Liebe Danziger Landleute und Freunde unserer alten Heimat,
unser Landsmann Jochen Gruch hat sich in nachstehendem Aufsatz mit dem Danziger Kulturgut beschäftigt. Mir ist eine breite Diskussion wichtig, daher stelle ich den Artikel hier zur Diskussion. Die Überlegungen von Jochen Gruch wie auch die hier geäußerten Argumente sollen in die Entwicklung einer "Konzeption Danziger Kulturgut" einfließen.
Vielen Dank für Eure Beteiligung an der Diskussion bereits im Voraus,
Euer
Marcel
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Einige ratlose Überlegungen zum Danziger Kulturgut
In den 60er und 70er Jahren gab es ziemlich viele aktive ostdeutsche Heimatstuben, sogar in kleineren Orten. Inzwischen sind, aus den bekannten Gründen, kaum noch welche existent. Das dort aufbewahrte Sammlungsgut ging entweder verloren, oder wurde bei den Vorsitzenden der Landsmannschaften bzw. anderen Vorstandsmitgliedern privat gelagert. In seltenen Fällen sind deren Kinder interessiert, meist aber nicht. Im Todesfalle besteht also die reale Gefahr des Verlustes. Wenn es gut läuft, wird es von den Kindern einem anderen Vereinsmiglied übergeben, die Gefahr wird also nochmal aufgeschoben. Oder das Material wird dem Bund der Danziger in Lübeck bzw. dem Landesverband zur Abholung angeboten. Dann ist Eile geboten, denn die Wohnung soll schnell aufgelöst werden. Bei professionellen Entrümplern besteht die Chance, daß wertvoll aussehendes Material in den Flohmarkthandel gelangt. Aber nicht alles Wertvolle sieht auch wertvoll aus (und umgekehrt). Was für die Heimatstuben gilt, gilt auch für privat von Danzigern gesammelte Gegenstände.
Der Bund der Danziger hat keine Lagerräume, der LV NRW auch nicht, bei den übrigen LV vermute ich ähnliches. Bisher haben wir uns auf gleiche Weise beholfen wie die Heimatstuben und die Ortsstellen: wer abholt muß bei sich lagern. Nicht immer wird dann auch verbreitet wer was hat. Ich habe aus diesem Grund vor einigen Jahren eine Übersicht zu den beiden Nachlässen in Umlauf gebracht, die ich im Auftrag des Bundes (Lübeck) verwahre. Aber auch bei mir liegt noch 1 Leitz-Ordner einer anderen Ortsstelle (Koblenz), der bei mir als Vorstandsmitglied der Kölner OS gelandet ist, sowie Unterlagen des LV NRW und Material, welches ich privat von Mitgliedern erhielt. Den meisten Vorstandsmitgliedern (Bundes- und Landesebene) wird es ähnlich gehen. Das ist kein guter Zustand.
Ein ganz praktisches Problem ist, daß die Qualität des angebotenen Materials extrem unterschiedlich ist. Und die Bewertungskriterien sind nicht einheitlich, können es auch nicht sein. Denn die Fragestellungen, bei denen das Sammlungsgut helfen kann oder soll, sind unterschiedlich. Wer als „ernsthafter“ Historiker oder Kulturwissenschaftler an das Material herangeht, interessiert sich für Gegenstände die in Danzig vor 1945 entstanden sind. Ein von der Oma in den 1960ern mit dem Danziger Wappen besticktes Sofakissen interessiert da überhaupt nicht. Es ist aber ein Zeugnis für das Fortleben der Heimatverbundenheit bei dieser Frau (und damit stellvertretend für viele). Andererseits gibt es solche Gegenstände häufig, wieviele müssen/sollen/können wir davon aufbewahren? Ich habe keine Antwort. Ich habe privat einige solcher Gegenstände übernommen, weil ich merkte, daß unserem Mitglied dieser jeweilige Gegenstand sehr wichtig war, hätte ich ihn abgelehnt, wäre es zur Verbitterung gekommen und ich hätte auch die „wertvolleren“ Gegenstände nicht bekommen. Und jetzt scheue ich das Wegwerfen.
Bei Büchern stellt sich das Problem noch stärker. Der Danziger Hauskalender war den Danzigern immer wichtig, er wurde entsprechend sorgsam aufgehoben, jetzt gibt es von den meisten Jahrgängen noch viele Exemplare. Eigentlich brauchen wir keine weiteren mehr. Sehr viel seltener wurden z.B. Mitteilungsblätter der ehem. Schüler der Danziger Schulen aufbewahrt, sie wurden zumeist auf mäßig gutem Papier gedruckt, haben keinen Einband, sind entsprechend unansehnlich. Und wurden deshalb von den Erben weggeworfen, bevor sie uns den Hauskalender anboten. Aber wie hier rechtzeitig ein Bewußtsein schaffen bei Menschen die nicht in unsere Gruppen kommen? In einem Einzelfall war ich erfolgreich: ein größeres Archiv, mit dem ich viel zu tun habe, erhielt einen Nachlaß. Ein sehr kleiner Teil davon betraf Danzig, nur aufgrund familiärer Verbindungen des Verstorbenen. Das Archiv hatte kein Interesse, es hatte nichts mit seinem Zuständigkeitsbereich zu tun. Normalerweise wären die Unterlagen im Altpapier gelandet, aber man bot sie mir zur Abholung an, weil ich allzuoft das Wort „Danzig“ in Kantinengesprächen etc erwähnte.
Nochmal: welcher Art ist das Material, das uns von Landsleuten angeboten wird? Soweit ich sehe besteht der mengenmäßig größte Teil aus Büchern, diese überwiegend nach 1945 in Deutschland gedruckt (in letzter Zeit verstärkt auch in Danzig oder Polen gedruckte Bildbände), danach kommen Gegenstände der Erinnerungskultur („Sofakissen“, Bilder), dann persönliche Unterlagen (Schulzeugnisse, Reisepaß etc.). Ein sehr kleiner Teil sind Dokumente allgemeiner Art aus Danzig, davon die meisten aus Gruppen, die hohe Auflagen hatten (Briefmarken, Geld, Zeitungen), die aber dennoch interessant sind.
Diese verschiedenen Arten von Gegenständen verlangen unterschiedliche Arten der Aufbewahrung und werden unterschiedlich genutzt.
-Bücher zeichnen sich dadurch aus, daß es viele identische Exemplare gibt. Abweichungen gibt es wenn der Vorbesitzer Randbemerkungen gemacht hat oder Zettel einlegte, die nicht nur für ihn selber interessant sind. Aber im Allgemeinen würden 1-2 Exemplare bei uns genügen, die ausgeliehen werden können. Wir können das aber nicht selber leisten, wegen Platzmangel und Mangel an Arbeitskräften (der Leihverkehr ist komplex). Ich schlage daher vor, wir kooperieren mit einer professionell geführten Bibliothek und stellen ihr die Bücher, die wir erben, zur Verfügung. Wir brauchen einen Vertrag der klarstellt, daß die Bücher uns gehören, also bei Auflösung der Bibliothek nicht vom Träger verkauft werden können, sondern uns zurückgegeben werden. Der Vertrag muß aber auch für die Bibliothek sicherstellen, daß wir die Bücher nicht von uns aus zurückfordern, denn die Bibliothek hat mit ihnen ja auch Arbeit und Kosten. Naheliegend wären ein oder zwei Bibliotheken in den Häusern des Deutschen Ostens (Düsseldorf hat bereits die Bücher des Rates der Danziger), aber auch andere Bibliotheken sind denkbar. Ob das Herder-Institut in Marburg Interesse hat weiß ich nicht, wahrscheinlich besitzen die ohnehin schon alles. Marcel Pauls kennt eine Institutsbibliothek, die Interesse geäußert hat. Also nehmen wir vielleicht diese und 1 Haus des Deutschen Ostens?
-Sonstige vervielfältigte Dokumente: Briefmarken sollten wegen der Gefahr der Beschädigung der Briefmarken im Album bleiben und sicher aufbewahrt werden. Hin und wieder können sie für Ausstellungen verwendet werden. Wir brauchen nur zwei oder drei halbwegs vollständige Sammlungen, die können zur Not auch weiterhin bei privat gelagert werden, es sollte nur in unseren Kreisen bekannt sein wer sie hat, und es muß gewährleistet sein, daß die Erben sie nicht (unbeabsichtigt) verkaufen oder wegwerfen.
Für Danziger Geld, sowie Ansichtskarten gilt dies genauso.
Zeitungen sind schwierig, das Papier zerfällt bei Benutzung. Zunächst sollten wir feststellen, was bereits von den Vorkriegszeitungen verfilmt wurde und wie es zugänglich ist.
-Persönliche Dokumente. Das kann der interessanteste Teil der angebotenen Materialien sein. Allerdings brauchen wir auch keine dreißig Danziger Reisepässe und auch nicht alle Schulzeugnisse aller Danziger Schüler, und auch nicht alle Meisterbriefe. Da dies ohnehin nicht geschehen wird, sollten wir alles übernehmen. Aber wohin? Dazu später.
Ein Sonderfall sind Photoalben, sowohl solche von vor 1945, als auch Bilderserien von Nachkriegs-Veranstaltungen (Fahrt zum Tag der Danziger, Veranstaltungen der Ortsstellen etc.). Hier muß zunächst darauf geachtet werden, daß wir möglichst sofort möglichst viele Informationen erhalten. Die wenigsten Alben sind ausreichend beschriftet.
-Zeugnisse der Erinnerungskultur. Der schwierigste Teil, hier würde die Aufbewahrung von Beispielen genügen, der Rest könnte an die verbliebenen Ortsstellen als Tombolagewinn abgegeben werden (wobei ich Zweifel am Interesse habe). Aber wie mit den Spendern umgehen, die für Wegwerfen kein Verständnis haben?
-Sonstiges. Überwiegend sind dies qualitativ extrem unterschiedliche Bilder als Wandschmuck. Auf Holz aufgezogene Kalenderblätter u.ä. zähle ich zur Erinnerungskultur. Ebenso nach 1945 angefertigte Aquarelle oder Ölbilder (gemalt nach Photos der Vorkriegszeit). Wir brauchen nur Beispiele. Ganz anders die seltenen Originalbilder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Und diese brauchen häufig viel Platz (weniger von der Bildfläche her, als von der Rahmendicke). Im Augenblick sehe ich nur die Möglichkeit, wir erlauben Mitgliedern sich diese in ihrer Wohnung an die Wand zu hängen, unser Eigentumsrecht muß gesichert sein.
Es braucht also eine grundsätzliche Lösung. Geld und Platz haben wir nicht. Es wäre schön wenn plötzlich ein Förderer auftaucht, aber damit können wir nicht planen, es eilt aber.
Das Kulturwek hat für sich eine brauchbare Lösung, es kann seine Sammlung im Düsseldorfer Stadtarchiv unterbringen. Und inzwischen darf es auch neue Objekte hinzufügen. Aber nur in geringem Umfang, für uns kommt das daher nur bei wertvollen Einzelstücken infrage. Außerdem ist ein Archiv nicht für dreidimensionales Material gedacht, schon Bücher machen Probleme. Wer bei der Besichtigung anwesend war konnte sehen, daß die Regale Normgrößen haben, diese sind in zumindest allen professionellen mitteleuropäischen Archiven gleich.
Die ostdeutsche Kultur ist Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, deshalb gibt es fünf große Museen die gefördert werden (z.B. Warendorf). Aber darauf darf man sich nicht beschränken. Man darf sich auch nicht auf das politische Deutschland in den Grenzen von 1937 beschränken, es gilt für die gesamte deutsche Kultur, also Bessarabien genauso wie Danzig. Organisiert wird dies über die Staatsministerin für Kultur und Medien (BKM), derzeit Monika Grütters.
Ich habe schon seit einigen Wochen vor, der BKM einen Brief zu schreiben und einen Vorschlag zu machen: Die BRD kauft in einem strukturschwachen Ort (Ruhrgebiet, Eisenhüttenstadt, o.ä.) eine geeignete Lagerhalle, baut sie zum Magazin um mit entsprechender Temperatur- und Feuchtigkeitsregelung, stellt zwei oder drei Wissenschaftler ein, schafft Planstellen für anderweitig schwer vermittelbare Wartestandsbeamte (Archive, Museen und Bibliotheken sind in der Hinsicht ohnehin Kummer gewohnt) und übernimmt zunächst einmal alles was angeboten wird. Es wird verzeichnet und gelagert. Die Verzeichnisse werden zugänglich gemacht, dadurch können Museen gezielt Exponate für Ausstellungen entleihen. Später kann diese Sammelstelle vielleicht auch selber Ausstellungen organisieren. Die angebotenen Bücher dienen zunächst zum Aufbau einer eigenen Fachbibliothek, später können Dubletten zugunsten des eigenen Etats veräußert werden.
Ich habe keine Ahnung wie realistisch meine Vorstellung ist, aber es gibt halt zwei Vorteile für den Staat: eine weitere Behörde im strukturschwachen Raum und die Unterbringung von Beamten die sonst fürs Nichtstun bezahlt werden müßten. Wenn dieser Vorschlag für sinnvoll gehalten wird, sollten wir entsprechend aktiv werden, z.B. dem BdV davon berichten.
Jochen Gruch, 2019