Abschied von Danzig - Glück gehabt...
Sonntag, 09. März 2003
Heute geht es wieder zurück nach Deutschland. Der Himmel ist grau verhangen. Es regnet. Über Nacht verwandelte sich das strahlende Weiß des zwischen den Wohnblöcken liegenden Schnees in einen schmutzigen Fleckenteppich. Es ist deutlich wärmer geworden. Kommt nun der Frühling? Wäscht der Regen nun die Schneereste hinweg? Es ist 7 Uhr 30. Ich stehe am Fenster, schaue hinunter auf das verschlafene Langfuhr das vor mir im düster wirkenden Morgengrau liegt. Am 12. Tag meines Aufenthaltes, am Tag meiner Rückfahrt, ist das Wetter schlechter geworden. Das Balkonthermometer zeigt 5 Grad plus. Gestern Abend, auf dem Nachhauseweg vom Sasper Multiplexkino gefror noch das Wasser auf den Gehwegen, bildete dort eine dünne Schicht, die knackend unter den Füßen barst.
Ich werde zum Frühstück gerufen. Tee, dunkles litauisches Roggenbrot mit Kümmel, ein nussiges Vollkornbrot, letztjähriger Sommerhonig aus Masuren, verschiedene polnische Wurst- und Käsesorten - mein Gott, kein Wunder, dass ich gut im Futter stehe. Wir lassen uns Zeit, bloß keine Hektik. Für die Reise wird ein ganzer Berg Stullen geschmiert, belegt, eingepackt, dann in meiner Umhängetasche verstaut. Aber die Fahrt mit dem Zug wird ja auch lang. Langsam müssen wir an Aufbruch denken. Warum habe ich aber auch immer so viel Gepäck dabei? Mit zwei Koffern und Umhängetasche geht's hinunter zum kleinen Daewoo Tico. Nach kurzer Fahrt sind wir am Bahnhof Langfuhr, wo ich ein Zusatzticket für die 1. Klasse nach Posen kaufe. Der Preis beträgt 20,42 Zloty, also rund 5 Euro. Eingedenk der Mahnung Zbyszeks und anderer polnischer Freunde stecke ich meinen Geldbeutel nicht in die Gesäßtasche meiner Hose sondern in die Brusttasche meines Hemdes über das ich einen hoch aufgeschlossenen Pullover trage. Ich achte darauf, den Reisverschluss meiner Jacke bis zum Kragen hochzuziehen. Sicher ist sicher, sage ich mir.
Vom Fahrkartenschalter gehen wir zum Gleis 1. Der Eilzug DS7100 Richtung Posen läuft pünktlich um 8 Uhr 30 ein. Die Waggons der 1. Klasse befinden sich direkt hinter der Lok. Ich muss noch ein kleines Stückchen laufen. Um 8 Uhr 32 soll es bereits weiter gehen. Wir verabschieden uns, freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen. Vor mir öffnet ein etwa 25-Jähriger die Waggontür, steigt ein, hilft mir beim Hineinwuchten einer der schweren Koffer. Er hält mir freundlicherweise die Pendeltüre zum engen Waggongang auf, schiebt meinen Koffer voraus, lässt mich passieren. Und ausgerechnet hier, an der engsten Stelle des Waggons, wollen zwei entgegen kommende junge Männer an mir vorbei, drängeln, drücken, schubsen. In meinem Rücken schiebt nun auch noch der Dritte, will offensichtlich an mir vorbei. Schlagartig weiß ich, was hier los ist, weiß, welches Spiel gespielt wird. Mir fällt eine fast identische Situation ein, als ich vor fünf Jahren vom Danziger Hauptbahnhof aus nach Allenstein fuhr. Damals war ich gerade in den Zug gestiegen, als drei Männer drängelten, mich in die Zange nahmen, mich scheinbar versehentlich gegen das Schienbein traten und über meinen Koffer schubsten. Kurz vor Marienburg hatte ich dann festgestellt, dass mir alle meine Ausweise, meine Kreditkarten, aber auch mein gesamtes Bargeld gestohlen worden war...
Diese Mal geht es etwas "freundlicher" zu, nicht ganz so rabiat. Zwar unter vollem Körpereinsatz, aber doch ohne Gewalt werde ich an die Wand gedrückt. Ich weiß, was passiert und so merke ich auch, was sonst gar nicht auffallen würde. Meine Hosentaschen werden abgetastet, der Reißverschluss der Jacke wird nach unten gezogen. Der Trickdieb muss die potentielle Beute auf Höhe der Brusttasche ertastet haben, kommt aber nicht heran, da ich über meinem Hemd ja einen Pullover trage. Gott sei Dank hatte ich den Geldbeutel nicht in der Innentasche der Jacke verstaut! Ich drücke in der ganzen Hektik den Trickdieb von mir weg und als seine "Kollegen" sehen, dass bei mir nichts zu holen ist, verlassen sie den Waggon. Kurz darauf kommt der Schaffner, der jedoch weder englisch noch deutsch spricht. Meine polnischen Sprachkenntnisse reichen noch nicht aus, um ihm den Vorfall schildern zu können. Ich bin fix und fertig, erschlagen, stelle glücklicherweise fest, dass mir nichts abhanden gekommen ist.
Kinga, meine Fahrerin, hatte vom Bahnsteig aus das Gedränge im Abteil gesehen und als kurz vor Abfahrt drei Männer den Zug verließen, kam ihr das spanisch vor. Ohne konkreten Anhaltspunkt folgte sie den Dreien und notierte sich das Kennzeichen des Autos, in das sie vor dem Bahnhof einstiegen. Es war ein neuer VW Bora, silberfarben, Kennzeichen GA xxxxx. Kurz darauf erhielt sie auf ihrem Handy von mir eine kurze SMS mit der Nachricht was mir widerfahren war. Wir telefonierten daraufhin miteinander und ich bat sie, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Als der Zug in Bromberg hielt, rief mich Kinga an. Sie war in Langfuhr bei der Polizei gewesen und dort sei auch das Autokennzeichen notiert worden. Ihr wurde gesagt, man werde die Streifenwagen informieren, das Fahrzeug solle kontrolliert werden wenn es irgendwo gesehen werde. Aber wenn man nichts finde, könne man auch nichts machen. Und Anzeige, ja, eine Anzeige, die müsse schon mir selber erstattet werden. Aber da ich ja bereits wieder unterwegs sei nach Deutschland...