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Thema: Meine Zeit in Neuteich

  1. #1
    Forum-Teilnehmer Avatar von jonny810
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    Daumen hoch Meine Zeit in Neuteich

    Es war im Frühjahr 1944. Da hieß es plötzlich, "wir müssen packen"denn wir evakuieren. Zwar wußte ich noch nicht was evakuieren ist, aber es hörte sich spannend an und das war was für Papa's Erchen.(Erhart). Mutter packte das Notwendigste,und ab ging es mit der Bahn nach
    Neuteich - Abbau. Dort standen dann am Bahnhof einige Bauern mit Pferdewagen und dann wurden wir dem Bauern "Bergmann" zugeteilt. Wie erfreut Herr Bergmann über seine Fracht war, das merkten wir sofort. Er gönnte weder Mutter, noch uns Kindern auch nur ein einziges Wort. Mir war zu der Zeit auch der unbefestigte Feldweg egal, Hauptsache "Pferdewagen" fahren. Das sollte sich bald ändern, denn als wir bei der Schule angemeldet waren hieß das, jeden Morgen bei Dunkelheit, 5 Km zur Schule hin, und im Hellen 5 Km. zurück auf's Land. Für einen Sechsjährigen kein Kinderspiel. Aber es war neu und wir haben als Stadtkinder unsere spannende Zeit gehabt.
    Damals wurden die Herrschaften vom polnischen und russischen Personal noch mit "gnädige Frau bzw. gnädiger Herr" angesprochen. Auch das waren für uns ganz neue Erfahrungen.
    Herr Bergmann hatte einen Deckhengst namens "Hans".
    Ein recht temperamentvoller Bursche. Das Tier hatte insgesamt 3 Aufgaben. 1. Die Pferdedamen zu Müttern machen,
    2. zu Fressen und Saufen
    3. Den nüchternen Herrn Bergmann im Hellen in die Stadt zu bringen und nachts den volltrunkenen Herrn Bergmann wieder per Dockart zu Hause abzuliefern. Es geht eben nichts über ein geregeltes Leben.
    Das Tag für Tag.Das Tier kannte den Weg im Dunkeln. Der gnädige "Herr" wurde vom Personal in das Haus gebracht und Halina buxierte Ihn ins Bett.
    Im Herbst 44 kamen wir dann zurück nach Danzig, da es in Neuteich angeblich zu gefährlich für uns wurde. Dafür durften wir den Rest des Krieges im Bunker in der Baumgartschen Gasse verbringen und wurden mit MP's von unseren mongolischen Befreien begrüßt. So sind meine ziemlich genauen Erinnerungen geblieben und Niemand kann sie mir nehmen.
    Übrigens war ich zwischenzeitlich schon 2x in Neuteich.
    Außer ein paar Backsteinbrochen ist von den Gehöften - Bergmann, Lehmann und noch ein Hof, dessen Namen mir nicht mehr gegenwärtig ist nicht mehr zu sehen!
    Euer Erhart, der Radaunespucker vom Schüsseldamm
    Geändert von jonny810 (25.02.2008 um 13:44 Uhr)

  2. #2
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    Standard Pferde

    Hübsch. Also nicht die Evakuierung. Aber die Pferdegeschichte. Erinnert mich an die Erzählungen meiner Großmutter über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Da ging es morgens mit den Großonkels per Fuhrwerk und der treuen Lotte von Kunzendorf (Kończewice) zum Markt nach Dirschau. Und abends fand Lotte den Weg dann allein zurück - auf dem Wagen die betrunkenen Onkels ("volljedschummt" oder so hieß das glaube ich in Omas Sprache - ist das Werderaner Platt ?).
    Der Respekt vor dem Pferdegedächtnis wird allerdings etwas gemindert, wenn man den Weg bedenkt. Es handelt sich hier ab der Dirschauer Weichselbrücke nach Kunzendorf praktisch um eine kreuzungsfreie, alternativlose, breite und baumbestandene Chaussee (frühere Reichsstraße 1). Verlaufen geht kaum. Andererseits hätte das Tier aber ja auch gerade nach Marienburg weiterlaufen können. Oder gar nach Königsberg. Dann Erbarmung ! (was wohl aber eher kein westpreussischer Ausdruck ist).

  3. #3
    Forum-Teilnehmer Avatar von NOWYSTAW
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    Standard AW: Meine Zeit in Neuteich

    Ich habe noch einmal deinen Bericht vomKriegsjahr 1944 gelesen, Erhart, sehr interessant! Schade, dass von dem Bauernhof 'Bermann' nichts mehr zu sehen war. Zu interessant waren es gewesen, was aus den Bauersleuten geworden ist.
    Viele Grüße Marion!
    Alles hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde; Bibeltext Pred 3,1-22

  4. #4
    Forum-Teilnehmer Avatar von jonny810
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    Themenstarter

    Standard AW: Meine Zeit in Neuteich

    Noch eine kleine Randgeschichte aus der Zeit.

    Wir hatten in der Schule ein Fräulein "WRANNA". So hieß unsere Lehrerin in der 1. Klasse mit Hausnamen.
    Sie war wirklich nicht mehr die Jüngste, dafür aber ledig.
    Diese Dame hätte in jedem Witz-Blatt die Seite 1 geschmückt.
    Die sah schon so aus, als wolle Sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken.
    Eine sogenannte Entwarnung-Friesur. Alle Haare nach oben gekämmt und dann Alles mit Kämmen, Spangen und Nadeln verankert.
    Um den Hals eine Schnur, an der ein MONOKEL bammelte. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie dieses Hilfsmittel jemals genutzt hätte.
    Aber für eine Dame von Welt gehört es sich, ein Monokel zu haben und zu zeigen.
    Dann die Aussprache dieser Dame, ein Genuss. Die konnte nur aus einer "Sprachschule" oder Schauspielschule getürmt sein.
    Darin waren wir Knirpse uns alle einig.

    Jetzt das Verhängnis:

    In der Pause sagte ich in der Meute "die Wranna ist eine alte Ziege".
    Einer meiner Kumpel konnte es nicht für sich behalten und so wurde Frl. Wranna informiert wie hoch ich sie wertschätzte.
    Die Pause war vorbei und wir marschierten händehaltend in die Klasse zurück..

    Frl. Wranna machte keinen fröhlichen Eindruck und nach dem Komando "Alle setzen" bat sie mich nach vorne. Ich ahnte Schlimmes und hatte Recht.

    So-so, ich bin also eine alte Ziege, ja?

    Na schön. Dann spreche mir bitte einmal laut und deutlich nach- "ich bin ein alter Mistkäfer" . Was blieb mir anderes übrig als es zu wiederholen.

    Somit war Ihr die Rache geglückt. Seit diesem Zeitpunkt war ich in der Klasse nicht mehr der Erhart, sondern einfach "DER MISTKÄFER"!!

    (nur gut, dass wir wieder zurück nach Danzig evakuiert wurden)
    Es grüßt herzlich, Erhart vom Schüsseldamm.
    "Nec Temere - Nec Timide"
    Eine Freundschaft ist das, was man aus ihr macht. EKJ

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