Aus "Unser Danzig", Heft Nr.9, vom 05.05.1966, Seiten 15-16:

Unsere Danziger Fischer


Fischerboote und Fischkutter sahen wir einst überall an der Danziger Küste, von Zoppot, Glettkau und Brösen über Bohnsack, Schiewenhorst und Steegen bis nach Bodenwinkel und Vogelsang. Die Fischer selbst aber, ihr Wesen, ihre Arbeit, ihre Häuser und alles, was sonst noch zu ihrem Lebensbereich zählte, kannten nicht sehr viele von uns.

Sie galten als ernst und verschlossen, unsere Fischer. Das lag an der Einsamkeit ihrer Dörfer, vor allem aber am ewigen Kampf mit der See. - „Ich dachte, die Ostsee hätte gar keine Wellen“, hörte ich einmal einen Feriengast aus Westdeutschland sagen, als man am Lotsenturm von Neufahrwasser wieder einmal den Sturmball gehisst hatte und die Brandung nur so brauste und donnerte. - Das dachten manche und wussten daher auch nicht, dass die See das Schicksal der Fischer war. Denn von ihr allein empfingen sie Tag um Tag guten oder schlechten Fang und manchmal auch den Tod. Fischer und Fahrensmann kehrten heim oder blieben, wie die See es wollte. Manche fanden als Tote den Weg zurück zum Strand und ihr Grab unter den heimatlichen Dünenkiefern. Der Helaer Friedhof der Heimatlosen war wohl die schönste Ruhestätte namenloser Seeleute. Sie waren vom Meer zurückgegeben worden, wie die Brandung so manches wieder brachte, was wir noch mit eigenen Augen am Strande gesehen haben: Zersplitterte Spanten und Riemen, Segelfetzen und Tauenden, grüne Glasschwimmer von zerfetzten Netzen, Muscheln, Seegras, Tang und Bernstein ...

Die Ostsee ohne Wellen? Um die Jahrhundertwende schlug sie in einer Orkannacht das Fort Westerplatte in Trümmer, und die Sturmflut von 1912 brach Betonquadern aus dem Küstenwehr bei Weichselmünde, riss Seestege ein, Boote vom Strand, stürmte die Dünen und zerbrach die Kiefern am Waldrand. Aber die Fischer ergaben sich nicht, wie sie sich in Jahrhunderten nicht ergeben hatten. - Ist es ein Wunder, dass solche Männer nicht viel redeten und dass ihre Augen oft einen forschenden Blick in die Ferne hatten? Freilich, kannte man sie näher und saß bei ihnen in den gemütlichen, oft noch strohgedeckten Häuschen - vielleicht waren frisch geröstete Neunaugen oder Stremellachs und eine Pulle Machandel auf dem Tisch -, dann gingen sie eher aus sich heraus, und es kam sogar ein gesunder Humor zum Vorschein. Wenn man sie sehr darum bat, erzählten sie sogar etwas von Seenot und Rettung da draußen, aber nur kurz, abgehackt; sie spannen kein langes „Seemannsgarn“. Alles Prahlen lag ihrem Wesen fern. Eher sprachen schon die Frauen von ihrer Arbeit daheim und in der Räucherei und vom Verkauf auf dem Danziger Fischmarkt. Oder sie zeigten ihre hübschen Gärtchen, wo im Frühling Flieder und Holder blühten, sommertags Nelken und Goldlack, im Herbst Sonnenblumen und Astern.

So ein altes hölzernes Fischerhaus wurde als Schurzbohlenhaus bezeichnet, weil sich die Bohlen, aus denen die Wände bestanden an den Ecken zu kreuzen pflegten. Es handelte sich dabei oft um kräftige Nagelhölzer, welche einst Tratten zusammengehalten hatten, jene Flöße, die von den „Flissaken“ aus den Karpaten die Weichsel herunter gesteuert wurden. Mitunter sah man noch die alten Nagellöcher. Die Hausgiebel waren sauber mit Brettern verschalt die Dächer mit Rohr gedeckt, auf dem sich manchmal Moos ansetzte. Die Haustüren waren stets horizontal unterteilt. Lüftete man durch die Obertür, verhinderte die geschlossene Untertür das Hinauslaufen kleiner Kinder und das Hereinkommen der Hühner. Türen, Fensterladen, Hausecken, bisweilen sogar die Giebelverschalung, waren oft bunt bemalt (grün, blau, braun), während man die Wände teerte.

Die Haustür führte in einen Flur, der auf der gegenüberliegenden Seite durch die Hof- oder Gartentür abgeschlossen war und an dem die Stuben und die mitunter noch anzutreffende „schwarze Küche“ lagen. So eine uralte Küche war ein quadratischer Raum, dessen Wände sich nach oben hin verjüngten und in den Schornstein ausliefen. Sonne, Mond und Sterne schienen also in diesen Mauerschacht, in dem an eisernen Stangen Würste und Schinken des Frühlings harrten, denn nach altem Brauch durften sie nicht vor dem ersten Kuckucksruf angeschnitten werden. Wo diese „schwarzen Küchen“ überhaupt noch bestanden, hatte man meist eine Zwischendecke eingezogen, damit der moderner gewordenen Hausfrau nicht immer noch Regen und Schnee auf den Herd fielen. Dieser Herd hatte früher aus einer aufgemauerten Ziegelfläche bestanden, auf der das offene Holzfeuer brannte, über dem dann an verstellbarem schmiedeeisernem Haken der Wasserkessel hing, wie ich es selbst noch gesehen habe. Sonst gehörte zum Kochen der dreifüßige „Grapen“ über dem Feuer. Es versteht sich, dass diese altüberlieferte, aber primitive Einrichtung zuletzt nirgendwo mehr vorzufinden war.

Die Stuben waren meist neuzeitlich eingerichtet, aber da und dort sah man doch noch die bewährte alte Truhe aus bunt bemaltem Kiefernholz, ebenso ganz schlichte, kaum ein wenig geschnitzte Brettstühle oder eine alte Kasten oder Wanduhr. Eltern und erwachsene Kinder hielten oft noch zäh am Althergebrachten dieser schlichten Volkskunst fest, aber die Schwiegertöchter beförderten es dann meist aus Unverständnis aus dem Hause, wie sie es dann auch schließlich nicht mehr über sich brachten, die alten, praktischen und in Blauweißdruck nach überlieferten Mustern hergestellten Blusen und vor allem Schürzen zu tragen. Während die Frauen sonst gerade die Hüterinnen altüberlieferten Gedankengutes und Brauchtums waren und sind -, die letzten Reste alter Volkstracht haben sie nicht zu bewahren verstanden, und so ist seit etwa Anton Möllers Zeiten unendlich viel Schönes verloren gegangen. Der damals so beliebte rote Boi-Rock (weil wir gerade dabei sind), der noch in dem Volkslied „Lott es dot, Lieschen liegt em Starwe“ in den Worten weiterlebte: „erw' wie nich dem rode Rock, jewt es mit dem Bassemstock“ - die älteren Danziger kennen es heute noch - wurde noch bis kurz nach dem ersten Weltkrieg von ganz alten Frauen als Unterrock getragen.

Neben den Schurzbohlenhäusern - die neuen Fischerhäuser bestanden aus Ziegelrohbau oder waren verputzt, hatten also jede Eigenart eingebüßt - lagen Geräteschuppen und der Stall. Darin hauste das Hühnervölkchen, eine Ziege oder sogar ein Mastschwein. An den Wänden dieser Nebengebäude hingen Reusen, Körbe, Kescher, während am Wohnhaus selbst Feuerleiter und haken zu hängen hatten. Man sah auch überall Korkschwimmer und „Stehder“ mit bunten Fähnchen, die draußen auf See den Standort der ausgelegten Netze anzeigten. Diese Netze - Zuggarne, Schernetze, Kurren usw. - hingen oft zum Trocknen an den Querhölzern der „Steeken“, die wie Masten gen Himmel ragten. Und all diese Netze, bis zu den Manzen und Krabbenhamen, waren immer wieder mühsam zu flicken, worauf sich alt und jung ausgezeichnet verstanden.

Für Städter und Feriengäste nahm sich diese mit großer Fingerfertigkeit vorgenommene Flickarbeit ebenso gemütlich aus wie etwa jene im Wind kreiselnden Windmühlchen, hölzernen Flugzeuge oder Schiffchen, die der Basteltrieb dieser großen Kinder oft auf das Stalldach oder in den Garten gesetzt hatte. Man vergaß bei solchem Anblick leicht die Wichtigkeit der Netze, die, neben Boot oder Kutter, die Existenz bedeuteten. Wehe, wenn die See sie in Stücke riss oder davon trieb, was oft genug geschah. Die Boote wurden meist einfach auf den Strand geschoben oder, falls nötig, mit dem Spill hoch hinauf gezogen, um sie so vor dem Ansturm der Brandung zu bewahren. Die Kutter von Heubude und Neufähr bis Schiewenhorst und Nickelswalde fanden Liegeplatz und Schutz auf der toten oder der Stromweichsel, wo sie dörferweise, Mast an Mast, wie eine Flottille vertäut lagen. Von da war es auch nie weit bis zur nächsten Bootswerft, wo sie notfalls überholt werden konnten.

Eine besondere Anziehungskraft auf Ortsfremde und Landratten übten die Räuchereien aus, die schon weither an ihren sich verjüngenden steilen Schornsteinen kenntlich waren. Geräuchert wurde mit Hartholz und, nach alter Sitte, mit „Schischken“, also Kiefernzapfen, die von den Kindern im Dünenwald gesammelt wurden. Der Duft der frisch aus den Räucherkammern kommenden, an Spießen aufgereihten Breitlinge (die dann Sprotten hießen), Heringe, Zarten, Maifische, Flundern, Aale, Spaltaale, Stremellachs und Störstücke war ein Genuss, erst recht, etwas von diesen fetttriefenden goldbraunen Leckerbissen zu probieren, sobald sie ein wenig abgekühlt waren. Dabei dachte kaum jemand daran, wie schwer es die Frauen hatten, in den immer zugigen Räumen an langen Wandtrögen zu stehen und die nasskalten, im Winter holzhart gefrorenen Fische, Stück für Stück und Zentner um Zentner, abzuschuppen, falls nötig, auszunehmen und zuzuschneiden. Manchmal unterhielten sie sich dabei, sangen mitunter sogar ein Liedchen, machten für jeden vollen Spieß ihren Zählstrich auf die Tafel und lachten wenn es schnell von der Hand ging. Aber trotzdem ließ sie die Sorge nie ganz los um den Mann, den Vater, den Bruder auf See, um die Kinder daheim und um das Auskommen, vor allem zur Winterzeit und wenn die schweren Stürme kamen.

Immer wieder nahm es sich nett, mitunter sogar ein wenig malerisch aus, die Fischerkinder an der Weichsel auch schon mit bunten Schiffchen spielen, am Bollwerk die ihre Pfeife schmauchenden Männer, in den Türen, an den Gartenzäunen oder auf der Bank die Alten den Sonnenschein genießen zu sehen, derweil andere aus dem Ziehbrunnen am langen „Galgen“ Wassereimer hoch holten und der Herdrauch ins Abendrot wölkte. Aber wer dachte schon daran, dass die Männer, die vielleicht erst mittags oder nachmittags heimgekehrt waren, inzwischen schon alles wieder hatten klarmachen müssen, um mitten in der Nacht, lange vor dem ersten Hahnenschrei, bereits in See zu gehen.

So recht genossen unsere Fischersleute eigentlich erst den Samstagabend, die Sonn- und Festtage. Dann ging es mitunter auch im Dorfwirtshaus einigermaßen hoch her, bei Tanz und Gesang, bei Bier, bei Korn und Machandel. Die Frauen zogen etwas Süßes vor und verschmähten nicht Goldwasser und Kurfürsten vom „Lachs“. Aber mit Maß. Denn “sie gaben fleißig darauf acht, dass das Mannsvolk, vor allem beim Kartenspiel, nicht zu viel trank, denn früh genug begann ja doch für sie alle der junge Tag mit neuer Arbeit und den alten Sorgen. H.B.M.-----

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Wolfgang