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Thema: Erinnerungen an die Mottlau

  1. #1
    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard Erinnerungen an die Mottlau

    Aus "Unser Danzig", 1954, Heft Nr.8, vom August 1954, Seite 13:


    Erinnerungen an die Mottlau
    Von Franz Moeller

    Du liebe alte Mottlau, welche Freuden hast du mir doch in meiner Kindheit und auch späterhin geschenkt! An deinen Ufern bin ich groß geworden und habe hier die längste und schönste Zeit meines Lebens zugebracht. Ich weiß es noch, wie du in vielen Windungen durch unser Werder schlichst. Von deinem Lauf zur Weichsel hin war kaum etwas zu merken. Damals breiteten sich an deinen Ufern niedrige Außendeiche aus, die dicht mit Weidengebüsch bestanden waren und bei andauerndem Regen und im Frühjahr bei der Schneeschmelze unter Wasser standen. Diese Außendeiche waren ideale Spielplätze für uns Kinder. Da konnten wir so schön Ritter und Räuber spielen. Dieses Idyll verschwand aber, als dein Lauf reguliert wurde. Das muss um die Mitte der achtziger Jahre gewesen sein, als ich zehn oder elf Jahre alt war. Weißt du es noch, du alte Mottlau, wie du in zwei großen Bogen an meinem Heimatdorf Sperlingsdorf vorüber zogst? Damals bildetest du noch die genaue Grenze zwischen Sperlingsdorf und Mönchengrebin, und zwar lag Sperlingsdorf an deiner rechten und Mönchengrebin an deiner linken Seite. Mit einem Bogen zogst du um das Schulgrundstück und mit dem bedeutend größeren um das Rentiergrundstück des Herrn Andres. Damals konnte sich unser Kapellchen noch nicht in deinen Fluten spiegeln. Es war für uns Kinder sehr interessant, die Ausschachtung des Kanals zu beobachten, der deine beiden Bogen abschnitt. Mit der ausgeschachteten Erde wurden diese zugeschüttet. Durch den neuen Kanal wurde auch bald der Weg durchstochen, auf dem wir Kinder zur Schule gelangten. Zu unserer Enttäuschung wurde der Unterricht deshalb nicht unterbrochen, über den neuen Durchstich wurden Bretter gelegt damit wir zur Schule gelangten. Wie der Graben immer breiter und tiefer wurde, war sein Überschreiten mit einer gewissen Gefahr verbunden. Daher ordnete der Lehrer an: „Ihr Kinder geht mir nur über den Graben, wenn ich dabeistehe.“ Nun habe ich erfahren, wie ein Lehrer ohne sein Wissen seinem Schüler ein Unrecht zufügen kann. Eines Morgens kam ich früher zur Schule, als unser Lehrer noch nicht am Laufsteg stand. Ich wollte nun warten. Aber einer der Arbeiter, wir nannten sie Baggerleute, sagte auf Plattdeutsch: „Komm man, min Jungske, ek woar di räwerdroage.“ Trotz meinem Sträuben trug er mich hinüber. Als der Lehrer mich nun im Schulzimmer erblickte, bekam ich meine Schelte weg. Nach ein paar Tagen ging es mir genau wieder so. Nun bekam ich tüchtige Prügel, obgleich ich doch gar nicht ungehorsam gewesen war, sondern nur zu schüchtern, um mich gegen den Baggermann zu behaupten. In Zukunft wartete ich nun immer in respektvoller Entfernung vom Laufsteg auf das Erscheinen des Lehrers.

    Ach, liebe Mottlau, welche Freude hast du uns Kindern doch geschenkt wenn du dich im Winter mit einer spiegelglatten Eisdecke überzogst! Da benutzten wir jede freie Stunde, um uns im Schlittschuh laufen zu üben. Allmählich konnte ich immer weitere Strecken auf dir zurücklegen. Wie stolz war ich, als ich zum erstenmal über Landau, Scharfenberg, Nassenhuben und Hochzeit bis zum Kramskrug laufen konnte. Das war die Gaststätte in dem Dorfe Krampitz, dicht an der Mottlau und an der Mündung der Laake und der Alten Radaune gelegen. Sie war auch das beliebte Ziel der Danziger Schlittschuhläufer. Bei guter Eisbahn und schönem Wetter war hier Hochbetrieb, und da erwachte das Gasthaus für kurze Zeit aus seinem Dornröschenschlaf.

    In der damaligen Zeit waren die Werderaner viel eifrigere Eisläufer als späterhin. Da hatte jeder Mann, ob alt oder jung, seine Holzschlittschuhe, die mit Riemen festgeschnallt wurden. Gerade die älteren Werderaner brachten es im Eislauf zu großer Fertigkeit. Sie waren keine Kunst-, sondern Streckenläufer. Man sah sie nur mit der Pike laufen, die sie stets in einer Hand hielten. Sie verstanden es, in großen, weiten Bogen über die Eisfläche zu gleiten und den Körper dabei hin und her zu wiegen. Wir Jungens bewunderten diese Kunst. Wenn wir einen besonders guten Läufer loben wollten, dann taten wir es in plattdeutscher Sprache: „De kann sone Boage schnide, dat dat rächte Ohr Schnee schäpt" (helles, kurzes ä lang gezogen). Für uns Jungens war es Ehrensache, uns plattdeutsch zu unterhalten. Wir fühlten uns dadurch mehr als heranwachsende Männer.

    Auch im Sommer, liebe Mottlau, hast du uns so viel Freude geschenkt. An heißen Tagen badeten wir Jungen eifrig. Das war nicht ganz ungefährlich, denn in der Mitte warst du über zwei Meter tief. Ohne Anleitung habe ich dabei das Schwimmen gelernt. Anfangs übte ich nur in der Nähe des Ufers und wagte mich allmählich weiter ins tiefe Wasser. Wer von uns Jungens bis ans andere Ufer schwimmen konnte, wurde von den andern bewundert und beneidet. Ich wagte es, nur bis in die Mitte zu schwimmen und kehrte dann wieder um. Aber einmal musste das Wagnis doch gelingen. Um mir die Angst zu nehmen, nahmen meine Spielkameraden mich an die Leine. Ich machte mit ihnen ab: „Wenn ich nicht weiter kann, werde ich rufen und dann zieht mich zurück. Als ich nun schon bis über die Mitte geschwommen war, bekam ich es mit der Angst und rief: „Ich kann nicht mehr!" Als die Jungen mich nun zurückzogen, verschwand ich wie ein Blitz im Wasser. Wie ich bis ans Ufer geschleift war, muss ich wohl schon die Augen verdreht haben und war froh, als ich wieder das Tageslicht erblicken und frei atmen konnte. Seit der Zeit bin ich dann immer ohne Leine über die Mottlau geschwommen.

    Ja, liebe Mottlau, und das Bootfahren, was für eine Freude war das für uns! Am liebsten ruderten wir bis zur Riedwand. Dieses merkwürdige Bauwerk stammte aus der Zeit des deutschen Ritterordens. Das ist ja bekannt, dass die Ritter in Herrengrebin eine Burg bauten. Um eine Wasserkraft zu haben, die ihre Kornmühle trieb, leiteten sie die Kladau hierher. Das war eine gewaltige Arbeit. Von dem auf der Höhe gelegenen Dorfe Langenau schütteten sie einen riesigen Wall auf, der durch die niedrigen Moorwiesen des Werders bis zur Mottlau führte In diesem Damm befand sich das Flussbett der Kladau, das dadurch bedeutend höher lag als das von ihr durchflossene Gelände. Da die Ritterburg an der anderen Seite der Mottlau lag, musste die Kladau über sie geführt werden. Dazu bauten die Ritter einen Kasten aus dicken Eichenbohlen über die Mottlau. In diesen strömte nun die Kladau weiter, und zwar in einem großen Bogen um den Burgpark und dann in die Mottlau. An dieser Stand die Mühle, deren Wasserrad der Kladaustrom in Bewegung setzte, um dann in einem zwei Meter hohen Wasserfall in die Mottlau zu stürzen. Späterhin, es mag kurz vor dem ersten Weltkrieg gewesen sein, wurde die Riedwand abgebrochen und das Wasser der Kladau in großen Rohren durch die Mottlau geleitet. Dadurch ist unsere Heimat um ein Idyll ärmer geworden.

    Also bis zu dieser Riedwand ging unsere Kahnfahrt. Der Holzkasten war aber nicht ganz wasserdicht. An verschiedenen Stellen schössen dünne und auch stärkere Wasserstrahlen in die Mottlau. Viel Spaß machte es uns, unter der Riedwand hindurchzufahren. Dabei musste man sich ganz tief ins Boot ducken, um nicht mit dem Kopf an einen Balken zu stoßen. Auch den Wasserstrahlen musste man geschickt ausweichen Das gelang aber nicht immer, und die Bootsinsassen kreischten und schalten auf den ungeschickten Steuermann, wenn ein Wasserstrahl in das Boot schoss und die vom Strahl Getroffenen eine unfreiwillige Taufe erdulden mussten.

    Weißt du auch, liebe Mottlau, dass du einige Jahre ein Dampferchen auf deinem Rücken getragen hast, das von Herrengrebin nach Danzig fuhr und in Mattenbuden anlegte? Das kann in den neunziger Jahren gewesen sein. Damals fuhr noch keine Kleinbahn durch unser Werder und es führte auch keine Chaussee an deinen Ufern entlang nach Danzig. Wenn in regennassen Sommern, besonders aber im Herbst und Frühjahr, die Wege aufgeweicht waren, dann war es kaum möglich, mit einem Fuhrwerk durchzukommen. Der werdersche Lehm hat es in sich. Wie zäher Kleister haftet er an den Rädern. Er verklebt ihre Speichen so, dass sie wie große Mühlsteine aussehen. Der geplagte Wagenführer musste dann in den grundlosen Matsch steigen und die Räder mit einem Stock von ihrer Last befreien. Die an der Mottlau liegenden Dörfer, besonders Landau, Scharfenberg, Hochzeit und Nassenhuben, waren dann vom Verkehr so gut wie abgeschnitten. Für ihre Bewohner war es nun eine willkommene Erleichterung, mit dem Dampfer bequem nach Danzig zu fahren. Weißt du noch seinen Namen, alte Mottlau? „Nautilus" hieß er, nicht wahr? Die Firma Habermann war die Leiterin des Unternehmens.

    Weißt du noch, liebe Mottlau, wie der Dampfer vor jeder Brücke eine Verbeugung machte? Das heißt, vor jeder Durchfahrt musste der Schornstein umgelegt werden und konnte sich nachher stolz wieder aufrichten. Besonders im Frühling und Sommer war es für alle Fahrgäste ein wunderbarer Genuss, auf deinem Rücken, du alte Mottlau, durch unser schönes, fruchtbares Werder zu fahren.
    Nun trennen mich schon viele Jahre von dir. Der schreckliche Krieg hat uns von deinen Ufern vertrieben; aber aus dem Paradies der Erinnerung kann uns keine Macht vertreiben.

    Dich, meine liebe Mottlau, einst wiederzusehen, darauf darf ich bei meinem hohen Alter von 79 Jahren wohl nicht mehr hoffen. Oder doch? Dieses Glück wäre gar nicht auszudenken.

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    Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgte mit freundlicher Genehmigung des "Bundes der Danziger" in Lübeck.

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    Viele Grüße aus dem Werder
    Wolfgang
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  2. #2
    Forum-Teilnehmer Avatar von sinus
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    Standard Erinnerungen an die Mottlau

    Danke, Wolfgang, für diesen wunderschönen Bericht von Franz Moeller.
    Franz Moeller war auch mit meinen Vorfahren aus Mönchengrebin und Sperlingsdorf verschwägert, deshalb freue ich mich besonders darüber.
    Aber auch, dass er zwei Ereignisse zweitlich einigermaßen genau eingeordnet hat, über deren Zeitpunkt ich bisher noch nichts gefunden habe, nämlich die Begradigung der Mottlaubögen bei Sperlingsdorf und den Abbruch der alten Riedwand an der Kladauquerung.
    Franz Moeller soll ja sehr viel über die alte Heimat geschrieben haben. Hast Du etwa noch mehr davon???

    Herzliche Grüße aus Mecklenburg
    sinus

  3. #3
    Forumbetreiber Avatar von Wolfgang
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    Standard

    "Unser Danzig" hatte viele Stammautoren. Ich denke, es wird sich dort noch weiteres finden lassen. Ich halte auf jeden Fall die Augen offen.
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  4. #4
    Forum-Teilnehmer Avatar von sinus
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    Standard Sperlingsdorfer Schule

    Hallo, Wolfgang,

    na, mit der Geschichte der Sperlingsdorfer Schule hast Du ja schon einen Treffer gelandet. Danke schön.

    Herzliche Grüße aus Mecklenburg
    sinus

  5. #5
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    Standard AW: Erinnerungen an die Mottlau

    Hallo Wolfgang,
    wenn auch Dein Beitrag zur Mottlau schon etwas zurückliegt, möchte ich dem Verfasser, besser Autoren, im Namen meines Vaters (der inzwischen leider verstorben) beiflichten. Dieser hatte
    zu Lebzeiten immer von der Mottlau geschwärmt, wo er als Kind -seine Eltern führten unweit der Mottlau den Knüppelkrug in Quadendorf- im Sommer wie im Winter seine Freiheiten genießen konnte. Im Sommer das Angeln und Schwimmen, im Winter das Schlittschuhlaufen.
    Grüße aus Hessen von Wolfgang II

  6. #6
    Forum-Teilnehmer Avatar von sinus
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    Standard AW: Erinnerungen an die Mottlau

    Hallo, Freunde der Mottlau,

    Zu dem beliebten Ausflugsziel Krampitz - Kramskrug gab es regelmäßgen Bootsverkehr auf der Mottlau von Danzig aus. Hier ein Fahrplan von 1894, den ich in der Danziger Zeitung vom 11.05 1894 gefunden habe.

    Herzliche Grüße aus Mecklenburg
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  7. #7
    Forum-Teilnehmer Avatar von sinus
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    Standard AW: Erinnerungen an die Mottlau

    Hallo,

    nochmal Krampitz. Auch im Winter war da was los, wie ein Inserat vom 31.12.1890 in der Danziger Zeitung belegt.

    Herzliche Grüße aus Mecklenburg
    sinus
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  8. #8
    Forum-Teilnehmer Avatar von sinus
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    Standard AW: Erinnerungen an die Mottlau

    Hallo, Freunde der Mottlau,

    in Wolfgangs Startbeitrag #1 ist von einem Dampferchen zwischen Herrengrebin und Danzig die Rede.
    Ich habe jetzt in der Danziger Zeitung vom 03.10.1890 den Beweis dafür gefunden. Die Fa. Habermann, die verschiedene Dampfboots-Linien fuhr, betrieb auch diese Linie.

    Herzliche Grüße aus Mecklenburg
    sinus
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