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Thema: Johannes Trojan: Wie ich für Kinder dichten lernte

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    Standard Johannes Trojan: Wie ich für Kinder dichten lernte

    Aus "Unser Danzig", Ausgabe September 1997, Seiten 33-34

    Wie ich für Kinder dichten lernte
    von Johannes Trojan

    Ich bin geboren am 14. August 1837 in der alten Handels- und Seestadt Danzig zusammen mit einem Schwesterchen. Wir Zwillinge bekamen jedes einen Namen, Johannes und Johanna wurden wir genannt, hießen sonst aber die "Kleinen", weil von unseren Geschwistern das älteste schon mehrere Jahre älter war als wir. Wir wohnten im Winter in einem der hohen Giebelhäuser der alten Stadt. Dort in der Kinderstube, wo ein hübscher alter Schrank stand, saßen wir Zwillinge an einem Kindertischchen mit zwei Bänkchen davor, dessen ich mich noch sehr wohl erinnere, und spielten mit dem, was der Weihnachtsmann aufbaute, was wir zu unserem gemeinsamen Geburtstag bekamen und was von guten Onkeln und Tanten uns beschert wurde. Der Noahskasten, der Baukasten und nachher der Tuschkasten waren uns das liebste. Wir hatten aber drei Schwestern, so daß wir zusammen unser fünf waren, und als die älteren Geschwister meinten, daß wir beiden Kleinen schon etwas vernünftiger geworden wären, zogen sie uns allmählich zu ihren Spielen hinzu.

    Es war ein hübsches, altes, im Jahre 1690 erbautes Haus, in dem wir wohnten, nur einen Fehler hatte es, es verkehrten viele Ratten dort, vor denen wir Kinder uns fürchteten. Zwar führte eine große Hauskatze mit ihnen Krieg, konnte aber doch nicht ganz mit ihnen fertig werden. Auf dem Hofe des Hauses war ein immer fließender Brunnen, den man plätschern hörte, wenn man in der Nacht aufwachte, und dort auf dem Hofe an der Wand war auch ein Schwalbennest.

    Im Sommer wohnten wir in einem netten kleinen Landhause, das unser Vater besaß, in der Vorstadt Langfuhr. Zu dem Hause gehörte ein hübscher kleiner Garten mit Obstbäumen und anderen Bäumen, unter denen ein alter Ahorn und eine große Silberpappel mir besonders in der Erinnerung geblieben sind. Es gab aber darin auch viel Johannisbeer- und Stachelbeergesträuche, deren Früchte merkwürdigerweise zum nicht geringen Teil schon zu verschwinden pflegten, wenn sie noch nicht ganz reif waren. Wie das kam, ist mir dunkel geblieben, es ist ja aber wohl möglich, daß sie von Käfern und Raupen aufgegessen worden sind.

    In diesem Garten haben wir untereinander und mit Nachbarskindern zusammen, o wie fröhlich gespielt! Unsere liebsten Spiele waren "Versteck mit Anschlag", "Schwarzer Mann", "Blinde Kuh" und "Hexe". - Noch weiß ich alle die Abzählverse auswendig, deren wir uns bei diesen Spielen bedienten, von dem ganz einfachen und kurzen "Eins, zwei, drei, du bist frei!" an bis zu dem in einer mir trotz aller Forschungen bis jetzt unverständlich gebliebenen Sprache abgefaßten, die da lautet:

    "Ene mene mente,
    Locke locke tente,
    Locke locke karabude
    Karabude wutsch."

    Auf den "Wutsch" fiel, der war es. Was ist das aber für eine Sprache? Ist das Persisch oder Chinesisch oder Hottentottisch? Unzählige gelehrte Professoren habe ich darüber befragt, aber von keinem konnte ich Aufklärung erhalten. Einen Abzählvers haben wir Kinder selbst gemacht, der heißt so:

    "1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20,
    Du bist die alte Hexe von Danzig."
    Diesen Vers halte ich noch für sehr gut und für sehr wert, auch außerhalb Danzigs Verwendung zu finden.

    Im Jahre 1846 ist uns fünf Geschwistern noch ein Schwesterchen beschert worden, das natürlich von uns allen, zumal auch von mir, sehr verzogen wurde. Für dieses Schwesterchen, Klara wurde es getauft, habe ich, als ich noch nicht vierzehn Jahre alt war, mein erstes Kindergedicht verfaßt, das dazu bestimmt war, am 8. August 1851, am Geburtstage der lieben Mutter, von dem Töchterlein vorgetragen zu werden. Dieses Gedicht, das ich aufgehoben habe, lautet:

    "Hast du auch noch ein Plätzchen
    Bewahrt für die Kleine heut'?
    Dir an das Herz zu stürzen,
    Drauf hatt' ich mich gefreut.
    Ein Körbchen hab' ich geflochten
    Zum Tragen den Schlüssel dir,
    Gefüllt ist' s wie zum Scherze
    Mit duftiger Blumenzier.
    Die Schlüssel meines Herzens,
    Die bring' ich heut' dir dar,
    Daß immer du kannst sehen,
    Ob rein es ist und klar.
    Mögst stets du schauen können
    Mit heiterem Aug' hinein,
    Mög' immer deine Klara
    Die liebe und artige sein."

    Für dasselbe Schwesterchen habe ich dann noch andere Gedichte zum Aufsagen gemacht. Als das bekannt wurde, bin ich dann vielfach von Freunden und Bekannten unseres Hauses gebeten worden, ähnliche Gedichte zum Aufsagen für die Kinder zu machen, und bin immer gern darauf eingegangen. Sicher wird mir das allerhand an Süßigkeiten eingebracht haben; in der Erinnerung aber ist es mir besonders geblieben, daß ich einmal zur Belohnung für ein Gedicht, das ich für einen Knaben zum Hersagen am Weihnachtsabend gemacht hatte, vom Vater dieses Knaben ein Taschenmesser mit fünf Klingen, das ich leider bald darauf verloren habe, bekam. Auch dieses Gedicht, das auch von mir aufgehoben ist, stammt aus dem Jahre 1851.

    So bin ich in ziemlich jugendlichem Alter dazu veranlaßt worden, Gedichte für Kinder zu machen, und so kam ich zur Kinderdichtung.

    Im Jahre 1856 verließ ich meine Heimat, habe dann die hohen Schulen besucht, immer gelernt und gelernt, bekam aber dabei doch ein Stücklein von der Welt zu sehen. Um Kinderlieder zu machen, blieb mir keine Zeit übrig, weil abgesehen von dem vielen Lernen auch schon viel Gedichte für Erwachsene von mir gefordert wurden. Dann aber kam ein Jahr, da sah ich mich in Berlin, wo ich mir ein eigenes Heim gegründet hatte, als Vater eigener kleiner Kinder. Es war natürlich, daß ich meine Freude an ihnen hatte und sie selbst in meinem Arbeitszimmer nicht ungern sah, wenn sie auch dort unter meinen Büchern; aus denen sie sich mit Vorliebe Burgen bauten, mitunter eine nicht geringe Unordnung anrichteten. Durch diese meine eigenen Kinder und ihre kleinen Spielgesellen bin ich dann wieder in die Kinderdichtung hineingekommen. Ich habe alsdann in einer Reihe von Jahren eine große Anzahl von Kinderbüchern - es sind ihrer über zwanzig - geschrieben, die, wie ich glaube, in der kleinen Welt - die ich, ehrlich gesagt, für beinahe noch besser als die große halte - gefallen haben und wohl zum größten Teil im Laufe der Jahre zerlesen worden sind. Bei mir wenigstens kann ich nur noch einige Überreste von ihnen finden. Die Zeit verging, aus den Kindern wurden Erwachsene, mancherlei Sorgen kamen über mich, ich hatte zu viel mit Großen zu tun und kam dadurch etwas ab vom Dichten für die Kleinen. Da kam ein Tag - o wie rasch doch die Zeit vergeht und wie schnell man alt wird! -, an dem ich mich sah als Großvater, dessen Augen sich an den Spielen niedlicher Enkelkinder erfreuten. Die brachten mir wieder das Dichten für die Kinder bei, wenn ich es auch nicht mehr in dem Maße ausführte, wie um die Zeit, da meine Kinder mir bei der Arbeit halfen. Diese Enkelkinderchen, von denen ich sprach, wohnen zwar weit von den Großeltern ab, auf der anderen Seite unserer Erdkugel, aber doch zweimal schon haben wir, um sie uns genau anzusehen, sie dort aufgesucht, und auch zweimal schon waren sie zum Besuch bei uns. Es gibt ja gar keine großen Entfernungen mehr.

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    Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.
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    Das ist die höchste aller Gaben: Geborgen sein und eine Heimat haben (Carl Lange)
    Zertifizierter Führer im Museum "Deutsches Konzentrationslager Stutthof" in Sztutowo (deutsch/englisch)
    Certyfikowany przewodnik po muzeum "Muzeum Stutthof w Sztutowie - Niemiecki nazistowski obóz koncentracyjny i zagłady"

  2. #2
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    Standard AW: Johannes Trojan: Wie ich für Kinder dichten lernte

    Kleinkinder im Alter von ca. 5 Jahren beginnen die Welt zu begreifen. Manchmal sind ihre Gedanken elementar!

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