Aus "Unser Danzig", Heft Nr.4, vom 20.02.1959, Seite 17:

Zoppoter Winterfreuden...
von Hans Heidingsfeld

Als ich noch ein kleiner Bonschke war, so um die Jahrhundertwende herum, gab es im Zoppoter Kurgarten alljährlich eine Eisbahn. Das war noch die Zeit des alten Kurhauses und seiner hölzernen Kolonnaden. Es erschien dann, manchmal schon vor Weihnachten, wenn der Frost anhielt, der alte Mach, der Vater des späteren Tennistrainers, mit seinen Tennisplatzarbeitern, baute einen provisorischen Zaun mit einem Zugang neben der südwestlichen Eingangshalle zum Kurgarten und stellte Bänke auf. Für die Fußwanderer zum Steg und für die Zuschauer blieb dann im Südosten immer noch ein genügend freier Raum übrig. Natürlich musste gespritzt werden, und das geschah alle Abende wieder neu. Manchmal wurde freilich alles wieder zu Wasser, aber zumeist hatten wir ja einen gleich bleibenden Frost oft bis in den März hinein.

Natürlich war diese Eisbahn der Tummelplatz der gesamten Zoppoter Jugend, die es weniger auf Kunststücke als auf wildes Umherjagen abgesehen hatte und dabei „Greifchen“ spielte. Die etwas Älteren, vor allem natürlich die angehenden Jünglinge und Jungfrauen flanierten mit mehr oder weniger geschicktem Bogenschlagen um die Mittelrabatte herum. In die Ecken des Eisplatzes zogen sich die zurück, die sich in besonderen Kunststücken übten, auch im Springen, im Fahren von Achten und paarweise auch im Tanz. Zwischendurch sah man Erwachsene, die sich der hilflosen Anfänger annahmen.

Der alte Labudda, eine stadtbekannte Persönlichkeit, hat meinen Freunden und mir die Anfangsgründe beigebracht. Er hatte stets ein Rudel Lernbegieriger um sich. Eines Tages stand in der Zeitung, der alte Labudda sei gestorben. Jemand hatte sich mit dieser Anzeige einen üblen Scherz erlaubt, denn Labudda erfreute sich in seiner Wohnung in der Nordstraße, etwa gegenüber dem späteren Casinohotel, bester Gesundheit. Er konnte also nun genau feststellen, welcher Wertschätzung er sich erfreute, denn die Kränze und Beileidsschreiben kamen ihm ja alle zu Gesicht. Die „Zoppoter Zeitung“ hat nach diesem Erlebnis nur noch Todesanzeigen aufgenommen, wenn die Sterbeurkunde vorgelegt wurde.

Natürlich liefen wir alle mit stählernen Schlittschuhen, die allabendlich sorgfältig getrocknet und eingefettet werden mussten. Nur einige Erwachsene hatten vernickelte, und Herr Labudda solche nach Norweger-Art mit aufgebogenen Spitzen. Am Schuh festmontierte Schlittschuhe gab es damals noch nicht, und unsere Bekleidung war zwar winterlich, aber mit der heutigen sportlichen nicht zu vergleichen.

War einigermaßen Schnee gefallen, so wurde auf allen nur möglichen schiefen Ebenen der Straßen sofort Schlitten gefahren, doch dauerte das Vergnügen meist nur so lange, bis die Streumänner kamen oder ein Polizist uns verjagte. Wir zogen uns danach zunächst auf den schmalen Herbertsteg jenseits der Königstraße zurück, der allerdings mit seinen zwei Kurven allerlei Hindernisse barg. Aber lang hat das Vergnügen auch dort nicht gedauert, weil sich Spaziergänger über uns beschwerten. Wir zogen dann hinten ins Schidlitztal links herum den Waldweg hinauf, der zum kleinen Stern führte. Hier war zwar auch eine rechtwinklige Kurve zu nehmen, aber die Bahn war breiter und es gab weniger Zusammenstöße mit denen, die bergauf stiegen. Hier war man auch wundervoll gegen Winde geschützt.

Eines Tages verjagte der Förster uns auch von dort, und da zogen wir dann auf den neu angelegten Fußgängerweg der frisch angeforsteten Prompken-Höhe, also dort, wo später das Kriegerdenkmal mit dem „eierlegenden Adler“ errichtet wurde. War der Weg hinten im Schidlitztal manchem zu lang und beschwerlich gewesen, so gab es nun hier ein sehr erhebliches Gedränge zwischen Zuschauern, Aufsteigenden und Abfahrenden. Hier waren auch alle Schlittenarten vertreten. Die meisten waren mit Kufen, Gestell und einer Rücklehne aus Eisen ausgestattet und hatten einen Holzbrettsitz. Manche fuhren sogar in Stuhlschlitten, denen die Seitenlehnen abmontiert waren. Die Arbeiterkinder hatten Holzschlitten mit Brettkufen, wie sie zum Holz- und Reisigtransport auch sonst in Zoppots Straßen zu sehen waren. Bald tauchten auf dieser Bahn die ersten richtigen Riesengebirgsschlitten ganz aus Holz auf, Zwei-und Dreisitzer meist. Ich glaube, ich war einer der ersten, die einen solchen hatten, weil schlesische Verwandte mich damit beschenkten. Mindestens ebenso häufig aber wurden dann etwas niedere und kleinere Zwei- und Einsitzer gefahren, die einen Brandstempel „Davos“ trugen. Sie hatten ein eisernes Untergestell und als Sitz dienten Holzstäbe.

Allmählich wurde auch hier das Gedränge unerträglich, und so entschlossen sich die Zoppoter Stadtväter zu einer Abhilfe. Hinter der städtischen Ziegelei, die vormals dem Gutsbesitzer Goeldel gehört hatte, und dem Schützenhaus, das sich am Waldrande die Bürgerschützen errichtet hatten, war in einer Waldsenke mit nur wenig Erdbewegungen ein Sport- und Spielplatz für die Zoppoter Schuljugend hergestellt worden. Nun wurde quer über diesen Platz dadurch eine Rodelbahn geschaffen, dass im Westen ein wallgeschützter Ablauf und im Osten ein ebensolcher Auslauf mit recht günstigen Gefällverhältnissen entstanden. Die Aufsteigenden und die Zuschauer brauchten nun auch nicht mehr entlang der Fahrbahn zu balancieren, sondern marschierten durch den Wald quer über die spätere Waldfestspielbühne. Das war nun eine ganz erstklassige Rodelbahn, die natürlich nicht nur alle Zoppoter anlockte, sondern auch Danziger, Langfuhrer und Olivaer. Hier habe ich dann zum erstenmal - es muss etwa 1907 gewesen sein - richtige Bobs gesehen, die von Danziger Kriegsschülern, die in hellen Scharen hier erschienen, gefahren wurden. Auf der Bahn selbst herrschte eine musterhafte Ordnung durch ständige Aufsicht am Start und am Auslauf, und hier wurden Geschwindigkeiten erreicht, wie sie bis dahin uns Zoppotern unbekannt waren, denn es fehlten ja alle Kurven.

Das Bürgerschützenhaus war eine große Verlockung und bequem für alle Wärmebedürftigen und die, die sonst eine Erfrischung brauchten. Besonders die Sonntage waren ganz groß, und oftmals erschien der Zoppoter Fotograf Kergel, der Gruppenaufnahmen machte, die heute noch in manchem Erinnerungsalbum kleben mögen. Es war dies die Zeit für mich, in der wir die Tanzstunde besuchten und so mancherlei Freundschaften sich anbahnten, die ein ganzes Leben lang gehalten haben. Der gegenseitige Verkehr auf der Rodelbahn, das Zusammensitzen auf den Schlitten geschah mit jener sportlichen Freiheit (und trotzdem Anstand), wie es sie vorher nicht gegeben hatte und wie es unserer heutigen Jugend zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
So um 1909 herum bin ich der Rodelbahn untreu geworden und habe mich mit meinen Freunden beiderlei Geschlechts einer neuen Sportart zugewendet, dem Skilauf, den man damals Schneeschuhlauf nannte. Wir hatten sehr bald entdeckt, dass der Schidlitzkegel hinter der Prompkenhöhe die allerbesten Möglichkeiten bot. Hier wurde dann auch fleißig geübt, und man konnte ganz ungehindert abfahren. Die Fußgänger hielten sich am Waldrande. Das machte uns allen große Freude, wenngleich natürlich wir gute Miene dazu machen mussten, als eines Tages ein Student, der die Abfahrten im Riesengebirge kannte, die Höhe, auf die wir so stolz waren, einen Idiotenhügel nannte. Uns aber hat dieser Berg vollauf genügt, denn wir fuhren ja nicht, um Rekordzeiten zu erzielen, sondern um uns zu erfreuen und zu erfrischen, um unserer Gesundheit willen. Das geschah alles in der ersten Zeit noch mit;unserer üblichen Winterbekleidung und nicht in dem heute üblichen Sportdress.

Bald aber machte auch uns, als der „Idiotenhügel“ immer bevölkerter wurde und wir einige Geschicklichkeit erlangt hatten, das Abfahren immer von demselben Berge keinen Spaß mehr. Wir haben dann unseren Weg meist über den kleinen Stern zum großen und von dort zu den Förstereien Grenzlau und Taubenwasser und schließlich auch nach Renneberg und Oliva genommen. Oft machten wir eine große Schleife und beendeten unsere Tour schließlich auf unserem geliebten Schidlitzkegel bei oft nur sehr spärlichem Licht zu einer abschließenden Abfahrt. Das machten übrigens vielfach auch die Danziger und Langfuhrer Läufer, die im Henriettental oder hinter Oliva zu einem Langlauf nach Zoppot gestartet waren. Wenn dann längere Zeit kein frischer Schnee mehr gefallen war, waren alle Wege, Stege, Abfahrten und Felder mit Schneeschuhspuren durchfurcht.

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Wolfgang