Schönen guten Abend,
es ist jetzt schon über ein halbes Jahr vergangen seitdem ich mir ein Geburtstagsgeschenk machte. Am 11. Mai, zu meinem 71., sagte ich mir, ich müsse unbedingt einmal machen, was ich zuvor noch nie geschafft hatte. Einen 10-km-Lauf. Selbst zu meinen Bundeswehrzeiten, 1972 bei der Luftwaffe in Ulm, lief ich für das Sportabzeichen nur 5 km. In 22 Minuten 13 Sekunden. Das war bescheiden damals, sehr bescheiden.
10 km? Ohne große Vorbereitung? Mit Rheuma und Gelenkarthrose? Aber wie sagt man? Je oller, desto toller!
Alle rieten mir ab. Teils händeringend. Geh zuerst zum Sportarzt, lass Dich untersuchen! Nun ja, ich bin in Polen, und da liegen selbst private Untersuchungen häufig irgendwann in ferner Zukunft.
Mein Sohn Martin war hier. Er ist sportlich veranlagt, topfit. Ich weiß nicht, wo er das herhat. Sicherlich nicht von mir. Aber als Geburtstagsgeschenk wünschte ich mir, dass er mitläuft. Hat er auch getan. Vielleicht 500 Meter, maximal 1 km. Dann sagte er mir, Papa, so lahmarschig wie Du bist, da kann ich nicht mitlaufen! Er würde per Handy-App kontrollieren, ob ich noch mitlaufe oder irgendwo am Wegesrand liege. Ich sah ihn dann noch ein paar kurze Augenblicke und dann war er weg. Hinter mir war niemand mehr, ich war der letzte. Ach so, doch, ein älterer Mann der die 10 km per Nordic Walking bewältigen wollte. Da war ich dann doch ein bisschen schneller.
10 km hören sich für einen Läufer lächerlich wenig an. Aber ich kam da doch recht schnell sehr nahe an meine Grenzen. Auf dem Weg, der vom Neuen Lager des ehemaligen KZ Richtung Stutthof, dann durch den Wald Richtung Steegen und anschließend wieder zurück zum ehemaligen Neuen Lager führte, waren drei oder vier Rote-Kreuz-Stationen an denen Wasser getankt werden konnte. An der letzten, wahrscheinlich warteten sie dort schon nervös, fragten sie mich sofort auf deutsch, wie es mir ginge, ob ich noch könne. Die waren dort schon vorgewarnt: Achtung!, irgendwann muss noch ein Deutscher kommen, als Letzter, passt bloß auf den auf und meldet es, wenn er bei Euch vorbei ist. Es war schon ein bisschen einsam da hinten, als Letzter, am Ende der Fahnenstange.
Nun ja, ein wenig hatte ich schon trainiert. In der Wohnung. Vom Wohnungseingang aus durch den Korridor, die Küche, um den Esstisch, durch das Wohnzimmer, dann wieder in den Korridor. 40 Meter. 100 Mal, 200, 300, 400 Mal. Und manchmal noch öfter. Draußen war's kalt. In der Wohnung war's angenehmer. Fragt nicht, was meine Frau dazu sagte.
Also, ich glaubte, ich war gut vorbereitet. Habe mir dann auch noch ein paar Laufschuhe zugelegt. Womit ich nicht gerechnet hatte, waren die Sandwege im Wald. So richtig schöne schwere Sandwege. Das ist schon ein Unterschied ob man auf Fliesen läuft oder in tiefem Sand.
Tja, ums kurz zu machen. Ich hab's geschafft. Irgendwie. Meine Frau erwartete mich, mein Sohn sowieso, dann Ewa Malinowska, die Leiterin derAbteilung "Bildungswesen" im Museum des ehemaligen KZ Stutthof. Ich brauchte eine Stunde und 17 Minuten für 10 km. Die Besten waren fast doppelt so schnell. Aber die waren auch nur halb so alt wie ich. Oder jünger.
Es war toll, es war großartig. Phantastisch war aber auch zu sehen, wie viele Läufer im Gedenken an die Opfer des ehemaligen Konzentrationslagers an diesem Lauf teilnahmen. Denn das war es nämlich zuallererst: Ein Anlass, den Opfern zu gedenken, auch den Überlebenden, die 79 Jahre zuvor, am 09. Mai 1945 von der Sowjetarmee befreit wurden. Das KZ Stutthof war das letzte deutsche KZ das befreit wurde, einen Tag nach Ende des Krieges.
2025 wird wieder ein Gedenklauf stattfinden. Ich hoffe, dass ich auch dann noch daran teilnehmen kann. Hoffentlich in der gleichen Zeit, oder vielleicht sogar besser. Wer hat noch Interesse daran, mitzulaufen? Ich kann garantieren, dass der-/diejenige nicht der/die Letzte sein wird.
Schöne Grüße aus dem Werder
Wolfgang
Mein Sohn Martin und ich nach einem Kilometer
Nach langen 10km Ankunft im Ziel
Ewa Malinowska, Leiterin der Abteilung Bildungswesen im Museum Stutthof
Erinnerungsplakette an den Gedenklauf 2024