Aus dem Danzig-Westpreußischen Kirchenbrief, Ausgabe Nr. 4 vom Juni 1949
Copyright-Vermerk: Herausgegeben von der Gemeinschaft Evangelischer aus Danzig-Westpreußen, (Hilfskomitee) e.V. Lübeck
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Aus der Geschichte der Sperlingsdorfer Kapelle
Mitten im fruchtbaren Danziger Werder liegt an der Mottlau das Dörfchen Sperlingsdorf. Es zählte etwa 120 Bewohner und umfaßt vier größere und ein mittleres Bauerngrundstück. Dieses kleine Gemeinwesen hat sein eigenes Gotteshaus, eine Kapelle. Das Kirchlein liegt an der Mottlau. Von der etwa 100 Meter entfernten Mottlaubrücke bietet es einen überaus reizvollen Anblick dar. Man sieht von dort aus das Spiegelbild der Kapelle in den Wellen der Mottlau. Uralte Eichen umgeben das Kirchlein. Wie schützend breiten sie ihre riesigen Kronen darüber aus. Diesen reizvollen Anblick hat der bekannte Danziger Radierer Hellingrath in einem Bilde festgehalten.
Die Kapelle ist nicht, wie man früher allgemein annahm, eine Stiftung des deutschen Ritterordens. Sie verdankt ihre Entstehung vielmehr dem Bruder des Danziger Bürgermeisters Scheweke. Er selbst war wohl Kaufmann.
Die Sperlingsdorfer Bauern gerieten durch Überschwemmungen in Schulden, und dadurch kam der Kaufmann Scheweke in Sperlingsdorf zu Grundbesitz. Auf seinem Besitztum hat er nun die Kapelle erbaut. An den Erbauer erinnern vier Bildtafeln, die in der Kapelle auf gestellt sind. Eine trägt eine Inschrift, nach welcher die Gemahlin des Erbauers, Frau Ursula Scheweke, ,,diesen Altar“, wie es in der Inschrift heißt, der Kapelle geschenkt hat. Je zwei Bildtafeln hängen zusammen und können auf und zugeklappt werden. Sie sollen früher die Seitenflügel eines größeren Altars gebildet haben.
Auf einer Tafel ist der Bethlehemitische Kindermord dargestellt. Die Tafeln sind auf beiden Seiten mit Gemälden versehen.
An der Kapelle wirkten Kandidaten, die dem Wotzlaffer Pfarrer unterstellt waren. Sie hielten den Gottesdienst ab, durften aber nicht das Heilige Abendmahl reichen und bei Begräbnissen amtieren.
Die Kandidaten hatten auch eine Schule zu betreuen, die ihnen als Wohnung diente. So ist die Geschichte der Kapelle aufs Engste mit der Sperlingsdorfer Schule verknüpft. In der Kapelle hängt eine schwarze Tafel, auf der die Namen der Kandidaten verzeichnet sind. Da heißt es: Kam - kam weg. Zwei Kandidaten sind in Sperlingsdorf verstorben. Nach den Jahreszahlen, die neben den Namen stehen, muß die Kapelle um die Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut worden sein. Anfangs ist nur das eigentliche Gebäude errichtet worden. Der Turm mit der Glocke ist später angebaut. Von der Schule führte zur Kapelle ein überdachter Brettersteig. Daher konnten die Kandidaten auch dann, wenn der zähe Lehmboden der Niederung durch Niederschläge fast unpassierbar geworden war, trockenen Fußes zur Kapelle gelangen.
Die Kandidaten unterrichteten in der Regel nicht selbst, sondern beaufsichtigten nur den Unterricht, der von sogenannten Schulhelfern erteilt wurde. Das waren junge Leute im Alter von 16 und 17 Jahren. Diese jungen Schulhelfer haben ihre Schlafstelle im Stall der Schule gehabt. Der letzte Kandidat ist 1812 vor den anrückenden Russen geflohen. Im Jahre 1815 wurde die Schulstelle dem Lehrer Scheibe übertragen.
Bei den Schulakten befand sich noch das Schultagebuch des ersten Sperlingsdorfer Lehrers. Darin berichtet er unter anderm, daß das Schulhaus im Jahre 1821 einer gründlichen Reparatur unterzogen wurde. Während dieser Zeit fand der Unterricht in der Kapelle statt. Da ging eines Tages das Schulhaus in Flammen auf. Der Neubau wurde nun von der Gemeinde so energisch in Angriff genommen, daß der Lehrer noch vor Eintritt des Winters das neue Haus beziehen konnte.
Wer in Sperlingsdorf einmal ansässig geworden ist, der verläßt dieses Dörfchen nicht so leicht wieder. Das trifft jedenfalls für seine Lehrer zu. In 122 Jahren, nämlich von 1815 bis 1937 hat das Dorf nur 4 Lehrer gehabt. Der Letzte dieser vier ist der Schreiber dieser Zeilen. Er hat 40 Jahre die Schulstelle verwaltet. Die enge Verbindung zwischen Schule und Kapelle blieb auch nach der Kandidatenzeit bestehen; denn der Lehrer versah auch das Organistenamt an der Kapelle.
Im Jahre 1829 wurde das Werder von einer großen Überschwemmung heimgesucht, ln der Kapelle konnte man an dem Gestühl deutlich erkennen, wie hoch das Wasser damals gestanden hat.
Im Jahre 1932 wurde die Kapelle gründlich renoviert. Sie ist ein Fachwerkbau. Viele Balken waren verwittert und morsch und wurden durch neue ersetzt. Auch der Turm erhielt ein neues Balkengerüst und ein neues Dach. Die Wetterfahne wurde mit einem Sperling verziert. ln die Kugel unter der Wetterfahne wurde eine Platte aus Kupferblech gelegt, auf der die Namen der Herren, die für die Instandsetzung der Kapelle gesorgt haben, des Wotzlaffer Pfarrherrn und der Kapellenvorsteher verzeichnet sind. Der Leiter der Instandsetzungsarbeiten war Herr Oberbaurat Volmar.
Im Herbst 1932 wurde das in einem neuen schmucken Kleid prangende Kirchlein durch Herrn Generalsuperintendenten D. Kai weit feierlich eingeweiht. Herr Pfarrer Horn aus Wotzlaff hielt die Festpredigt, nachdem der Generalsuperintendent die Einweihung vollzogen hatte. Nach der Feier fanden die Gäste und Kapellenvorsteher in der Familie des langjährigen Gemeindevorstehers und Hofbesitzers Richard Nickel eine gastliche Aufnahme.
Damals konnte noch niemand ahnen, daß auch über dieses kleine Werderdörfchen die furchtbare Kriegskatastrophe hereinbrechen würde. Vom 4. bis 6. April 1945 wurde Sperlingsdorf Kampfplatz. Da ist es eigentlich wunderbar, daß das kleine Dorf verhältnismäßig glimpflich davongekommen ist. Kein Bauernhof ist vollständig zerstört worden. Auch die liebe kleine Kapelle, hat äußerlich wenigstens, fast unversehrt die Katastrophe überstanden. Nur die Dachziegel waren durch den Luftdruck durcheinandergewirbelt. Jedoch das Innere der Kapelle sah leider sehr wüst aus. Das Gestühl haben die Feinde als Brennholz verbraucht. Einige Bilder sind wohl auch verschwunden. Die erwähnten wertvollen Bildtafeln standen jedoch noch unversehrt an ihrem Platze. Das hat Herr Nickel festgestellt, als er nach wochenlangem Umherirren auf seinen verwüsteten Hof zurückkehren konnte. Um die vier Bildtafeln vor der Vernichtung zu schützen, bewahrte er sie in seinem Hause auf. Als die Polen das Dorf besetzten, mußten die Dorfbewohner auf deren Anordnung das Dach der Kapelle ausbessern. Bevor Herr Nickel im Juni 1946 Haus und Hof für immer verlassen mußte, übergab er die Bilder seinem polnischen Hofnachfolger. Der versprach, sie wieder auf ihren Platz zu stellen.
Herr Richard Nickel, dieser aufrechte deutsche Mann, hat auf der Ausweisungsreise den Tod gefunden. Mit ihm ist einer unserer Besten dahingegangen. Seine Witwe lebt in der französischen Zone.
Wird die in alle Winde zerstreute Kapellengemeinde dereinst wieder in ihrem Kirchlein an der Mottlau vor Gottes Angesicht treten? Diese Hoffnung wollen und dürfen wir nie aufgeben.
Oberlehrer i. R. Franz Möller Nienkattbeck b. Jevenstedt, Kr. Rendsburg