Schönen guten Nachmittag,
hier ein kleiner Erfahrungsbericht über meinen Uni-Klinik-Aufenthalt in Langfuhr:
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Universitätsklinik Danzig - hört sich toll an, alles scheint sich in jeder Hinsicht auf höchstem Standard zu bewegen.
Einige Fakten:
- Das Uni-Klinikum befindet sich im Stadtteil Langfuhr sowohl in neuen hochmodernen Gebäuden als auch in maroden kaputten Altbauten
- jenachdem in welcher Fachklinik bzw. Station man liegt, hat man -von der Unterbringung her gesehen- Glück oder Pech
- nach meinem Eindruck: das fachärztliche Niveau ist hervorragend, Anamnese und Diagnostik wird interdisziplinär außerordentlich viel Zeit und Sorgfalt gewidmet, die Behandlung im Rahmen vorhandener Möglichkeiten ist erstklassig, das Pflegepersonal qualifiziert, freundlich, engagiert.
Ich bin in einem Altbau untergebracht, der bis zum Letzten ausgelutscht ist. Überall defekte Elektrik, herausgerissen Steckdosen mit blanken Kontakten, fehlende Beleuchtung, und, und, und. Der gesamten Station steht eine einzige Männertoilette zur Verfügung, kalt, unhygienisch, nicht behindertengerecht (viele Patienten hier sind Rollstuhlfahrer), nicht absperrbar. Es steht eine einzige Dusche zur Verfügung in einem kalten Raum.
In der Station in der ich mich befinde, liegen Schwerkranke, Dahinsiechende, Sterbende, Genesende. Ich gehöre glücklicherweise zur letzten Gruppe. In meinem Zimmer befinden sich momentan fünf belegte Betten, es lassen sich aber je nach Bedarf noch ein paar weitere hineinquetschen. Nach dem was ich sah, glaube ich, dass es trotzdem noch das schönste Zimmer ist. Auch wenn die Heizung defekt ist... - sie lässt sich nicht regulieren sondern läuft mit Höchstleistung was ein extrem warmes Zimmer und pfurztrockene Luft mit sich bringt. Das hat auch zur Folge, dass immer irgend jemand röchelt "Fenster auf, Fenster auf" und der nächste dann klagt "es zieht, es zieht".
Ein paar weitere Besonderheiten in vielen polnischen Krankenhäusern sind vielleicht auch nicht allgemein bekannt: Das einzig positive was man über die Verpflegung sagen kann ist, dass bisher noch niemand verhungert ist. Es kann sein, dass es zum Frühstück ein paar Scheiben Brot, ein Klacks Margarine und ein gekochtes Ei gibt. Das ist alles. Oder abends ein paar Scheiben Brot, ein Klacks Margarine und einen Löffel Quark. Käse, Wurst, Marmelade, Honig? Was ist das? Gibt's nicht. Gestern Abend gab's mal was Besonderes: Eine halbe Orange. Mittags gibt's Wassersuppe mit Karotteneinlage, manchmal auch mit enthaltenen Kartoffel- oder Rote-Bete-Stückchen. Dann eine Kelle Stampfkartoffeln, und einen Klops aus geschredderter Geflügelfleischmasse. Schmeckt wie eingeschlafene Füße. Pech hat, wer kein eigenes Besteck mitgebracht hat oder keine eigene Tasse. Irgendwie bekommt man dann zwar doch ein Plastikbesteck (zur Mehrfachverwendung), aber wer keine Tasse, Becher, Glas hat, kann schauen, wie er was zu trinken bekommt. Wenn überhaupt noch was zu trinken da ist. Denn selbst bei der Essensausgabe kommt es vor, dass es keinen Tee mehr gibt. Auf der Station gibt es auch kein Mineralwasser, Teebeutel oder sonst was. Es gibt nichts. Jeder von meinen Mitpatienten hat auch seine eigene Rolle Toilettenpapier -ich natürlich auch-, denn man kann nie wissen, wann auch das Papier ausgeht.
Ach, fast hätte ich's vergessen: Unsere Betten sind Metallpritschen, mit unflexiblem Metallgitterrost auf dem eine drei Zemtimeter starke durchgelegene "Matratze" liegt. Nach der ersten Nacht zeichnete sich das Metallgitter auf meinem Rücken ab. Meine Frau schleppte Berge an dicken Decken an um das Bett wenigsten ein klein wenig zu polstern. Seitdem kann ich wenigstens halbwegs schlafen.
Nett und abwechslungsreich sind internationale Studentengruppen die hier durch die Abteilung geführt werden und eine eigene Anamnese und Diagnostik durchführen und potentielle Behandlungen diskutieren. Da dies in der Regel Studenten sind, die kein polnisch können, sind Professoren und Ärzte dankbar wenn sie ausländische Patienten haben, die gut mit ihren Studenten in englischer Sprache kommunzieren können.
Tja, es gäbe noch viel, viel zu erzählen. Schlimmes, Trauriges, aber auch Nettes. Nettes ist durch die Bank weg über das Personal zu sagen. Wie sie sich mühen, wie sie Empathie zeigen, wie sie Sterbende behutsam pflegen.
Vielleicht noch eine kleine Anmerkung: Ich vermute auf diesen kleinen Erlebnisbericht Kommentare wie "kann auch alles in Deutschland passieren, haben wir auch". NEIN, das ist NICHT möglich in Deutschland. Natürlich ist das auch nicht in jedem polnischen Krankenhäusern so, erst recht nicht in Uni-Kliniken, aber es ist kein Einzelfall. Meine Mutter hat eine noch sehr viel schlimmere Odyssee mitmachen müssen.
Vor zweieinhalb Jahren war ich zu einer Operation in der Berliner Charité, in einem vergleichbaren Altbau, aber was Baulichkeiten, Hygiene und Verpflegung anbetrifft, liegen da Welten dazwischen.
Aber ich wiederhole auch noch einmal: Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Pflegepersonal ist erstklassig und könnte kaum irgendwo anders besser sein.
Mit ein bisschen Glück komme ich morgen Nachmittag raus. Dann wird mein längster stationärer Krankenhausaufenthalt seit Kindesbeinen beendet sein. Und dann, erst dann, wird eine richtige Genesung möglich sein.
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Schöne Grüße aus Danzig
Wolfgang