich sei das Schiff so leer. Er sei den ganzen Tag herumgelaufen u. habe mich gesucht, habe gehofft, meine Stimme zu hören, u. ich sei ja nicht dagewesen. Ach u. nun müsse er 1 Woche ohne mich sein, aber das wäre wohl das letzte Mal, daß sie fahren würden u. dann käme ich an Bord, als Stewardes u. er nähme mich mit nach Deutschl. Ja, so verging die Zeit. Elfi war inzwischen zu ihrem Hein gegangen. Um 18.00 sollte die Pretoria auslaufen, zurück in die Hölle Hela.
    Nun sagten wir uns, ob der Zug wohl noch da ist. Die Pretoria wäre dann auch weg - also? Wir kamen jedenfalls wieder ungeschoren zurück. Die Soldaten am Zug empfingen uns schon mit Hallo. Wenn der Zug nun schon weggewesen wäre u.s.w. Wir waren auch keine 3 Min. im Zug, fuhr er los. Elfi u. ich guckten uns nur an, u. dann verstohlen zur Ta[?]. Wir lachten, aber wie. So ein unverschämtes Glück. Wir sollten nun weiter nach Gütland. Wir fahren 10 Min., der Zug bleibt stehen, steht noch am Abend gegen 24.00. Dann endl. werden wir ausgeladen u. müssen da nun bis 3.00 auf dem Bahnhof hocken. Wir ertrugen das mit Humor, aber die kleinen Kinder. Kalt wars auch. Bestimmt nicht schön. Die meisten Dänen pöbelten uns an. Allmählich kamen dann die Autos. Wir kamen in den Bus. Wieder mal Glück, die meisten auf offenen LKW. Wir fuhren dann durch den Ort, Vorort von Kopenhagen = Ober-Zoppot. Wunderwunderschön. Nur Villen, Gärten, Alleen. Wir sahen das alles im Dunkeln u. waren doch schon begeistert. Es war Ordrup. Wir landeten in einer gr. modernen Schule, vornehmsten Stils, besser ein Gymnasium. Kamen mit unseren Pretoria-Bekannten in ein wunderschönes Klassenzimmer mit 9 gr. Ballon-Lampen, Fenster riesig u. zur Straße. Stroh, oh so viel. Schnellstens wurde ein Lager zurecht gemacht. Wir waren alle sehr feine Menschen im Zimmer, u. wie ein Wunder, kein Kind. (waren 15 Pers.) Wir waren das einzige Zimmer, das keine Kinder hatte u. vornehme Menschen, u. nicht wie in anderen mit solchen [...] zusammen. Wir galten dann auch bald als das „vornehme Zimmer“.
    9.4.: Gestern erhielten wir unser Gepäck. Es war alles da.. Nur von meinem Rucksack fehlte der Riemen. War ausgehakt. So fuhr ich mit einem Landser noch mal mit zur anderen Schule. War aussichtslos, da was zu finden. Aber ich sah gleich, daß wir es besser hatten in unserer Schule. Mit noch einem Mädel gings dann den ¾ Std. Weg zurück. Wieder empfanden wir die Schönheit dieses Vorortes. Diese Häuser, einfach phantastisch.
    Gestern nachmittag, heute nacht sowie heute habe ich Fieber. Habe mit den Nieren zu tun. Wird sich schon wieder geben. Ich muß es mir richtig auf dem gestrigen Bahnhofsitzen geholt haben.
    10.4.: Heute verlief der Tag ohne Zwischenfälle. Es ist 16.00 u. noch keine Verpflegung. Die Verpflegung ist ja so mies. Mal sehn, wie sich das weiter entwickeln wird.
    16.4.: Heute will ich wieder mal etwas weiterschreiben, damit ich auch nicht zu viel vergesse. Die jungen Mädel auf unserem Zimmer fühlen sich gar nicht wohl. Essen unter aller …, spottet einfach jeder Beschreibung. Wassersuppe mit Grünzeug drin, undefinierbar, ohne Kartoffel u. nie auch nur mit einem Krümelchen Salz gekocht. Ich das nicht runter, trotz so gr. Hungers. Dazu hat es sich mit mir noch nicht gebessert. Noch immer krank, Fieber, Schmerzen u. so kalt ist es. Abendbrot u. Frühstück zus. 7 Mann 1 Brot, 1 Messerspitze Butter, ½ Scheibe Wurst. Essen wir gleich am zum Abendbrot aus Angst, die gr. Ration könnte schlecht werden. Eßgefäße haben wir gar keine, müssen immer erst warten, bis alles gegessen hat - einfach toll. Am Sonnabend, den 14.4. wollten wir nun zur Pretoria. Denn den ganzen Tag sich hier anöden, man verblödet. Vor allem freuten wir uns auf ein richtiges Mittagessen. Wir gingen nun immer zwei u. zwei. Helga u. ich bekamen die Bescheinigung vom Lager-Chef u. dann los. Wir kamen dann auch ohne bes. Zwischenfälle im Hafen an. In der Bahn sprachen wir noch mit einer Dame. Es stellte sich heraus, daß es eine Deutsch-Dänin war. Sie drückte uns die Hände u. sagte mit Tränen in den Augen: „Grüßen sie mir meine deutsche Heimat.“
    Am Hafeneingang wurden gerade 3 Mädel kontrolliert, u. wir peilten die Lage, schon waren wir auch durch. Mußten aber doch lachen. Im Hafen war die Pretoria nicht zu sehen. Lag nur das Lazarettschiff Monte Rosa. Wir fragten verschiedene Matrosen, bis wir raus hatten, daß die Pretoria noch draußen auf Reede liegt. War schon schlechter geworden. Und wir hatten Hunger, nicht zu beschreiben. Also mit unserem so sehnlichst erwünschten Essen wurde es nichts - oder? Stand dort ein kl. Matrose mit einem Handwagen. Den fragte ich auch noch mal u. erzählte ihm unser Mißgeschick. Wir plauderten noch ein Weilchen u. erhielten darauf die Einladung, mit zum Essen zu kommen. Uns wurde ganz anders. Ich hatte nun gute Erfahrungen mit der Marine gemacht. Es liegt wohl immer an den Mädeln. Er machte auch so treue, bittende Augen. Ich glaubte ihm trauen zu können u. so nahmen wir nach einigem Zögern die Einladung an. Wir hatten noch ein gutes Stck. v. hier, v. Freihafen zum Nordhafen zu gehen. Unterwegs beschlichen mich einige Zweifel, die ich ihm auch mitteilte. Was würden die Kameraden dazu sagen. Er (Hans Schilling) meinte, das sei so übl., daß bekannte Flüchtl. an Bord zu Mittag kämen. Darüber wurden keine Worte gemacht u. wir würden sicher ganz ungezwungen mit Halloh empfangen werden. An Bord des U-Bootes erwartete uns ein Schweinebraten, Sauce, Kart. (ach, so viel wir wollten, herrlich) u. Kohl als Beigabe. Haben eine Woche lange gehungert, reingehauen wie die Stauer, glaub ich. Deren Meinung nach aber haben wir nur gegessen wie die Spatzen. Oha, ich danke. Es war mindestens 3 x so viel wie zu Hause. Na, uns wurde es gern gegeben. Ich umgab mich mit einer Atmosphäre, die keine Vertraulichkeiten zuließ u. sie erwartete es auch gar nicht von mir. Ich war ihnen eben anders als alle. Es hat uns amüsiert, wie beflissen sie uns bedienten. Es waren Spaßvogel drunter, daß sich gleich eine schöne Gemeinschaft bildete u. keine Verlegenheit aufkommen konnte. Am Nachmittag gabs dann Torte mit wieder oh so viel Schlagsahne u. echten Bohnenkaffee. Um 16.00 sollten wir wieder im Lager sein. Der Weg „nach Hause“ war mit der Bahn derselbe wie Neufahrwassert - Zoppot. Wir wollten uns beim 1. Ausgang nicht verspäten u. machten uns auch um 15.00 auf. Mit der S-Bahn waren wir auch schneller zu Hause als mit der Elektr. Unser kl. Matrose kam noch mit bis zum Lager. (Wir hatten immerhin noch jeder ein Stck. Toilettenseife bekommen.) Er sprach mit dem Lagerführer, ob wir den Sonntag frei bekommen könnten nach Kopenhagen. Eine Einladung zum Mittagessen dürfe man nicht abschlagen. Wir bekamen die Erlaubnis, u. so gings am nächsten Tag, Sonntag, wieder los. Es war ohne Hindernisse. Herr Schilling kam uns schon entgegen. Diesmal erwartete uns Schnitzel, Sauce, Rotkohl, Pudding u. vor allem viel, viel Kartoffeln. Na, wir reingehauen. Unsere 1. Frage war aber immer nach der Pretoria, wo ich angeblich meinen Schwager oben hatte. Wir erfuhren inzwischen, daß die P. gar nicht auf Reede sei, das müßten sie wissen, sagten sie. Die ist noch nicht zurück. Ulli war bei diesen Gelagen nicht dabei. Ich hätte ihn nicht in den Hafen reinbekommen. Wir brachten ihm ja auch mit. Der Nachmittag verlief fabelhaft. Plattenspieler mit unendl. vielen Platten, Jazzmusik, sowie auch viele schöne deutsche Heimatlieder. Inzwischen wurde geschnackt. Neckereien flogen von einer Seite zur anderen. Dann gabs Kaffee (Bohnenkaffee natürl.) u. Torte mit Sahne bis zur Bewußtlosigkeit. Die Musik, Tanz u. Rauchen ging weiter. Um 19.00 brachen wir auf. Ich war mit allen Jungs gleich Waren ja nur 18-25 Jährige. Es blieb jedenfalls alles im Rahmen. Ich hab noch 1 Paar dünne Strümpfe u. 5 Kroner geschenkt bekommen.
    Heute, am 16. kommt Herr Schilling, unser kl. Matrose uns besuchen. Ach, ob die Pretoria noch nicht bald da ist?
    So vergingen die Tage. Wir bekamen noch oft Besuch von Hans u. dem kl. Willy, Helgas „Freund“. Vom Lagerleiter erhielten wir jeden Tag die Erlaubnis nach Kopenhagen zu fahren. Ich hatte eben Chancen beim Lagerleiter. Andere durften überhaupt nicht raus. Darin hatten aber die 5 Mädel u. Frauen aus unserem „vornehmen Zimmer“ überhaupt Glück. Wir waren die einzigen, welche immer unterwegs waren. Waren auch immer nett, d.h. Auch „dänisch“ angezogen. Wir konnten uns auch schon so gut dänisch benehmen, denn die Deutschen sahen sie nicht gern. Wir kannten Kopenhagen, sind kreuz u. quer gefahren, alles in allen, traten sicher auf.. Uns konnte der Lagerleiter bestimmt fahren lassen. […]
    Als wir dann eines Abends vom Spaziergang kamen, mit unserem Besuch, hörten wir gerade Nachrichten u. somit auch, daß die Pretoria angegriffen wurde. Ich ging nun noch mit runter, habe mich kurz verabschiedet - u. wollte nur alleine sein. Alle haben ganz groß darüber diskutiert, u. ich hatte meine Gedanken für mich. Ob Willy etwas passiert war? Ich wurde aber gleich ganz ruhig. Allerdings sollte die P. Durch 9 Trp.-Treffer schon versenkt worden sein. Ich hatte den festen Glauben, daß Willy nichts passiert sein konnte - u. schlief ein. Es vergingen wieder ein paar Tage unruhigen Wartens, bis es dann hieß, die Pretoria liegt auf Reede. Also doch. Wie freute ich mich, meine Gefühle nicht zur Schau getragen zu haben. Und am nächsten Tag hieß es, die Pretoria ist da. [...]
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  5. #5
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Hallo Wolfgang! Durch Zufall bin ich beim googlen nach dem Ort "Ordrup" auf diese Seiten gestoßen und habe mich gleich registriert. Mein Opa ist als Kind allein mit der "Deutschland" Anfang April 1945 nach Dänemark geflohen und war dann auch in Ordrup.

    War das da ein richtiges Internierungslager oder was war das?

    Gruß, Jan-Lukas

  6. #6
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Vielen Dank für diese Beiträge , Wolfgang . Sie rufen in mir viele Erinnerungen vor , denn als damals 11,5 Jahre alter Junge habe - auch , wenn meine Eltern und ich nicht flüchteten - vieles erlebt und gesehen , was ich bis an das Ende meiner Tage nicht vergessen kann .
    Wie ich aus Veröffentlichungen entnehmen konnte , verlief die Frontlinie am Abend des 31.03.1945 am Westrand von Heubude . Wir saßen mit einigen Heubudern und auch Ortsfremden im Keller des Hauses Dampfbootstraße 3 , als am Morgen des 1. April ( Ostersonntag ) vom Hintereingang ein Ruf erschallte " Dojtsche rraus " . Mein Vater - er war der einzige Mann im Keller - ging als erster nach oben . Dort hielt ihm ein junger Sowjetsoldat die Maschinenpistole vor die Brust und sagte zu meiner Überraschung " Kamerad , wie spät " und schon war mein Vater seine Armbanduhr los .
    Auf der Rückseite des Hauses war ein gemauerter Schuppen und dort standen mehrere Sowjetsoldaten mit aufgepflanztem Bajonett . Sie grinsten uns alle an , wahrscheinlich wegen unserer ängstlichen Gesichter . Danach bedeuteten sie uns , Richtung Danzig zu gehen . Unterwegs lagen mehrere tote Zivilisten und auch gefallene deutsche Soldaten . Gleich hinter der Breitenbachbrücke - gegenüber der Schule Althof - erfolgte dann die Trennung : Männer zwischen etwa 15 und 60 Jahren nach rechts und Frauen und Kinder nach links . Meinem Vater wurden die beiden Koffer abgenommen und wir konnten uns nicht von ihm verabschieden . Wiedergesehen haben wir ihn erst 3 Jahre später . Den Frauen wurde eigentlich nur Schmuck und Wertsachen abgenommen , alles andere - Papiere , Foto´s , usw. wurden abgenommen und weggeworfen .
    Viele werden es sicher nicht verstehen , aber in mir kommt dann alles wieder hoch und ich kann das alles wirklich nie vergessen .
    Ich habe vor einigen Jahren das alles - soweit ich mich tatsächlich erinnern kann - mal niedergeschrieben , damit die Angehörigen der Familie und gute Freunde einen Eindruck haben , wie meine Jugend verlief und vor allem deshalb , daß sich derartiges nie mehr wiederholen darf . Rudi aus Heubude

  7. #7
    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Schönen guten Abend,
    hallo Rudi, hallo Jan-Lukas,

    Rudi, danke für Deine Erlebnisse. Es bleibt Jenen, die das nicht erleben mussten, nur das Zuhören, das Lesen und der Versuch des Mitempfindens. Zu verstehen ist das kaum, nachzuvollziehen erst recht nicht.

    Als ich das Tagebuch meiner Tante abschrieb -es ist bisher nur ein kleiner Teil davon- wurde mir erneut bewusst, wie wenig ich mich in die damalige Situation hineinversetzen kann. Vieles wirft Fragen auf, die nicht mehr beantwortbar sind.

    Jan-Lukas, Anfang 1945 bis zur Kapitulation Deutschlands in Dänemark am 04.05.1945, war dieses Land Auffangbecken für hunderttausende deutsche Flüchtlige die vor den Russen über die Ostsee flohen. In Dänemark war es sicherer als in Norddeutschland, so mussten die Dänen alle diese Flüchtlinge aufnehmen. Da es nicht genug Unterkünfte gab, wurden die Deutschen sehr häufig in Schulen einquartiert - die meisten Schulen dienten als Flüchtlingsunterkünfte. Meine Tante war in Ordrup in einer Schule untergebracht. Ob es dort auch ein Internierungslager gegeben hat, weiß ich nicht.

    Viele Grüße aus dem Werder
    Wolfgang
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  8. #8
    Forum-Teilnehmer Avatar von Bartels
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Einen schönen guten Morgen,

    "Pretoria" und "Windhuk" waren für mich immer die schönsten Schiffe, die Blohm & Voss zu Zeiten meines Grossvaters gebaut hat: Der Rumpf in edlem Hellgrau gepönt. - Die Schwestern gehörten verschiedenen Reedereien, hatten aber die gleiche Schornsteinmarke!

    Als Lazarettschiff wurde sie weiß mit umlaufendem roten Streifen und Roten Kreuzen "gemalen", als Flüchtlingstransporter wegen der U-Boot-Gefahr dann mit Tarn-Grau überzogen, etwa so: Das Foto zeigt die ehemalige "Pretoria" im Jahr 1980! Erst 1987 wurde das Schiff abgewrackt.

    Anfang der 1970er konnte man sich noch an die Reling der "Windhuk" stellen und die "Möwen" hören - ein Teil war im Deutschen Museum aufgebaut, - ob es heute noch da ist, weiss ich leider nicht.
    Beste Grüsse
    Rudolf H. Böttcher

    Max Böttcher, Ing. bei Schichau (aus Beesenlaublingen & Mukrena);
    Franz Bartels & Co., Danzig Breitgasse 64 (aus Wolgast);
    Familie Zoll, Bohnsack;
    Behrendt, Detlaff / Detloff, Katt, Lissau, Schönhoff & Wölke aus dem Werder.
    Verwandt mit den Familien: Elsner, Adrian, Falk.

    http://bartels-zoll.blogspot.de/2012/07/ahnentafeln-zoll.html

  9. #9
    Forum-Teilnehmer Avatar von Felicity
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Genau wie Deine Tante, Wolfgang, habe ich die letzten Kriegstage in Danzig erlebt. Ich war im Kriegseinsatz im Marienkrankenhaus, dann ein Reserve Lazarett. Als die Front sich naeherte, stieg die Zahl der Verwundeten und Toten. Draussen war die Hoelle los. Wir standen unter Beschuss, Bomben fielen und Artillerie war staendig auf uns gerichtet. Es war eine Woche vor Ostern, als ich die Erlaubnis bekam, ausfindig zu machen, ob meine Familie noch am Leben war. Unter dauerndem Beschuss rannte ich die Weidengasse entlang, in der die Baeume in der Allee, und auf beiden Seiten der Strasse, die Haeuser Brannten. Ich fand meine Mutter, Opa und meine Schwester im Luftschutzkeller. Ploetzlich trafen eine Serie von Bomben unser Haus. Alles wurde schwarz um mich herum und als ich wieder zu mir kam, sah ich nur eine Wand von Schotter und Steine wo Mutti und Jenny gesessen Hatten. Sie waren verschuettet. Soldaten begannen die Verschuetteten auszugrabedn und Mutti und Jenny wurden herausgebracht. Opa war tot.
    Ich nahm die beiden mit mir zum Reserve Lazarett und legte Matratzen zwischen die Betten der Verwundeten die ich pflegte. Es war am Karfreitag als die mongolischen Horden, die Kampftruppe der russischen Armee unser Lazarett einnahmen. Mit der Kampftruppe kam der Medizinische Stab und uebernahm das Lazarett. Das war unsere Rettung, Ordnung und Disziplin wurden sofort eingefuehrt. Das sind die Schrecken des Krieges die ich nie vergessen werde. Liebe Gruesse von der Felicity.

  10. #10
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Hallo Wolfgang,
    sehr interessierte Bericht. Die Zeit in Dänemark interessiert mich selbstverständig am meisten, ich wohnte da in 1945 und war 7 Jahre alt und konnte wegen Flüchtlinge nicht in Schule kommen.

    Es sieht aus, dass deine Tante auf Ordrup Skole, Grønnevænge 16, DK-2920 Charlottenlund war. Hier wurden 613 Flüchtlinge unterbracht. Die waren nur wenige Monate auf diese Schule, aber hat alles sehr tüchtig kaputtgemacht, wie es überall gewöhnlich war. Die Tafeln, die Stuhlen, alles Werkzeug war Kaputt und sehr Dreckig überall. Hast du die Lagerkarte deine Tante bekommen. Ob nicht kann ich dir helfen.

    Ich habe ein paar Bilder wie die Schule damals sah aus und wie es heute sieht aus.

    Ich kann dir es senden wenn du mir deine E-Mail Adresse schreibst.

    Mit Gruß
    Olaf

  11. #11
    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard AW: Erinnerungen an die letzten Kriegstage von Herta Rusch, geb. Schneider

    Schönen guten Morgen,
    hallo Olaf,

    die Tagebuchaufzeichnungen meiner Tante sind nicht ganz vollständig. Wichtige Ereignisse im April 45, aufgeschrieben auf sechs Seiten, sind verloren gegangen. Im Mai 45 wurde das Tagebuch nicht täglich geführt. Meine Tante scheint bis 18. Mai in Ordrup gewesen zu sein, obwohl sie sich zeitweise auch auf dem Lazarettschiff Pretoria bei ihrem Freund Willy Rusch, ihrem späteren Ehemann, aufgehalten haben muss.

    Über die Schule Ordrup bzw. über einen Teil ihrer Mitflüchtlinge bzw. Miteinquartierten fand sie sehr drastische Worte hinsichtlich deren Verhalten und Hygiene. Insofern deckt sich Deine Feststellung "Die Tafeln, die Stuhlen, alles Werkzeug war Kaputt und sehr Dreckig überall" mit dem Bericht meiner Tante. Ich weiß nicht wie groß die Schule ist, aber es darf nicht vergessen werden, dass die Bedingungen in einer Schule als Unterkunft für mehrere hundert Flüchtlinge nicht gerade ideal waren.

    Am 18. Mai wurde meine Tante dann in ein Internierungslager bei Kopenhagen verlegt. In den nächsten Tagen werde ich versuchen, weitere teils nicht ganz einfach zu lesenden Aufzeichnungen meiner Tante abzuschreiben.

    Viele Grüße aus dem Werder
    Wolfgang
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