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Thema: Reise in die Vergangenheit - St. Albrecht

  1. #1
    Forum-Teilnehmer Avatar von joachimalfred
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    Standard Reise in die Vergangenheit - St. Albrecht

    Teil 1 von 2
    Aus Platzgründen wurde der Bericht geteilt!

    St. Albrecht war schon in meiner frühen Kindheit meine zweite Heimat in Danzig.
    Hier waren wir, meine Schwester und ich, sehr oft mit unserer Mutter bei ihren Eltern, Leo u. Adeline Kollendt, die eine Gärtnerei im Hundertmarkweg 4 hatten, zu Besuch.
    Als wir dann schon etwas größer waren, blieben wir auch mach des Öfteren einige Wochen bei unseren Großeltern.
    Für mich war es immer etwas Besonderes, wenn ich alleine von Heubude mit der Straßenbahn zum Heumarkt oder zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Bus oder mit dem Zug nach St. Albrecht fahren durfte. Ich kannte alle Haltestellen und Stationen.
    Bei einer meiner ersten Fahrten nach der Wende ließ ich mich mit einem Taxi von Danzig nach St. Albrecht fahren, aber zurück wollte ich dann zu Fuß nach Danzig gehen. Es muss wohl sehr komisch ausgesehen haben, denn aus den vorbeifahrenden Autos konnte ich oft ein mitleidiges Lächeln sehen. Bis nach Ohra kam ich, dann war meine Kondition am Ende. Das nächste Taxi war mein.
    Bei diesem Marsch wurden wieder Erinnerungen in mir wach. Wie viele Male sind wir nach dem Zusammenbruch von Heubude mit dem Handwagen nach St. Albrecht und zurück gefahren, um von dort Lebensmittel zu holen. Wenn wir dann Glück hatten, wurden wir nicht bestohlen, nicht von Deutschen und nicht von Polen.
    Heute fuhren wir mit unserem polnischen Freund Jurek mit seinem Auto an Petershagen und Stadtgebiet vorbei, durch Ohra, nach St. Albrecht.
    Hier wollte ich im Kirchenarchiv nach Urkunden über meine Großeltern, Franz Leo und Adeline Kollendt und deren Verwandte, suchen, denn meine Eltern haben bei der Vertreibung nach Kriegsende keine Papiere und Urkunden retten können.
    Wir waren nicht angemeldet und trafen den dortigen Pfarrer vor seiner Kirche sehr geschäftig bei Renovierungsarbeiten an seiner Kirche. Einige Leute halfen ihm dabei. Nach einem kurzen Gespräch zwischen Jurek und dem Pfarrer wurden wir gebeten, in einer Stunde noch einmal vorbei zu kommen, dann würde er sich etwas Zeit für uns nehmen.
    Wir fuhren dann zum ehemaligen Anwesen meiner Großeltern, Hundertmarkweg 4,
    direkt hinter dem Damm von der alten Radaune.
    Ich kannte das Anwesen schon aus meinen früheren Danzigreisen, und so war ich durch nichts mehr zu überraschen, ich wusste was mich hier erwartete. Hier ist die Zeit seit 1945 wirklich stehen geblieben. In den letzten Jahrzehnten ist an den Gebäuden, Haus, Stall, Scheune und Gärtnerei, fast nichts getan worden, alles noch wie früher. Das ganze Anwesen ist abgewirtschaftet, die Gebäude sind abbruchreif die Felder liegen brach, sie sind unbewirtschaftet. Ich glaube, wenn die jetzigen alten Bewohner nicht mehr leben, wird sich keiner mehr für das Anwesen interessieren, es wird verkommen.


    In den Jahren davor hatte ich es nie gewagt, das Anwesen betreten, zu wollen, ich hatte immer ein ungutes Gefühl. Diesmal bat ich Jurek als unseren Dolmetscher, doch einmal mit den Bewohnern über meinen Wunsch zu reden.
    Jurek kam nach längerer Zeit zu zurück und teilte uns nur mit, dass die anwesende alte und gebrechliche Bewohnerin es nicht gestattet habe, sie möchte es nicht, da sie sich schäme. Schade, ich wollte doch nur meine Kindheitserinnerungen auffrischen.
    Auch ich hatte danach keinen Wunsch mehr, das Anwesen zu besichtigen, ich glaube, es war auch für alle besser so.

    Den Reisebericht musste ich aus Platzgründen teile. Der 2. Teil folgt anschließend!

    Im Oktober 2007
    Werner Macziey, ein alter Heubuder aus Lübeck an der Ostsee
    (joachimalfred)

  2. #2
    Forum-Teilnehmer Avatar von joachimalfred
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    Standard Reise in die Vergangenheit 2007 Teil 2v.2

    Teil 2 von 2
    Aus Platzgründen wurde der Reisebericht geteilt!

    ………. Jurek kam nach längerer Zeit zu zurück und teilte uns nur mit, dass die anwesende alte und gebrechliche Bewohnerin es nicht gestattet habe, sie möchte es nicht, da sie sich schäme. Schade, ich wollte doch nur meine Kindheitserinnerungen auffrischen.
    Auch ich hatte danach keinen Wunsch mehr, das Anwesen zu besichtigen, ich glaube, es war auch für alle besser so.
    Die damals gesprengte Brücke über die Radaune ist neu aufgebaut, auch das kleine Wehr in der alten Radaune ist noch da. Wie oft sind wir, wenn wir hier spielten, abgerutscht und ins Wasser gefallen, im Sommer war es ja nicht so schlimm, in der kalten Jahreszeit aber, o weh….
    Auch den ehemaligen Sportplatz mit dem roten Holzhaus als Umkleideraum gibt es nicht mehr.
    Die Straße nach Müggenhahl ist an den Bahngleisen unterbrochen, eine unfallträchtige Fußgängerbrücke führt über die Gleise. Vor der Brücke konnte ich weit in die Niederung schauen, sah die seitlich der Straße liegenden Bauernhöfe und versuchte, mich an die einzelnen Namen zu erinnern: Fulle und Riemer sind mir noch in Erinnerung. Vom Bauer Fulle holten wir Kinder immer die frische Butter ab.
    Wir fuhren nach St. Albrecht zurück und gingen wieder zur Pfarrei. Dort hatte der Haushalter des Pfarrers, ein ehemaliger Seemann, ein schmackhaftes Essen für uns alle zubereitet und der Pfarrer lud uns drei ein, mit ihm zu Essen. Sehr überrascht und dankbar nahmen wir die Einladung gerne an.
    Ganz unvorbereitet saßen wir in St. Albrecht mit einem Pfarrer zum Mittagessen!
    Die Suche in den Kirchenbüchern war für mich fürs erste Mal auch hier nicht sehr erfolgreich. Zu meiner Schande musste ich schon in Danzig bei den Behörden feststellen, dass ich wichtige Unterlagen in Lübeck vergessen hatte.
    Trotzdem, einige Urkunden habe ich gefunden und konnte mir die Daten abschreiben, einen Kopierer hat die Kirche nicht. Bald wurde dem Pfarrer aber die Zeit knapp, so dass wir unsere Suche abbrechen mussten. Wir bedankten uns mit einem kleinen Obolus für die Kirche und baten, im nächsten Jahr noch einmal vorbei kommen zu dürfen, was uns auch zugesagt wurde.
    Der anschließende Aufstieg zur Kreuzwegkapelle auf die Anhöhe hinter der Kirche war für mich, trotz der vielen Stufen bis zur oberen Festwiese mit der kleinen Kapelle, sehr mühsam, aber ein bleibendes Erlebnis, welches ich so schnell nicht vergessen werde. Auch der Ausblick über die Niederung war trotz der hohen Bäume einmalig schön. Ganz zufällig fand ich dann noch in den letzten Tagen einen Bericht im Danzig-Forum (Nr. 3375 v. 20.03.2001) über den Bau des Kreuzweges in St. Albrecht im Jahre 1928. Als ich dann noch unter den damaligen Wegebauern einen Verwandten von meinen Großeltern, Bruno Kollendt, entdeckte, war die Freude für mich sehr groß.
    Ein kleiner Gang durch St. Albrecht durfte nicht fehlen. Das sehr verfallene Anwesen von Erich und Käthe Kollendt mit dem Kolonialwarenladen ist nun abgerissen, und so wie es aussieht, soll hier neu gebaut werden.
    Den Frisörladen, der Barbier, der mit der Hand-Haarschneide-Schere, wo es nur immer so zwickte beim Haarschneiden, und der Bäckerladen, wo wir uns immer gerne Kuchen holten, oben über der neuen Radaune, ist nicht mehr da.
    Neben der Kirche ist noch eine Poststelle.
    Durch die neu gebaute Umgehungsstraße ist der Autoverkehr wesentlich ruhiger geworden.
    Das Wartehäuschen am Hundertmarkweg neben der Brücke an der Landstraße Praust-Danzig, abgebrannt vor etlichen Jahren, ist immer noch nicht wieder aufgebaut.
    Am Abend trafen wir uns mit Jurek und seiner Frau in der Langgasse im „Saloniki“ zu einem Abendessen, es war alles sehr lecker zubereitet und die Atmosphäre war sehr gut. Müde fielen wir in unsere Hotelbetten und schliefen recht bald ein.

    Den Reisebericht musste ich aus Platzgründen teile. Ende meines Reiseberichtes!

    Im Oktober 2007
    Werner Macziey, ein alter Heubuder aus Lübeck an der Ostsee
    (joachimalfred)

  3. #3

  4. #4
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    Standard Reise in die Vergangenheit 2007 St Albrecht

    Hallo Joachim,
    danke für Deine mail und den Hinweis auf diesen Bericht. Ja, genau wie beim den vorhergehenden, man hat das Gefühl, als ginge man neben Dir.
    Du hast vollkommen recht, mit dem Bedanken happert es ganz gewaltig in unserer Gesellschaft. deshalb freut es mich immer ganz besonders, wenn sich unsere 4 Enkel im Alter von 8 - 16 Jahren auch für Kleinigkeiten bedanken.
    Ich war erst 2 mal in Danzig und das mit einer Reisegesellschaft im Bus.
    Da hat man natürlich gesehen, wie es auf dem "flachen Land" aussieht, wie vieles zerfällt. Da denke ich, wie gut, dass unsere Eltern das nicht mehr gesehen haben, einerseits.
    Also nochmals vielen Dank und dann folgt doch sicher noch ein weiterer Bericht.
    Alles Gute
    Karlheinz

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