Aus „Unser Danzig“, 1958, Nr.2, Seite 9
Die Cholera in Danzig im Jahre 1831
Als im Winter 1830/31 polnische Revolutionäre gegen russische Truppen jenseits der preußischen Grenze kämpften, brach im Kampfgebiet die asiatische Cholera aus. Die preußische Regierung ließ sofort die Grenze durch Soldaten hermetisch abriegeln. Flüchtlingen war es aber doch gelungen, sich nach Preußen einzuschleichen, und, da sie wohl infiziert waren, die Seuche einzuschleppen. Jedenfalls wurde im Frühling 1831 bekannt, dass in Kreis und Stadt Memel die Cholera ungewöhnlich heftig ausgebrochen sei. Die Danziger Bevölkerung war wohl beunruhigt, aber man wähnte sich weitab vom Schuss und nahm an, dass bis zur alten Hansestadt die Seuche nicht gelangen werde. Erst als weitere Orte in der ostpreußischen Provinz von der Epidemie ergriffen wurden, griffen Unruhe und Angst um sich. Bekanntmachungen und Warnungen versuchten, die Bevölkerung zu beruhigen. Andererseits bewirkten Broschüren mit Schilderungen über die blitzartige Geschwindigkeit, mit der die Cholera blühende Gegenden in Friedhöfe verwandelte, das Gegenteil. Die Bevölkerung glaubte, der Jüngste Tag sei gekommen! Friedrich Wilhelm III. berief in Berlin in aller Eile eine Immediat-Cholerakommission, die in Danzig ihrerseits eine Unterkommission einsetzte. Leider wusste man damals über die Ursache der Erkrankung noch nichts; erst viel später, 1884, ist es Robert Koch gelungen, den Cholerabazillus zu entdecken. Der an der Königsberger Universität wirkende berühmte Naturforscher von Bär sprach sogar die Vermutung aus, dass die Seuche wahrscheinlich irgendwie im Zusammenhang mit dem gleichzeitig beobachteten Auftreten sonderbarer weißer Nebel stehe. Aber alle Gelehrten waren sich einig, dass schon allein die Berührung mit dem Erkrankten und der von ihm berührten Gegenstände ansteckend sei.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen brach im Sommer 1831 auch in Danzig die Cholera aus. Die Ursache war verseuchtes Trinkwasser, die Cholera war also nicht eingeschleppt worden. Die ersten Opfer waren drei Baggerarbeiter im Hafen. Bald hörte man, dass auch in den umliegenden Orten die Seuche herrsche. Eine schreckensvolle Zeit begann für Danzig. Wer konnte, verließ fluchtartig die Stadt. Handel und Wandel lagen darnieder, Schiffe liefen kaum an oder blieben weit draußen auf der Reede in Quarantäne. Wo Cholerafälle auftraten, wurden die Erkrankten sofort mit Tragkörben abgeholt, die mit schwarzem Wachstuch verhängt waren. Mit schwarzem Wachstuch vermummten sich auch die Träger und Ärzte, denn unbegreiflicherweise schrieb man damals dem schwarzen Wachstuch eine durch nichts begründete abwehrende Wirkung zu. Alle Sachen, mit denen der Kranke in Berührung gekommen war, gleichviel ob Kleidung, Möbel usw., wurden sofort verbrannt. Die gesunden Angehörigen der Kranken holte man ebenfalls ab und sperrte sie außerhalb der Stadt in bewachten Hütten ein, ihre Wohnungen wurden versiegelt. Die außerhalb der Stadt eingerichteten primitiven Notlazarette waren bald überbelegt, es herrschten grauenhafte Zustände dort und ebenso bei den gesund Eingesperrten. Denn es fehlte an Unterkunftsraum und vor allem an Verpflegung. Um die weitere Ausbreitung der Epidemie zu verhindern, wurden die Stadtteile gegeneinander abgesperrt, aber es mangelte schließlich an Wachpersonal. Die Toten wurden ebenfalls außerhalb der Stadt, auf die sogenannten Cholerafriedhöfe, geschafft, mit einer dicken Schicht ungelöschten Kalkes bestreut und dann ohne geistlichen Segen verscharrt. Das Volk begann aber plötzlich, sich gegen die barbarische Behandlung der Kranken und Toten aufzulehnen. Außerdem erlitt die ärmere Bevölkerung empfindlichen Schaden durch die rigorose Verbrennung der ihnen gehörenden Sachen, und Not trat ein, weil es an Arbeit fehlte. Aus Angst vor den behördlichen Maßnahmen wurden Kranke meistens gar nicht gemeldet, sodass viele verstarben, die man hätte retten können. Schließlich wurde das Gerücht ausgestreut, dass die Reichen es darauf abgesehen hätten, die Armen umzubringen, deshalb würde keine wirkliche Hilfe geleistet. An Arzte wandte man sich kaum, dafür traten Quacksalber auf, und der Aberglaube begann eine Rolle zu spielen. Tatsächlich war die Bekämpfungsmethode ganz unzulänglich. An Stelle von Hygiene und kräftiger Ernährung wurde das Volk von Traktaten mit oft lächerlichen Bekämpfungsmaßnahmen überschüttet, sodass, wie ein Geistlicher aus dem Kreise Memel ironisch schrieb, alle diese Traktate aufeinandergelegt schon allein genügt hätten, einen Schutzwall gegen die Cholera zu errichten. In Königsberg, Elbing, Memel und anderen Städten, schließlich auch in Danzig, war es bereits zu offenem Aufruhr gekommen, den sog. Cholerakrawallen, zu deren Niederschlagung Militär herangezogen werden musste, überall wuchs der Unwille des Volkes bis zur Weißglut. Regierung und Ärzte schienen machtlos. Endlich, nach Schreckensmonaten, machte sich mit zunehmendem Herbst allmählich ein Rückgang der Seuche bemerkbar. Weihnachten 1831 war sie wieder so erloschen, wie sie aufgetreten war. In den Kirchen wurden Dankgottesdienste abgehalten, und die Stadt Memel ließ sogar eine bronzene Denkmünze aus Dankbarkeit für die glückliche Errettung von der asiatischen Geißel.
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