Aus "Unser Danzig", Heft Nr.12, vom 20.06.1959, Seite 14:

Ein Hexenprozess ...

Das oft gepriesene Mittelalter hatte viel Grausamkeiten und menschenfeindliches Tun zu verzeichnen, und es erscheint deshalb fast unverständlich, dass in diesem makabren Treiben trotzdem noch unvergängliche Werke der Kunst und Gelehrsamkeit geschaffen wurden, die bis heute erhalten sind. Das schwärzeste Kapitel dieser Zeit sind die damaligen Hexenverfolgungen. Legion war die Zahl der unschuldig gemarterten und gemordeten Frauen, Männer und Kinder, auch in unserer östlichen Heimat. Erst die beginnende Reformation schien dem Humanismus zum Siege zu verhelfen, doch auch dann noch flackerte irgendwo der Hexenwahn im deutschen Vaterlande von neuem auf, den Betroffenen Tod und Verderben bringend. Bezeichnend hierfür ist das königliche Edikt für Preußen vom 13. Dezember 1714, nach dem die Tortur in Hexenprozessen zwar angewendet werden durfte, aber nur, wenn dazu vorher die königliche Erlaubnis eingeholt war. Hieb- und stichfeste Argumente waren stets leicht bei der Hand. Um trotzdem human zu erscheinen, wurde mit dem gleichen Edikt die Abschaffung aller Brandpfähle, an denen man bisher Hexen verbrannte, befohlen. Und das geschah im 18. Jahrhundert, das sich stolz das aufgeklärte nannte.

Aber auch das folgende 19. Jahrhundert hat noch eine mittelalterliche Hexenverfolgung hervorgebracht, und zwar in Form einer Volksjustiz. Diese verabscheuungswürdige Tat hat sich vor 120 Jahren in unserer engeren Heimat zugetragen. Im Jahre 1837 lebte im Dorfe Heisternest auf der Halbinsel Hela eine junge Witwe namens Keynow mit ihrem kleinen Söhnchen. Schlecht und recht verdiente sie ihren Unterhalt durch Hilfeleistungen bei den Bauern und Sammeln von Heilkräutern, die sie für ein paar Pfennige an die Danziger Apotheken verkaufte. Sie war still und bescheiden und genoss Achtung im Dorfe ihres guten Lebenswandels wegen. Nun brach zur selben Zeit in Heisternest eine Seuche aus, von der fast alle Einwohner ergriffen wurden. Furchtlos ging die junge Frau von Haus zu Haus, pflegte die Kranken und reichte ihnen, sie war ja kräuterkundig, Heiltränke aus selbst gesammelten Kräutern, Viele konnte sie vor dem Tode bewahren, aber ein großer Teil der Einwohner wurde doch dahin gerafft. Unter den Verstorbenen war der älteste Sohn eines reichen Bauern aus dem Dorfe, den die junge Witwe auch gepflegt hatte. Der Vater hatte allerdings Zorn auf die junge Frau, weil sie seinen Sohn, der ihr in Liebesdingen nachstellte, abgewiesen hatte. Als nun sein Sohn auf der Totenbahre lag, wollte sich der Alte an der jungen Frau rächen. Im Dorfe erhob er ein großes Geschrei, dass Frau Keynow seinen Sohn mit ihren Tränken behext habe, weil sie dessen Seele an den Teufel verschrieben hätte, um ihre eigene zu retten, und dergleichen mehr Anschuldigungen. Bei den geängstigten Dorfbewohnern fielen solche ketzerischen Reden auf fruchtbaren Boden. Jetzt begann das Gerede. Der eine und der andere wollte sie in der und der Gestalt gesehen haben, ihre Fürsorge bei den Kranken sei nur teuflische List gewesen, dem Bösen Seelen zu gewinnen, sogar auf einem Besen reitend habe man sie gesehen. Kurz und gut, bald sprach man im Dorfe nur davon, dass die Witwe Keynow eine Hexe sei. Und eines Tages rotteten sich die Dörfler unter Anführung des alten Bauern zusammen, ergriffen die ahnungslose Frau und schleppten sie zum Seestrande. Alles Flehen und alle Beteuerungen halfen nichts, erst ein Gottesurteil, die Wasserprobe, sollte den Beweis erbringen, dass sie unschuldig sei. Brutal band man ihr den linken Arm mit dem rechten Fuß und den rechten Arm mit dem linken Fuß mit Stricken zusammen, und warf sie in die See, den weiteren Verlauf gespannt beobachtend. Verzweifelt machte die Ertrinkende alle Anstrengungen, sich über Wasser zu halten, und das war für alle Zuschauer der beste Beweis, dass sie eine Hexe sei. Die unglückliche Frau wurde wieder aus dem Wasser gezogen und am Strande mit Knüppeln totgeschlagen. Und jetzt drohte keine Gefahr mehr von der vermeintlichen Hexe.

Die Schandtat wurde bald ruchbar. Alle Beteiligten wurden verhaftet und nach Danzig gebracht. Der damalige König Friedrich Wilhelm IV. setzte sich persönlich dafür ein, dass ihnen sofort der Prozess gemacht wurde. Sehr harte Strafen sprach das Gerichtsurteil, aber die junge Frau und Mutter konnte dadurch nicht mehr zum Leben erweckt werden. Außerdem wurde dem Dorfe zur Strafe die lebenslängliche Pflege des Hinterbliebenen Waisleins gerichtlich zudiktiert. Durch die schlechte Behandlung der Dorfbewohner, die in dem kleinen Kinde den „Teufelsbankert“ sahen, war der Junge schwachsinnig geworden und zur Arbeit nicht mehr tauglich. Er ist hochbetagt im Oktober 1905 verstorben. - Das war der letzte Hexenprozess in Deutschland, geschehen im 19. Jahrhundert.

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Wolfgang