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Thema: Geburtstags Unfall in der Groddeckgasse 1937

  1. #1
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    Standard Geburtstags Unfall in der Groddeckgasse 1937

    Verehrte Karin. Hier ist eine Erzählung . Unfall am Geburstag zwischen Groddeck und Lenzgasse und wie es so im Marienkrankenhaus herging. Gerhard Jeske
    Dokumentar-Fotograf
    Die Platzwunde. Unveröffentlicht. copyright gerhard Jeske
    "Jungchen, pass doch auf:" rief der Mann wütend aus. Beinahe hätte der Junge
    den Bochcrt umgerannt. Mit einem Schlenker konnte er gerade noch ausweichen.
    Roland peste hinterher. Er wollte es Evelyn zeigen, wer hier in der Gegend der
    "Schnellste" war. Gleich würde er ihm die Hand auf die Schulter schlagen und
    "Tick" rufen, dann hätte das Jungchen ausgespielt. Das Jungchen drehte seinen
    Kopf zur Seite, um den Abstand zu Roland abzuschätzen. Roland war drei bis
    vier Meter hinter ihm. Tief holte der Junge Luft, gab dem Tritt mehr Kraft,
    wendete den Kopf nach vorne: und dann knallte es! Ein harter Schlag hatte ihn
    gegen die Stirn getroffen. Instinktiv streckte er die Arme aus, umfaßte den Lichtmast
    und rutschte daran hinunter. Zusammengekauert blieb er einige Sekunden
    hocken. "Blut ! Blut ! "hörte er Evelyn schreien: " Er verblutet!!' Eine Frauenstimme
    schimpfte: "Dieser Prenter, mußte er so rennen?" Die Frau faßte den Jungen
    unter die Achsel, langsam hievte sie ihn hoch. Er strich mit dem Handrücken über
    die Augen, klebrig fühlten sich die Finger an. Langsam hob er ein Lid hoch und
    sah seine Hand rot mit Blut befleckt. Ihm dämmerte, dass er gegen den kantigen
    Lichtmast gerannt war. "Die schöne Bluse" jammerte die Frau. Das buntbestickte
    Kaschuben - Muster war rot eingefärbt. Sein Blut rann über die Stirn zur Nasenwurzel;
    von der Nasenspitze tropfte es hellrot aufs buntbestickte weiße Leinen,
    da kam der Lebenssaft knallrot zu Wirkung. Das auslaufende Blut erschreckt die
    Gaffer. Blut erinnert an Unfall, Wunden oder Tod! Evelyn drückte sich ihr Taschentuch
    gegen den Mund, sie mußte immer losheulen, wenn sie andere leiden
    sah." Es ist gut, daß es blutet, dann gibt es keine Beule," meinte die Frau. Von
    der Haustür kam seine Mutter gelaufen. Der Lärm auf der Straße hatte sie zum
    Fenster gelockt. " Nur langsam, nur langsam, redete sie sich auf der Treppe zu,
    sonst brichtst du direin Bein. Na. das fehlte noch." Roland fuchtelt mit seinen
    Armen herum, zeigte dann auf seinen Freund, und schlug sich selbst gegen
    die Stirn. Sie wollte ihren Jungen auf den Arm nehmen; er wehrte ab, vor den
    Leuten wollte er nicht als Muttersöhnchen erscheinen. In dieser Zeit war so etwa
    verpönt." Hart wie Kruppstahl" sollten die Burschen sein." Seine Stirn war nicht
    aus Eisen, deshalb faßte sie ihn unter und zog ihn mit sich fort, bis zum Marien-
    Krankenhaus, das lag an der Ecke Weidengasse vor der Endstation der Linie fünf.
    In der protestantischen Hansestadt war ein katholisches Krankenhaus ein Fremdkörper.
    Die schwarzgekleideten Nonnen und Schwestern regten die Phantasie der
    Kinder an. Über ihr geheimnisvolles Leben erzählten sie sich ausgedachte Geschichten.
    Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass Protestanten möglichst
    nicht mit Katholiken in einem Zimmer liegen durften. " Muß ich die Nacht bei
    den Schwestern bleiben?" fragte er laut. " Warten wir ab, was der Doktor sagt,
    vor allen Dingen: Halt Deinen Mund" Hinter einer Glasscheibe im Hauptportal
    saß eine Ordensschwester. Sie winkte Mutter Jeske zu sich heran und tuschelte mit
    Ihr. " Wieder diese Geheimniskrämerei." Die Schwester beschrieb ein Formular
    und reichte es durch das ovale Fenster. Am Bahnhofsschalter ging es ähnlich zu,
    das kannte er ja. " Hast du meine Fahrkarte bekommen?" fragte er. Seine Mutter
    lachte auf, " Fahrkarte ist gut! Das ist nur die Einweisung in die Ambulanz."
    Das Wort hörte er zum ersten Mal, das wird er seinen Kameraden in die Ohren
    raunen und bei Evelyn angeben. Vorsichtig fragte er, ob er geschnitten werden
    müßte? " Mal den Teufel nicht an die Wand. Der Doktor wird" sich erst die Wunde
    genau ansehen." Das Treppensteigen bis zum ersten Stock , trieb seinen
    Blutdruck hoch, in seiner Stirn klopfte der Pulsschlag, ihm wurde die Zunge
    schwer und kalt, oben setzte er sich auf die Stufe."Ist dir schlecht geworden?
    Hoffentlich erbrichst du nicht". Er stand auf und hielt sich am Geländer fest."
    Wenn Du kotzt, mußt du hierbleiben, dann hast Du eine Gehirnerschütterung,
    Gehts wieder?" Vom Ende des Korridors kam Ihnen eine junge Ordensschwester
    entgegen. " Ich bin Schwester Anna". Sie reichte ihm die Hand und er ließ sie
    nicht mehr los, weich war sie und warm. Vor der Tür mit dem Schild " Ambulanz"
    hielt die Schwester an, sie ließ ihn verschnaufen. Dann öffnete sie die Tür
    und sie traten in das Vorzimmer ein. Hinter einem breiten Schreibtisch saß eine
    ältere Schwester und sortierte Karteikarten. " Hier ist unser Wildfang " so meldete
    sie ihren Patienten an. Damit war zunächst ihr Dienst beendet. Das Jungchen
    legte sich auf einen Liegestuhl, mit geschlossenen Augen hörte er zu, wie
    seine Mutter die paar Lebensdaten aufsagte. Er staunte über da schnelle Geklapper
    ,das die Finger der Schreibmaschine entlockte.
    Der Junge betrachtete neugierig die verschiedenen Bilder an den Wänden. Ein Bild erregte seine Neugierde. Eine üppige Mutter, mit einem Knaben au ihrem
    Arm war lebensnah abgebildet, aber das Komische war, dass diese schwere Person
    auf einer Wolke stand. " Das ist eine Szene in einer Theateraufführung." dachte er.
    Im Märchen, bei Frau Holle hatte er ein ähnliches Bühnenbild
    gesehen. An die Aufführung im Friedrich Wilhelm Schützenhaus, erinnerte er
    sich, da donnerte es, schneite und qualmte , dass die Wände wackelten und Frau Holl schaute aus den Wolken zu..
    Der Arzt betrat das Zimmer. Im weißen Leinenanzug sah er vornehm und unnahbar
    aus. Er beugte sich über den Schreibtisch und blickte auf die Karte. Plötzlich
    drehte er sich um, ging auf den verletzten Jungen zu, lächelte und streckte ihm
    die Hand entgegen. " Ausgerechnet am 20. August mußt Du gegen den Lichtmast
    prallen. Diesen Geburtstag wirst Du nie vergessen. " Er besah sich die Wunde
    und ging in den OP-Raum zurück. Die Schwester schaute durch das Fenster. Die
    Mutter blickte den offenen Rollschrank an, der vollgestellt war mit Karteikästen. Gleich wird die Krankenakte ihres Sohnes die Reihe vergrößern. Der Junge beobachtete eine Fliege, die auf seiner
    Bluse am roten Blut naschte. Die Schwester wendete den Kopf und sah die Fliege.
    " Die Fliege darf auf keinen Fall in die Ambulanz mitkommen. Sie stand auf.
    nahm ein Lineal und verscheuchte sie. Die Tür wurde geöffnet und eine
    OP-Schwester schaute herein und winkte ihm, ihr zu folgen, er schaute seine
    Mutter an, die schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Daumen in Richtung
    Tür. In seiner Stirn pochte der Puls, ein stechender Schmerz zog sich bis zum linken
    Auge hin. " Ärger wehtun kann es ihm da drinnen auch nicht." Also stand er
    auf und ging auf die Tür zu. Der Behandlungsraum stimmte ihn zuversichtlich.
    Weiße Wände verstärkten das Tageslicht. Gläserne Schränke standen an einer
    Wand, hinter den Scheiben glänzten Chirurgische Instrumente. Ein Operationstisch
    war mit einem weißen Leinentuch abgedeckt. Darauf brauchte er sich nicht
    zu legen. Ein Lehnstuhl genügte für ihn. Die Schwester goss aus einer braunen
    Flasche keimfreies Wasser in eine Schale, feuchtete steriles Mullgewebe an und
    wusch sein Gesicht ab, danach holte sie eine kleine Flasche von einem Medikamenten
    Tisch, und während sie zurück kam, warnte sie den Jungen,:" Mach die
    Augen zu, gleich wird es in der Wunde brennen." Er klappte die Lider herunter
    und holte tief Luft, hielt den Atem an, staute die Luft in der Lunge, krampfte sich
    zusammen um nicht loszubrüllen, durch die Stirn fuhr ihm ein Schmerz, wie von
    einem heißen Messer eingeschnitten. " Schon vorbei", sagte die Schwester," Jod
    muß sein, damit sich die Wunde nicht entzündet." Jetzt näherte sich der Arzt, in
    der Hand hielt er ein Instrument, dass einer Zange ähnlich sah. Aber genauer
    konnte er sich das Ding nicht ansehen. Die Schwester war hinter den Stuhl getreten,
    legte ihre Hand unter sein Kinn und presste seinen Kopf gegen die Rückenlehne,
    der Arzt drückte die Zange dreimal gegen die Stirn des Jungen, dreimal
    machte es klick und dreimal dachte das Jungchen, dass ihn ein Nagel durchbohrte.
    Die Schwester legte Gaze über die Wunde und klebte darüber Leukoplast.
    „Fertig " sagte sie. Langsam führte sie den Jungen zurück ins Vorzimmer, dort
    erwartete ihn, sichtlich nervös, seine Mutter "Sollte ihm übel werden, dann lassen
    Sie den Hausarzt kommen. Jetzt bekommen sie einen Termin. nach acht Tagen
    müssen die Klammern entfernt werden. Dann sehen wir uns wieder, " Sie
    ging in die Ambulanz, bereit den nächsten Patienten genau so freundlich mit der
    Jodtinktur zu erschrecken. Im Büro überreichte die Schwester der Mutter ein Rezept
    für die Apotheke, "Pillen gegen Kopfschmerzen. Dazu eine Flasche mit Lebertran".
    Das Jungchen stöhnte auf. Die Schwester lachte, " Schmeckt Dir der Lebertran
    nicht“. " Nee, das Zeug schmeckt wie Rizinus." Als sie den Flur betraten,
    humpelte ein Schüler ihnen entgegen. Er hatte sich das Knie aufgeschlagen.
    Die Sportlehrerin begleitete ihn. Der Anblick der Beiden ermunterte ihn. " Bist
    vom Bock gefallen " fragte er laut und hämisch," Blick mal selbst in den Spiegel
    ", konterte die Lehrerin. Eine Minute später traten sie in den Sommertag hinaus.
    Solche Sommertage sind für ihn aneinandergereihte Feiertage. Die milde Luft
    war angereichert mit herben Duft von Dahlien und Astern. An der Endstation
    fuhr die Straßenbahn ab. Ihr Gebimmel scheuchte die Spatzen von der Straße.
    Drei Bowkes kamen vorn Baden, sie versuchten sich die nassen Hosen ins Gesicht
    zu klatschen. Jetzt wurde unserm kleinen Patienten erst klar, daß er mit der
    Platzwunde nicht ins Wasser springen durfte.Das ärgerte ihn am meisten.
    An der Ecke Grodeck Gasse, über dem Kaisers-Kaffee-Geschäft, wohnten sie.
    Der Duft des gemahlenen Kaffeesund der von Süßigkeiten zog von der
    offenen Ladentür bis in den kühlen Hausflur hinein. "Soll ich Dich hochtragen?"
    fragte seine Mutter. Er plusterte sich auf,
    "Wegen der kleinen Beule?" Er schnupperte herum " Das riecht hier lecker".
    Seine Mutter grinste " Jeden Tag riecht es hier so verführerisch "." Na, komm
    schon, oben wartet der Geburtstagskuchen, ich bringe ihn Dir ans Bett. " " Aber
    mit Kakao!", rief er ihr zu.
    Die Platzwunde, G. Jeske

  2. #2
    Forum-Teilnehmer
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    Standard AW: Geburtstags Unfall in der Groddeckgasse 1937

    Hallo Gerhard Jeske,
    an einem Geburtstag ist es mir nicht passiert, doch mein Kopf hat danach ganz schön gebrummt. Den Baum, den ich "umarmte" hatte zum Glück keine Beule, allerdings war mein Fahrrad etwas in Mitleidenschaft gezogen worden.
    Nach diesem Ereignis drehte ich meinen Kopf auf dem Fahrrad immer nur noch kurz um.
    Grüße von Inselchen2008
    Meine Namens-u.Ortsuche:
    http://forum.danzig.de/showthread.php?5465-Steinchen-für-Steinchen-zum-Mosaik

  3. #3
    Forum-Teilnehmer Avatar von Felicity
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    Standard AW: Geburtstags Unfall in der Groddeckgasse 1937

    Gesucht und gefunden ! Danke Rudi fuer's Finden und danke Gerhard fuer's Schreiben. Kaum zu glauben dass das vor 78 Jahren geschehen war. Na Inselchen, da hast Du ja etwas mit dem Gerhard gemeinsam, ein Erlebnis, dass Euch einen 'brummenden Kopf' einbrachte. Macht's gut Ihr beiden. Liebe Gruesse von der Feli

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