Aus "Unser Danzig", 1951, Heft Nr.7, vom Juli 1951, Seite 8:


Oase Freudental
Von Dr. Ernst-Hubert Gallasch

Auf dem Teich, dem regungslosen.
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schilfes grünen Kranz.
Hirsche wandeln dort am Hügel,
Blicken in die Nacht empor,
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.
Weinend muß mein Blick sich senken,
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken,
Wie ein stilles Nachtgebet.
L e n a u.


Wer kennt nicht noch den Weg von Oliva über Ernsttal, am Mormonenschloss, an den Eisenhämmern und dem Kleverberg vorbei, rechts ab Schwabental. über den Ellakamm oder auf der 1934 fertiggestellten gebesserten Landstraße, bei „Philemon und Baucis", den beiden zusammengewachsenen Linden, geradeaus, an der Danzhöhe mit den im Nadelwald eingesprengten Birken mit den Buchstaben D-A-N-Z entlang, einer hübschen Idee des Ende des vorigen Jahrhunderts in die ewigen Jagdgründe gewechselten Olivaer Forstmeisters Danz?

Murmelnd plaudert der bei Kehrwieder entspringende Glettkaubach, der die Hämmer treibt, scheinbar versickernd in einem kleinen Schilfteich, um dann um so lebhafter weiterzueilen; er sucht das Mühlrad bei Schwabental - es ist verschwunden, ein kleiner Wasserfall plätschert an seiner Stelle. Dann geht es durch den Teich von Ernsttal weiter, durch die moorigen Wiesen am Mormonenschloss in den Schlossgarten, zur fürstlichen Aussicht und Konradshammer, der See zu, die ihn bei Glettkau mit offenen Armen empfängt. Doch wir folgen ihm aufwärts und sind bei Freudental, dem ersten Halt auf seinem Wege. Lebhaftes Geschnatter empfängt uns, wilde und zahme Enten, Blesshühner, Schwäne beleben das Wasser. Auf der Treppe des Forsthauses erwartet uns der rundliche Wirt Kamin. Mit freundlich glänzendem Gesicht lädt er uns zu Spiegeleiern mit Speck, Schinkenbroten und dem unvermeidlichen Rachenputzer, dem Tiegenhöfer Stobbeschen echten Machandel 00, ein und bald beginnt er zu erzählen:

„Es ist tatsächlich eine Oase, dies Forsthaus Freudental, die alle Merkmale einer richtigen Oase zeigt: Nicht ganz leicht zu finden, durstig machender Anmarsch, einsam, überraschend, aber dann auch so recht erquickend und erholsam wie nach einem Wüstenmarsch durch die Sahara.

Als ich meine zwölf Jahre rum hatte, suchte ich Ruhe und Erholung vom Kommiss, fand Freudental, aber noch lange keine Ruhe. Die kenne ich nicht als Wirt, aber sie meinen Gästen zu bereiten, dafür bin ich da. Der gute alte Forstmeister Schultz in Oliva kam mir wohlwollend entgegen mit dem Pachtzins, das Haus war ja aber auch arg verfallen. Ich musste mein Kapitulationsgeld und noch einiges mehr hineinstecken, um es einladend und wohnlich zu machen; Veranda und Saal wurden angebaut, ein paar behagliche Fremdenzimmer eingerichtet. Freunde sorgten für Jagdtrophäen. Sehen Sie hier, der Dachs, der Fuchs, Marder und Iltis, der gehörnte Hase, Eulen und Eichelhäher, Eichhörnchen und Blauracke, Auer- und Birkhahn, selbst Waffen und Antilopenhörner aus Afrika, vor allem aber die Kronleuchter aus Rothirschstangen und Damwildschaufeln - ja, ja - das habe ich mir so nach und nach zusammengeprachert. Ein Malerfreund malte die Bilder an den Wänden im Saal, ja, ja! Dann musste ich mich unabhängig machen hinsichtlich der Ernährung: Zwei Pferde, zwei Kühe, Ziegen, Hühner, Tauben, Enten, Gänse wurden beschafft. Gehören doch zum Forstgut noch zwanzig Morgen Acker und Wiese. Natürlich durfte im Forsthause der Teckel nicht fehlen, hier ist „Schniefke“, der alte Gauner. Ein dicker schwarzer Krummbein stößt seinen nassen Windfang an unser Knie und macht dann bitte, bitte. -„So wurde ich", fährt er fort, „ohne Reklame bekannt. Meine ganze Liebe gehört dem Wildgarten, nicht so sehr wegen des geschäftlichen Aufschwungs, vielmehr hänge ich an den mir von der Wildgartengesellschaft anvertrauten Tieren wie an Kindern, die ich leider nicht habe. Zuerst schaffte ich Eichhörnchen an, die genau wie auf den Jahrmärkten früher in einem Käfig auf und ab turnten, eine Trommel drehten und die Kinder entzückten. Dann kamen Affen dazu, die wegen des Klimas einen geheizten Schlafraum haben mussten und sogar ein Junges aufzogen. Einmal wäre es mir beinahe schlecht gegangen, als der Affenvater einen naseweisen Jungen, der ihn neckte, böse kratzte. Da hätte ich viel Geld zahlen müssen, wenn es zu einer Blutvergiftung gekommen wäre. Na. es ging noch mal gut ab. Zu diesen Tieren kamen dann in einer großen Voliere Raben und Elstern. Im Bassin werden Waschbären gehalten, die mir aus der Hand fressen und jeden Bissen erst abwaschen, ehe sie ihn mit ihren langen spitzen Krallen ins Maul stecken. Der Pfau auf dem Dach, der nachts in den hohen Bäumen schläft, durfte nicht fehlen, Japanenten watscheln zutraulich zwischen den Gästen einher. Die wilden Enten, sonst nur Zugvögel, wurden bald heimisch und brüten jedes Frühjahr auf den Schilfinseln. Kaninchen, von den Kindern des Landrates gestiftet, wurden im freien Gehege ausgesetzt und passten sich bald den neuen Lebensbedingungen an, indem sie nicht mehr die Kästen annahmen, sondern wie die wilden Artgenossen sich Baue graben.

Ganz groß aber wurde der Betrieb durch die Einführung von Rot-, Dam- und Rehwild, wilden Schweinen und Füchsen, endlich leibhaftigen Wölfen, eine Gabe des berühmten Breslauer und Königsberger Zoos.
Das Wild wurde getrennt in großen Gattern ausgesetzt, die sich bis in den Buchenwald hineinziehen, wo es besonders zur Setzzeit sich neugierigen Blicken entziehen und seine Kinderstube einrichten kann. Das Damwild als ausgesprochenes Park- und Gatterwild lebte sich am besten ein. Aber auch Reh- und Rotwild wurde bald heimisch und vertraut, hatte es doch genug Äsung und Auslauf auf den Wiesen, die sich bis zur Pelztierfarm am früheren kleinen Hilfsförsterhause hinziehen. Unter dem Damwild fällt besonders ein starker Schaufler auf und ein weißer Hirsch. Interessant ist es, die Hirsche im Herbst fegen zu sehen. Mit dem Geweih, das noch im Bast ist, schlagen sie kräftig in die Erlenbüsche, dass die Fetzen fliegen, bis das Geweih von der lästigen Haut befreit ist und die Enden gut hervortreten. Reizend sind im Juni die kleinen Kälber, die munter die Alttiere umspringen und ganz zahm an die Einfriedung herankommen, aus den Kinderhänden allerhand naschend. Der Rehbock wuchs gut auf und brachte es bis zum braven Sechser. Das Rotwild vermehrte sich ebenfalls gut. Leider war unter dem Nachwuchs ein Schadhirsch mit langen Spießen, der dem Stammvater, einem gut veranlagten Zwölfer, im September eines schönen Tages den Garaus machte. Zur Erinnerung wurde dieser in voller Größe ausgestopft und dem Danziger Naturmuseum im Grünen Tor überwiesen, wo er allerdings gegen die dortigen uralten Geweihe mit mächtigen Auslagen wesentlich absticht. Weithin bis nach Oliva vernimmt man im Herbst den Brunftschrei des Königs der Wälder, und wohl manches Jägerherz schlägt höher dabei.

Die Sauen hatten in jedem Frühiahr gelb gestreifte Frischlinge, die das lückige Gatter zu selbständigen Ausflügen in den nahen Wald benutzten, pünktlich aber zur Fütterungszeit zurückkehren. Ein starker Keiler jedoch, dem die Enge nicht mehr behagte, brach zur Rauschzeit aus und ward nicht mehr gesehen. Er soll später auf polnischem Gebiet - die Grenze war nur fünfhundert Schritt entfernt - zur Strecke gebracht worden sein.
Die Wölfe waren eine ganz besondere Anziehung für alt und jung. Der letzte Wolf soll 1825 in freier Wildbahn bei Bankau erlegt worden sein. Auch diese Tiere der Wildnis zeigten den Drang in die Weite. Zwar ist ihr Gatter drahtumwehrt, die Umfassung fünfzig Zentimeter tief in die Erde betoniert, und nur ich füttere sie. Einmal jedoch musste ich mich durch den Knecht vertreten lassen. Natürlich geschah ein Unglück. Sei es, dass er das Schnappschloss nicht richtig gesichert oder sonst etwas versehen hatte; ich komme nach Hause, um noch meinen üblichen Rundgang zu machen, und zähle zu meinem Entsetzen statt acht nur fünf. Sofort ans Telefon, Alarm: „Der Wolf ist los!“ An alle Schulen, Forstdienststellen, die Schupo, den Senat: Wolfsjagd! In kürzester Frist ist die Jägerei versammelt und planmäßig wird der Wald durchkämmt. Da kommt auch schon die Kunde, dass eine Frau auf dem Wege nach Goldkrug von einer der Bestien angefallen und schwer gebissen ist an Armen, Beinen und leider auch im Gesicht. Mit Mühe hatte sie sich des Tieres erwehrt, bis ihr ein anderer Wanderer zufällig zu Hilfe kam, worauf der feige Geselle natürlich Reißaus nahm. Die Wolfsjagd hatte den Erfolg, dass wenigstens zwei zur Strecke kamen, der dritte entkam nach Polen, wo er eigentlich auch hingehörte. Nie wieder hat man etwas von ihm gehört. Zum Glück war die Wildgartengesellschaft Besitzerin der Wölfe, nicht ich, so trug sie die Haftpflicht und die Kosten. Die Verletzte wurde dank der Kunst des Chefarztes der chirurgischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses, Professor Dr. Klose, wieder gesund, aber die Zeichen des Wolfes hat sie ihr Leben lang zu tragen. Das war eine aufregende Sache für mich, Oliva, den ganzen Freistaat, sogar Polen, das wie üblich eine politische Aktion daraus zu machen suchte! Die Krone des Wildgartens war das Bisongehege. Der Zuckergroßkaufmann Pikuritz hatte einen Bisonbullen als Geschenk überwiesen und sich Gottseidank auch zu lebenslänglicher Verpflegung verpflichtet. „Jack“ wuchs zu einem Riesenbullen heran, seine Gefräßigkeit kannte keine Grenzen. Fast täglich musste mein Gespann nach Langfuhr und Danzig, nicht nur, um vom Schlachthof Futter für die Wölfe, sondern auch für „Jack“ das Seine zu holen. Wenn ich ihn anrufe, kommt er im Galopp ans Gatter, sehen Sie, so wie jetzt. Nur ich darf es betreten, jeden anderen brächte er um. Und in der Tat, jeden Fremden, der am Zaun steht, sieht er wütend an und schlägt mit seinem Riesenhaupt nach ihm. Von Zeit zu Zeit muss das Gatter erneuert und verstärkt werden, wofür wir der Forstverwaltung stets Dank wissen, denn ohne deren großzügige Hilfe wäre die Erhaltung nicht möglich.

Neben dem schönen Naturschauspiel liegt der Wert des Wildgartens vor allem auf erzieherischem Gebiet. Lernen doch die Kinder, die mit ihren Schulen scharenweise Ausflüge nach Freudental machen, das Leben sonst kaum bekannter Tierarten kennen, sie lieben und den Schöpfer im Geschöpfe ehren.

„Nun muss ich", schließt Herr Kamin, „noch des Skisports gedenken. Im Winter ist Freudental nicht nur Oase, sondern sogar Paradies. Sehen Sie, hier hinter dem Hause die Sprungschanze vom Ellakamm aus und das Skiheim, in dem die ermüdeten Läufer rasten können, sogar über Nacht. Advents- und Weihnachts-, Silvester- und Neujahresfeiern hält hier der Danziger Skiklub ab und jedes Jahr eine kleine Olympiade, zu der auch Gäste aus dem Reich und Polen zu friedlich sportlichem Wettbewerb erscheinen.

Endlich muss ich noch die leider eingegangenen Forellenteiche erwähnen, die früher zur alten preußischen Zeit von der Forstverwaltung Danzig bewirtschaftet wurden und deren Zucht weithin berühmt war. Jetzt sind nur noch einige wenige Nachkömmlinge vorhanden, die mir aber jedes Jahr noch eine anständige Mahlzeit liefern, die ich mit lieben Freunden bei einem guten Glase Wein zu mir nehme, ja, ja, so habe ich auch wenigstens etwas für mich privat neben dem ganzen öffentlichen Betrieb."

Nach einem Rundgang mit den Herren der Wildgartengesellschaft verabschieden wir uns von unserm plaudernden Führer und fahren durch den Schlangengrund, Mackensenweg und Husarenschlich über die Dicke Eiche im Henriettental zum Friedensschluss. Ein schöner Tag in der Oase ist zu Ende. Gern gedenken wir der „Idylle Freudental", wie des freundlichen Wirtes Kamin, den nun schon lange der Rasen auf dem stillen Olivaer Friedhof deckt.

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Viele Grüße aus dem Werder
Wolfgang