Aus „Unser Danzig“, 1958, Nr.20, Seite 18

Woher die Bewohner Vogelsangs stammten
Von Hans Werner

Die Kirchenbücher der Nehrung, die die Kirchspiele Pröbbernau und Neukrug umfassten, waren bis zum Ende des zweiten Weltkrieges in den Pfarreien vorhanden und konnten bis 1730 lückenlos verfolgt werden. Einzelne Eintragungen gingen noch bis ins 17. Jahrhundert zurück. Daraus und weiter aus alten Scharwerksbüchern und ähnlichen Urkunden war zu ersehen, dass nur wenige Namen bis in die Zeit des 30jährigen Krieges hinüberreichen.
So sind die beiden Namen Wellm und Kohnke wohl die ältesten die in Vogelsang Vorkommen, jeweils auch mit anderer Schreibweise. Ein Modersitzki wird nach dem 30jährigen Kriege erwähnt, und der Trauungsurkunde zufolge hat er sich eine Frau aus der Pfalz geholt. Wie die beiden zusammengekommen sind, ist nicht mehr zu ergründen gewesen. Die Sangesfreudigkeit der Bewohner Vogelsangs, das ja „das singende Dorf“ genannt wurde, kann letzthin von dem Einschlag des pfälzischen Blutes herrühren; hatte doch jeder Einheimische in Vogelsang mindestens einmal in seiner Vorfahrenlinie diese Frau als Urahnin.
Fünf Sippennamen: Wellm, Kohnke, Popall, Winterfeld, Modersitzki sind seit 1730 ununterbrochen in Vogelsang vorhanden. Ein „Conke“ wohnte 1377/78 in Danzig, wo auch Namensträger anderer Nehrunger Vorkommen.
1660 werden für Vogelsang 68 Menschen gezählt, darunter folgende Namen: Löwner, Rechmann, Kohnke, Hincze, Komstgöff (?), Spohn, Lehmnaß, Wiedebusch, Dägert.
1660 setzt ein großes Sterben ein, 1696 und 1710 waren schwere Pestjahre. Die Pest muss auf der ganzen Nehrung, so auch in Vogelsang, große Lücken gerissen und dadurch später neue Einwanderungen in den menschenleeren Raum verursacht haben. 1742 zieht ein „Harder“ über die Nehrung nach Vogelsang ein, 1820 ein Duwe, dessen Sippe, auch nach dem Kirchenbuch, sich einmal hochdeutsch „Taube“, dann wieder plattdeutsch „Duwe“ nennt. 1828 bringt die katholischen Kleefelds aus Frauenburg her, die aber hier, einsam auf sich gestellt in der Diaspora, bald ihren Glauben aufgeben; auch die Sippe Engels aus der Niederung, deren erster als Hilfsförster hier ansässig wird.

Wie die Baudecks auf die Nehrung kamen
Es war die Zeit des preußischen Königs, der seine „langen Kerle“ über alles liebte, für sie Geld ausgab, auch Zwang anwendete, um sie für sein Regiment zu erwerben. Es ist bekannt, dass seine Werber auch vor Fesselungen und Überrumpelungen, ja vor schlimmeren Gewaltakten nicht zurückschreckten, da sie sich ein gut Stück Geld damit erwerben konnten.
Nun wohnte damals in Kamstigall auf dem Samland, unweit des Frischen Haffes, eine Familie Baudeck, deren einer Junge ein überaus langer Kerl war. Diese Länge und Breitschultrigkeit haftet noch heutigen Tages an Männern und Frauen dieser Sippe.
In einer Neujahrsnacht, als alles junge Volk fröhlich im Krug beim Tanz sich vergnügte, landeten zufälligerweise dort Werber des Königs mit ihrem Schlitten. Ihnen fällt der lange Kerl auf. Sie versuchen, ihn mit List zu kapern, was aber durch die Umsicht des Wirtes misslingt. Da versuchen sie es überraschend mit brutaler Gewalt, doch schafft es der junge Baudeck, aufs Haffeis zu entkommen. Der Schlitten mit den Werbern setzt dem auf Schlittschuhen mit einem Segel Fliehenden nach. Über eine unvorhergesehene auftauchende Blänke gelangt der Flüchtende gerade noch hinüber, der hineinsausende Schlitten aber versinkt unterm Eis.
So war der junge Baudeck wohl gerettet. Für das Unglück der Werber brauchte er sich nicht verantwortlich zu fühlen, aber er getraute sich doch nicht nach Hause zurück, sondern ließ sich auf dem Teil der Nehrung nieder, der der „Nehrungschen Funktion“, also der Stadt Danzig unterstand, wohin des Königs Macht nicht reichte.
Dieser Baudeck ist dann der Stammvater eines weitverzweigten Geschlechtes geworden, das besonders in Vogelsang heimisch wurde. Im Kirchenbuch steht mitunter für Baudeck auch Bandeck, was nur Schreibfehler waren, so dass es in Vogelsang sowohl Baudecks als auch Bandecks gab, die aber alle den gleichen Stammvater hatten.

Aus der Geschichte der Familie Haeling
An der Stelle, wo vom kleinen Hafen Vogelsangs aus ein Seeweg, breit und sandig, sich durch den Wald über die Dünen hin, am Signalturm vorbei, hinzieht, liegt wieder eine Gruppe Häuser. Dieser Weg heißt Haelings Seeweg, und es wurde auch noch die Stelle gezeigt, auf der jenes Haus gestanden hatte, in dem Haeling, der starke Haeling gelebt hat, von dem noch viele Sagen zu erzählen sind.
Die „Nehringsche Funktion“ hatte im Auftrage der Stadt Danzig, der die Nehrung unterstellt war, Ordnung auf ihr zu halten. Sie übertrug die Aufsicht über diese Aufgabe den Strandreutern. Diese hatten nicht nur zu verhüten, dass der Wald allzu stark unerlaubt gelichtet wurde, sondern hatten vor allem den Strand zu bewachen. Einer dieser Strandreuter war ein Haeling, der ins Dorf dann hineinheiratete, ein Nachkomme von ihm war der „starke Haeling“.

Bernsteinregal und Strandgut
Diese zwei Dinge lagen dem Fiskus besonders am Herzen. Das „Bernsteinregal“ muss früher eine gute Einnahmequelle gewesen sein. Wahrscheinlich waren die Anschwemmungen von Bernsteinstücken überhaupt und von großen Bernsteinstücken im Besonderen bedeutender als heutzutage. Der gefundene oder gefischte Bernstein musste abgeliefert werden, wurde nach Größe sortiert und danach nach Gewicht bezahlt.
Nach gewaltigen Herbst- und Frühlingsstürmen, wenn die See bis auf den Grund aufgewühlt worden war, zogen große Mengen von Seetang die Küste entlang und wurden von den bewegten Wogen auf den Strand gespült. In den ersten Morgenstunden, wenn die Dämmerung kaum den ersten Schimmer des Tages anzeigte, stiegen die Fischer bis weit über die Knie in das Meer und fischten mit Keschern den Tang mit dem eingebetteten Bernstein heraus. Am Strand entleerten sie die Kescher, und die anderen Familienmitglieder untersuchten eifrig, oft noch beim Schein kleiner Laternen, den Blasentang emsig nach Bernsteinstücken. Ein seltsames Bild beim aufkommenden Tag!
Mit genau solch großer Sorgfalt achteten die Strandreuter auf das Strandgut, auf angeschwemmte Güter aller Art, die nicht nur von gestrandeten Schiffen stammten, sondern zahlreich und abwechslungsreich auch von der Weichsel nach Hochwasserzeiten über See durch die Meeresströmung an den Strand gespült wurden.
Während man sich früher um das angeschwemmte Holz nicht so sehr kümmerte - ausgenommen richtige Balken oder brauchbares Bauholz - so dass allmählich alles versandete und verging, weil man ja den Wald vor dem Hause hatte, griff man in den Kriegszeiten nach jedem Stückchen und merkte da erst, wie reich auch dieser Segen des Meeres war.
In neuerer Zeit fand ein Fischer ein kleines volles Tönnchen. Es enthielt zwar nur Wasser, aber „edles“ Wasser. In aller Heimlichkeit brachte er es heim. Nun, ganz zu verheimlichen war dieser kostbare Fund doch nicht; der eine wie der andere durfte ein Gläschen probieren. Als der Finder eines Streitfalles wegen seinem Gegner ein Gläschen verweigerte, musste er erleben, dass eines Tages ein Zollbeamter seine Wohnung aufsuchte, nicht um ein Gläschen zu probieren, sondern um das Fässchen einzuziehen. Dass hinterher noch eine große Rechnung kam wegen Zoll- und Steuerhinterziehung, sei hier nur am Rande vermerkt.
Auch zu unserer Zeit bestand die Pflicht, Bernstein an den Staat abzuliefern, der auch für das Strandgut zuständig war.

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