Schönen guten Abend,
heute Abend bringt der „Spiegel” online eine Story (morgen wird sie in der Druckausgabe stehen), die fassungslos macht. Sie handelt von Stutthof, vom Prozess gegen einen SS-Wachmann, von einem nach eigenen Angaben betroffenen jüdischen Holocaust-Überlebenden und dessen in Stutthof inhaftiert gewesene Familienangehörige.
Fürstenwerder (Żuławki) wird in der Geschichte genannt weil die Familie des angeblichen Holocaust-Überlebenden Peter Loth aus diesem kleinen Werder-Dorf stammt.
Wer kann sich von Euch an Nachrichtensendungen erinnern -in allen öffentlichen und fast allen privaten Fernsehstationen wurde darüber berichtet- in der dieser Peter Loth, ein Nebenkläger im Stutthof-Prozess, aufsteht, den heute 93-jährigen Beklagten umarmt und ihm vergibt? Alle große Zeitungen berichteten über diesen emotional bewegenden Vorgang in dem sich die beiden Männer weinend in den Armen lagen.
Spiegel-Recherchen haben nun ergeben, dass die von Peter Loth erzählten und auch in einem Buch niedergeschriebenen Geschichten größtenteils so nicht stimmen können. Die Familie Peter Loth's stammt durch die Bank weg aus Werder-Dörfern und war über etliche Generationen hinweg evangelisch getauft. Für eine jüdische Herkunft gibt es keine Beweise, Unterlagen, nicht einmal vage Anhaltspunkte.
Der Spiegel hat in den letzten Wochen intensiv geforscht, Kirchenbücher, Standesamtsunterlagen, die Heimatortskartei eingesehen, in Archiven im In- und Ausland recherchiert, Historiker konsultiert, eigene Aussagen von Peter Loth, die häufig widersprüchlich und/oder offensichtlich falsch sind durchleuchtet, und er ist dabei auf eine Geschichte gestoßen, die er zwar vorsichtig formuliert hat, die aber viele, viele Fragen aufwirft.
- Zuallererst: Wie kommt ein Nichtjude überhaupt dazu, eine jüdische Opferrolle einzunehmen?
- dann, natürlich, auch die Frage, warum dies in einem so wichtigen Verfahren wie dem im Augenblick in Hamburg stattfindenden Gerichtsprozess nicht geprüft wird. Welche Auswirkungen hat das auf den laufenden Prozess? Auf das Urteil? Wer zahlt Reise und Aufenthalt des in den USA lebenden und nach Deutschland eingeladenen Peter Loth? Aus welcher Kasse werden seine Rechtsanwälte gezahlt? Werden diese Kosten -wenn er schuldig gesprochen wird- auf den Beklagten abgewälzt?
- was ich auch nicht verstehe: Peter Loth vergab mit großer Geste vor laufenden Kameras dem Beklagten. Er hat vergeben, seine Nebenklage hat er aber nicht zurückgezogen, diese läuft weiter. Warum? Alles nur Show?
- Interessant ist nun, wie es in dem Gerichtsverfahren weitergehen wird. Legen die Anwälte des Peter Loth -sie sind Nebenklagevertreter- ihr Mandat nieder? Was wird das Gericht tun, was muss es tun?
Peter Loth's Geschichte, er hat sie in einem Buch erzählt („Peace by Piece: A Story of Healing and Forgiveness”, bei Amazon als Kindle-Ausgabe für ca. 7,00 Euro erhältlich), ist in vielen Punkten nicht nachvollziehbar und wurde, wenn er mit Fakten konfrontiert wurde, durch neue häufig ebenso abenteuerliche Geschichten ersetzt.
Ein auch mich interessierender Punkt ist seine Behauptung, seine jüdische Großmutter sei am 10.08.1943 in Fürstenwerder erschossen worden. Zuvor hatte er erzählt, sie sei in Stutthof in der Gaskammer am 30.08.1943 ermordet worden (zu diesem Zeitpunkt gab es die Gaskammer noch nicht).
Ich interessiere mich sehr für die Geschichte der Werder-Dörfer in meiner näheren Umgebung. Bisher konnte ich schon einiges aus der Kriegszeit erfahren. Ich vermute, dass ich über die Erschießung einer jüdischen Dorfeinwohnerin gehört hätte. Trotzdem frage ich, ob irgend jemand von einer solchen Erschießung weiß.
Die Familie Loth lebte in Fürstenwerder nahe der Brücke über die Elbinger Weichsel, ein kleines Haus, das heute noch vorhanden ist und zum Verkauf steht.
Haus Loth in Fürstenwerder
Die Geschichte der Familie Loth ist ein Stück der Dorfgeschichte Fürstenwerders. Wenn eine solche Geschichte in einem Gerichtsverfahren ausgebreitet wird, wenn sie in einem Buch, in ungezählten Medienbeiträgen und im Internet in immer neuen Variationen dargestellt wird, dann sollte der Versuch unternommen werden, sich der Wahrheit zu nähern. Vielleicht kann dann die eine oder andere Frage beantwortet werden.
Schöne Grüße aus dem Werder
Wolfgang