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Thema: Aus der alten Heimat Kriegerische Situation und Flucht von Johannes Ohl

  1. #1
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    Standard Aus der alten Heimat Kriegerische Situation und Flucht von Johannes Ohl

    Aus der alten Heimat Kriegerische Situation und Flucht von Johannes Ohl


    7.3.45 Nun rückt die Kriegsfurie von allen Seiten auf unsere liebe, treue Heimat immer näher. Besonders von der Ostseite, Marienburg sind stundenlang schwere Artilleriekämpfe zu hören. Die schöne Burg und das Geschäftsviertel, wo sich der Hauptkampf abspielt, geht in Trümmer.
    ln der Wirtschaft ändert sich das Bild von Stunde zu Stunde. Die Wanderarbeiter
    haben in der Sorge um ihre Heimat mich verlassen und sind zu Fuß nach Hause abgewandert. Unsere Arbeiten für die eigene Wirtschaft sind auf das notwendigste beschränkt. Dafür sind immer Hand- und Gespanndienste für die Wehrmacht, Errichtung von Straßensperren, Anfuhren und Wagenstellung für Staabsoffiziere, zu leisten, dazwischen willkürliche Abholung von Getreide, Kartoffeln und Stroh. Den Ausdrusch der letzten Ernte konnten wir mit Mühe zu Ende bringen und haben dann der Feuergefahr wegen die schöne Dreschmaschine in die Mauerecke, gut mit Stroh bedeckt, hineingefahren. Ebenso die Welger - Strohpresse und den Motor. Die anderen Maschinen schleppte die Wehrmacht zum Bau von Straßensperren auf die Kohlinger Chaussee. Darunter den Zapfwellenbinder und den Pferdebinder, die beiden Großmäher und beide Düngestreuer, Pferderechen und dergleichen. Auf
    dem Hof befanden sich nur noch die für eine eventuelle Abfahrt unsererseits bestimmte Wagen. Alle anderen Kutschenwagen bis auf den Verdeckwagen sind von der Wehrmacht trotz aller Einwendungen meinerseitz für ihre Zwecke abtransportiert worden. Der Hof ist in ein riesiges Heerlager verwandelt, Panzer, Munitions- kolonnen - Nachschub - und Verpflegungsfahrzeuge befinden sich dauernd darauf. Dazwischenhunderte von Soldaten aller Waffengattungen,
    Chargen und viele Flüchtlinge. Zeitweise ein Bild mit chaosähnlichem Anzeichen, so daß sich mein Herz zusammenkrampft mit dem Blick zum Himmel,wie dieses alles enden möge. Dazwischen erscheinen einzelne russische Flugzeuge, die mit Bordwaffen und mittleren Bomben besonders am letzten Sonntag, den wir noch zu Hause verleben durften, Beschädigungen an den Dächern und Stallmauern hervorriefen. Alle Fenster im Kuhstall gingen durch das Einschlagen einer Bombe
    an der hinteren Stallmauer in Scherben. ln dem Vieh- und Pferdestall übernachteten auf Gängen und Krippen und auch oben auf dem Heuboden
    hunderte von Soldaten und Flüchtlingen, sodaß es nicht mehr möglich ist das Vieh richtig zu versehen. Mein Melker Felske gibt sich die größte Mühe alles noch in Gang zu halten. Wie auf dem Hof und in den Ställen sieht es in unserem Haus aus. Meine liebe treusorgende Frau hat Mühe um alldie Wünsche der Offiziere und Flüchtlinge zu erfüllen. An Schlaf und Ausspannung für uns alle ist nicht mehr zu denken. Dazu kommen immer mehr Gerüchte mit der herzzerreißenden Nachricht, daß wir auch demnächst unsere teure Heimat verlassen müssen, da die russischen Armeen den Ring um das Danziger Gebiet immer enger zusammenziehen und die Vorbereitungen für den Sturm auf Danzig vorbereiten.

    10.3.45 Mit dem Morgen des 1O.März erhob sich größerer Artilleriekampf
    besonders in der Richtung von Lichtenstein und Bechsteinswalde. Einschläge fielen in die Nähe der Rambelschen Chausee bis an die Feldscheune. Die Viehherden
    aus Rambeltsch wurden abgetrieben und seine Bewohner flohen. Große Brände
    gingen auf. Alles steigerte sich bis Mittag und wir alle rüsteten uns zum Verlassen der lieben Heimat. Gretelchen hatte schon monatelang vorher das notwendigste unserer Kinder zusammengepackt. Nun wurde alles auf einen hergerichteten Kastenwagen aufgeladen. Gegen Mittag erschien der Ortsgruppenleiter Zülke und der Ortsbauernführer Soenke und befohlen, daß das Vieh sofort loszubinden und der Feldendarmerie zum Abtrieb durch die Niederung nach Danzig zu übergeben ist. Auch Sie mit Ihren Leuten haben dann den Ort umgehend zu verlassen. Nach dieser Bestimmung ließ ich dann meine letzten guten Pferde anspannen und verließ mit meiner Frau und Gratelehen und unseren treuen Leuten mit schweren
    seelischen Kämpfen mein innigstgeliebtes Vaterhaus. Uns angeschlossen hatte sich unser Herr Pfarrer Mirau und die schon seit Ende Januar bei uns wohnende Familie Plonus aus Pr. Holland. Auf dem Hof blieben zurück 8 Kühe oder Sterken, 2 zweijährige - und 3 einjahrige, und 2 Saugfohlen, die ich nur der Obhut der zurückbleibenden Ostarbeiter überlassen mußte. Dazu der gesamte Schweine bestand von 29 Stück. Ebenso alles Geflügel. Im Hause blieb alles voll belegt mit Offizieren und Flüchtlingen zurück, die sich auch zur Weiterfahrt rüsteten.
    Wir fuhren dann durch Kriefkohi,Stüblau bei schlechtem Wetter, durch Regen und
    Schneeschauer nach Gemlitz, wo wir alle gut unterkommen. Unsere Kolonne bestand aus 6 zweispännigen Wagen , 4 Kasten - und 2 Leiterwagen und 1
    Einspänner mit zusammen 13 Pferden. Dazu kamen Herrn Plonus seine 3 Wagen mit zusammen 9 Pferden. Meine Frau, Gratelehen und ich fanden bei Herrn von Hermanni freundliehst Aufnahme in dessen Haus, wo ohnehin schon Soldatenstäbe und Flüchtlinge wohnten. Der darauf folgende Tag, der Palmsonnntag, wollten wir in Gemlitz ruhig verbringen. Aber schon nach der Frühmesse setzten heftige Luftangriffe mit Bomben und Bordwaffen auf den gesamten Ort ein, und wir wurden zeitweise gezwungen, die Keller im Hause des Herrn von Hermanni und im Pfarrhause aufzusuchen. Bei innigstem Gebet vergingen die Stunden und wir alle wurden wunderbar beschützt. Alle Scheunen bis auf die Pfarrscheune in der unsere
    21 Pferde untergekommen waren, gingen in Flammen auf. Ein grausiges Bild am hereinbrechenden Abend. So mußte auch unsere Heimat das Opfer dieser größenwahnsinnigen Herrscherclique werden. Alle Viehherden der Bauern mußten wegen der Brandgefahr von den Höfen heruntergetrieben werden und irrten auf den Feldern umher. Die Leitungen zerstört und heruntergerissen und alle Menschen dazu in größter Sorge um ihre weitere Zukunft. Mein lieber Melker Felske verlor den Kopf und wollte uns nicht mehr weiter folgen. Er lud sein Gepäck auf einen kleinen Handwagen und verließ uns, um wieder nach Hause zu begeben und dort das Weitere zu erleben. Wir legten uns nach Eintritt der Ruhe zu Bett. Aber bald erschien unser Herr Pfarrer mit dem Befehl des dortigen Bürgemeisters, noch in der Nacht abzurücken und den Platz für weitere Kolonnen frei zu machen. Ich ließ anspannen und wir verließen um halb Ein Uhr nachts Gemlitz und fuhren über Langfelde, Großzünder, Schusterkrug, Einlage, Schiefenhorst nach Bohnsackerweide, wo wir bei den Bauern des Ortes Unterkunft fanden. Nach vielem hin und her blieben wir bei Wtw. Frau Arndt. Die Pferde und Wagen standen bei Herrn Loebbe in und an seiner großen Scheune. Von hier aus mußten wir täglich
    auf den Befehl des Bürgermeisters von Bahnsack und der O.T. Bäume im Walde fällen und die Stämme abfahren.

    18.3.45 Am 18.3 mußten wir uns in Langfuhr beim Volkssturm melden. Unser J. Kunkel mußte dort bleiben. Er hat leider nur einmal geschrieben mit der Mitteilung, daß er sich in Olivia in Ausbildung befand. Am darauffolgenden Tage fuhren Herr Plonus und ich mit einem Kasten - und Leiterwagen nochmals nach Hohenstein um zu versuchen Futter und benötigte Gegenstände nachzuholen. Wir kamen glücklich bis auf den Hof, der aber gänzlich verwüstet dalag. Alle Türen im Speicher waren ausgehoben. Das Vieh und die Fohlen waren noch da. Aber vom Speicher war alles fort. Wir luden Heu und aus dem Haus Wirtschaftssachen und Kleidungsstücke. Im Hause war alles zerbrochen und durchwühlt. Betten waren im Keller aufgestellt. Der schwere Ofen war auch im Keller aufgebaut. Möbel erbrochen und ausgeräumt. Von meinen Wirtschaftssakten und Tagebüchern fand ich nichts mehr vor. Die Jagdgewehre waren zerschlagen oder sind entwendet. Die Zimmer fast alle ausgeräumt. Dafür alles durcheinander auf dem Boden. Im innigsten Gebet empfahl ich alles der lieben Gottesmutter, die unversehrt im großen Zimmer noch dastand und verließ dann wieder mein Vaterhaus. Dann ging ich über den Hof durch das hintere Tor zu unserer Kirche. Am Tor wandte ich mein Blick zur Danziger Chausee und sah, daß sämtliche alten Chauseebäume abgesprengt und in die Mitte der Straße gefallen waren, sodaß dieselbe gänzlich unpaßierbar war. Ebenso war der Bahnübergang nach Schöneck an meinem Feld heruntergesprengt Wer mag nun inzwischen die Arbeit der Räumung dieser Straße ausgeführt haben ? Dieselbe war doch schon zu unseres Zuhauseseins noch vermient worden. Unsere schöne mit soviel Liebe, Sorge und Arbeit erbaute Herz- Jesu- Kirche zeigte schwere Spuren des bisherigen Krieges. Die Bleiglasfenster sind durch die Sprengungen an der Eisenbahn, besonders des Wasserturms vollkommen herausgerissen. Der Turm hatte von der Südseite einen schweren Artellerietreffer erhalten, stand aber sonst noch aufrecht da. ln den letzten Tagen war die Kirche Aufenhaltsunterkunft für Truppen und Kolonnen gewesen. Auf den Gängen war Stroh zum Schlafen ausgebreitet Nach flehentlichem Bittgebet am lieben Herzen- Jesu ging ich dann über den Bahnhof nach der Kriefkohler Chaussee, wo Herr Plonus mit den Wagen auf mich wartete. Unterwegs traf ich doch noch einige Hohensteiner die trotz allem noch dort in den Kellern verblieben waren und versuchen wollten in unserer Heimat zu verbleiben. Wie mag es all den Lieben ergangen sein ? Nach traurigem Abschied fuhren wir dann auf dem selben Wege über Wetzlaff wieder zurück und waren
    gegen 3 Uhr in Bohnsackerweide. Auf dem Wege bei Güttland bemerkten wir noch, wie durch unsere Sprengkommandos die städtische Ziegelei in Güttland gesprengt und ein Raub der Flammen wurde, das weithin sichtbar blieb. Nachdem die Pferde und Menschen in ihren Unterkünften, war ich überglücklich diese Fahrt von über 80
    Km so überstanden zu haben. Über 14 Tage konnten wir nun unseren Pferden von dem mitgebrachten Heu vorlegen, welches sie sich reichlich verdient hatten. Die kommenden Tage vergingen wie die früheren. Nur die feindliche Lufttätigkeit nahm von Tag zu Tag zu, während von unserer Seite nur selten ein einzelner Kampfflieger erschien. Dagegen bemerkten wir öfters, daß einzelne Storch- Flugzeuge bei dem Gauleiterhaus in Wardeilandeten und scheinbar höhere Persönlichkeiten abholten. Unserem Landesbauernführer Rethel bin ich selbst auf dem Wege dorthin im Sohnsacker-Walde begegnet. Abends, an dem ersten Tage unseres Aufenthaltes in Bohnsackerweide, gelang es mir, Fernsprechverbindung mit meiner lieben Schwester Martha zu erhalten, die dann auch ihrerseits noch mehrere Male anrief. Aber bald wurden die Leitungen zerstört und die Verbindung mit unseren Lieben gänzlich zerrissen. Inzwischen soll die russische Generalität ein Ultimatum auf Räumung der freien Stadt Danzig gestellt haben, daß natürlich von Hitler, Gauleiter Forster und seiner Clique abgelehnt wurde und somit unsere Heimat dem größten Unheil aller Zeiten auslieferte. Darauf begann nun die furchtbare Beschießung und Bombardierung mit Spreng- und Brandbomben, die wir alltäglich von uns aus schmerzerfüllt ansehen mußten. Unser Aufenthalt in Sohnsackerweide wurde nun kritischer. Artillerietreffer fielen in die tote Weichsel vor unserem Wohnhaus und Bomben fielen um unser Haus herum. Längst der toten Weichsel wurden Befestigungen angelegt. Dieses erkannten die russischen Flieger und lenkten ihre Batterrien darauf. Wir alle wurden unruhig und beschlossen über Einlage zurück nach der Flüchtlingswiese Schusterkrug zu fahren.

    6.4.45 Dieses war am 6. April. Hier trafen wir viele liebe Bekannte. Darunter den lieben Onkel Schulz aus Praust mit Sohn Florian und seiner Familie. Auch Siegtried der bei der O.T. angestellt war, war dort hingestoßen. Ferner viele Bauern und Landarbeiter aus unserer nächsten Heimat. Hier wurden wir nur eimal durch Fliegerbomben behelligt, die Gott sei Dank, nur geringen Schaden anrichteten. Wir hatten unsere Wagen mit weißen Tüchern auf dem Verdeck gekennzeichnet und die russischen Bomben verschonten uns daraufhin. Es waren hunderte von Wagen mit Flüchtlingen und der liebsten Habe. Die Pferde standen biwacksmäßig geschirrt um die Fahrzeuge und wir wohnten und schliefen in den Wagen und bangten um unsere Zukunft. Hofften auch oft noch auf die Einsicht unserer Führung, sodaß wir dann mit dem traurigen Rest unsere Wirtschaft glücklich auf unsere Höfe fahren konnten. Aber es verging ein Kampftag nach dem anderen und die Kampftätigkeit nahm ständig an Erbitterung, besonders von Seiten der russischen Luftwaffe zu. Viele Flüchtlinge verließen ihre Fahrzeuge und gingen mit Handgepäck nach Einlage um von dort aus eingeschifft zu werden. Die Wagen und Pferde wurden von der Wehrmacht übernommen, die letzte Habe ausgeplündert und vernichtet. Während des dortigen Aufenthaltes wurden alle Flüchtlinge durch die Wehrmacht und N.S.V versorgt. Von unserem Treck hatte sich unser Herr Pfarrer Mirau gleich nach unserer Ankunft in Sohnsackerweide abgezweigt. Er fuhr nach Einlage und von dort mit der Kleinbahn nach Danzig und wollte bei seinen Schwestern in Langfuhr Wohnung nehmen. Bei meinem späteren Besuch bei meinen Schwestern in Danzig und Langfuhr besuchte ich auch ihn. Dann fuhr auch unser Vetter Siegtried Schulz ab. Derselbe hatte von seiten seiner Dienststelle eine Marschroute zur O.T. nach Wismar in den Händen. Einige Tage später fuhr Familie Soenke aus Hohenstein ab. Diesem hatte sich die Familie Leo Schulz von der Raiffeisengenossenschaft Danzig angeschlossen.

    10.4.45 Am Dienstag dem 10.4. machten sich alle Familien Schulz fertig um aufs Schiff zu gehen. Gegen Abend verabschiedeten sich alle von uns, was uns allen recht schmerzlich wurde. Wir wohnten nach Onkels so plötzlicher selbstständiger Abreise in seinem Wohnwagen und hofften immer auf eine glückliche Wendung in diesen wohl schwersten Tagen unseres Lebens. Der Gedanke den heimatlichen Boden, den Rest unserer heimatlichen Habe und die Wirtschaft zu verlassen und so den gefahrenvollen Weg aufs Schiff anzutreten, legte sich auf Seele und Herz. Allabendlich beteten wir Drei zum himmlichen Vater und der Gottesmutter um Hilfe und Trost in diesem uns auferlegten Leid.

    12.4.45 Dann nach zwei Tagen, am Donnerstag bei dem mittagliehen Essens empfang, wurde uns vonseitender Feldgendarmerie erklärt, daß wir uns für die Verschiffung sofort fertig zu machen hätten. Nur Handgepäck darf mitgenommen werden. Pferde und Fahrzeuge und die fremdländischen Arbeitskräfte sind der Wehrmacht zu übergeben. Darauf fuhr ich mit Herrn Plonus und dem Einspänner nach Schievenhorst um die Einschiffungsgenehmigung zu beantragen. Die selbe wurde uns von dem zuständigen Hauptmann ausgestellt. Er gab uns den Rat möglichst heute Abend in Einlage in einen großen Prahm zu gehen uns mit einem in
    Aussicht gestellten größeren Verband von Schiffen ins Reich, voraussichtlich nach Wismar abzudampfen. Wir fuhren darauf zurück und besprachen mit den Unsrigen, was uns gesagt worden war. Ganz einmütig entschlossen wir uns am selben Abend abzufahren. Unsere Frauen hatten das notwendigste in unseren Gepäckstücken zusammengepackt, darunter den größten Teil der Lebensmittel. Alle Bekleidungs stücke, unserer bei der Wehrmacht befindlichen Kinder, mußten wir nun auf dem Wagen zurücklassen. Wir luden die Gepäckstücke alle zusammen auf einen Kastenwagen und bespannten den selben mit meinen prächtigsten Zuchtstuten "Mimma und Anna" die uns somit bis ans Schiff begleiteten. Bei unserer Abfahrt von der Schusterkrugwiese wieherten unsere Pferde abwechseln instinktmäßig uns
    ihren Abschiedsgruß entgegen. Aber das harte, es mußte geschieden sein, half uns
    den Trennungsschmerz auch von den lieben Tieren, die alle von uns aufgezogen waren, zu überwinden. Wir kamen rechtzeitig in Einlage an und trugen unsere Gepäck- stücke in den bereitstehenden Prahm. Mehrere hundert Menschen mit ihrem Gepäck wurden nun von 2 bereitliegenden Prähmen aufgenommen. Unsere leeren Wagen mit den treuen Pferden blieben am Ufer stehen. Immer wieder mußte ich zu ihnen hinüberblicken und an ihre ungewisse Zukunft denken. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde der Motor in Gang gebracht und unsere Prähme fuhren über Schievenhorst in die offene See, in Richtung auf Heia. Inzwischen war es dunkel geworden und die Scheinwerfer beleuchteten das Meer. Es war durch Nordostwind bewegt und unser Schiff bewegte sich oft mit seitlicher Richtung recht bedenklich. Gegen Mitternacht trafen wir im Hafen von Heia ein, wo wir an den Verladekrähnen festmachten. Es wurde der Befehl zum Ausladen gegeben, der aber nach Beginn des Ausladens wieder zurückgezogen wurde und alles wieder an Board zurückkam. Nach stundenlangem Warten fuhren wir auf die See hinaus und sollten abwarten.

    13.4.45 Am Nachmittag des 13.4. wurden die Motoren wieder in Gang gebracht und nach kurzer Zeit fuhren unsere Boote um die Spitze der Halbinsel Heia in die Ostsee, wo mehrere große Schiffe für unsere Abholung eingetroffen waren. Dort bot sich uns ein trauriges Bild. Die Russen hatten an den Vortagen unsere Tranport schiffe mit Bomben und Bordwaffen angegriffen und mehrere sehr getroffen, sodaß sie ausbrannten und versanken. Einer der Dampfer war auf Sand gelaufen und brannte noch. Viele Flüchtlinge und Matrosen fanden dabei den Tod. Viele Verwundete mit Brandwunden lagen auf der Landzunge und wurden mit den nächsten Schiffen verladen. Nach längerem Warten unter ständiger Sorge auch plötzlich von russischen Bombergeschwadern angegriffen zu werden, konnten wir endlich an einem größeren Frachter "Nürnberg 1936" anlegen und es wurde sofort mit der Seladung begonnen. Ein Prahm nach dem anderen kam längstseits und unter kräftiger Mithilfe der Schiffsbesatzung ging die Seladung schnell zu Ende. Als letztes wurden mehrere hundert Verwundete aufgenommen, die ein Deckabteil für sich erhielten. Mit der "Nürnberg" kamen ca. 4000 Flüchtlinge, meistens Ostpreußen und Danziger mit. Wir 3 erhielten ein kleines Eckchen zugewiesen auf dem wir uns mit unserer letzten Habe niederließen. Gegen Abend war der Frachter mit Flüchtlingen überfüllt und das Schiff begann sich in Bewegung zu setzen. Wir alle waren von den Anstrengungen übermüdet und schliefen bald auf unserem harten Lager ein. Am nächsten Morgen war herrlicher Sonnenschein und wir gingen an Deck um die schöne Seeluft zu genießen. Gegen Mittag kamen wir an der herrlichen Insel Bornholm vorbei und erfuhren, daß unser Ziel die Hauptstadt von Dänemark, Kopenhagen, ist, wo wir ausgeladen werden. Unser Kurs ging nun in dieser Richtung und wir trafen am Sonnabend Abend in diesem Hafen ein. Es wurde Anker geworfen und wir blieben die Nacht draußen. Am nächsten Tage, am Sonntag gegen Mittag kam ein Lotse an Bord, und wir fuhren in das Hafenbecken ein. Gleichzeitig noch 3 andere Flüchtlingsschiffe. Bis Montag früh mußten wir dann noch auf dem Schiff verbleiben. Dann erschienen Omibusse, Wehrmachts und Rote- Kreuz- Fahrzeuge und wir wurden auf diese bereitstehenden Fahrzeuge um geladen und in ein Lager abgefahren. Wir wurden in ein großes Motorenwerk der "General- Motors" Werke überführt. Dieses ist eine aus Eisenbeton errichtete Montagehalle für Automobile, die nur zur Hälfe benötigt wird und die gesamte Belegschaft der "Nürnberg" aufnahm. Wir suchten uns eine passende Stelle aus und richteten uns ein. Wir hofften daß der Krieg doch in den nächsten Wochen sein Ende nehmen müßte und wir dann umgehend in die Heimat zurück befördert
    würden und so mußten wir mit dieser rohen, kalten und unwohnlichen Unterkunft
    zufrieden sein. Gegen Mittag dieses Montags trafen wir hier ein und waren froh nach den sorgenvollen und verhängnisvollen Tagen wieder untergekommen zu sein. Unsere Überfahrt war gänzlich störungsfrei verlaufen, sodaß sich selbst die Matrosen wunderten. Auch nicht ein Schuß war auf uns abgegeben, während an den Vortagen die Transportschiffe beschossen und torpediert wurden, wobei Tausende ihr Leben verloren. Dem himmlischen Vater sei Lob und Dank, der uns so wunderbar geleitet. Wir erhielten Stroh, sodaß wir auf dem kalten Betonfußboden eine gesunde Sitz- und Schlafgelegenheit schaffen konnten. Wir blieben nun zusammen, wie wir von zu Hause abgefahren waren. Familie Plonus und die beiden Rosenberg's. Dazu hatten wir noch unsere beiden russischen Mädchen bei uns, die aber nach kurzer Zeit in ein Lager für Ausländer überführt wurden. Nun, nachdem wir nun schon über einen Monat von der lieben Heimat fort sind, richtete sich hier der Lagerbetrieb ein. Nach 8 Tagen unseres Hierseins bekamen wir zum erstenmal warme Verpflegung. Zum Mittag gab's warmes zusammengekochtes Essen und dazu Kaltverpflegung betstehend aus Brot, Aufstrich und Kaffee oder Tee für die Morgens- und Abendsmahlzeit Nach einigen Wochen Hierseins wurden im Keller dieser Fabrik 5 große Kessel aufgebaut, sodaß von der Belegschaft selbst die warmen Speisen hergestellt werden konnten. Am ersten Sonntag unseres Hierseins erbaten wir uns Urlaub um in die Stadt zu gehen und in einer kath. Kirche dem lieben Gott für all seinen Beistand und Hilfe zu danken. Wunderbarerweise trafen wir gerade beim Suchen eines Gotteshauses auf die Bischofskirche in der Osterogade. Wir blieben für zwei Messen dort, die leider beide vom hochw. Herrn Bischof still gehalten wurden. Hier in Kopenhagen befinden sich 25. 000 Katholiken von 1.400. 000 Einwohnern. Dann besichtigten wir noch einige Hauptstraßen und Plätze und wanderten wieder in unsere Unterkunft zurück. Nun verging eine Woche nach der anderen, bis am 5. Mai uns die Kapitulation unserer Armeen bekannt gegeben wurde. Solange hatte Hitler und seine Clique es verstanden, den Krieg bis in die letzte Ecke unseres Vaterlandes zu tragen, sodaß alles in ein Chaos verwandelt werden mußte. Der Gedanke an die Leiden und Nöte unserer fünf
    Kinder blieb uns ständig vor Augen. Wie mag es ihnen ergangen sein ? Ebenso wie mag es in unserer lieben Heimat den Verwandten und Bekannten ergangen sein ?
    Diese bange Sorge und Frage quält unsere Herzen und nur der Gedanke an Gottes. Liebe und Barmherzigkeit für die Seinen läßt uns alles erdulden.

    8.5.45 Am 8. Mai wurde bekannt gegeben, daß nun trotzWaffenstillstandesdie dänische Insel Bornholm von den Russen besetzt worden ist. Was dieses bedeutet wird die Zukunft erbringen.


    11.5.45 Am 11.Mai begingen wir in stiller Zurückgezogenheit unseren Silberhoch zeitstag . Pater Josef Bender aus dem Jesuitenkloster des heiligen Herzen- Jesu aus der Stenosgade hielt in seiner Klosterkirche zum heiligen Herzen Jesu für uns eine heilige Messe, an der wir leider nicht teilnehmen konnten, da hier im Lager mehrere Typhusfälle auftraten und der Ausgang daraufhin gesperrt wurde. Viele wurden ernstlich krank und mußten in Krankenhäuser gebracht werden. Auch unser treuer Hofmeister und Stellmacher Paul Kaschmieder litt wochenlang an einem Darmkatarrh, sodaß auch er in ein Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Es schlug dann Lungenentzündung zu und der liebe Gott erlöste ihn dann von diesem Leiden und nahm seine Seele in sein himmliches Reich. Fast 40 Jahre hat der nun Verstorbene meinem Vater und mir seine ganze Kraft gewidmet. Möge Ihm der ewige Richter seine viele Arbeit und Sorge in der Ewigkeit reich belohnen. R.i. P. Inzwischen wurde Dänemark von den Engländern besetzt und die hier befindlichen Wehrmachtsteile wurden ins Reich abbefördert. Nur die Lazarette befinden sich noch hier.

    Johannes Ohl

  2. #2
    Forum-Teilnehmer Avatar von Fischersjung
    Registriert seit
    10.11.2015
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    Standard AW: Aus der alten Heimat Kriegerische Situation und Flucht von Johannes Ohl

    Hallo Hubert,
    habe es mehrmals gelesen.
    Vielen Dank für die Teilhabe der Aufzeichnung, Einblick einer Flucht und das Schicksal der Familie.

    Eine schönes Wochenende
    Viele Grüße von Joachim

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