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Thema: Der ehemalige evangelische Friedhof in Tiegenhof

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    Standard Der ehemalige evangelische Friedhof in Tiegenhof

    Der ehemalige evangelische Friedhof in Tiegenhof

    Donnerstag, 07. Februar 2002

    Eine jähe Windböe lässt uns frösteln. Wir hatten die Tiege überquert, passierten Stobbes frühere Machandelbrennerei und standen jetzt vor der verschlossenen katholischen Kirche. "Wenn Ihr da rein wollt, müsst Ihr zum Pfarrer gehen!" Woher weiß der gehstockbewehrte Alte, dass wir deutsch verstehen? Ich hatte mich doch mit Adam englisch unterhalten. Das von ihm mitgeführte Mischlingshündchen geht in Angriffsstellung, zerrt an der Leine. "Ja, der Pfarrer lässt Euch rein, geht nur zu ihm hin." Ich sage ihm, ich sei schon vor drei Jahren in der Kirche gewesen. "Aber den Gedenkstein auf dem Friedhof haben Sie noch nicht gesehen!" Mit dem Spazierstock weist er auf eine Baumgruppe auf der anderen Straßenseite. Er geht langsam voran, ein steifes Bein behutsam nachziehend. Ich stolpere über eine gebrochene Gehwegplatte, das Hündchen verbellt mein Bein. Nun sind wir bei den Bäumen, tiefe Pfützen weisen den Weg zum Gedenkstein. Ich zögere, verharre. Vor mir, direkt auf dem Gehweg, zwei alte Grabeinfassungen. Heute sind es neue Stolperfallen. Der alte Mann geht unbeirrt wenige Schritte weiter, bleibt vor dem roten Gedenkstein stehen. In polnisch und deutsch ist gemeißelt: "Gedenket der Toten / Friede dieser Stadt / Cierwiez 1996".

    "Das pflege ich hier ganz alleine. Keiner hilft mir. Die Blumen kaufe ich auch selber. Die Stadt gibt keinen Groschen dazu. Und die Deutschen photographieren mich dann immer wenn sie hier sind. Die Stadt hat nur Interesse am Geld, aber sonst wollen sie von Deutschem nichts wissen". Ich spüre, der alte Mann ist von seinen Aussagen überzeugt. "Ich habe ein Kreuz gekauft, habe es dort drüben aufgestellt und alle haben den Hut abgenommen, wenn sie daran vorbei gegangen sind. Das war sechs Wochen so und dann habe ich das Kreuz wieder weg nehmen müssen. Es steht jetzt in meiner Wohnung." Sich umdrehend sagt der Alte: " Und da drüben, direkt an der Tiege, liegen 75 tote deutsche Soldaten. Ich habe es immer wieder gesagt, auch den Deutschen, aber keinen interessiert es. Ich wollte da eine kleine Gedenktafel, aber das ist nicht möglich. Wenn Ihr im Sommer kommt, sieht das hier besser aus, denn dann habe ich neue Blumen gepflanzt. Wenn Ihr kommt, dann ruft mich an, ich bin Franz Ossowski. Ich habe früher in Neuteich gewohnt. Da haben mich die Russen geschnappt und eingesperrt. Aber denen bin ich abgehauen und dann zu meiner Tante nach Tiegenhof geflüchtet. Die hat mich versteckt. Heute können wir ja wieder deutsch sprechen und auch unsere Lieder singen. Aber das war so lange verboten, dass ich es fast vergessen habe. Was, einer Ihrer Verwandten ist aus Neuteich? Kowalewski, Kowalewski? Ja, ich glaube, ich kann mich an den Namen erinnern. Im Sommer muss ich an warmen Tagen 8-10 Eimer Wasser von der Tiege holen. Es ist so trocken hier, und die Bäume saugen das ganze Wasser weg. Aber es muss doch schön aussehen! Und außer mir macht ja auch keiner was. Der Friedhof ging früher noch viel weiter, bis dort wo jetzt die Busse stehen. Ist aber nirgendwo mehr was zu sehen, die ganzen Grabsteine sind ja alle weg. Schickt mir eins von den Photos die Ihr gemacht habt. Meine Adresse habt Ihr ja."

    Wir verabschieden uns, gehen runter zur Tiege, dann wieder langsam Richtung Kirche. Er kommt erneut auf uns zu: "Ja, hier liegen die deutschen Soldaten. Aber keiner will's wissen. Wollen alle nur Geld."

    Es ist kalt. Kohlenruß aus qualmenden Kaminen beißt auf der Zunge, reizt den Hals. Dunkle Wolken lassen den Februartag früher dämmern. Kommt Schnee, kommt Regen, kommt Graupel? Erneut lässt uns eine kalte Windböe frösteln und schneller zum Auto schreiten. Ich werde nächstes Mal wieder nach Tiegenhof kommen.
    Angehängte Grafiken Angehängte Grafiken     
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    Das ist die höchste aller Gaben: Geborgen sein und eine Heimat haben (Carl Lange)
    Zertifizierter Führer im Museum "Deutsches Konzentrationslager Stutthof" in Sztutowo (deutsch/englisch)
    Certyfikowany przewodnik po muzeum "Muzeum Stutthof w Sztutowie - Niemiecki nazistowski obóz koncentracyjny i zagłady"

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